Saison 2006/2007: Konzert 5
Rund um Haydn
Joseph Haydn, Carl Philipp Emanuel Bach, Wolfgang Amadeus Mozart und Franz Anton Hoffmeister Trio 1790 Sendung im Deutschlandfunk am 13.2.2007»Wer mich gründlich kennt, der muss finden, dass ich dem Emanuel Bach sehr vieles verdanke.« Wer sich so lobend über Carl Philipp Emanuel Bach äußerte, war kein Geringerer als Joseph Haydn. Kein Wunder, dass daher das Kölner Klaviertrio »Trio 1790« auf den historischen Originalinstrumenten Bach jr. zu Wort kommen lässt, wie die drei Musiker bei ihrem Recital »Rund um Haydn« zugleich jenen Franz Anton Hoffmeister würdigen, der nicht nur für Beethoven ein »Bruder der Tonkunst« war. Im Mittelpunkt der kammermusikalischen Zeitreise zurück ins 18. Jahrhundert steht aber natürlich Haydn - mit zwei Klaviertrios, die ihn als Meister der klassischen Ausdruckskunst ausweisen.
Programmfolge
Trio F-Dur Hob. XV: 40
für Clavier, Violine und Violoncello
Menuet
Finale. Allegro molto
Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788)
Rondo a-Moll H. 262
Fantasie C-Dur H. 284
für Clavier
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
Sonate B-Dur KV 378
für Clavier in Begleitung einer Violine
Andantino sostenuto e cantabile
Rondeau. Allegro
Pause
Franz Anton Hoffmeister (1754-1812)
Duo C-Dur
für Violine und Violoncello
Romance. Poco Adagio
Rondo. Allegro
Joseph Haydn
Trio Es-Dur Hob. XV: 29
für Pianoforte mit Begleitung von Violine und Violoncello
Andantino et innocentemente
Finale. Allemande. Presto assai
Für Kenner und Liebhaber
Im 18. Jahrhundert nahm die Produktion von Kammermusik einen beachtlichen Aufschwung, der aus der künstlerischen Emanzipation des niederen Adels und eines selbstbewussten Bürgertums resultierte. Man ahmte die Kunstpflege der Residenzhöfe nach, indem man die häuslichen Salons dem gemeinsamen Musizieren in intimer Atmosphäre öffnete, und machte damit den Kunstkammern und -kabinetten der Schlösser Konkurrenz. So geschah es in Paris, St. Petersburg und London, in Dresden, Berlin und in Wien. Das heutige Konzert stellt solche primär der bürgerlichen Musikpflege gewidmete Kunst vor. Es geht um Kompositionen, die sich zum Teil ausdrücklich »an Kenner und Liebhaber« wenden, also nicht nur an die professionellen Musiker, sondern auch an die mehr oder weniger souveränen Amateur-Instrumentalisten - und natürlich an ihr aufgeschlossenes Publikum, das sich mit diesen Werken und ihrer Darbietung anregend unterhalten ließ.
Das zentrale Instrument der häuslichen Kammermusikpflege war schon im 18. Jahrhundert das Klavier. »Die Vollkommenheit desselben wäre leichte daraus zu erweisen, wenn es nöthig wäre, weil es diejenigen Eigenschafften, die andere Instrumente nur einzeln haben, in sich vereinet; weil man eine vollständige Harmonie, wozu sonst drey, vier und mehrere Instrumente erfordert werden, darauf mit einmahl hervor bringen kann, und was dergleichen Vortheile mehr sind.« So formulierte es der preußische Kammermusikus Carl Philipp Emanuel Bach 1753 gleich in der Vorrede zu seinem Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Infolgedessen konnte das Tasteninstrument -- mochte es sich nun um ein Cembalo, ein Clavichord oder um eines der damals neuartigen Fortepiano-Instrumente handeln - auch im kleiner dimensionierten Musizierzimmer ein ganzes Ensemble repräsentieren, allein oder in Begleitung von einem oder wenigen Melodieinstrumenten. Bach selbst wendete sich bevorzugt mit Drucken von Solokompositionen an ein größeres, europaweites Publikum, zunächst von Berlin aus, seit 1768 dann als Musikdirektor in Hamburg. Eindrucksvoll liest sich die Menge und die europaweite Verbreitung der Subskribenten, die seine in mehreren Folgen erschienenen Clavier-Sonaten für Kenner und Liebhaber manchmal gleich in Dutzendstärke abnahmen (und dann in der Regel vor Ort weiterverkauften). Die zweite, 1780 veröffentlichte Folge dieser Sonaten enthielt auch einige der vom Publikum besonders geschätzten Rondos; Stücke also, die eine mehrmals wiederkehrende Themendurchführung mit immer neuen musikalischen Gedanken abwechseln lassen. Die fünfte Folge von 1785 bot überdies freye Fantasien und damit eine der Improvisation angenäherte Gattung, in deren Ausführung sich der Genius des Komponisten und des Interpreten gleichermaßen ausdrücken soll. Das Rondo a-Moll H. 262 (aus der Sammlung von 1780) und die Fantasie C-Dur H. 284 (von 1785) spiegeln in dieser Hinsicht die genialische Art der Bach’schen Klaviersprache trefflich wider.
Zu den Großabnehmern Bach’scher Sonaten zählte der Baron Gottfried van Swieten in Wien. Während seiner Zeit als österreichischer Gesandter in Berlin 1770-1777 hatte er die Musik von Johann Sebastian und Carl Philipp Emanuel Bach kennen und schätzen gelernt; letzterer widmete ihm dann seine dritte Sonatenfolge. Seit 1782 profitierte auch Wolfgang Amadeus Mozart von der Begeisterung van Swietens für Bach und Händel (mit Werken Carl Philipp Emanuels hatte er sich aber bereits als Elfjähriger auseinandergesetzt). Im Frühjahr 1781 war er nach Wien gekommen, im Gepäck zwei Sonaten für Klavier in Begleitung einer Violine. Zusammen mit vier hinzu komponierten Werken veröffentlichte er sie kurz darauf beim Wiener Verlagshaus Artaria als Six Sonates pour Clavecin, ou Pianoforte avec l’accompagnement d’un Violon und widmete sie seiner Klavierschülerin Josepha Barbara Auernhammer. In diesen Werken, von denen heute die noch in Salzburg komponierte B-Dur-Sonate KV 378 zu hören ist, gelingt es Mozart, das virtuose Klaviersolo nach dem Vorbild Carl Philipp Emanuel Bachs zu einem perfekt austarierten Dialog auszuweiten, in dem Tasten- und Melodie-Instrument abwechselnd die melodisch-virtuose Führung übernehmen. Offenbar war er zu der Veröffentlichung durch die positive Resonanz auf jene Sonaten gleicher Gattung ermutigt worden, die er 1778 in Paris als sein Opus 1 hatte drucken lassen.
Ein weiterer wichtiger Verleger Mozarts neben der Familie Artaria wurde in den folgenden Jahren Franz Anton Hoffmeister. Er stammte aus dem württembergischen Rottenburg, hielt sich aber bereits seit seinem 14. Lebensjahr in Wien auf und gründete dort 1784, nach einem Intermezzo als Kapellmeister des Grafen Franz von Szecsenyi, einen eigenen Verlag, der gut ein Jahrzehnt lang bestand (größerer Erfolg war seiner späteren Leipziger Neugründung zusammen mit dem Organisten Ambrosius Kühnel beschieden). Aber nicht nur als Verleger, sondern auch als Komponist war Hoffmeister bestrebt, den Bedürfnissen des Publikums entgegenzukommen. Angesichts des Umfangs, den sein kammermusikalisches Œuvre annahm, und der Tatsache, dass er das Können und den Geschmack der Amateurmusiker nicht außer Acht ließ, wird er heute mitunter als ein Vielschreiber angesehen, dem es an Originalität fehle. Mit seinen spielfreudigen Werken für zwei Melodieinstrumente, von denen heute ein Duo in C-Dur für Violine und Violoncello erklingt, bedachte er nicht zuletzt solche Musikliebhaber, die in ihrem Salon auf die Mitwirkung eines Klaviers verzichten mussten.
Joseph Haydn weilte im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts nur noch sporadisch in Wien. Seine überwiegend in der burgenländischen Provinz für den Fürsten Esterházy komponierte Musik diente den Künstlern in der Musikmetropole an der Donau aber stets als Vorbild, mit ihrer melodischen Ausgewogenheit, ihrer vollendeten Satztechnik und mit all den reizvollen Momenten, in denen Haydn eben diese Klassizität immer wieder verlässt und sein Publikum damit überrascht. Im heutigen Programm ist er mit einer Gattung vertreten, die als sein Pedant zu Mozarts Klaviersonaten mit Violinbegleitung gelten mag: mit dem Klaviertrio. Es begleitete ihn durch verschiedene Phasen seiner künstlerischen Entwicklung; entsprechend rahmen zwei vollkommen unterschiedliche Trio-Kompositionen Haydns die heutige Konzertfolge. Am Beginn steht mit dem F-Dur-Trio Hob. XV: 40 ein Werk, das vermutlich in der zweiten Hälfte der 1750er Jahre entstand, zu einer Zeit, als Haydn nach Abschluss seiner Ausbildung freischaffend in Wien lebte und sein Auskommen sporadisch auch in den Kammermusik-Veranstaltungen des Adels fand. Die frühen Trios sind noch deutlich der barocken Triosonate verhaftet: Der Bass des Tasteninstruments wird durch das Violoncello verstärkt, während der Diskant zum Teil mit der Violinstimme dialogisiert, zum Teil aber auf eine durch Continuobezifferungen festgelegte Begleitrolle reduziert ist. Seinen ruhigen Divertimento-Charakter gibt die dreisätzige Komposition eigentlich erst im Finale als dem einzig wirklich schnellen Satz auf. Er mag den Komponisten (oder einen Bearbeiter) später zur Umformung des ganzen Trios in ein Konzert für Klavier bzw. Orgel und Streicher motiviert haben.
Ganz anders wirken dagegen die drei letzten Klaviertrios Haydns. Er komponierte sie vermutlich noch 1795 als Sonatas for the piano-forte, with an accompaniment for the violin & violoncello, wie es die Londoner Erstausgabe von 1797 formuliert. Haydn widmete die drei Werke der angesehenen, aus Aachen stammenden Klaviervirtuosin Therese Jansen-Bartolozzi, bei deren Hochzeit in London er 1795 als Trauzeuge fungiert hatte. Dass es sich bei diesen Trios um ausgesprochene Konzertstücke handelt, die dem Klavier eine dominante, für professionelle Virtuosen konzipierte Rolle zuweisen, verwundert da kaum. Den letzten Satz aus dem Es-Dur-Trio Hob. XV: 29 konzipierte Haydn als »Finale in the German Style« (es handelt sich um einen stark stilisierten Ländler, der sich aber auch als Sonatensatz mit Rondoelementen beschreiben lässt). Für Therese Jansen mochte er als musikalischer Gruß aus der Heimat gedacht sein. Auf das Londoner Publikum, dem Haydn seit seiner ersten Englandreise 1791/92 herzlich zugetan war, dürfte das Finale jedenfalls einen geradezu exotischen Reiz ausgeübt haben.
Mitwirkende
Annette Wehnert spielt heute auf einer anonym überlieferten süddeutschen Geige aus der Mitte des 17. Jahrhunderts.
Jennifer Morsches spielt im heutigen Konzert ein Instrument von Léon Mougenot Jacquet Gand, gebaut im lothringischen Mirecourt ca. 1890.
Harald Hoeren spielt auf der von Derek Adlam angefertigten Kopie eines um 1790 gebauten Flügels des Mainzer Instrumentenmachers Matthäus Heilmann.