Saison 2003/2004: Konzert 5

Sonntag, 25. Januar 2004 17 Uhr Sendesaal des Deutschlandfunks

Christoph Bernhard

Geistliche Harmonien Rheinische Kantorei Das Kleine Konzert Ltg. Hermann Max Sendung im Deutschlandfunk am 10.2. 2004

Aus Schülern werden Meisterschüler. Heinrich Schütz hat seinen Schüler Christoph Bernhard zu einem solchen erhoben, indem er ihm die Komposition seiner eigenen Begräbnismotette auftrug, die er auf das Höchste lobte. Mag sein, dass Bernhards Musik aus diesem Grund nur immer im Fahrwasser des Meisters Schütz gesehen und nicht eigenständig wahrgenommen wird. Was aber Schütz noch nicht praktizierte, z.B. die Vermischung von Stilen für die Kirche, die Kammer und das Theater zu einer affektstarken und wirkungsvollen musikalischen Faktur, wie er nur nach der "seconda prattica" Monteverdis aufblühen konnte, das alles hat Bernhard komponiert. Sein ausgeprägter Formenreichtum lässt ihn uns in diesem Konzert nicht mehr nur als Meisterschüler, sondern als eigenständigen Meister wahrnehmen.

Programmfolge

Anm.: Alle Texte stehen als Pdf zum Download bereit.

Christoph Bernhard (1627/28-1692)
Da pacem Domine
für 2 Soprane, Alt, Tenor, Bass, 2 Violinen, 2 Violen und Basso continuo
(Manuskript aus der Sammlung Düben, Universitätsbibliothek Uppsala)

Unser keiner lebt ihm selber
für Alt, Tenor, Bass, 2 Violinen und Basso continuo
(Geistliche Harmonien, Hamburg/Dresden 1665)

Wie der Hirsch schreiet nach frischen Wasser
für Sopran, Alt, Tenor, Bass und Basso continuo
(Geistliche Harmonien)

Herzlich lieb hab ich dich, o Herr
für Tenor, Alt und Basso continuo
(Geistliche Harmonien)

Ich sahe an alles Thun
für Sopran, Alt, Tenor, Bass, 2 Violinen, 2 Violen und Basso continuo
(Letzter Ehren-Nachklang für Hinrich Langebeck, Hamburg 1669)

Johann Rosenmüller (um 1619-1684)
Sinfonia II in D
für 2 Violinen, 2 Violen und Basso continuo
(Sonate da camera à 5 Stromenti, Venedig 1667)
Sinfonia - Alemanda - Correnta - Ballo - Sarabanda

Christoph Bernhard
Heute ist Christus von den Toten auferstanden
für Bass, 2 Violinen und Basso continuo
(Geistliche Harmonien)

Wohl dem, der den Herren fürchtet
für Sopran, Bass, 2 Violinen, 2 Violen und Basso continuo
(Manuskript der Sammlung Österreich/Bokemeyer, Staatsbibliothek Berlin)

Pause

Christoph Bernhard
Ach, mein herzliebes Jesulein
für 2 Soprane, Bass, 2 Violinen und Basso continuo
(Geistliche Harmonien)

Reminiscere miserationum tuarum Domine
für Alt, Tenor, Bass und Basso continuo
(Sammlung Düben)

Herr, wer wird wohnen in deiner Hütten
für Sopran, Bass und Basso continuo
(Geistliche Harmonien)

Johann Rosenmüller
Sonata in e
für 2 Violinen und Basso continuo
(Sonate à 2. 3. 4. e 5. Stromenti, Nürnberg 1682)

Christoph Bernhard
Aus der Tiefe ruf´ ich, Herr, zu dir
für Sopran, 2 Violinen und Basso continuo
(Geistliche Harmonien)

Anima sterilis quid agis
für Sopran, Bass, 2 Violinen und Basso continuo
(Sammlung Düben)

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch
für Sopran, Alt, Tenor, Bass, 2 Violinen, 2 Violen und Basso continuo
(Sammlung Düben)

Pdf-Download: Texte und Übersetzungen

Erbauliche Harmonien für Kirche und Tafel

Ein "Singer", auch wenn er über eine gute Stimme und Sicherheit im Treffen der Noten verfüge, werde doch erst zu einem "Sänger", wenn er die kunstvollen "Manieren" der musikalischen Gestaltung beherrsche, vom ausgewogenen An- und Abschwellen der Töne bis hin zu improvisierten Auszierungen der Melodie und affektgemäßen Nuancierungen in der Stimmgebung nach Maßgabe des Textes - so unterwies Christoph Bernhard seine Schüler in Dresden und Hamburg. Nachzulesen ist das in seiner abschriftlich überlieferten Abhandlung "Von der Singe-Kunst oder Manier", die vermutlich in den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts entstand. Bernhard wusste genau, wovon er sprach. Aus Kolberg in Pommern stammend, hatte er den Sängerberuf von der Pike auf erlernt und war nach Lehrjahren in Danzig und wohl auch in Warschau spätestens am 1. August 1649 als Altist am kursächsischen Hof in Dresden angestellt worden. Damit verbunden war die Aufgabe, "die Kapellknaben täglich zu gewissen Stunden im Singen zu unterweisen und offs beste abzurichten". So hatte der junge Sänger über musikalische Qualitäten hinaus auch seine besonderen pädagogischen und sprachlichen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Aus der Unterrichtstätigkeit erwuchsen neben der genannten Gesangslehre weitere Werke, die in Abschriften noch Generationen später über den unmittelbaren Wirkungskreis Bernhards hinaus weitergereicht wurden: der auf die Bedürfnisse eines angehenden Komponisten ausgerichtete "Tractatus compositionis" sowie seine als "Ausführlicher Bericht vom Gebrauche der Con- und Dissonantzien" bezeichnete Kurzfassung. Wie die aufführungspraktisch ausgerichtete "Singe-Kunst" liefern sie auch unserer Zeit noch wertvolle Informationen zu jener von der Musikforschung lange vernachlässigten Periode "zwischen Schütz und Bach". Entsprechend orientiert sich auch die Aufführung des heutigen Abends an Bernhards Vorstellungen und bietet eine Ensemblekonstellation mit opernnah agierenden Künstlern auf der Basis einer opulenten Continuo-Gruppe mit Zupf-, Streich- und Tasteninstrumenten.

Bernhard kam zu einer Zeit an den Dresdner Hof, da sich der alternde Heinrich Schütz mehr und mehr aus dem Alltagsgeschäft eines Hofkapellmeisters zurückzog und die praktischen Aufgaben lieber "Substituten" überließ. So wurde auf seinen Vorschlag hin 1655 auch dem - so Schütz - "wolqualificierten Jungen menschen" aus Pommern das Amt eines Vizekapellmeisters übertragen, der im Bedarfsfall die Musik "in der Kirche als bei Tafel" zu leiten hatte. Und als Tafelmusik waren damals nicht nur weltliche Madrigale und Arien willkommen, sondern ebenso die erbaulichen Vertonungen religiöser Texte, die man gerne dem Buch der Psalmen entnahm oder einschlägigen geistlichen Lieddichtungen. Schütz hatte dazu in den vorangegangenen Jahrzehnten ein exemplarisches Repertoire an "geistlichen Concerten" vorgelegt, Kompositionen für eine Besetzung mit einer oder mehreren Singstimmen und Generalbass sowie zum Teil auch weiteren Instrumenten. An den darin aufgezeigten Möglichkeiten einer unmittelbar eingängigen rhetorischen Deklamation orientierte sich Bernhard in seinen Werken, wie die bildhaften Gesangslinien zu Beginn der Concerte "Aus der Tiefe ruf' ich" und "Heute ist Christus von den Toten auferstanden" zeigen.

Bernhard hatte aber auch die Möglichkeit, sich andernorts Anregungen für seine Kompositionen zu holen. Zweimal reiste er im Auftrag des Hofes nach Italien, 1650 nach Venedig, 1657 nach Rom. Beide Male kehrte er wohl nicht nur mit italienischen Notendrucken, sondern ebenso mit italienischen Musikern zurück, die in der Folge neben den deutschen Kapellmitgliedern am kursächsischen Hof Karriere machen sollten. Vor allem aber vermittelten ihm die Aufenthalte in Venedig und Rom weitreichende Kenntnisse der italienischen Musik. So kann man in seinen Werken auch den Einflüssen des römischen Oratorienkomponisten Giacomo Carissimi trefflich nachspüren, zumal in Bernhards Vorliebe für formbildende ariose Passagen (oft über einem wiederkehrenden kleingliedrigen Instrumentalbass-Motiv), die sich mit eher rezitativisch gehaltenen Partien abwechseln. In der hohen Virtuosität der Vokalstimmen erahnt man gleichzeitig die besonderen sängerischen Fähigkeiten des Komponisten.

1664 verabschiedete sich Bernhard vorerst aus dem Dresdner Hofdienst und folgte der Berufung zum Kantor am Johanneum und Musikdirektor der vier Hauptkirchen in Hamburg. Hier sorgte er zusammen mit Matthias Weckmann, dem ehemaligen Dresdner Hoforganisten, der nun an der Orgel von St. Jacobi wirkte, für eine besondere musikalische Blüte. Weckmann hatte vier Jahre vor Bernhards Ankunft mit dem "Collegium musicum" eine Vereinigung fähiger Berufs- und Laienmusiker gegründet, die sich wöchentlich im Refektorium des Doms vor interessiertem Publikum zum virtuosen Musizieren traf. Von solch künstlerischer Atmosphäre beflügelt, dürfte der frisch gebackene Musikdirektor Bernhard kurz nach seinem Dienstantritt mit der Drucklegung jener "Zwanzig deutschen Concerte von 2. 3. 4. und 5. Stimmen" begonnen haben, die er dann 1665 unter dem Titel "Geistliche Harmonien" veröffentlichte und den Hamburger Stadtvätern widmete - Letzteres ein geschickter finanzieller Schachzug, der Bernhard eine gewisse Absatzgarantie seines "Opus primum" verschaffte. Diese Werke stellen jedoch kein originär hamburgisches Repertoire dar, gewähren vielmehr Einblicke in den kompositorischen Ertrag aus den vorangegangenen Dresdner Jahren.

Aus seiner Hamburger Zeit stammt hingegen eine Reihe von Trauermusiken, zu denen auch das heute zu hörende Concert "Ich sahe an alles Thun" von 1669 zählt. Dass ein Kantor mit der Anfertigung solcher Kompositionen zur Beisetzung bedeutender Persönlichkeiten beauftragt wurde, war zwar nichts Ungewöhnliches, doch scheint man Bernhards sensible Vertonungen entsprechender Texte besonders geschätzt zu haben. 1667 komponierte er ein derartiges Werk zum Begräbnis des als Kirchenlieddichter berühmten Pastors Johann Rist, drei Jahre später erbat sich Heinrich Schütz von Bernhard eine lateinische Trauermusik im konservativen Palestrina-Stil und lobte das vollendete Werk mit den Worten: "Mein Sohn, er hat mir einen grossen Gefallen erwiesen durch Ubersendung der verlangten Motette. Ich weiß keine Note darin zu verbessern". Es wurde auch zwei Jahre später bei der Trauerfeier für Schütz in Dresden aufgeführt, ist aber heute verschollen.

1674 kam Bernhard dann der traurigen Pflicht nach, die Musik zum Begräbnis seines langjährigen Weggefährten Matthias Weckmann zu leiten. Es war dies seine letzte Hamburger Amtshandlung, denn kurz zuvor war er nach Dresden zurückberufen worden. Dort wirkte er wiederum als Vizekapellmeister, aber auch als Erzieher der damals sechs und vier Jahre alten Prinzen Johann Georg und Friedrich August (von denen Letzterer später als besonderer Förderer der Künste, in Anbetracht seiner politischen Tatkraft aber als "August der Starke" in die Geschichte eingehen sollte). Von 1681 bis zu seinem Tod 1692 war Bernhard dann - seinen Fähigkeiten und Verdiensten allemal angemessen - die alleinige Hofkapellmeister-Würde vergönnt.

Auch der Komponist der beiden Instrumentalwerke des heutigen Konzerts, Johann Rosenmüller, kam erst in seinen letzten Lebensjahren zu Hofkapellmeister-Ehren, als 1682 Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel den mehr als 60-Jährigen an seinen Hof zog. Rosenmüller, aus Oelsnitz im Vogtland gebürtig, hatte zuvor ein Vierteljahrhundert in Venedig gelebt, und das nicht freiwillig. 1655 war er als Lehrer an der Leipziger Thomasschule, Organist der Nikolaikirche und Anwärter auf das Thomaskantorat der Päderastie beschuldigt worden und hatte sich daraufhin über Hamburg nach Italien abgesetzt. So kam sein besonderes musikalisches Talent für lange Zeit in erster Linie dem venezianischen Musikleben zugute, während sich in seinen Kompositionen allmählich die in der Jugend erlernte Kunst der kontrapunktischen Satztechnik mit modernem italienischen Melos verband. Doch in Deutschland waren die Vokal- und Instrumentalkompositionen des "Giovanni Rosenmiller" ebenso geschätzt; entsprechende Kontakte ergaben sich durch die vielen nach Italien reisenden deutschen Musiker und Adeligen. Rosenmüllers Sinfonia in D, eine Suite, an deren Eröffnungssatz sich mehrere Tanzsätze anschließen, erschien zusammen mit zehn ähnlich gearteten Werken 1667 in Venedig im Druck; der Komponist widmete sie dem Welfen-Herzog Johann Friedrich, der sich in dieser Zeit alljährlich in der Lagunenstadt aufhielt. Ebenfalls noch in Venedig eignete er 1682 Anton Ulrich, der ihm die ehrenvolle Rückkehr nach Deutschland ermöglichte, jene in Nürnberg gedruckten 12 Sonaten für zwei bis fünf Instrumente zu, aus denen heute eine Triosonate erklingt. Deren stilistische Nähe zu den Sonaten-"Klassikern", die damals Arcangelo Corelli in Rom komponierte, ist nicht zu überhören.

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Mitwirkende

Rheinische Kantorei
Veronika Winter, Nele Gramß - Sopran
Henning Voss - Altus
Henning Kaiser - Tenor
Ekkehard Abele - Bass

Das Kleine Konzert
Ulla Bundies, Anne Röhrig - Violine
Anette Sichelschmidt, Gabrielle Kancachian - Viola
Hartwig Groth - Violone
Bernward Lohr - Cembalo
Michael Dücker - Chitarrone
Joachim Held - Chitarrone, Laute, Barockgitarre
Christoph Lehmann - Orgel

Ltg. Hermann Max