Saison 2011/2012: Konzert 5

Sonntag, 5. Februar 2012 17 Uhr – Im Rahmen des Kölner Festes für Alte Musik Trinitatiskirche

Georg Friedrich Händel, »Aci, Galatea e Polifemo«

Serenata a 3 (Neapel 1708) Valer Barna-Sabadus | Stefanie Irányi | Wolf Matthias Friedrich Collegium Cartusianum Ltg. Peter Neumann Peter Neumann Sendung auf WDR 3 am 18.2.2012

Mit Kantaten und Serenaten, die auch abseits der Bühne musikalische Unterhaltung auf Opernniveau boten, zog der junge Georg Friedrich Händel das italienische Publikum in seinen Bann. Ein Geniestreich gelang ihm mit der Serenata »Aci, Galatea e Polifemo« nach Ovids »Metamorphosen«, die er 1708 für eine Fürstenhochzeit in Neapel komponierte. Dieses hinreißende Werk präsentiert der Kölner Händel-Spezialist Peter Neumann gemeinsam mit einem erlesenen Trio international renommierter Experten barocker Gesangskunst.

Die Handlung

Die schöne Meeresnymphe Galatea und ihr junger Geliebter, der Hirte Acis, heißen den frühlingshaften Morgen willkommen. Sie erfreuen sich an der Schönheit der Natur, die sie als Sinnbild ihrer Liebe verstehen. Und doch ist die Idylle getrübt, denn Galatea fürchtet den grobschlächtigen einäugigen Zyklopen Polyphem, der sie begehrt.

In Acis regt sich Eifersucht, und schon bald kündigt sich der Zyklop mit schauerlichem Gebrüll an. Galatea begegnet ihrem unliebsamen Verehrer mit unerschrockener Standhaftigkeit, was Polyphems Zorn entfacht. Seinem rohen Gepolter und vor allem seinen physischen Kräften hat der zarte Jüngling Acis kaum etwas entgegenzusetzen. So versucht er, wie auch Galatea, den Riesen mit Worten davon zu überzeugen, dass nichts die beiden Liebenden trennen kann - nicht einmal der Tod.

Doch all das schürt nur noch mehr Polyphems Raserei, der sich nun mit Gewalt nehmen will, was ihm nicht gegeben wird. Galatea kann sich seinen Umklammerungen nur entziehen, indem sie sich in die Meeresfluten stürzt und zu ihrem Vater, dem sanften und weisen Meeresgott Nereus, flieht.

Mit Galateas Abwesenheit scheint für Polyphem alles Licht der Welt zu verlöschen, und auch Acis bleibt verzweifelt und in wehmütiger Erinnerung an seine Liebe alleine. Doch Galatea kehrt ans Ufer zurück. Sie berichtet ihrem Geliebten, dass sie vergebens versucht hatte, die gewaltigen Meerestiere gegen Polyphem aufzubringen, um sich zu rächen. Nun kann sie nicht mehr auf eine Erlösung von ihren Leiden hoffen und will wenigstens Acis davon befreien, der sie alleine lassen soll. Doch er steht zu ihr. So besingen beide erneut ihre Liebe und schwören einander Treue.

Polyphem, der alles beobachtet, macht das so rasend, dass er beschließt, Acis zu töten. Er erschlägt den Jüngling mit einem schweren Felsbrocken, um Galatea zu demonstrieren, was es bedeutet, sich ihm zu widersetzen. Sie ist zunächst dem Zusammenbruch nahe, doch dann bittet sie ihren Vater, den toten Geliebten in einen Bach zu verwandeln, dessen Wogen sie dann umarmen kann, wenn sie sich ins Meer ergießen. Und so muss auch Polyphem schließlich erkennen, dass selbst rohe Gewalt gegen eine treue Liebe nichts ausrichten kann - eine Erkenntnis, die das abschließende Terzett noch einmal bekräftigt.

Konzertpause nach dem Terzett »Proverà lo sdegno mio«

Klanggemälde menschlicher Emotionen

»O Galatea, so weiß wie das Blatt schneehellen Ligusters, Blühend und frisch wie die Au, so schlank wie die ragende Erle, Glänzend wie heller Kristall, schalkhaft wie das hüpfende Böcklein, Glatt wie von ständigem Meer am Strande gewaschene Muscheln, Lieblich wie sonniger Schein im Winter, wie Schatten im Sommer, Edel wie saftiges Obst und schmuck wie die hohe Platane, Licht wie spiegelndes Eis und süß wie die zeitige Traube, Weich wie Flaum am Schwan und wie Milch vom Labe geronnen, Reizend zu sehn, wenn nicht du entfliehst, wie gewässerter Garten!«

Sie muss eine betörende Schönheit gewesen sein, diese Galatea, Tochter des Meeresgottes Nereus und der Nymphe Doris, die der römische Dichter Ovid im 13. Kapitel seiner Metamorphosen beschreibt. Ganz anders der, dem Ovid die zitierten Worte in den Mund legte: Poseidons Sohn Polyphem - ein grobschlächtiger, einäugiger Zyklop, der seine Gefühle in etwa so gut kontrollieren kann wie der Ätna seine brodelnde Hitze. Als ein Sinnbild für die unberechenbare Gewalt dieses Vulkans wird Polyphem in der antiken Mythologie denn auch gesehen. Weil er es nicht ertragen kann, dass Galatea den schönen Acis vorzieht, erschlägt er den blutjungen Hirten. Es ist ein grausames Drama der Gefühle, das Ovid da beschreibt. Und doch gibt es am Ende ein kleines Happy End: Galatea, die ja eine Meeresnymphe ist, bittet ihren Vater, den toten Geliebten in einen Bach zu verwandeln. Als dieser Bach ins Meer mündet, kann sie sich schließlich doch mit ihrem Acis vereinen; sehr zum Leidwesen Polyphems, wie man sich denken kann.

In der Kulturgeschichte taucht die schöne Galatea immer wieder auf. Bildende Künstler, Literaten und Komponisten haben sich von ihr inspirieren lassen. Georg Friedrich Händel tat dies gleich dreimal. Seine erste Auseinandersetzung mit dem Stoff ergab sich bereits während seines Bildungsaufenthalts in Italien, der dem jungen Komponisten mit gerade einmal Anfang zwanzig erste große Erfolge bescherte. Vermutlich hatte er sich irgendwann nach 1705 von Hamburg aus auf den Weg über die Alpen gemacht; er hatte Florenz und Venedig besucht und sich lange Zeit in Rom aufgehalten. Dort schätzte man den caro sassone, den »werten Sachsen«, denn er verstand es bravourös, den innovativen und virtuosen Kompositionsstil der Italiener zu verinnerlichen, um ihm doch eine eigene Note zu verleihen. Schon im Hamburg hatte er an der berühmten Gänsemarkt-Oper Erfahrungen mit dramatischen Werken gesammelt, und seine Erfolge setzte er in Rom unter anderem mit dem Oratorium La Resurrezione fort.

Wie genau Händels Italienreise verlief, lässt sich nur noch schwer nachvollziehen. Sicher aber hielt er sich im Frühsommer 1708 einige Wochen in Neapel auf. Damals ergab sich die Gelegenheit, eine so genannte Serenata zu komponieren. Als kleine Schwester der Oper war diese Form in Adelskreisen als musikalischer Höhepunkt eines Festes sehr beliebt. Knapper und weniger pompös ausgestattet als eine Oper, war sie doch ebenso theatralisch angelegt wie diese. Am 16. Juni 1708 vollendete Händel seine Serenata Aci, Galatea e Polifemo und vermerkte im Autograph neben dem Datum auch den Zusatz »d’Alvito«. Hielt er sich gerade in dem kleinen zwischen Rom und Neapel gelegenen Städtchen dieses Namens auf? Sicher ist, dass die Entstehung des Werks in engem Zusammenhang mit dem Herzog von Alvito, Tolomeo Saverio Gallio, steht. Dem Herzog stand damals nämlich gerade ein großes Fest ins Haus: am 19. Juli würde er die Dame seines Herzens heiraten, Donna Beatrice Tocco Sanseverino. Ganz Neapel war gespannt auf das prunkvolle Fest im Stadtpalast des Herzogs. Die Tante der Braut, die sich nach dem Tod der Eltern ihrer Nichte angenommen hatte, trug das Ihre zum Gelingen bei: Donna Aurora Sanseverino galt nicht nur als bezaubernde Schönheit, sie war auch eine ebenso gelehrte wie kunstsinnige Dame. Enge Kontakte pflegte sie nach Rom, wo sie sogar Mitglied der berühmten Accademia degli Arcadi war, eines erlesenen humanistischen Zirkels aus Künstlern, Literaten, Philosophen und Wissenschaftlern. Dort hatte sie sicher von den erstaunlichen Erfolgen des jungen Deutschen gehört, und so spricht vieles dafür, dass es Donna Aurora war, die Händel beauftragte, eine Serenata als Hochzeitsgeschenk zu komponieren. Als Librettist bot sich ihr Privatsekretär, Hofpoet und enger Vertrauter Nicola Giuvo an. Der hatte zu diesem Anlass ohnehin schon eine Serenata gedichtet, die der in Neapel hochgeschätzte Komponist Nicola Fago vertonte.

Dass die Wahl für eine zweite - die Händel’sche - Serenata ausgerechnet auf die Geschichte der schönen Galatea fiel, mag angesichts des tödlichen Ausgangs auf den ersten Blick erstaunen. Man verstand den Stoff offensichtlich als Sinnbild für die Treue bis in den Tod und darüber hinaus. Tragischerweise sollte sich im Leben der Brautleute eine traurige Parallele finden, denn der Herzog starb keine drei Jahre nach der Hochzeit. Auch nach einer zweiten Aufführung des Werks 1711, anlässlich der Hochzeit von Donna Auroras Sohn, war dem gefeierten Paar kein langes Eheglück beschieden: dieser Bräutigam starb schon nach wenigen Monaten.

Von solchen Launen des Schicksals konnte Giuvo freilich nichts ahnen, als er sein dramatisch dichtes Libretto schuf. Die drei Akteure sind in einem facettenreichen Beziehungsgeflecht gefangen, dessen Dreh- und Angelpunkt natürlich die mal mitfühlende, mal vor Abscheu empörte Galatea ist. Zwischen Eifersucht und standhafter Gelassenheit schwankend, steht ihr Acis zur Seite, dessen beinahe knabenhafte Jugend Händel durch die Besetzung mit einem Sopran unterstreicht. Dagegen wird Polyphem - natürlich ein Bass - vor allem von Wut und blinder Raserei getrieben. Das Libretto bot dem jungen Händel reichlich Raum, in einer erstaunlich experimentellen Partitur die breite Palette der menschlichen Affekte von allen Seiten zu beleuchten. Fast immer wechselt Händel zwischen den vierzehn Arien sowie je zwei Duetten und Terzetten die Tonart, was jedem Satz schon per se einen eigenen Charakter verleiht. Prächtiger Virtuosität stehen lyrische Momente gegenüber, und zwischen diesen Extremen findet sich eine ganze Reihe von Schattierungen.

Auch im Instrumentalen überrascht Händel mit immer neuen Klangkombinationen. Die ergeben sich zum einen aus der Verwendung verschiedener Blasinstrumente. Doch auch der Streichersatz ist differenziert gestaltet. Mal sind nur zwei Violinen gefordert, mal tritt eine Viola dazu. Die Violoncelli spielen in der Regel den Basso continuo, treten aber für einige Momente auch mit obligaten Einwürfen hervor, am deutlichsten in Galateas verzweifelter Arie »Se m’ami, oh caro«. Zur Besetzung des Basso continuo macht Händel erstaunlich präzise Angaben. Nicht immer ist dabei die üppige Besetzung mit Violoncelli, Violone und Harmonieinstrumenten gefragt, je nach darzustellendem Affekt wählt Händel gezielt einzelne Farben aus. Ganz kammermusikalisch ist so Acis’ Arie »Dell’aquila l’artigli« angelegt, die allein von einem Cembalo begleitet wird. Sie steht im denkbar größten Kontrast zu Polyphems erstem Auftritt, der sich mit einer orchestralen Tutti-Besetzung und vor allem mit schallenden Trompetenklängen ankündigt. Aber Händel will seine Protagonisten nicht plakativ mit nur einem Affekt belegen. Er will ihren Mut und kämpferischen Stolz ebenso wie ihre empfindsamen, verzweifelten und verletzlichen Momente deutlich machen. Selbst den plumpen Polyphem zeigt er nicht nur als triebgesteuertes Monster. Ihm gesteht er etwa in seiner Arie »Fra l’ombre e gl’orrori« echte Gefühle zu - auch wenn seine musikalische Sprache dabei nicht besonders artifiziell wirkt. Und doch ist es insgesamt gerade diese Partie mit ihrem enormen Tonumfang und den riesigen Intervallsprüngen, die dem ausführenden Sänger enormes Können abverlangt.

Besondere Höhepunkte der Serenata sind die Ensemblesätze. Vor allem in dem Terzett »Proverà lo sdegno mio« treffen die drei Protagonisten mit ihren unterschiedlichen Gefühlslagen eindrucksvoll aufeinander. Hier stehen Polyphems Wut, Galateas Furcht und Abscheu sowie Acis’ Versuche, die Geliebte zu beruhigen und zugleich dem Unhold zumindest verbal beizukommen, scheinbar unvermittelt nebeneinander und sind doch schicksalhaft miteinander verwoben.

Wie genau sein Klanggemälde der menschlichen Emotionen beim neapolitanischen Publikum ankam, konnte Händel nicht miterleben. Während der Hochzeitsfeierlichkeiten war er schon wieder auf dem Weg nach Rom. So lag es, da er selbst keine Ouvertüre geliefert hatte, wohl auch nicht in seiner Hand, welche instrumentale Sinfonia das Werk in Neapel eröffnete. Peter Neumann stellt heute Musik aus der Oper Rinaldo voran, deren Ouvertüre Händel in einer Erstfassung auch in jenem Sommer 1708 komponiert hat.

Die Geschichte von der schönen Galatea sollte den caro sassone noch nach England begleiten, wo er den Stoff 1718 in einer kammermusikalischen englischsprachigen Masque für den nachmaligen Herzog von Chandos und 1732 als größer besetzte gemischtsprachige Konzertfassung für das Londoner Opernpublikum aufbereitete.

Helga Heyder-Späth

Mitwirkende

Valer Barna-Sabadus - Countertenor
Stefanie Irányi - Alt
Wolf Matthias Friedrich - Bass

Collegium Cartusianum
Ltg. Peter Neumann

Das Collegium Cartusianum spielt heute in folgender Besetzung:
Ulla Bundies, Marika Apro-Klos, Gudrun Engelhardt, Adam Lord, Angela Pastor (Violine 1) · Julia Huber-Warzecha, Ina Grajetzki, Katja Grüttner, Gabriele Nußberger (Violine 2) · Friederike Kremers, Bettina Ecken, Cosima Nieschlag (Viola) · Ulrike Becker, Christoph Harer (Violoncello), Miriam Shalinsky (Violone) · Hans-Peter Westermann (Oboe, Blockflöte), Annette Spehr (Oboe) · Rainer Johannsen (Fagott, Blockflöte), Guiseppe Frau, Henry Moderlak (Trompete) · Martin Ennis (Cembalo), Christoph Lehmann (Orgel), Axel Wolf (Laute)