Saison 2007/2008: Konzert 4

Sonntag, 16. Dezember 2007 Deutschlandfunk, Kammermusiksaal 17 Uhr

Amor und seine Pfeile

Kantaten und Sonaten von Johann David Heinichen, Georg Friedrich Händel, Christoph Schaffrath, Francesco Mancini, Alessandro Stradella, Johann Friedrich Fasch, Antonio Lotti und Agostino Steffani Epoca Barocca Silvia Vajente, Sopran Epoca Barocca Sendung im Deutschlandfunk am 1.1.2008

Das ewige Thema von Liebesfreud und Liebesleid: Niemand hat es so reich und formvollendet variiert wie die Madrigaldichter Italiens. Ihre Landsleute Francesco Mancini, Alessandro Stradella, Antonio Lotti und Agostino Steffani kleideten die anmutige Lyrik in ergreifende musikalische Gewänder, auswärtige Gäste wie der »caro sassone« Georg Friedrich Händel taten es ihnen mit Erfolg nach. Epoca Barocca, das italienisch-deutsche Kammerensemble mit Kölner Domizil und internationalem Sonatenrepertoire, hat besonders schöne Beispiele der barocken Kantatenkunst ausgewählt und erweckt sie gemeinsam mit der Sopranistin Silvia Vajente zu neuem Leben.

Programmfolge

Johann David Heinichen (1683-1729)
Quartett G-Dur Seibel 220
für Oboe, Fagott, Viola da gamba und Basso continuo
Andante - Vivace - Adagio - Allegro

Georg Friedrich Händel (1685-1759)
Kantate »Mi palpita il cor« HWV 132b
für Sopran, Oboe und Basso continuo

Christoph Schaffrath (1709-1763)
Sonate G-Dur
für Viola da gamba und obligates Cembalo
Allegro - Largo - Allegro

Francesco Mancini (1672-1737)
Kantate »Quanto dolce è quell'ardore«
für Sopran, Oboe und Basso continuo

Pause

Alessandro Stradella (1644-1682)
Kantate »Si salvi chi può«
für Sopran und Basso continuo

Johann Friedrich Fasch (1688-1758)
Sonate C Dur FWV N: C1
für Fagott und Basso continuo
Largo - Allegro - Andante - Allegro assai

Antonio Lotti (1666-1740)
Kantate »Ti sento o Dio bendato«
für Sopran, Oboe und Basso continuo

Agostino Steffani (1654-1728)
Kantate »Spezza Amor l'arco«
für Sopran, Oboe, Fagott und Basso continuo

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Arkadiens Freud und Leid

»Amor, zerbreche den Bogen und die kraftlosen Pfeile, die keine Aufgabe mehr haben«, fordert der verzagte Hirte Fileno, dem die schöne Schäferin Clori die kalte Schulter zeigt, »friedliche Frühlingswindchen, die ihr zu meinen Seufzern fliegt, enthüllt meiner Angebeteten die Qualen, die mir der göttliche Bogenschütze zufügt!« Wir sind in Arkadien, jenem Land der Phantasie, das sich die antiken Poeten schufen und das die Lyriker der Renaissance wiederentdeckten: eine Landschaft der Götter, Sagenwesen und Hirten, eine Landschaft nicht zuletzt der Liebe. Aber die Idylle trügt. Denn der Liebesgott Amor verteilt seine Pfeile, die Götter oder Menschen treffen können und in Liebe zueinander entbrennen lassen, keineswegs ideal. Liebesleid ist auch in Arkadien an der Tagesordnung. Davon wissen jene Epochen, die sich vom utopischen Arkadien faszinieren ließen, ein Lied zu singen, meist in den freien Versformen der Madrigaldichtung. Die Komponisten der Barokkzeit fassten sie immer wieder in beredte Rezitative und zu Herzen gehende Arien einer Solostimme. Ihr steht bevorzugt die Oboe als Soloinstrument zur Seite, als Symbol des einsam klagenden Hirten und als Spiegel der Seele.

So in jener Kantate des Agostino Steffani, die am Ende des heutigen Konzerts erklingt: »Spezza Amor l'arco« ist einer in Modena verwahrten Sammelhandschrift entnommen, die den Titel Scherzi di Abbate Steffani trägt. Dem 1680 zum Priester geweihten Komponisten war das weltliche Leben keineswegs fremd. Denn ebenso wie er die Zeitgenossen mit seiner Musik rührte, beeindruckte er sie durch seine diplomatische Verhandlungskunst. Als der bayerische Kurfürst Ferdinand Maria den Elfjährigen wegen seiner schönen Stimme 1666 von Venedig mit nach München nahm, um ihn auf Hofkosten ausbilden zu lassen, mochte es ihm eher darum gegangen sein, Nachwuchs für die eigene Musikpflege heranzuziehen. Als Hofkapellmeister wirkte Steffani später dann auch, aber in Hannover. Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte er allerdings in politischer und in kirchlicher Mission, so zwischen 1703 und 1709 in Diensten des in Düsseldorf residierenden Johann Wilhelm von der Pfalz und danach wieder von Hannover aus als Apostolischer Vikar für Norddeutschland. Geschätzt wurde der Komponist Steffani von seinen adeligen Auftraggebern als Schöpfer von Opern und einer Vielzahl von Kammerduetten, vollendeter höfischer Unterhaltungsmusik, die seinen Sinn für eine eingängige, harmonisch durchdachte Melodik und für dramatische Gestaltung en miniature vorführen. Besonderen Reiz verleiht den Scherzi die Kombination der Sopranstimme mit gleich zwei Soloinstrumenten: Piffero wird die Oboe hier genannt (eine Bezeichnung, in der kaum zufällig ihre Herkunft aus der Hirtenschalmei mitschwingt); zu vokaler und instrumentaler Sopranstimme gesellt sich noch ein Fagott mit einer vom Continuo weitgehend unabhängigen zusätzlichen Basspartie.
Spätestens als sich Georg Friedrich Händel zwischen 1707 und 1709 in Italien aufhielt, lernte er dort Steffani kennen. Der war dann auch daran beteiligt, den talentierten Sachsen 1710 beim Kurfürstenhof von Hannover einzuführen. Einen Beweis für Händels Vertrautheit mit dem italienischen Idiom und dem arkadischen Sujet stellt die Kantate »Mi palpita il cor« dar, die er in Hannover für Altstimme, Flöte und Basso continuo komponierte und später noch mehrfach umarbeitete - so in London um 1717 in die heute zu hörende Fassung mit Sopran und Oboe. Händel vertont die eröffnenden Worte, in denen vom klopfenden Herzen und der erregten Seele die Rede ist, in besonders origineller Form, indem er auf den rezitativischen Adagio-Beginn mit stockender Deklamation ein Arioso folgen lässt, das mit virtuosen Koloraturen durchsetzt ist.
In der Kantate »Quanto dolce è quell'ardore«, die der neapolitanische Hofmusiker Francesco Mancini komponierte, ergreift Clori das Wort, die schließlich zu Fileno gefunden hat und ihm ihre Liebe versichert. Mancini legt das ganze Gewicht seiner Vertonung auf die rahmenden, Ruhe und Zuversicht ausstrahlenden Da-capo-Arien, zwischen die er ein nur zehn Takte langes Rezitativ setzt. Mehr als 200 solch eingängiger Kammerkantaten hat Mancini geschrieben. Dass sie sich nicht nur in seiner neapolitanischen Heimat großer Beliebtheit erfreuten, belegt ihre Verbreitung in vielen Handschriftensammlungen auch nördlich der Alpen. So ist »Quanto dolce è quell'ardore« in einem Manuskript des Londoner Royal College of Music überliefert.
Eine ausweglose Lage skizziert hingegen der Text der Kantate »Si salvi chi può« von Alessandro Stradella. »Rette sich, wer kann« - Endzeitstimmung in einer zwar mythologischen, aber keineswegs arkadischen Welt, eingefangen in einer kleingliedrigen Arienfolge, angetrieben von einer oft ruhelosen Continuostimme. Man mag diese Musik heute vor dem Hintergrund der bewegten und tragisch endenden Lebensgeschichte ihres Komponisten hören: Der aus der Nähe von Viterbo stammende Stradella feierte in Rom Erfolge, bis ihn der Vorwurf der Kuppelei 1677 nach Venedig trieb. Eine Affäre mit einer Schülerin, der Geliebten des einflussreichen Alvese Contarini, nötigte ihn kurz darauf zur erneuten Flucht, jetzt nach Turin, wo er nur knapp einen Mordanschlag überlebte. Nach der Genesung wandte er sich 1678 nach Genua und schrieb dort im Auftrag örtlicher und auswärtiger Adeliger erneut Opern und Oratorien. Drei Jahre später wurde er aber von einem Unbekannten erschlagen - eine späte Rache Contarinis?
Antonio Lotti verbrachte die meiste Zeit seines Lebens in Venedig. Dorthin war der Sohn des Hannoveraner Hofkapellmeisters Matteo Lotti mit 17 Jahren gekommen, um Schüler Giovanni Legrenzis zu werden. 1736 sollte er dann selbst noch als zweiter Amtsnachfolger seines Lehrers Kapellmeister an San Marco werden. Seine Erfolge als Opernkomponist trugen ihm 1717 eine Einladung des sächsischen Kurfürsten Friedrich August I. nach Dresden ein, wo er bis 1719 blieb und die große Festoper zur Hochzeit des Kurprinzen mit der Kaisertochter Maria Josepha komponierte. Nach Venedig zurückgekehrt, widmete sich Lotti fortan nur noch der Kirchen- und Kammermusik. Die Kantate »Ti sento o Dio bendato«, eine Anrufung Amors, dürfte aus dieser späteren Zeit stammen. Aufhorchen lässt zwischen den souverän gestalteten Da-capo-Arien mit obligater Oboe das nur vom Basso continuo begleitete Arioso, in dem Lotti die bittere Süße des Liebeskummers in ein dissonanzenreiches kontrapunktisches Gewand kleidet.

Nicht nur die Solokantate, sondern auch die instrumentale Sonatenform importierte man im Norden eifrig aus Italien. Als weiterer Komponist neben Lotti war dazu 1717 Johann David Heinichen in Dresden eingetroffen, der aus der Nähe von Weißenfels stammte und sich wie Händel in Italien musikalisch weitergebildet hatte. Neben Vokalund Orchestermusik komponierte er nun nach italienischem Vorbild Sonaten für eines oder wenige Solo-Instrumente, in denen sich die Virtuosen der Dresdner Capell- und Cammer-Musique vor der Hofgesellschaft präsentieren konnten. Sein subtiles Gespür für die vielfältigen kontrapunktischen und klanglichen Möglichkeiten einer anspruchsvollen Quartettkomposition beweist Heinichen im filigranen Stimmengewebe seines G-Dur-Quadros.
Christoph Schaffrath dürfte kurz nach Heinichens frühem Tod 1729 in den Kreis der sächsischen Hofmusiker aufgenommen worden sein. 1733 wechselte er als Cembalist in die Hofkapelle des preußischen Thronfolgers und passionierten Traversflötisten Friedrich (»des Großen«) und schließlich 1745 in die Dienste der unverheirateten Königsschwester Anna Amalia, deren Salons zu einem der Kristallisationspunkte im Berliner Musikleben wurden. So konnte man Schaffrath, der damals »der Welt durch seine schöne und überall beliebte Compositionen bekannt genung« war, als einen »vortrefflichen Clavicembalisten und Kammermusikus bey der Prinzessin« erleben, berichtet ein Berliner Zeitgenosse, der Musikpublizist Friedrich Wilhelm Marpurg. Einen kompositorischen Ertrag dieser Zeit dürfte die galante G-Dur-Sonate für Gambe und obligates Cembalo darstellen.
Schätzte man in den Berliner Kreisen das Clavier als besonderes Soloinstrument im kammermusikalischen Zusammenspiel, so war es im anhaltinischen Residenzstädtchen Zerbst das Fagott, wie das Œuvre des Hofkapellmeisters Johann Friedrich Fasch hinlänglich belegt. Vielleicht war es aber auch der Komponist selbst, der den kernigen Basson so gerne heranzog, zu exponierten Rollen in der groß besetzten Ensemblemusik für Kirche und Ballsaal ebenso wie in den Werken für die fürstliche Kammer, zu denen die heute zu hörende C-Dur-Sonate zählt. In Dresden verlangte man ebenso nach Faschs Kompositionen; er zählte zum erlauchten Kreis derer, die den kurfürstlichen Hof regelmäßig von auswärts mit Kammermusik nach italienischem Gusto belieferten.

behe

Mitwirkende

Silvia Vajente, Sopran
Epoca Barocca