Saison 2004/2005: Konzert 2

Sonntag, 24. Oktober 2004 17 Uhr Sendesaal des Deutschlandfunks

Antonio Caldara

Kantaten und Sonaten Max Emanuel Cencic, Altus Ornamente 99 M. E. Cencic Sendung im Deutschlandfunk am 2.11.2004

Aus einer langen schöpferischen Pause - nach einer bereits erstaunlichen Karriere als Sopranist - ist der junge, aber längst von allen gepriesene Max Emanuel Cencic als Countertenor verwandelt hervorgegangen. Und begeistert das Publikum seither mehr als je zuvor. Nicht erst seit seiner allseits hoch geschätzten CD mit Kantaten Domenico Scarlattis (zusammen mit dem Ensemble Ornamente 99) wird Cencic zu namhaften europäischen Festspielen eingeladen. Grund genug sein neuestes Projekt im Rahmen der Konzertreihe vorzustellen: Kantaten von Antonio Caldara.

Programmfolge

"Da tuoi lumi"
Kantate für Alt, Violine und Basso continuo

Sonata d-Moll op. 2,1
für Blockflöte, Violine und Basso continuo
Preludio
Corrente
Giga

"Vedro senz'onde il mare"
Kantate für Alt, Streicher (Traversflöten colla parte) und Basso continuo

Pause

Ciaconna B-Dur op. 2,12
für Streicher und Basso continuo

Sonata prima F-Dur
für Blockflöte und Basso continuo
Preludio
Allegro
Allegro

"Non v'è pena, nell'amore"
Kantate für Alt, Blockflöte, Chalumeau und Basso continuo

Wanderer zwischen den musikalischen Welten

Caldara - ein Komponist, auf dessen Namen man immer wieder stößt, sobald man sich mit der Blütezeit des Hochbarock beschäftigt. Wer war Antonio Caldara, und wie war seine Musik? Seine musikalische Sprache bewegt sich im Puls der damaligen Zeit. Er wuchs in Venedig auf als Sohn des Musikers Giuseppe Caldara, der mit Giovanni Battista Vivaldi, dem Vater des berühmten Antonio, an San Marco musizierte. Zwar weiß man nicht viel über seine Ausbildung, jedoch wird vermutet, dass er die musikalische Unterweisung Giovanni Legrenzis genoss. In Venedig begann seine Karriere als Instrumentalist und Altist. Er komponierte dort seine ersten Opern, denn die Stadt stellte zu dieser Zeit eines der größten Zentren für den kommerziellen Opernbetrieb dar. 1699 folgte er Marc' Antonio Ziani an den Gonzaga-Hof in Mantua, und man vermutet, dass er von dort aus zusammen mit dem Herzog auch eine Reise nach Frankreich unternahm. Dann, nach politischen Umwälzungen, kam er Ende 1707 nach Rom, wo er unter Francesco Maria Ruspoli in der wohl schillerndsten Musikpatronat-Szene Europas tätig war. Die Familien Ottoboni, Pamphili, Ruspoli sowie die Exil-Königinnen Christina von Schweden und Casimira von Polen unterhielten einen Musikbetrieb, der sich wie ein "Who is Who" des kompositorischen Hochbarock liest, mit Persönlichkeiten wie Arcangelo Corelli, Alessandro und Domenico Scarlatti, Georg Friedrich Händel, Alessandro Melani, Bernardo Pasquini und Alessandro Stradella. Während eines Aufenthalts in Spanien 1708 unter Karl III. komponierte Caldara vermutlich die erste italienische Oper, die auf der iberischen Halbinsel aufgeführt wurde. Dann trat er 1716/17 die Nachfolge von Johann Joseph Fux in Wien an, von dem er das Vize-Kapellmeisteramt übernahm.

In Europa hatten sich zu dieser Zeit bereits sehr klar verschiedene Musikstile geformt (so konnte schon Arcangelo Corelli von einem "Stile francese" sprechen). Der Musikgeschmack passte sich den politischen Gegebenheiten und den Kunst-Förderern an. So war in Rom Opulenz gefragt, in Frankreich die Vermehrung der "Gloire" Ludwigs XIV. und in Wien die politische Repräsentation des Reiches: die Fusion von Staat und Kirche (wenngleich der Tod Karls VI. verhinderte, dass Klosterneuburg zur Gänze als ein zweiter Escorial verwirklicht werden konnte).

Caldara stand mit seinem Schicksal zwischen all diesen Fronten und scheint - auf dem politischen Parkett geschickt - alle seine Auftraggeber zufriedengestellt zu haben. So sind seine frühen Sonaten, die in Venedig gedruckt wurden, denjenigen Arcangelo Corellis sehr ähnlich. Dann wieder wird seine Sprache in Rom durch Alessandro Scarlatti und Melani stark geprägt. Aber auch Vivaldis venezianische Musik scheint nicht spurlos an Caldara vorbeigegangen zu sein. Das, was später zum lombardischen Stil avancierte und von Vivaldis geistigem Nachfolger Baldassare Galuppi fortgeführt wurde, kann immer wieder auch in Caldaras Musik entdeckt werden. Bis zum Ende seines Lebens wurde sein Alltag dann vom Wiener Hof und seinem imperialen Stil geprägt. Johann Joseph Fux und das strenge Wiener Protokoll erteilten die Kompositionsaufträge und gaben die Form vor. Caldara hat in dieser Zeit mehr als 100 Messen und doppelt so viele Motetten geschrieben. Der Wiener Hof war unersättlich, wenn es um Repräsentationsmusik ging. Man beging große Feste wie die Namenstage und Geburtstage der kaiserlichen Familie, dann natürlich die kirchlichen Feiertage und zudem kleinere Anlässe wie etwa die Toison-Feste (für die Mitglieder des Ordens vom Goldenen Vlies).

Obwohl die Experten davon ausgehen, dass Caldara fast alle seine weltlichen Kantaten in Rom für den Gebrauch der Arkadischen Gesellschaft geschrieben hat, jener allen Künsten aufgeschlossenen "akademischen" Vereinigung, gibt es eindeutige Hinweise darauf, dass er auch später in Wien noch Werke dieses Genres komponierte. So haben sich einige seiner Kantatenmanuskripte mit ausgeschriebenen Dacapi erhalten - eine für den Wiener Hof typische Eigenart. Unter Caldaras mehr als 250 Kantaten habe ich eine repräsentative Auswahl zu treffen versucht, quer durch seine Schaffenslaufbahn. So ist die kleine Kantate "Da tuoi lumi" stilistisch seiner römischen Schaffensperiode zuzuschreiben. Die Leichtigkeit des Textes und die Auseinandersetzung mit dem Thema Liebe ist typisch für die Arkadische Gesellschaft in Rom. Die Kantate "Non v'è pena" hingegen findet sich in einer norddeutschen Sammlung. Es ist zu vermuten, dass dieses Werk über Jan Dismas Zelenka nach Deutschland gelangte: Als August der Starke zum Katholizismus konvertiert war, bestand mit einem Mal ein großer Bedarf an "katholischer" Musik am Dresdner Hof. Allein zu diesem Zweck reichten Johann David Heinichens und Zelenkas Kirchenwerke nicht aus. Daher entsandte man Zelenka - naheliegender Weise - nach Wien, dem Zentrum der damaligen "katholischen" Musikwelt nördlich der Alpen. Bei dieser Gelegenheit gelangten viele Werke Caldaras nach Deutschland, und wahrscheinlich ist auch die Kantate "Non v'è pena" als cantata festa für den kursächsischen Hof geschrieben worden. So wurde der Italiener vom Beeinflussten zum Beeinflusser des deutschen Barock (kein Geringerer als Johann Sebastian Bach verwahrte einige Werke Caldaras zu Kontrapunktstudien).

Die Musik Caldaras ist von Pathos und Eleganz geprägt; es sind stilistische Eigenheiten, die er im Wechsel der Zeiten und der Umgebung in sich aufnahm und die sich rund um seine Musik formen wie eine persönliche Biographie. In diesem Sinne möchte unser Programm einen kammermusikalischen Einblick in seine Schaffenswelt eröffnen und vielleicht neues Interesse und Begeisterung für diesen großen Komponisten wecken.

Max Emanuel Cencic

In seinen Triosonaten Opus 1 und 2, die noch im 17. Jahrhundert (1693 und 1699) in Venedig im Druck erschienen, präsentierte sich der junge Caldara der musikalischen Öffentlichkeit als ernstzunehmender Instrumentalkomponist in der Nachfolge Arcangelo Corellis. So lehnt sich die heute zu hörende d-Moll-Sonate sowohl in der Folge von Preludio, Corrente und Giga als auch in der kompositorischen Faktur der einzelnen Sätze deutlich an die seinerzeit als klassische Exempel gehandelten Sonate da camera des Römers an. Die Ciaconna, eine groß angelegte Orchesterkomposition (wenn auch ohne Bratsche) über ein ständig wiederkehrendes Thema, erinnert an entsprechende Werke von Johann Heinrich Schmelzer, Heinrich Ignaz Franz Biber und Georg Muffat. Es scheint so, als habe sich der Venezianer schon früh dem österreichisch-süddeutschen Stil geöffnet, den die genannten Musiker in Wien und Salzburg eine Generation zuvor geprägt hatten. Die Solosonate in F hat ungewöhnlicherweise nur drei Sätze in der Tempofolge langsam - schnell - schnell und wirkt in dieser Hinsicht fast modern. Eigentlich für Violine komponiert, verzichtet sie doch auf Doppelgriffe, zeigt andererseits einige bläsertypische Figuren. Das rechtfertigt die Besetzung mit Blockflöte. Der langsame erste Satz zeigt sich betont kantabel; der zweite spielt etüdenhaft mit wenigen Motiven und wirkt in seiner Schlichtheit und der Reduktion der Mittel nahezu richtungsweisend. Dem schließt sich der dritte Satz wieder konventioneller als Kehraus im Stil einer Gigue an.

Karsten Erik Ose

Mitwirkende

Max Emanuel Cencic, Altus
ornamente.99
Karsten Erik Ose - Blockflöte
Jed Wentz, Marion Moonen - Traversflöte
Christian Leitherer - Chalumeau
Christoph Timpe, Katrin Ebert - Violine
Nicholas Selo - Violoncello
Eberhard Maldfeld - Violone
Katharina Brahe - Fagott
Diez Eichler - Cembalo
Yasunori Imamura - Chitarrone