Forum Alte Musik Köln

25. März 2001, 17 Uhr

Libretto

Weissagung I
Regin-Lied
Fafnir-Lied
Brynhild-Lied
Sigurd-Lied I
Gudrun-Lied I
Sigurd-Lied II
Gudrun-Lied II
Atli-Lied
Weissagung II

Quellenangabe

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"Die Rache der Walküre"
Die Geschichte von Sigurd, Brynhild und dem Rheingold aus der alt-isländischen Edda
(10.-12. Jhd.)

Aus den Codex Regius Seite 4 der Pergamenthandschrift Nr. 2365, des sog. Codex Regius der älteren Edda aus der Sammlung der Königlichen Bibliothek Kopenhagen. Dieser Teil der Niederschrift der Edda wird auf ca. 1270 datiert. Die Seite zeigt die Strophen 46-64 aus der Weissagung der Seherin (Völuspá).

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1. Hliods bid ek allar helgar kindir
Die Weissagung der Seherin (Teil 1)

Stille gebiet' allen
heiligen Göttern ich,
höhern und niedrigern
Heimdallssöhnen;
Odin, du willst,
dass ich schicklich berichte
die älteste Kunde
der Welt, die ich weiß.

Der Riesen gedenk' ich,
der frühe gebornen,
die mich vorzeiten
aufgezogen;
weiß neun Welten,
weiß neun Wurzeln,
den herrlichen Maßbaum
unter der Erde.

In uralten Zeiten,
da hauste der Ymir,
keinen Sand, keine See gab's
noch kalte Brandung;
die Erde - nirgends,
kein Himmel darüber,
nur gähnender Abgrund
und gar kein Gras!

Bis dann Burs Söhne
den Boden hoben,
die, welche Midgard,
den mächtigen, schufen;
die Sonne von Süden
schien auf den Steingrund;
da wuchs aus der Erde
das grünende Gras.

Die Sonne von Süden,
des Mondes Gefährtin,
schlang um den Himmels-
rand ihre Rechte;
die Sonne, die wusste
noch nicht ihre Wohnung;
die Sterne, die wussten
noch nicht ihre Stätten;
der Mond wusste gar nicht,
wie mächtig er war.

Da gingen all
die hochheiligen Götter
hin zum Herrscher-
sitz - ratschlagten:
gaben Namen
der Nacht und dem Neumond,
nannten mit Namen
den Morgen, den Mittag,
Vesper und Abend,
zu zählen die Zeit.

Die Asen kamen
nach Idafeld,
bauten sich hohe
Altäre und Tempel,
richteten Feuer-
stätten, zu schmieden
kostbare Kleinode,
Zangen und Werkzeug.

Brettspiele spielten sie
froh vor dem Hause,
nichts aus Gold,
das ihnen fehlte -
bis drei Töchter
der Thursen kamen,
gar verderblich,
aus Riesenheim.

[...]

Bis ihrer dreie
vom Stamm der Asen,
liebreich-mächtige,
kamen zum Meere:
fanden am Strande,
ganz entkräftet,
Ask und Embla,
ohne Schicksal.

Hatten weder
Geist noch Leben,
nicht Wärme noch Stimme
noch frohe Farbe;
Leben gab Odin,
Geist gab Hönir,
Wärme gab Lodur
und frohe Farbe.

Ich weiß eine Esche,
Yggdrasil heißt sie,
die hohe, getränkt
mit weißen Wassern;
von dorther fällt
der Tau in die Tale,
stets steht sie grün
überm Brunnen der Urd.

Von dort kommen drei
vielwissende Jungfrau'n,
aus dem Wasser,
das unter dem Baum rinnt;
Urd hieß man die eine,
die andre Werdandi
und Skuld die dritte -
sie ritzten's ins Scheit ein -
die schufen das Schicksal
den Menschenkindern,
bestimmten, wie lange
ihr Leben währt.

2. Hvat er that fiska, er renn flodi i?
Das Lied von Regin

Loki:
"Was für ein Fisch
flitzt da durch die Flut?
Er kann sich nicht
vor Schaden wahren!
Kauf dir den Kopf
vom Tode los -
finde mir die Flamme der Flut!"

Andwari:
"Andwari heiß' ich,
mein Vater hieß Oin;
ich sprang schon oft über Wasserfälle;
eine elende Norne
verhängte voreinst,
ich sollte im Wasser waten."

[...]

Loki:
"All das Gold,
das ich besaß,
soll beiden Brüdern
tödlich werden;
acht Fürsten
sollen sich streiten drum;
kein einziger soll
mein Gut genießen!"

[...]

Loki:
"Bezahlt ist dir nun das Gold;
viel Lösegeld hast du
für meinen Kopf,
doch deinem Sohne
verschafft's kein Glück;
das Gold bringt euch noch beide um!"

Hreidmar:
"Gaben gabst du,
nicht Liebesgaben -
gabest nicht mit redlichem Sinn;
euer Leben
hättet ihr eingebüßt,
hätt' euren Fluch ich zuvor gewusst."

Loki:
"Schlimmer ist noch -
mein' ich zu wissen -
Verwandtenstreit um eine Frau;
noch ungeboren
glaub' ich die Herren,
denen dies zum Leid gereicht."

Hreidmar:
"Das rote Gold
werd' ich besitzen,
mein' ich, solange mein Leben währt;
dein Drohen
kümmert mich keinen Deut;
macht, dass ihr fortkommt!"

[...]

Regin:
"Angekommen
ist Sigmunds Sohn,
der Schnellentschlossne,
in unserem Haus;
Mut hat er mehr
als ein alter Mann,
und Kampf erwart' ich
vom reißenden Wolfe.

Aufziehen will ich
den kampfkühnen Fürsten;
der Ynglingensohn,
jetzt kam er zu uns;
d e r Herr wird der mächtigste
unter der Sonne -
von seinem Schicksal
ertönt alle Welt."

3. Sveinn oc sveinn, hveriom ertu sveini um borinn?
Das Lied von Fafnir

Fafnir:
"Bursche, Bursche,
von welchem Burschen bist du gezeugt,
welcher Leute Kind bist du?
Der du an Fafnir färbtest
dein funkelndes Schwert:
das steckt mir im Herzen!"

[...]

Sigurd:
"Wunderwild heiß' ich.
gewandert bin ich,
ein Mann ohne Mutter;
hab' keinen Vater
wie andere Menschen -
immer geh' ich allein meines Weges."

Fafnir:
"Weißt, wenn du
keinen Vater hattest
wie andere Menschen -
von welchem Monster
wardst du geboren?"

Sigurd:
"Meine Abkunft, mein' ich,
die kennst du nicht,
noch auch mich selber;
Sigmund hieß mein Vater,
und Sigurd heiß' ich,
der ich dich mit dem Schwert erschlug."

Fafnir:
"Wer reizte dich auf,
was ließest du dich
aufreizen, mir das Leben zu nehmen?
Scharfäugiger Bursch
eines scharfen Vaters -
rasch laufen die jungen die Rennbahn!"

Sigurd:
"Mich reizte mein Mut,
mir halfen die Hände
und dieses mein scharfes Schwert;
kaum einer ist
im Alter noch kühn,
wenn er als junge schon feig ist."

[...]

Fafnir:
"Nun rat' ich dir, Sigurd,
beherzige du's:
r e i t h e i m v o n h i e r !
Das klingende Gold
und der glutrote Schatz -
dir wird dieses Gut zum Verderben."

Sigurd:
"Du hast mir geraten,
i c h aber reite
zum Gold, das auf der Heide liegt;
du, Fafnir, liege
im Todeskampf,
bis dich die Hel hat!"

Fafnir:
"Regin verriet mich,
wird d i c h auch verraten;
der treibt uns beide in den Tod;
nun muss ich, mein' ich,
mein Leben lassen -
du, Sigurd, hast mich überwältigt."

[...]

Regin:
"Heil dir nun, Sigurd!
Nun hast du den Sieg erkämpft
und Fafnir erschlagen;
von allen Männern
dieser Erde
nenne ich dich den tapfersten Kämpfer."

[...]

Regin:
"Sitze nun, Sigurd -
ich aber will schlafen gehn -
und halte Fafnirs Herz ans Feuer!
Ich will mir das Herz
dann munden lassen
auf diesen blutigen Trunk hin."

[...]

Die eine Meise:
"Da sitzt Sigurd,
blutbespritzt,
Fafnirs Herz
brät er am Feuer.
Klug dünkte mich
der Ringverschenker,
wenn er das herrliche
Herz aufäße."

Die andere Meise:
"Da liegt Regin
und überlegt;
will täuschen den Jüngling,
der ihm traut;
aus Zorn braut er
Beschuldigungen,
will rächen den Bruder
der Ränkeschmied."

Die dritte Meise:
"Den Klugschwätzerl kürz' er
um einen Kopf,
lass' ihn von hier
zur Hel abfahren!
Dann kann er über
das ganze Gold,
drauf Fafnir lag,
allein verfügen."

[...]

Die sechste Meise:
"Recht töricht ist er,
wenn er noch schont
den verderblichen Gegner;
dort liegt der Regin,
der ihn verraten hat;
er kann sich kaum vor ihm wahren!"

Die siebente Meise:
"Dem reifkalten Riesen
raub' er die Ringe'
und kürze ihn um einen Kopfl
Dann wird er allein
den Schatz besitzen,
den Fafnir hatte."

Sigurd:
"So mächtig ist
keine Schicksalsmacht,
dass Regin mich ermorden sollte;
denn b e i d e Brüder
sollen bald
von hier zur Hel hinabfahren."

"Sigurd, raffe
die roten Ringe' -
unfürstlich ist's,
sich viel zu fürchten;
ich weiß ein Mädchen,
wunderschön,
mit goldener Mitgift -
wenn du's bekämest...

Zu Giuki führen
grünende Wege;
Kriegsfürsten führt
voran ihr Geschick;
dort hegt eine Tochter
der teure König;
d i e sollst du dir, Sigurd,
mit Gaben erstehn!

Ein Saal steht hoch
auf Hindarfjall,
von außen rings
umringt mit Flammen;
den haben kundige
Künstler erbaut
aus ungetrübtem
Flutenglanz.

Auf dem Berge, ich weiß,
die Walküre schläft,
und über sie hin
spielen die Flammen;
Odin stach sie
mit seinem Schlafdorn;
sie tötete Männer -
nicht welche er wollte!

Du kannst, o Held,
sie sehn im Helme;
Wingskornir trug sie
weg aus dem Kampf;
nicht kann man Brynhilds
Schlaf verscheuchen,
Sigurd, bevor es
das Schicksal will."

4. Hvat beit brynio, hvi bra ec svefni?
Das Lied von Brynhild


Brynhild:
"Was schnitt mir den Panzer,
was scheuchte den Schlaf?
Wer brach mir meine
fahlen Fesseln?"

Sigurd:
"Sigmunds Sohn
zerschnitt dir eben
des Raben Ringe'
mit seinem Schwert."

Brynhild:
"Lange schlief ich,
versunken im Schlaf,
lange währt der Leute Leiden;
Odin ist schuld,
dass ich des Schlafs
Verzauberung nicht verscheuchen konnte."

[...]

Brynhild:
"Heil dem Tag,
den Söhnen des Tags,
Heil der Nacht und der Erde!
Mit gnädigen Augen
schaut uns an hier -
schenkt uns, die wir da sitzen, Sieg!

Heil den Göttern,
den Göttinnen Heil,
Heil der wohltätigen Erde!
Ratschluss und Rede
gebt uns zwei Berühmten
und heilende Hände, solange wir leben!"

[...]

Brynhild:
"Bier bring' ich dir,
baumstarker Streiter',
Kraft ist und Ruhm ist
darein gemischt;
voll Zauber ist's,
hellkräftigen Runen
und guter und freuden-
reicher Beschwörung.

[...]

Als erstes rate ich dir:
Verhalte dich tadellos
zu deinen Verwandten;
nimm keine Rache,
bestünde auch Grund dazu -
das, sagt man, kommt den Gestorbnen zugut.

Als zweites rate ich dir:
Schwör keinen Eid,
wenn er nicht wahr ist;
grausam verstrickt sich,
werje die Treue bricht;
elend ist, wer
verletzt sein Gelübde.

[...]

Als zehntes rat' ich dir,
niemals zu trauen
dem Eide des Wolfssohns:
Ob den Bruder du mordetest
oder den Vater -
ein Wolf steckt in dem jungen Sohn,
und wurde er auch mit Gold begütigt.

Glaub nicht, dass Streit,
Hass oder Harm
besänftigt seien;
Verstand und Waffen
der Wackere braucht,
der viel will gelten unter den Menschen.

Als elftes aber rate ich dir:
Sieh dich vor Widerwärtigem vor
auf allen Wegen -
lang lebt, so dünkt mich,
mein Herrscher nicht;
ein wilder Streit ist im Werden."

5. Instrumentales Zwischenspiel

6. Ar var, thatz Sigurdr sotti Giuka
Das Sigurd-Lied (Teil 1)

Einst war's, dass Sigurd
Gjuki besuchte,
der Jungheld, der
den Drachen erschlagen;
mit beiden Brüdern
tauscht' er den Treuschwur,
die Wagemutigen
schworen sich Eide.

Ein Mädchen boten sie
ihm, viel Schätze,
die junge Gudrun,
Gjukis Tochter;
sie tranken und plauderten
manchen Tag lang,
der junge Sigurd
und Gjukis Söhne.

Bis dass sie Brynhild
zu freien fuhren -
und Sigurd machte
die Reise mit -
der junge Wölsung
kannte die Wege;
bekommen hätt' er sie,
hätt' er gedurft.

Der Held aus dem Süden
legte das nackte,
schöne Schwert
zwischen sich und sie;
er küsste sie nicht,
die junge Frau,
der Hunnenheld -
umarmte sie nicht;
dem Sohne Gjukis
vertraut' er sie an.

S i e war sich keines
Fehlers bewusst,
zeit ihres Lebens
keiner Kränkung -
was Schmach wär'
oder auch scheinen könnt'-
ein grimmiges Schicksal
trat mittenein.

Sie saß am Abend
einsam draußen,
und unumwunden
sagte sie sich:
"Haben will ich
den jungen Sigurd
mir im Arme -
sonst soll er sterben!

Da sprach ich ein Wort -
das wird mich reuen:
er hat die G u d r u n ,
und ich bin G u n n a r s -
ja, hässliche Nornen,
die schufen uns Schmerz!"

Sie geistert im Hause,
jeden Abend,
voll Gift und Galle,
voll eisigem Neid,
wenn er und Gudrun
jetzt gehen zu Bette,
wenn Sigurd um sie
breitet die Decke,
der Hunnenheld,
seine Gattin zu lieben.

Brynhild:
"Verlustig geh' ich
der Lust und des Liebsten -
doch will ich noch stillen
den grimmigen Sinn."

Sie hetzte zum Mord
in ihrem Hasse:
"Gunnar, du wirst
mich ganz verlieren,
meine Lande
und auch mich selber -
nie mehr werd' ich mich
freuen mit dir!

Heimkehren will ich
dahin, wo ich einst war,
zu meinen nächsten
Anverwandten -
dort still sitzen,
mein Leben verschlafen,
wenn du den Sigurd
nicht endlich umbringst,
ein besserer Held
als die anderen wirst!"

[...]

Zornig ward Gunnar
und niedergeschlagen,
er schwankt' in Gedanken,
saß brütend da;
er wusste gar nicht
genau, was zu machen
das Schicklichste oder
das Beste wäre;
er wusste, der Wölsung
war ihm verloren,
und fühlte voraus
den großen Verlust.

Er dachte lange noch
hin und her;
d a s war früher
gar nicht üblich,
dass Königinnen
der Krone entsagten;
er zog den Högni
heimlich zu Rate,
zu dem er das volle
Vertrauen besaß.

Gurinar:
"Brynhild ist mir
lieber als alle,
Budlis Tochter,
die beste der Frau'n;
eher will ich
mein Leben lassen
als verlieren
die Mitgift der Frau...

Hilfst du, den Fürsten
ums Geld zu bringen?
Gut ist's, zu walten
über das Gold
und behaglich
Reichtum zu haben,
Glück zu genießen
in guter Ruh'."

Högni gab
nur das zur Antwort:
"Uns ziemt's gar nicht,
solches zu tun,
geschworene Eide
blutig zu brechen,
geschworene Eide,
besiegelte Treue.

[...]

Dich hat die Brynhild
aufgehetzt,
um Unheil uns
und Leid zu bereiten;
sie gönnt der Gudrun
nicht den Helden
und gönnt dir nicht,
sie zu besitzen.

[...]

Ich weiß recht gut,
was da gespielt wird:
die Brynhild brennt
von Harm und Hass.

[...]

Einige brieten den Wolf,
schnitten die Schlange,
teilten dem Gothorm
vom Wolfe zu,
ehe sie, gierig
nach Gewalttat,
Hand anlegten
an den Helden."

Leicht war's, zu reizen
den Allzuraschen;
schon stak im Herzen
dem Sigurd das Schwert.

Es raffte der Held
sich auf zur Rache
und warf nach jenem
Allzuraschen;
es flog aus des Königes
Händen handlich
auf Guthorm das glänzende
Eisen Grams.

Sein Feind zerfiel da
in zwei Teile:
das Haupt und die Arme
fielen nach vorn,
der untere Körper
fiel nach hinten.

[...]

Draußen stand Gudrun,
Gjukis Tochter,
und diese Worte
sprach sie zuerst:
"Wo ist nun Sigurd,
der heldenhafte,
da meine Verwandten
zuvörderst reiten?"

Sigurd starb
südlich des Rheins;
der Rabe laut
vom Baume schrie:
"An euch wird Atli
Schwerter röten;
Meineide werden
die Mörder fällen."

(Niemand wusste
ihr zu entgegnen)
nur Högni gab ihr
zur Antwort drauf:
"Wir schlugen ihn
mit dem Schwert entzwei -
sein Grauross neigt
auf den Toten das Haupt."

Da sagte Brynhild,
Budlis Tochter:
"Genießt nun weidlich
Waffen und Land!
Hätt' Sigurd um weniges
länger gelebt,
so hätte er alles
an sich gerafft!"

[...]

Da lachte Brynhild -
es hallte im Haus -
von ganzem Herzen
noch e i n m a l auf -
"Lang sollt ihr Land
und Leute genießen,
da ihr den Kecken
ums Leben gebracht."

Da sagte Gudrun,
Gjukis Tochter:
"Ganz unerhörte
Reden fuhrst du!
Zur Hölle mit Gunnar,
Sigurds Mörder!
Ruchlosigkeit
soll Rache finden!"

7. Ar var, thaz Gudrun gordiz at deyia
Das Erste Gudrun-Lied

Einst war Gudrun
daran zu sterben,
da sie voll Kummer
bei Sigurd saß;
sie tat nicht klagen,
mit Händen schlagen,
nochjammern so
wie andere Frauen.

Es kamen kluge
Fürsten zu ihr,
sie abzubringen
vom starren Leid;
aber Gudrun
konnte nicht weinen;
sie war voll Kummer,
zum Zerspringen.

Es saßen auch edle
Fürstenfrauen,
goldgeschmückte,
rings um Gudrun,
und jede von ihnen
klagt' ihren Kummer,
den leidesten, den sie
erlitten hatte.

Da sagte Giaflaug,
Gjukis Schwester:
"Ich bin auf Erden
die Freudenärmste:
ich habe ja
fünf Männer verloren,
dazu drei Töchter,
auch drei Schwestern
und acht Brüder -
und überlebe!"

Aber Gudrun
konnte nicht weinen;
so war sie voll Schmerz
um ihren Toten,
saß starren Sinnes
bei der Leiche.

Da sagte Herborg,
die Hunnenherrin:
"I c h habe schwereren
Schmerz zu sagen:
sieben Söhne
fielen im Kampf mir
fern im Süden -
als achter mein Mann;

dem Vater, der Mutter
und vier Brüdern
spielte der Sturm mit
auf der See -
schlug die Woge
wider die Schiffswand.

Musste sie selber
schmücken, begraben
Hand anlegen
an ihre Helfahrt;
all das erlitt ich
in e i n e m Halbjahr -
kein Mensch tat mir
etwas zulieb!

Im selben Halbjahr
war mir beschieden,
kriegsgefangen,
gefesselt zu werden;
jeden Morgen
musst' ich die Fürstin
fein aufputzen,
die Schuhe ihr binden.

Sie drohte mir
aus Eifersucht,
setzte mir zu
mit harten Hieben;
nirgends fand ich
einen besseren
Hausherrn noch
eine schlimmere Herrin!"

Aber Gudrun
konnte nicht weinen;
so war sie voll Schmerz
um ihren Toten,
saß starren Sinnes
bei der Leiche.

Da sagte Gullrönd,
Gjukis Tochter:
"Schlecht kannst du, Ziehmutter',
wenn du auch klug bist,
eine junge Frau
aufmuntern."
Sie riet, man solle
die Leiche enthüllen.

Sie riss die Decke
von Sigurd weg
und schob ein Kissen
vor Gudruns Knie:
"Schau an den Lieben,
leg Mund auf Mund,
wie wenn du den Herrn
noch heil umarmtest!"

Auf einmal schaute
Gudrun hin:
sie sah sein Haar
blutüberströmt,
die strahlenden Augen
des Herrn erloschen,
die Burg seines Mutes
zerschmettert vom Schwert.

Da sank Gudrun
aufs Kissen nieder;
ihr Haar hing lose,
die Wangen brannten,
die Tränen tropften
ihr nieder aufs Knie.

Jetzt weinte Gudrun,
Gjukis Tochter,
so dass die Tränen
das Kissen tränkten,
und mit ihr gellten
die Gänse im Hof,
die herrlichen Vögel
der jungen Herrin.

Da sagte Gullrönd,
Gjukis Tochter:
"Eure Liebe
war sicher die größte
aller Menschen
hienieden auf Erden;
nirgendwo warst du
glücklich, Schwester,
nicht draußen, nicht drinnen,
als nur bei Sigurd!"

Gudrun:
"So ragte mein Sigurd
über die Schwäger,
als wär' er ein Speerlauch,
der ragt übers Gras -
oder als wär' er
ein glänzend Juwel,
ans Band befestigt,
ein Edelstein
an der Stirne der Fürsten.

Auch dünkte ich
den Kämpen des Königs
höher als Herians
Schicksalsfrauen
jetzt aber,
nach dem Tod des Fürsten,
bin ich so klein
wie ein Weidenblatt.

Auf der Bank,
im Bette vermiss' ich
meinen Liebsten;
Gjukis Söhne,
Gjukis Söhne
sind schuld an dem Unglück,
schuld an der Schwester
traurigen Tränen!

So sollt ihr die Leute
im Land verderben,
wie ihr die geschworenen
Eide brachet;
nie sollst du, Gunnar,
das Gold genießen -
der Reichtum wird dir
tödlich werden,
weil du meinem Sigurd
die Eide brachst."

8. Kona varp öndo, enn konungr fiorvi
Das Sigurd-Lied (Teil 2)

Die Königin keuchte,
der König verschied;
so schmerzlich schlug sie
die Hände zusammen,
dass widerhallten
im Winkel die Becher,
mitschrien gellend
die Gänse im Hof.

Da lachte Brynhild,
Budlis Tochter,
von ganzem Herzen
noch e i n m a l auf,
als bis ins Bett
sie hören konnte
den schrillen Schrei
von Gjukis Tochter.

[...]

Sie sah über all
ihr Eigentum,
gestorbene Mägde
und Dienerinnen;
zog über, düster,
die goldene Rüstung -
bevor sie sich stürzt'
in die Schneide des Schwerts.

Sie sank ins Kissen,
auf eine Seite
und sann noch, schwert-
verwundet, auf Rat.

[...]

"Setze dich, Gunnar!
Ich will dir sagen,
es scheidet vom Leben
die lichte Frau;
auch euer Leben
fährt nicht so flott,
auch wenn ich selber
gestorben bin!

[...]

Ich bitte dich
eine einzige Bitte;
die wird in der Welt
meine letzte sein:
lass bau'n auf dem Feld
so breit eine Grabstatt,
dass für uns alle
drin Raum genug ist,
für alle, die
mit Sigurd starben.

Man schmücke die Stätte
mit Teppichen, Schilden,
mit schöngefärbtem
welschem Tuch;
den Helden verbrenne man
mir zur Seite!

Man soll dem Helden
zur anderen Seite
die Diener verbrennen
im prangenden Schmuck:
zwei zu Häupten,
(zwei zu Füßen,)
zwei Habichte
(und zwei Hunde):
so ist alles aufs Beste bestellt.

Es liege wieder
zwischen uns zweien
das schmucke, schneidende
Schwert, gelegt
wie damals, als wir
beide zusammen
e i n Bett bestiegen
und Gatten hießen.

[...]

Nämlich es folgen
ihm nach fünf Mägde,
acht Diener auch
von edler Abkunft,
meine Ammen,
das Vatererbe,
das Budli seiner
Tochter mitgab.

Viel sprach ich,
würde noch weitersprechen,
gäb' mir das Schicksal
zu reden Zeit;
mir schwindet die Stimme,
mir schwellen die Wunden;
ich sprach nur die Wahrheit,
und so will ich sterben."

9. Maer var ec meyia, modir mic foeddi
Das Zweite Gudrun-Lied

"Ich war ein Wunder'
von einem Mädchen;
daheim zog die Mutter
mich Strahlende auf;
ich liebte die Brüder,
bis mich Gjuki
mit Gold beschenkte
und Sigurd gab.

So übertraf
Sigurd meine Brüder,
wie grüner Lauch
das Gras überwächst,
wie ein Hirsch hochbeinig
über das Wild ragt,
wie Gold überglänzt
das matte Silber!

Bis mir meine Brüder
neideten, dass ich
den allerbesten
der Männer besaß;
sie konnten nicht schlafen,
kein Recht mehr sprechen,
bis dass sie mir Sigurd
umgebracht...

[...]

Da ging ich weinend,
mit Grani zu reden,
mit nassen Wangen
befragt' ich das Ross;
da senkte denn Grani
den Kopf ins Gras;
es wusste der Hengst,
sein Herr war tot.

Lange noch zaudert' ich,
schwankt' in Gedanken,
bis dass ich Gunnar
nach Sigurd fragte.

Der neigte den Kopf nur -
doch Högni sprach mir
schamlos von Sigurds
schmerzlichem Tod:
'Es liegt erschlagen
jenseits des Wassers
Gothorms Mörder,
den Wölfen zum Fraß.'

[...]

Da schwieg ich und ging
hinweg in den Wald,
las auf, was die Wölfe
mir übrig gelassen;
ich tat nicht klagen,
mit Händen schlagen,
ich jammerte nicht,
wie andere Frauen,
da ich wie gestorben
bei Sigurd saß.

Es dünkte die Nacht mich
rabenschwarz,
als ich voll Schmerzen
bei Sigurd saß;
die Wölfe dünkten mich
noch viel besser...
brächten sie mich
nur endlich ums Leben,
ließen mich lodern
wie Birkenholz!

[...]

Grimhild erfuhr da,
die gotische Fürstin,
was ich im Sinne hatte zu tun -
warf hin die Borten,
rief ihre Söhne,
fragte beharrlich,
wer für den Sohn
mir Buße biete,
wer den erschlagenen
Gatten entgelte.

[...]

Grimhild gab mir
den Trank zu trinken,
den bitteren, dass ich
den Streit vergäße -
darein war die Kraft
der Erde gemischt,
eiskaltes Meerwasser,
Opferblut.

Es standen im Trinkhorn
aller Art Runen
geritzt und gerötet -
nicht zu erraten -
die lange Schlange,
aus Haddingenland
die ungeschnittene
Ähre, der Tierdarm.

Es kam in dem Tranke
viel Böses zusammen:
Wurzeln des Waldes,
geröstete Eicheln,
nasser Herdruß,
Eingeweide,
Schweinsleber, gesotten,
zu stillen den Streit.

Da vergaß ich's,
als ich's getrunken,
all meines Fürsten
Schicksal im Saal.
Es kamen drei Könige
her zu mir,
ehe sie selbst kam,
mit mir zu reden.

Grimhild:
'Gold gebe ich, Gudrun,
Geldes die Fülle,
dir zu empfangen,
nach Vaters Tod,
rote Ringe,
Hlödwers Säle,
Tapisserien
nach des Fürsten Fall.

Die Hunnenmädchen
mit Webebrettchen,
die Goldfäden weben,
dir zur Lust -
d u nur sollst haben
Budlis Reichtum,
Goldglänzende, Atli
gegeben als Frau!'

Gudrun:
'Ich will von keinem
Mann mehr wissen,
will nicht Brynhilds
Bruder haben;
nicht ziemt sich's mir,
mit Budlis Sohne
Kinder zu haben,
zu leben in Lust.'

Grimhild:
'Du sollst den Männern
nicht Hass heimzahlen!
W i r sind vorher
schuldig geworden;
so sollst du dich geben,
als lebten noch beide,
Sigurd und Sigmund,
wenn du Söhne bekommst.'

Gudrun:
'Grimhild, ich mag
keinen Hochzeitsjubel,
mag dem Helden
nicht Hoffnungen machen,
seit verderblich
Sigurds Herzblut
tranken der Wolf
und der Rabe zusammen.'

Grimhild:
'D i e s e n Fürsten
hab' ich erkannt als
ersten und edelsten
unter allen;
den sollst du haben
bis zum Tod - oder
männerlos bleiben,
wenn du ihn n i c h t willst!'

Gudrun:
'Hüte dich, diese
unselige Sippe
mir hartnäckig
aufzudrängen!
E r wird Gunnar
Leid zufügen,
Högni das Herz
aus dem Leibe reißen!

Ich lasse nicht ab dann,
bis ich den scharfen
Schwerterreger
umgebracht habe.'

Weinend ergriff
Grimhild das Wort,
die Unheil ahnte
für ihre Söhne,
für all ihre Kinder
noch größeres Leid.

[...]

Alsdann lag ich -
wollte nicht schlafen -
erbittert im Bette;
ja, d a s will ich tun."

10. Atli sendi ar til Gunnars
Das Atli-Lied

Es sandte Atli
voreinst einen Boten,
Knefröd, den kundigen
Reiter, zu Gunnar;
der kam zu Gunnars
Hof und Halle,
zu den Bänken am Herd
und dem köstlichen Bier.

Dort tranken die Mannen -
verhohlen, sie schwiegen,
voll Angst vor den Hunnen -
Wein in der Halle.
Knefröd rief da
mit kalter Stimme,
der Kerl aus dem Süden,
herab von der Hochbank:

"A t l i sandte mich,
Botschaft zu bringen
auf zaumzeugbeißendem
Pferd durch den Myrkwid:
euch, Gunnar, zu bitten,
dass ihr zu ihm kommt
und, prangend im hellen Helm, ihn besuchet."

[...]

Da wandte Gunnar
das Haupt zu Högni.

[...]

Högni:
"Was wollte uns Gudrun
wohl andeuten,
da sie uns schickte
den Ring mit dem Wolfshaar?
Sie w a r n t e uns, dünkt mich;
ich fand so ein Wolfshaar
geknüpft um den Goldring;
ein wölfischer Weg ist's,
zu Atli zu reiten."

[...]

Gunnar:
"Der Wolf soll es haben,
der Niflungen Erbteil,
der alte Graurock,
wenn Gunnar dahin ist -
mögen es Bären
mit Zähnen zerreißen,
den Wölfen zur Freude,
wenn Gunnar nicht heimkommt."

[...]

Die Tapferen ließen
zaumknischende Rosse
übers Gebirg
und den Myrkwid traben;
es bebte ganz Hunnenland,
da wo die Furchtlosen'
spornten die Rosse'
durchs grüne Gefild.

Sie sahn Atlis Halle,
die tiefen Tore,
sahn Budlis Leute
hoch auf der Burg -
den Saal überm Südvolk
von Bänken umgeben,
von festgefügten,
hellen Schilden,
Spieße und Speere -
und da trank Atli
Wein in der Halle;
die Wächter saßen
draußen, zu wehren
den Leuten Gunnars,
wenn sie kämen,
mit geltendem Speer
zu bekämpfen den König.

Die Schwester bemerkte
sogleich, dass sie kamen,
die beiden Brüder,
sie war nicht trunken:
"Bist, Gunnar, verraten!
Was, Mächt'ger, vermagst du
wider der Hunnen Hinterlist?
Gleich hebe dich weg aus der Halle!

Hätt'st besser getan,
im Panzer zu reiten,
im schmucken Helme,
den Atli besuchen;
du säßest im Sattel,
sonnheitere Tage lang;
ließest die Nornen
Leichen beweinen,
Schildfrauen der Hunnen
die Egge ziehen -
du schmettertest Atli
ins Schlangenverlies -
nun ist dies Verlies
e u c h zugedacht!"

[...]

Sie fassten den Gunnar
und fesselten ihn
und banden ihn fest,
den Freund der Burgunder.

Sieben schlug Högni
mit scharfem Schwerte;
den achten stieß er
ins heiße Feuer.
So soll sich ein Kühner
der Feinde erwehren,
so wie sich Högni
für Gunnar schlug.

Sie fragten den furchtlosen
Herrscher der Goten:
"Willst du mit Gold
loskaufen dein Leben?"

Gunnar:
"Man lege mir Högnis
Herz in die Hand,
voll Blut, aus der Brust
dem Tapfern geschnitten,
mit schneidendem Schwerte
dem Königssohn!"

Sie schnitten dem Hjalli
das Herz aus der Brust;
sie legten es blutig
in eine Schüssel
und brachten es Gunnar.

Da sagte Gunnar,
der Herr des Heeres:
"Hier hab' ich das Herz
Hjallis, des Feiglings,
ungleich dem Herzen
Högnis, des kühnen,
das heftig zittert
hier in der Schüssel;
es zitterte doppelt
soviel in der Brust."

Laut lachte da Högni,
als sie schnitten zum Herzen
bei lebendem Leibe
dem Wundenschmied.
Er jammerte gar nicht;
sie legten es blutig
auf eine Schüssel
und brachten es Gunnar.

Da sprach der herrliche
Speer-Niflunge:
"Hier hab' ich das Herz
Högnis, des kühnen,
ungleich dem Herzen
Hjallis, des Feiglings,
das wenig zittert
hier in der Schüssel;
noch weniger zitterte
es in der Brust.

Sowenig soll, Atli,
dich einer mehr sehen,
wie d u meinen Schatz je
zu sehen bekommst:
denn nur in m e i n e m
Gewahrsam liegt
der Niflunge Hort,
da Högni nun tot ist!

Stets war ich im Zweifel,
da w i r zwei noch lebten -
jetzt nicht mehr,
da nur i c h noch lebe.
Der Rhein soll haben,
der götterentsprungne,
das Streiterz der Krieger,
das Niflungenerbe:
im wallenden Wasser
leuchte das Welschgold,
und nicht soll es glänzen
an Händen der Hunnen!"

Atli:
"Fahrt vor mit dem Wagen!
Gefesselt ist Gunnar!"

[...]

Den Schatzwart zog dann,
den Kampfherrn, von dort
der Zaumzerbeißer zum Tode.

Den Herrn warf lebend
hinein in den Hof,
der innen wimmelte
von Schlangen,
der Haufe der Hunnen;
doch Gunnar, grimmen
Mutes, schlug
mit der Hand seine Harfe.
Die Saiten klangen. -
So soll ein kühner
Ringespender
gegen die Leute
behaupten das Gold!

[...]

Heraus trat Gudrun,
Atli entgegen,
mit goldenem Kelch,
dem Herrn zu vergelten:
"Du kannst in der Halle,
fröhlich von Gudrun
Tierjunge empfangen,
die fuhren zur Hel."

Es tönten Atlis
weinschwere Schalen,
als in der Halle
die Hunnen lärmten,
langschnäuzige; eifrig
traten sie ein.

Da schritt die Strahlende,
Bier zu bringen,
die Furchtbare - wählte
bleichnasigen Herren
die Leckerbissen,
doch widerwillig,
und höhnte den Atli:

"Du Schwertverteiler,
du hast deiner Söhne
aasblutige Herzen
mit Honig gekaut,
verdaustjetzt, Mutiger,
Menschenleichen
als Leckerbissen
und schickst sie zum Hochsitz.

Wirst nie mehr ziehen
an deine Kniee
Erp oder Eitil,
die heiteren beiden;
siehst nie mehr
auf ihren Mittelsitzen
die gütigen Prinzen
Speere schäften
und Mähnen stutzen
und Rosse spornen!"

Lärm gab's auf den Sitzen,
Männergetöse,
Schreie unter Prunkgewanden -
es weinten die Hunnen;
Gudrun allein
beweinte nie
die bärengrimmigen Brüder und
die lieben Jungen,
die unerfahrenen,
welche sie dem Atli gebar.

[...]

Doch Atli, achtlos,
vom Trinken erschöpft,
war waffenlos, wahrte
sich nicht vor Gudrun;
oft scherzten sie besser,
wenn sie einander
zärtlich umarmten
vor ihren Vasallen.

Blut gab sie dem Bett
mit dem Schwerte zu trinken
mit mordender Hand;
sie löste die Hunde,
sie weckte die Knechte
und warf dann ans Haustor,
die Frau, das Feuer -
s o nahm sie Rache für die Brüder.

Dem Feuer gab sie
alle im Haus,
die gekommen aus Myrkheim
vom Morde Gunnars;
einstürzten die Balken,
die Schatzkammern rauchten,
der Budlungen Bauten;
es brannten auch
die Schildfrauen drinnen
und sanken tot ins glühende Feuer.

Gesagt ist die Sage -
nie mehr, gewaffnet,
geht so eine Frau,
ihre Brüder zu rächen;
drei Königen hat sie
den Tod gebracht,
die Glänzende, ehe
sie selber starb.

11. That man hon folkvig fyrst i heimi
Die Weissagung der Seherin (Teil 2)

Das, weiß ich noch, führte
zuerst zum Kriege,
als Götter die Gullweig
mit Speeren stießen
und sie in Heervaters
Halle verbrannten,
dreimal verbrannten
die dreimal geborne,
wieder und wieder,
doch lebt sie noch heut.

Sie hießen sie Heid,
allwo sie zu Haus kam,
die Zukunftskundige,
Zauber verlieh sie,
zauberte sinn-
betört, wo sie konnte;
stets war sie die Wonne
widriger Weiber.

Da gingen all
die hochheiligen Götter
hin zum Herrscher-
sitz - ratschlagten:
sollten die Asen
den Schaden schlucken
oder allesamt
Bußgeld verlangen?

[...]

Walvater schenkte mir
Halsband und Ringe,
Prophezeiung
und kluge Kunde:
weit sah ich, weit
überjegliche Welt hin.

Sah Walküren,
weither gekommen,
bereit, zu reiten
zum Gotenvolk;
Skuld hielt den Schild,
auch Skögul, die zweite,
Gunn und Hild und
Göndul, Geirskögul;
nun sind sie aufgezählt,
Heervaters Jungfrauen,
Walküren, bereit
zu dem Erdenritt.

[...]

Laut heult der Wolf
vor Gnipahellir;
es reißt die Fessel,
es rennt der Wolf;
weit ist mein Wissen,
weithin erkenn' ich
der siegreichen Götter
schlimmes Geschick.

Brüder schlagen dann,
morden einander;
Schwestersöhne
verderben Verwandtschaft;
wüst ist die Welt,
voll Hurerei; 's ist
Beilzeit, Schwertzeit,
zerschmetterte Schilde,
Windzeit, Wolfszeit,
bis einstürzt die Welt -
nicht e i n Mann will
den anderen schonen.

[...]

Wie steht's bei den Asen?
Wie steht's bei den Alben?
Ganz Riesenheim dröhnt,
zum Thing gehn die Asen;
die Zwerge stöhnen
vor steinernen Toren,
die felswandkundigen -
wisst ihr noch mehr?

[...]

Laut heult der Wolf
vor Gnipahellir;
es reißt die Fessel,
es rennt der Wolf

[...]

Die Sonne wird schwarz,
Land sinkt ins Meer,
es stürzen vom Himmel
die strahlenden Sterne;
es rast der Brandrauch
wider das Feuer;
die lodernde Lohe
spielt hoch in den Himmel.

Laut heult der Wolf
vor Gnipahellir;
es reißt die Fessel,
es rennt der Wolf;
weit ist mein Wissen,
weithin erkenn' ich
der siegreichen Götter
schlimmes Geschick.

Aufsteigen seh' ich
zum zweiten Male
aus Fluten die Erde,
die neu sich begrünt;
ein Wasserfall stürzt,
ein Adler kreist drüber,
der hoch in den Bergen
nach Fischen jagt.

Die Asen treffen
am Idafeld sich,
reden noch über
die schreckliche Schlange
und denken zurück
an die großen Dinge,
an Göttervaters
altes Geheimnis.

Da werden sich wieder
wundersame,
goldene Tafeln
im Grase finden,
die sie in ältester
Zeit schon hatten.

[...]

Da kann dann Hönir
das Losholz ziehen;
die Söhne der beiden
Brüder wohnen
in weiter Windwelt -
wisst ihr noch mehr?

Einen Saal seh' ich, schöner
als die Sonne,
mit goldenem Dache,
zu Gimle stehn:
dort sollen die Scharen
der Treuen wohnen
und immerwährende
Wonne genießen.

[...]

Dann kommt der düstere
Flügeldrache,
funkelnd, von unten,
vom Tiefengebirg;
fliegt über das Feld
und birgt im Gefieder,
Nidhögg, die Toten -
endlich versinkt er.

Quellennachweis

Die Edda. Götter- und Heldenlieder der Germanen. Aus dem Altnordischen übertragen, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Arthur Häny, Zürich
4/1987. Kürzungen sind durch [...] gekennzeichnet.


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