Saison 2000/2001: Konzert 5

Sonntag, 14. Januar 2001 17 Uhr Sendesaal des Deutschlandfunks

Franz Schubert

Lieder nach Texten von Johann Mayrhofer Christoph Prégardien - Tenor Andreas Staier - Hammerflügel

"Ich werde Euch einen Zyklus schauerlicher Lieder vorsingen ... Sie haben mich mehr angegriffen, als dieses je bei anderen Liedern der Fall war." Mit diesen Worten lud Schubert seine Freunde zur ersten Aufführung des ersten Heftes seiner Winterreise ein. Und wenn wir unserer heutigen Sprache entsprechend "schauerlich" durch "erschauernd" ersetzen, so trifft es beides: die Gesänge Franz Schuberts wie die Interpretation der Lieder durch eines der herausragenden Duos unserer Tage. Der lyrische Tenor Christoph Prégardien und der Pianist Andreas Staier, die unabhängig voneinander wahrhaft spektakuläre Karrieren vollbracht haben, treffen immer wieder zu Liederabenden zusammen, die unverwechselbar sind aufgrund ihres vollkommen eigenen Timbres und die denkwürdig bleiben aufgrund ihrer Feinheit der Interpretationen. Die Begeisterung für ihre Interpretationen beruht auf dem Geheimnis intimer Erzählkultur, das aus ihrem gemeinsamen Musizieren entsteht - und wahrhaft "erschauern" lässt.

Programmfolge

Franz Schubert

Fahrt zum Hades D 526
Freiwilliges Versinken D 700
Der entsühnte Orest D 699
Der zürnenden Diana D 707

Lied eines Schiffers an die Dioskuren D 360
Auf der Donau D 553
Der Schiffer ("Im Winde, im Sturme befahr ich den Fluss") D 536
Die Sternennächte D 670
Abschied ("Über die Berge zieht ihr fort") D 475
Nachtstück D 672

Pause

Fragment aus dem Aeschylus D 450
Antigone und Oedip D 542
Memnon D 541
Philoktet D 540
Atys D 585

Der Sieg D 805
Wie Ulfru fischt D 525
Der Alpenjäger (Auf hohem Bergesrücken) D 524
Nachtviolen D 752
Abendstern D 806
Nach einem Gewitter D 561
Gondelfahrer D 808
Auflösung D 807

Brüder im Geiste

"Ich dichtete, er komponierte, was ich dichtete und wovon vieles seinen Melodien Entstehung, Fortbildung und Verbreitung verdankt." (Johann Mayrhofer, Erinnerungen an Franz Schubert, Wien 1829)

"Ja, das ist halt ein gutes Gedicht; da fällt einem sogleich was Gescheites ein; die Melodien strömen herzu, dass es eine wahre Freude ist." (Franz Schubert gegenüber Anselm Hüttenbrenner, ca. 1819)

Zwei Künstler, die auf engem Raum zusammen wohnen: der eine ein musikalisch gebildeter, begabter Dichter, der andere ein literarisch sensibler, begnadeter Musiker: Von außen betrachtet bietet sie beste Voraussetzungen für eine gedeihliche künstlerische Zusammenarbeit, die Wohngemeinschaft, die Johann Mayrhofer, 31 Jahre alt, studierter Jurist und Beamter der zentralen Zensurbehörde, und Franz Schubert, 21 Jahre, privater Musiklehrer, im November 1818 eingehen, als der Musiker in das Zimmer des Literaten einzieht. Und dieser Eindruck scheint auf den ersten Blick auch nicht zu trügen. Überblickt man Schuberts Liedschaffen, stellt man fest, dass er nur Texten Goethes eine größere Aufmerksamkeit zuwandte; immerhin knapp fünfzig seiner Kompositionen liegen Dichtungen Mayrhofers zugrunde.

Das pittoreske Biotop künstlerischer Liberalität in der Wipplingerstraße, in dem die Wohnungswirtin (mit dem bezeichnenden Nachnamen Sanssouci) offenbar ein wenig für haushälterische Ordnung sorgte, wird jedoch von jener bedrückenden Stimmung überschattet, die das restriktive politische Regime des Fürsten Metternich in Wien verbreitet: "Haus und Zimmer haben die Macht der Zeit gefühlt: die Decke ziemlich gesenkt, das Licht von einem großen, gegenüberstehenden Gebäude beschränkt, ein überspieltes Klavier, eine schmale Bücherstelle; so war der Raum beschaffen, welcher mit den darin zugebrachten Stunden meiner Erinnerung nicht entschwinden wird. ... Während unseres Zusammenwohnens konnte es nicht fehlen, dass Eigenheiten sich kundgaben; nun waren wir jeder in dieser Beziehung reichlich bedacht, und die Folgen blieben nicht aus.

Wir neckten einander auf mancherlei Art und wendeten unsere Kanten zur Erheiterung und zum Behagen einander zu. Seine frohe, gemütliche Sinnlichkeit und mein in sich geschlossenes Wesen traten schärfer hervor und gaben Anlass, uns mit entsprechenden Namen zu bezeichnen, als spielten wir bestimmte Rollen. Es war leider meine eigene, die ich spielte!"


In diesen Erinnerungen Mayrhofers spiegelt sich jene Zerrissenheit, die sein Leben durchzieht. Der 1787 in Linz an der Donau Geborene, Zögling des Konvikts St. Florian seit 1806, entscheidet sich 1810 gegen die Theologie und wechselt zum Jurastudium nach Wien. Hier ist es vor allem der patriotisch gesinnte Hoftheaterdichter Theodor Körner, der seine erwachenden literarischen Interessen fördert. Körners Enthusiasmus für Goethe und Schiller färbt auf Mayrhofer ab. Mit ihnen teilt er die Begeisterung für die Antike; seinem liberalen Geist dient sie allerdings als klassische Umhüllung subversiver Ideen. Wer könnte es auch besser verstehen, aufrührerische Gedanken im politisch prinzipiell verdächtigen Lied in betörend schöne Formen zu gießen, als er, der als Mitherausgeber der liberalen "Beyträge zur Bildung für Jünglinge" 1817 gemaßregelte, hernach im Alltag seines Amtes umso korrektere Zensor?

Kein Zweifel, sein Sänger versteht ihn: Auch in Schuberts Vertonung klingt Mayrhofers "Memnon" für den oberflächlichen Zuhörer noch "harmonisch", wenn schon "in tiefstem Herzen Schlangen wühlen". Das Lied "Der zürnenden Diana" lässt sich als Aufruf gegen die Autorität deuten, ist aber auch schon als Ausdruck der homoerotischen Neigung des Dichters interpretiert worden. Andernorts sucht Mayrhofer - und mit ihm Schubert - vor der resignativen Ohnmacht ("Fahrt zum Hades", "Philoktet") ins Idyll zu fliehen - oftmals vergeblich, wie die Melancholie des "Nachtstücks" oder der "Sternennächte" belegt. Ein Seelenzustand, der sich im Alltag allenfalls in den geheimbündlerischen Zusammenkünften des Freundeskreises in Privatwohnungen, in den Hinterstuben der Wirtshäuser oder - im Idealfall - auf dem ländlichen Privatsitz eines Gönners artikulieren kann. Eine Situation, an der Mayrhofer später zerbrechen wird: Von Hypochondrien und Depressionen geplagt, stürzt er sich 1836 aus dem Fenster seines Amtszimmers in den Tod.

Bemerkenswerterweise ist eine große Zahl von Schuberts Mayrhofer-Vertonungen nun nicht während der Zeit ihrer Wohngemeinschaft entstanden. Ein erstes Lied datiert bereits von 1814; den Text hatte Josef Spaun, ein ehemaliger Mitschüler Mayrhofers, dem befreundeten Schubert zukommen lassen. Spaun vermittelte dann offensichtlich auch wenig später die Bekanntschaft zwischen Dichter und Komponist: "Als Mayrhofer einige Lieder von Schubert gehört hatte, machte er mir Vorwürfe, dass ich ihm das Talent Schuberts viel zu gemäßigt angerühmt habe. - Mayrhofer sang und pfiff den ganzen Tag Schubertsche Melodien, und Dichter und Tonsetzer waren bald die besten Freunde", erinnert er sich später. Kurz darauf komponiert Schubert das Singspiel "Die Freunde von Salamanka" (1815) und das Opernfragment "Adrast" (vor 1817) nach den Libretti Mayrhofers. Von 1816 datiert das "Lied eines Schiffers an die Dioskuren", von 1817 "Fahrt zum Hades", "Philoktet", "Memnon", "Antigone und Oedip" sowie "Atys".

Den in Mayrhofers Erinnerungen angedeuteten Reibereien, die mit der Zeit häufiger werden, nimmt Schubert den Zündstoff, als er Ende 1820 einige Häuser weiter allein eine Wohnung bezieht. Das entkrampfte Verhältnis scheint seine Lust, des Freundes Gedichte zu vertonen, wieder zu beflügeln. "Freiwilliges Versinken" und "Der zürnenden Diana" stammen aus dieser Zeit. Im Jahr 1824 publiziert Mayrhofer dann einen eigenen Gedichtband, und dadurch wird Schuberts Kompositionsinteresse offenbar erneut geweckt: Seine Vertonungen von "Abendstern", "Auflösung" und "Gondelfahrer" zum Beispiel entstehen im gleichen Jahr. - Mit dem "Nachtstück" und den "Sternennächten" erklingen im heutigen Konzert aber auch zwei der wenigen Kompositionen, die 1819 aus der gemeinsamen Wohnung der beiden Künstler hervorgingen.

Schubert und Mayrhofer: eine Freundschaft, der im Alltagsleben eine größere menschliche Distanz offenbar besser bekam, eine romantische Kongenialität, die auch über eine gewisse persönliche Entfremdung hinaus bestehen blieb. Mayrhofer: "Der Strom der Verhältnisse und der Gesellschaft, Krankheit und geänderte Anschauung des Lebens hatten uns später auseinander gehalten; aber was einmal war, ließ sich sein Recht nicht mehr nehmen."

behe

Johann Mayrhofer

An Franz

Du liebst mich! tief hab ich's empfunden,
Du treuer Junge, zart und gut;
So stähle sich denn, schön verbunden,
Der edle, jugendliche Mut!
Wie immer auch das Leben dränge,
Wir hören die verwandten Klänge.

Doch Wahrheit sei's, womit ich zahle:
Ich bin nicht, Guter, wie du wähnst;
Du sprichst zu einem Ideale,
Wonach du jugendlich dich sehnst, -
Und eines Ringers schweres Streben
Hältst du für rasch entquollnes Leben.

Was ich, gelallt mit schwacher Lippe, -
Hab ich das Wahre auch erkannt?
Ich schuf, - es war ein arm Gerippe;
Hab ich den Geist je festgebannt?
Konnt ich den Sinn der Weltgeschichten
Erscheinen lassen in Gedichten?

Doch lass uns treu, bis sich dem Willen
Die Bildung und die Kraft gesellt,
Als Brüder redlich baun im Stillen
An einer schönern, freien Welt;
Sie ist es nur, - der ich gesungen, -
Und ist sie, - sei das Lied verklungen!

Die Texte

Fahrt zum Hades D 526
(Mayrhofer, Januar 1817, D 526)

Der Nachen dröhnt, Cypressen flüstern,
Horch, Geister reden schaurig drein;
Bald werd ich am Gestad, dem düstern,
Weit von der schönen Erde sein.

Da leuchten Sonne nicht, noch Sterne,
Da tönt kein Lied, da ist kein Freund.
Empfang die letzte Träne, o Ferne,
Die dieses müde Auge weint.

Schon schau ich die blassen Danaiden,
Den fluchbeladnen Tantalus;
Es murmelt todesschwangern Frieden,
Vergessenheit, dein alter Fluss.

Vergessen nenn ich zwiefach Sterben,
Was ich mit höchster Kraft gewann,
Verlieren, wieder es erwerben -
Wann enden diese Qualen? Wann?

 

Freiwilliges Versinken D 700
(Mayrhofer, September 1820, D 700)

Wohin, o Helios? "In kühlen Fluten
Will ich den Flammenleib versenken,
Gewiss im Innern, neue Gluten
Der Erde feuerreich zu schenken.

Ich nehme nicht, ich pflege nur zu geben;
Und wie verschwenderisch mein Leben,
Umhüllt mein Scheiden goldne Pracht,
Ich scheide herrlich, naht die Nacht.

Wie blass der Mond, wie matt die Sterne,
So lang ich kräftig mich bewege;
Erst wenn ich auf die Berge meine Krone lege,
Gewinnen sie an Mut und Kraft in weiter Ferne."

 

Der entsühnte Orest D 699
(Mayrhofer, September 1820, D 699)

Zu meinen Füßen brichst du dich,
O heimatliches Meer!
Und murmelst sanft - Triumph! Triumph!
Ich schwinge Schwert und Speer.

Mycene ehrt als König mich,
Beut meinem Wirken Raum,
Und über meinem Scheitel saust
Des Lebens goldner Baum.

Mit morgendlichen Rosen schmückt
Der Frühling meine Bahn,
Und auf der Liebe Wellen schwebt
Dahin mein leichter Kahn.

Diana naht! o Retterin,
Erhöre du mein Flehn:
Lass mich, das Höchste wurde mir,
Zu meinen Vätern gehn!

 

Der zürnenden Diana D 707
(Mayrhofer, Dezember 1820, D 707, op. 36,1)

Ja, spanne nur den Bogen, mich zu töten,
Du himmlisch Weib! Im zürnenden Erröten
Noch reizender. Ich werd es nie bereuen,
Dass ich dich sah am blühenden Gestade
Die Nymphen überragen in dem Bade,
Der Schönheit Funken in die Wildnis streuen.
Den Sterbenden wird noch dein Bild erfreuen.
Er atmet reiner, er atmet freier,
Wem du gestrahlet ohne Schleier.
Dein Pfeil, er traf, doch linde rinnen
Die warmen Wellen aus der Wunde;
Noch zittert vor den matten Sinnen
Des Schauens süße letzte Stunde.

 

Lied eines Schiffers an die Dioskuren D 360
(Mayrhofer, D 360, 1816, op. 65,1)

Dioskuren, Zwillingssterne,
Die ihr leuchtet meinem Nachen,
Mich beruhigt auf dem Meere
Eure Milde, euer Wachen.

Wer auch fest in sich begründet,
Unverzagt dem Sturm begegnet,
Fühlt sich doch in euren Strahlen
Doppelt mutig und gesegnet.

Dieses Ruder, das ich schwinge,
Meeresfluten zu zerteilen,
Hänge ich, so ich geborgen,
Auf an eures Tempels Säulen,
Dioskuren, Zwillingssterne.

 

Auf der Donau D 553
(Mayrhofer, D 553, April 1817, op. 21,1)

Auf der Wellen Spiegel
Schwimmt der Kahn.
Alte Burgen ragen
Himmelan;
Tannenwälder rauschen
Geistergleich -
Und das Herz im Busen
Wird uns weich.

Denn der Menschen Werke
Sinken all;
Wo ist Turm, wo Pforte,
Wo der Wall,
Wo sie selbst, die Starken?
Erzgeschirmt,
Die in Krieg und Jagden
Hingestürmt.

Trauriges Gestrüppe
Wuchert fort,
Während frommer Sage
Kraft verdorrt.
Und im kleinen Kahne
Wird uns bang -
Wellen drohn, wie Zeiten,
Untergang.

 

Der Schiffer ("Im Winde, im Sturme befahr ich den Fluss") D 536
(Mayrhofer, 1817?, op. 21,2)

Im Winde, im Sturme befahr ich den Fluss,
Die Kleider durchweichet der Regen im Guss;
Ich peitsche die Wellen mit mächtigem Schlag,
Erhoffend mir heiteren Tag.
Die Wellen, sie jagen das ächzende Schiff,
Es drohet der Strudel, es drohet das Riff,
Gesteine entkollern den felsigen Höhn,
Und Tannen erseufzen wie Geistergestöhn.
So musste es kommen, ich hab es gewollt,
Ich hasse ein Leben behaglich entrollt;
Und schlängen die Wellen den ächzenden Kahn,
Ich priese doch immer die eigene Bahn.
Drum tose des Wassers ohnmächtiger Zorn,
Dem Herzen entquillet ein seliger Born,
Die Nerven erfrischend, o himmlische Lust,
Dem Sturme zu trotzen mit männlicher Brust!

 

Die Sternennächte D 670
(Mayrhofer, Oktober 1819, op. post. 165,2)

In monderhellten Nächten
Mit dem Geschick zu rechten,
Hat diese Brust verlernt.
Der Himmel, reich gestirnt,
Umwoget mich mit Frieden;
Da denk ich, auch hienieden
Gedeihet manche Blume;
Und frischer schaut der stumme,
Sonst trübe Blick hinauf
Zum ewgen Sternenlauf.
Auf ihnen bluten Herzen,
Auf ihnen quälen Schmerzen,
Sie aber strahlen heiter.
So schließ ich selig weiter:
Auch unsre kleine Erde,
Voll Misston und Gefährde,
Sich als ein heiter Licht
Ins Diadem verflicht;
So werden Sterne
Durch die Ferne!

 

Abschied ("Über die Berge zieht ihr fort") D 475
(Mayrhofer, 'nach einer Wallfahrtsarie bearbeitet', September 1816)

Über die Berge zieht ihr fort,
Kommt an manchen lieben/grünen Ort;
Muss zurücke ganz allein,
Lebet wohl! es muss so sein.

Scheiden, meiden, was man liebt,
Ach wie wird das Herz betrübt!
O Seenspiegel, Wald und Hügel schwinden all;
Hör verschwimmen/verstummen eurer Stimmen Widerhall.

Lebt wohl! klingt klagevoll,
Ach wie wird das Herz betrübt.
Scheiden, meiden, was man liebt;
Lebt wohl! klingt klagevoll.

 

Nachtstück D 672
(Mayrhofer, D 672, Oktober 1819 1. Fassung, op. 36,2)

Wenn über Berge sich der Nebel breitet
Und Luna mit Gewölken kämpft,
So nimmt der Alte seine Harfe und schreitet,
Und singt waldeinwärts und gedämpft:

Du heilge Nacht!
Bald ist's vollbracht.
Bald schlaf ich ihn, den langen Schlummer,
Der mich erlöst von allem Kummer.

Die grünen Bäume rauschen dann
Schlaf süß, du guter, alter Mann;
Die Gräser lispeln wankend fort:
Wir decken seinen Ruheort;

Und mancher liebe Vogel ruft:
"O lasst ihn ruhn in Rasengruft!"
Der Alte horcht, der Alte schweigt,
Der Tod hat sich zu ihm geneigt.

 

Fragment aus dem Aeschylus D 450
(Deutsch von Mayrhofer, Juni 1816)

So wird der Mann, der sonder Zwang gerecht ist,
Nicht unglücklich sein,
Versinken ganz im Elend kann er nimmer;
Indes der frevelnde Verbrecher im Strome der
Zeit gewaltsam untergeht,
Wenn am zerschmetterten Maste
Das Wetter die Segel ergreift.
Er ruft, von keinem Ohr vernommen,
Kämpft in des Strudels Mitte, hoffnungslos.
Des Frevlers lacht die Gottheit nun,
Sieht ihn, nun nicht mehr stolz,
In Banden der Not verstrickt,
Umsonst die Felsbank fliehn;
An der Vergeltung Fels scheitert sein Glück,
Und unbeweint versinkt er.

 

Antigone und Oedip D 542
(Mayrhofer, D 542, März 1817, op. 6,2)

Antigone:
Ihr hohen Himmlischen erhöret
Der Tochter herzentströmtes Flehn;
Lasst einen kühlen Hauch des Trostes
In des Vaters große Seele wehn.

Genüget, euren Zorn zu sühnen,
Dies junge Leben - nehmt es hin;
Und euer Rachestrahl vernichte
Die tiefbetrübte Dulderin.

Demütig falte ich die Hände -
Das Firmament bleibt glatt und rein,
Und stille ist's, nur laue Lüfte
Durchschauern noch den alten Hain.

Was seufzt und stöhnt der bleiche Vater?
Ich ahn's - ein furchtbares Gesicht
Verscheucht von ihm den leichten Schlummer;
Er springt vom Rasen auf - er spricht:

Oedip:
Ich träume einen schweren Traum.
Schwang nicht den Zepter diese Rechte?
Doch Hoheit lösten starke Mächte
Dir auf, o Greis, in nichtgen Schaum.

Trank ich in schönen Tagen nicht
In meiner großen Väter Halle,
Beim Heldensang und Hörnerschalle,
O Helios, dein golden Licht,
Das ich nun nimmer schauen kann?
Zerstörung ruft von allen Seiten:
"Zum Tode sollst du dich bereiten;
Dein irdisch Werk ist abgetan."

 

Memnon D 541
(Mayrhofer, März 1817, D 541, op. 6,1)

Den Tag hindurch nur einmal mag ich sprechen,
Gewohnt zu schweigen immer und zu trauern:
Wenn durch die nachtgebornen Nebelmauern
Aurorens Purpurstrahlen liebend brechen.

Für Menschenohren sind es Harmonien.
Weil ich die Klage selbst melodisch künde
Und durch der Dichtung Glut das Rauhe ründe,
Vermuten sie in mir ein selig Blühen.

In mir, nach dem des Todes Arme langen,
In dessen tiefstem Herzen Schlangen wühlen;
Genährt von meinen schmerzlichen Gefühlen
Fast wütend durch ein ungestillt Verlangen:

Mit dir, des Morgens Göttin, mich zu einen,
Und weit von diesem nichtigen Getriebe,
Aus Sphären edler Freiheit, aus Sphären reiner Liebe,
Ein stiller, bleicher Stern herab zu scheinen.

 

Philoktet D 540
(Mayrhofer, März 1817, D 540)

Da sitz ich ohne Bogen und starre in den Sand.
Was tat ich dir, Ulysses, dass du sie mir entwandt?
Die Waffe, die den Trojern des Todes Bote war,
Die auf der wüsten Insel mir Unterhalt gebar.
Es rauschen Vögelschwärme mir überm greisen Haupt;
Ich greife nach dem Bogen, umsonst, er ist geraubt!
Aus dichtem Busche raschelt der braune Hirsch hervor:
Ich strecke leere Arme zur Nemesis empor.

Du schlauer König, scheue der Göttin Rächerblick!
Erbarme dich und stelle den Bogen mir zurück.

 

Atys D 585
(Mayrhofer, September 1817, D 585)

Der Knabe seufzt übers grüne Meer,
Vom fernenden Ufer kam er her,
Er wünscht sich mächtige Schwingen,
Die sollten ihn ins heimische Land,
Woran ihn ewige Sehnsucht mahnt,
Im rauschenden Fluge bringen.

O Heimweh! unergründlicher Schmerz,
Was folterst du das junge Herz?
Kann Liebe dich nicht verdrängen?
So willst du die Frucht, die herrlich reift,
Die Gold und flüssiger Purpur streift,
Mit tödlichem Feuer versengen?

Ich liebe, ich rase, ich hab sie gesehn,
Die Lüfte durchschnitt sie im Sturmeswehn,
Auf löwengezogenem Wagen,
Ich musste flehn: O nimm mich mit!
Mein Leben ist düster und abgeblüht;
Wirst du meine Bitte versagen?

Sie schaute mit gütigem Lächeln mich an;
Nach Thrazien zog uns das Löwengespann,
Da dien ich als Priester ihr eigen.
Den Rasenden kränzt ein seliges Glück,
Der Aufgewachte schaudert zurück:
Kein Gott will sich hülfreich erzeigen.

Dort, hinter den Bergen im scheidenden Strahl
Des Abends entschlummert mein väterlich Tal;
O wär ich jenseits der Wellen,
Seufzet der Knabe. Doch Cymbelgetön
Verkündet die Göttin; er stürzt von Höhn
In Gründe und waldige Stellen.

 

Der Sieg D 805 (Mayrhofer, Anfang März 1824, D 805)

O unbewölktes Leben!
So rein und tief und klar.
Uralte Träume schweben
Auf Blumen wunderbar.

Der Geist zerbrach die Schranken,
Des Körpers träges Blei;
Er waltet groß und frei.

Es laben die Gedanken
An Edens Früchten sich;
Der alte Fluch entwich.

Was ich auch je gelitten,
Die Palme ist erstritten,
Gestillet mein Verlangen.

Die Musen selber sangen
Die Sphinx in Todesschlaf,
Und meine Hand, sie traf.

O unbewölktes Leben!
So rein und tief und klar.
Uralte Träume schweben
Auf Blumen wunderbar.

 

Wie Ulfru fischt D 525
(Mayrhofer, Januar 1817, D 525)

Der Angel zuckt, die Rute bebt,
Doch leicht fährt sie heraus.
Ihr eigensinngen Nixen gebt
Dem Fischer keinen Schmaus.
Was frommet ihm sein kluger Sinn,
Die Fische baumeln spottend hin;
Er steht am Ufer fest gebannt,
Kann nicht ins Wasser, ihn hält das Land.

Die glatte Fläche kräuselt sich,
Vom Schuppenvolk bewegt,
Das seine Glieder wonniglich
In sichern Fluten regt.
Forellen zappeln hin und her,
Doch bleibt des Fischers Angel leer,
Sie fühlen, was die Freiheit ist,
Fruchtlos ist Fischers alte List.

Die Erde ist gewaltig schön,
Doch sicher ist sie nicht.
Es senden Stürme Eiseshöhn,
Der Hagel und der Frost zerbricht
Mit einem Schlage, einem Druck,
Das goldne Korn, der Rosen Schmuck;
Den Fischlein unterm warmen Dach,
Kein Sturm folgt ihnen vom Lande nach.

 

Der Alpenjäger (Auf hohem Bergesrücken) D 524
(Mayrhofer, Januar 1817, op. 13,1, D 524)

Auf hohem Bergesrücken,
Wo frischer alles grünt,
Ins Land hinabzublicken,
Das nebelleicht zerrinnt,
Erfreut den Alpenjäger.

Je steiler und je schräger
Die Pfade sich verwinden,
Je mehr Gefahr aus Schlünden,
So freier schägt die Brust.
Er ist der fernen Lieben,
Die ihm daheim geblieben,
Sich seliger bewusst.

Und ist er nun am Ziele,
So drängt sich in der Stille
Ein süßes Bild ihm vor;
Der Sonne goldne Strahlen,
Sie weben und sie malen,
Die er im Tal erkor.

 

Nachtviolen D 752
(Mayrhofer, April 1822, D 752)

Nachtviolen, dunkle Augen, seelenvolle,
Selig ist es,
Sich versenken in dem samtnen Blau.

Grüne Blätter streben freudig, euch zu hellen,
Euch zu schmücken;
Doch ihr blicket ernst und schweigend in die laue Frühlingsluft.
Mit erhabnem Wehmutsstrahle trafet ihr mein treues Herz,
Und nun blüht
In stummen Nächten fort die heilige Verbindung.

 

Abendstern D 806
(Mayrhofer, Anfang März 1824, D 806)

Was weilst du einsam an dem Himmel,
O schöner Stern? und bist so mild;
Warum entfernt das funkelnde Gewimmel
Der Brüder sich vor deinem Bild?
"Ich bin der Liebe treuer Stern,
Sie halten sich von Liebe fern."

So solltest du zu ihnen gehen,
Bist du der Liebe, zaudre nicht!
Wer möchte denn dir widerstehen?
Du süßes eigensinnig Licht.
"Ich säe, schaue keinen Keim,
Und bleibe trauernd still daheim."

 

Nach einem Gewitter D 561
(Mayrhofer, Mai 1817)

Auf den Blumen flimmern Perlen,
Philomelens Klagen fließen,
Mutiger nun dunkle Erlen
In die reinen Lüfte sprießen.

Und dem Tale, so erblichen,
Kehret holde Röte wieder,
In der Blüten Wohlgerüchen
Baden Vögel ihr Gefieder.

Hat die Brust sich ausgewittert,
Seitwärts lehnt der Gott den Bogen,
Und sein golden Antlitz zittert
Reiner auf versöhnten Wogen.

 

Gondelfahrer D 808
(Mayrhofer, Anfang März 1824, D 808)

Es tanzen Mond und Sterne
Den flüchtgen Geisterreihn:
Wer wird von Erdensorgen
Befangen immer sein?

Du kannst in Mondesstrahlen
Nun, meine Barke, wallen;
Und aller Schranken los,
Wiegt dich des Meeres Schoß.

Vom Markusturme tönte
Der Spruch der Mitternacht:
Sie schlummern friedlich alle.
Und nur der Schiffer wacht.

 

Auflösung D 807
(Mayrhofer, März 1824, D 807)

Verbirg dich, Sonne,
Denn die Gluten der Wonne
Versengen mein Gebein;
Verstummet, Töne,
Frühlings Schöne
Flüchte dich und lass mich allein!

Quillen doch aus allen Falten
Meiner Seele liebliche Gewalten,
Die mich umschlingen,
Himmlisch singen.
Geh unter, Welt, und störe
Nimmer die süßen ätherischen Chöre.

Mitwirkende

Christoph Prégardien und Andreas Staier verbindet seit 1990 eine kontinuierliche und enge Zusammenarbeit. Den Schwerpunkt ihres Repertoires bilden die Liedkompositionen Schuberts, Schumanns und Mendelssohns. Konzerttoureen führen sie in alle Welt, und ihre bislang vorliegenden Schallplatteneinspielungen wurden sämtlich mit internationalen Preisen ausgezeichnet.

Sendung beim Deutschlandfunk am 6.2.2001