Saison 2004/2005: Konzert 3

Sonntag, 21. November 2004 17 Uhr Sendesaal des Deutschlandfunks

Kammermusik für Bläser

von Naumann, Fasch, Platti, Telemann und Vivaldi Epoca barocca Epoca barocca Sendung im Deutschlandfunk am 7.12.2004

Mit ihrem Programm mit Kammermusik von Naumann gewährt auch das Ensemble Epoca barocca, ähnlich wie Cencic im Oktober, einen "Einblick in die Werkstatt" der Alten Musik. In beiden Fällen entsteht aus den Programmen im DLF-Sendesaal auch eine CD-Aufnahme, was auch den Sammler zu Unrecht vergessener Musik interessiert, denn die Kammermusik des allerhöchstens noch als Opernkomponist zwischen Hasse und Weber bekannten Naumann ist heute eine ähnliche Rarität wie die Kantaten Caldaras.

Programmfolge

Georg Philipp Telemann (1681-1767)
Triosonate c-Moll TWV 42: c2
für Blockflöte, Oboe und Basso continuo
Largo
Vivace
Andante
Allegro

Giovanni Benedetto Platti (ca. 1692 oder 1697-1763)
Triosonate c-Moll
für Oboe, Fagott und Basso continuo
Adagio
Allegro
Largo
Vivace

Johann Friedrich Fasch (1688-1758)
Sonate a 2 Canone F-Dur FWV N: F5
für Blockflöte, Fagott und Basso continuo
Andante
Allegro

Antonio Vivaldi (1678-1741)
Concerto g-Moll RV 103
für Blockflöte, Oboe und Fagott
Allegro ma cantabile
Largo
Allegro non molto

Pause

Johann Gottlieb Naumann (1741-1801)
Sonatina VI F-Dur
für Cembalo mit Begleitung von Oboe und Fagott
Allegro
Andante dell'Ipocondriaco
Presto

Johann Friedrich Fasch
Sonate C-Dur FWV N: C1
für Fagott und Basso continuo
Largo
Allegro
Andante
Allegro assai

Antonio Vivaldi
Sonata a quattro C-Dur RV 801
für Blockflöte, Oboe, Fagott und Basso continuo
Largo
Allegro
Largo
Allegro

Nicht nur für die höfische Kammer

"Gieb jedem Instrument das, was es leyden kan, / so hat der Spieler Lust, du hast Vergnügen dran": Das viel zitierte Motto aus der 1718 verfassten Autobiographie des Georg Philipp Telemann passt so recht zum nie versiegenden Esprit und Arbeitseifer des seinerzeit berühmtesten und meist geschätzten deutschen Komponisten. Wie alle seine zeitgenössischen Kollegen von Rang bediente und beglückte er Adel und Bürgertum gleichermaßen mit seiner Kunst, schrieb ebenso für die Kirche wie für Theaterbühne und Konzertpodium. Dabei hatte er sich vielleicht schon in seinen Leipziger Studententagen folgende Sentenz zu Eigen gemacht, die ihn 1712 als Kapellmeister an die Barfüßerkirche in Frankfurt am Main zog und neun Jahre später als Musikdirektor der vier Hauptkirchen nach Hamburg: "Wer Zeit Lebens fest sitzen wolle, müsse sich in einer Republick niederlassen." Die "Freie und Hansestadt" wurde dem geschäftstüchtigen Musiker denn auch zum Zentrum seiner verlegerischen Tätigkeit, ohne dass er damit den adeligen Teil seines Publikums aus den Augen verlor. Nicht zuletzt in ihrer Wertschätzung der "galanten", in Besetzung und Satztechnik variablen, klanglich aparten Kammermusik für einige erlesene Musiker trafen sich Adel und Bürgertum: "Besonders hat man mich überreden wollen, die Trio wiesen meine beste Stärcke, weil ich sie so einrichtete, dass eine Stimme so viel zu arbeiten hätte, als die andre", so Telemann 1718. Ein letztes Mal bediente er die allgemeine Nachfrage nach solcher Kammermusik 1739/40, mit der Veröffentlichung seiner Essercizii Musici overo Dodeci Soli e Dodeci Trii à diversi stromenti. Die erste dieser Triosonaten eröffnet das heutige Konzert und verdeutlicht, dass der kompositorisch längst mit allen Wassern gewaschene Komponist diese "Übe-Stücke" den erfahreneren unter den Instrumentalkünstlern zugedacht hatte.

Besser noch als an den (schon aus Gründen des Absatzes) für die musikalische Allgemeinheit konzipierten Druckveröffentlichungen lassen sich die Fertigkeiten bestimmter Instrumentalisten an jenen handschriftlich überlieferten Kompositionen ablesen, die für das Repertoire einer Hofhaltung bestimmt und folgerichtig den Virtuosen der Hofkapelle auf den Leib geschrieben waren. So am c-Moll-Trio von Giovanni Benedetto Platti, das sich in der Musiksammlung des Grafen Rudolf Franz Erwein von Schönborn-Wiesentheid findet. Der musikbegeisterte Würzburger Fürstbischof Johann Philipp Franz von Schönborn hatte den Oboenvirtuosen Platti 1722 aus dem Veneto nach Franken geholt. Als Mitglied der Hofkapelle blieb Platti offenbar genug Zeit, auch dem gleichfalls musikliebenden Bruder des Bischofs im nahen Wiesentheid musikalisch aufzuwarten. Als einzige seiner ungedruckten Sonaten gesellt die c-Moll-Komposition das Fagott zur Oboen-Oberstimme. Eine 1746 veröffentlichte Musikerliste der Würzburger Kapelle legt nahe, dass Platti sich hier den Kollegen Johann Caupek ("Virtuos auf dem Fagott, aus Böhmen") zum Duopartner erkoren hatte.

Platti blieb bis zu seinem Tod 1763 Mitglied der Hofkapelle, verbrachte damit zwei Drittel seines Lebens in Deutschland. Ähnlich wie seinem Stuttgarter Kollegen Niccolò Jommelli hätte es ihm gehen können, wäre er in seinen späteren Jahren noch einmal in sein Heimatland zurückgekehrt: Seine Landsleute hätten ihm vorgeworfen, troppo tedesco zu komponieren: allzu stark in jenem südlich der Alpen weniger geschätzten "gearbeiteten" Stil. Zur Diskussion, wie typisch deutsch - oder anders formuliert: wie "unitalienisch" - die Kontrapunktkunst der Triosonate wirklich war, liefert die g-Moll-Triosonate RV 103 von Antonio Vivaldi ihren speziellen Beitrag: ein venezianisches Werk (heute im Originalmanuskript Vivaldis in der Turiner Nationalbibliothek verwahrt), das mit Flöte, Oboe und Fagott - ohne Basso continuo - eine unkonventionelle Besetzung aufweist und zudem mit "Concerto" überschrieben ist. In der Tat gelingt es Vivaldi auch in diesem rein dreistimmigen Satz, den für seine Konzerte so typischen Wechsel zwischen Solo- und Tutti-Episoden aufzubauen. Das Werk stellt also ein veritables "Reisekonzert" fürs musikalische Handgepäck eines Holzbläsertrios dar - damals wie heute. In ähnlicher Form als Reisekonzert tauglich und auch nachweislich gereist ist die Sonata a quattro C-Dur, die erst seit kurzem als authentisches Werk des prete rosso anerkannt ist und eine Nummer im Vivaldi-Werkverzeichnis besitzt. Überliefert ist sie nämlich singulär in der Musikbibliothek des westfälischen Hauses Fürstenberg im Arnsberger Schloss Herdringen. Dorthin gelangte sie im Nachlass des Freiherren Friedrich Otto von Wittenhorst-Sonsfeldt, eines niederrheinischen Adeligen und preußischen Generalmajors. Sieht man von der Continuostimme ab, die sich deutlich an der Fagottstimme orientiert, offenbart sich die C-Dur-Komposition als nahe Verwandte der g-Moll-Sonate. Sonsfeldt ließ sie wahrscheinlich kopieren, um sich damit von Mitgliedern seiner Hautboisten-Bande - der typischen barocken Militärmusik-Formation aus Oboen und Fagotten - auch im Felde musikalisch aufwarten zu lassen.

Dass man im anhaltinischen Residenzstädtchen Zerbst das Fagott als Soloinstrument ganz besonders schätzte, belegt das Œuvre des Hofkapellmeisters Johann Friedrich Fasch nachhaltig. Vielleicht war es aber auch der Komponist selbst, der den kernigen Basson so gerne heranzog, zu exponierten Rollen in der groß besetzten Ensemblemusik für Kirche und Ballsaal ebenso wie in den Werken für die fürstliche Kammer. Im selben Jahr 1722, in dem Platti am Würzburger Hof angestellt worden war, hatte der Thüringer Fasch die Kapellmeisterstelle in Zerbst angetreten - nach einigem Zögern, denn gerne wäre er in den angenehmen Privat-Diensten des Grafen Wenzel Morzin in Prag geblieben, jenes besonderen Liebhabers der musikalischen Künste, dem Antonio Vivaldi kurz darauf seine zwölf Violinkonzerte op. 8 (inklusive der "Vier Jahreszeiten") widmete. Kurioserweise ist Faschs Sonate für Fagott und Basso continuo aber gar nicht in Zerbst überliefert, wo man schon Ende des 19. Jahrhunderts einen Großteil der damals als wertlos erachteten barocken Notenhandschriften "entsorgte". Vielmehr ist auch sie uns dank der Musik- und Sammelleidenschaft des Generalmajors Sonsfeldt erhalten geblieben.

Mehr als eine Generation jünger ist jedenfalls die heute zu hörende Sonatina von Johann Gottlieb Naumann, die sich neben mehreren Schwesterwerken in der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden findet. Gemeinsam ist diesen Sonatinen die Anlage als Cembalowerke mit Begleitung durch Oboe und Fagott (oder Traversflöte und Bass), eine ungewöhnliche Besetzungsvariante, die den Spieler am Tasteninstrument in den Vordergrund stellt. Wahrscheinlich hatte Naumann die Cembalopartie für sich selbst konzipiert - der Sohn armer sächsischer Landleute, der bereits als Zwölfjähriger auf der Loschwitzer Orgel den Choralgesang begleitete, aber vom Vater zunächst zu einem Schlosser in die Lehre gegeben wurde. Nach Jahren an der Dresdner Kreuzschule und als Chorknabe am Hof hatte Naumann bei einem Italienaufenthalt 1762 die Aufmerksamkeit des gerade in Venedig weilenden sächsischen Kapellmeisters Johann Adolf Hasse auf sich gezogen. Hasse verschaffte ihm in der Folge eine Musikerstelle am Dresdner Hof - von 1776 bis zu seinem Tod 1801 amtierte Naumann selbst als Kapellmeister Friedrich Augusts III. Die höfische Musikpflege hatte infolge des Siebenjährigen Krieges einiges an Glanz und Innovationskraft eingebüßt; das verschaffte Naumann, der in Dresden vornehmlich Vokalwerke für die Opernbühne und die katholischen Gottesdienste des Kurfürsten zu komponieren hatte, den Freiraum, wiederholt Italien aufzusuchen, aber auch für die Hofkapellen im mecklenburgischen Ludwigslust, dann in Stockholm, Kopenhagen und Berlin tätig zu werden. An den großen Opernkomponisten Naumann erinnert sogar die F-Dur-Sonatina: Ihr Mittelsatz bezieht sich als "hypochondrisches" Andante nicht nur auf eine allgemeine Affektlage, sondern konkret auf seine erstmals 1776 in Dresden uraufgeführte und später in Kopenhagen wiederholte Opera buffa "L'ipocondriaco".

behe

Mitwirkende

Epoca barocca
Petr Zejfart - Blockflöte
Alessandro Piqué - Oboe
Sergio Azzolini - Fagott
Ilze Grudule - Violoncello
Matthias Spaeter - Laute
Christoph Lehmann - Cembalo