Saison 2016/2017: Konzert 3

Sonntag, 13. November 2016 Museum für Angewandte Kunst 17 Uhr

Das Goldene Zeitalter

Streichquartette zwischen 1750 und 1800 von Franz Xaver Richter, Luigi Boccherini, Antonio Rosetti, Wolfgang Amadeus Mozart und Joseph Haydn casalQuartett casalQuartett Sendung auf WDR 3 am 16. Februar 2017 ab 20:04 Uhr

Man darf es als die klassischste Gattung der Wiener Klassik bezeichnen: das Streichquartett, das sich untrennbar mit den Namen Haydn, Mozart und Beethoven verbindet. Doch auch vor Haydn und außerhalb Wiens trieb die Kunst des Gesprächs unter vier vernünftigen Leuten seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bezaubernde Blüten. Das zeigen beispielhaft die Kompositionen von Franz Xaver Richter, Luigi Boccherini und Antonio Rosetti, die das fabelhafte Schweizer casalQuartett neben einen Werkklassiker aus Haydns Opus 76 stellt und auf historischen Streichinstrumenten des legendären Tiroler Geigenbauers Jacobus Stainer erklingen lässt.

Programmfolge

Franz Xaver Richter (1709–1789)
Streichquartett C-Dur op. 5,1 (1756)
Allegro con brio - Andante poco - Rincontro. Presto
Luigi Boccherini (1743–1805)
Streichquartett c-Moll op. 2,1 (1761)
Allegro comodo - Largo - Allegro
Antonio Rosetti (1750–1792)
Streichquartett A-Dur op. 6,1 (1787)
Allegro spiritoso - Menuetto. Moderato - Romance - Rondeau. Allegro come presto

Pause

Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)
Adagio und Fuge c-Moll KV 546 (1788)
Joseph Haydn (1732–1809)
Streichquartett G-Dur op. 76,1 (1796)
Allegro spiritoso - Adagio sostenuto - Menuet. Presto / Trio - Finale. Allegro ma non troppo

Streichquartett in früher Blüte

Prunk, Macht und Größe: das waren zentrale Begriffe für den Adel des 18. Jahrhunderts. Da gehörte es dazu, sich mit den besten Künstlern, Musikern und Komponisten der Zeit zu schmücken und sie an den Höfen zu beschäftigen. Diese Orte boten den Komponisten oftmals gute Gelegenheiten, sich zu profilieren und ihre Werke einer einflussreichen Öffentlichkeit zu präsentieren. Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts wird deshalb auch das Goldene Zeitalter des Streichquartetts genannt. Damals blühte dieses Genre auf, in dem sich vier vernünftige Leute miteinander unterhalten, wie Goethe es formulierte. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Faszination dieser Gattung. So entstanden unzählige kammermusikalische Werke, die uns entweder verlorengegangen oder in Vergessenheit geraten sind. Genau nach diesen Werken fragen wir heute, um eine neue Sicht auf die Entstehung des Streichquartetts zu erlangen.

Mit seinen fast 70 Streichquartetten ist, dass ganz offensichtlich auch andere Komponisten neben ihm und Wolfgang Amadeus Mozart existierten, die dem Streichquartett aus der Wiege halfen. In diesem Programm haben wir die Gelegenheit, hörend der Entstehung des Streichquartetts auf die Spur zu kommen und chronologisch die Entwicklung einiger der wichtigsten Quartette mitzuverfolgen.

Über die vielleicht ersten aller Streichquartette wird uns durch den Geiger Carl Ditters von Dittersdorf berichtet. Er hielt sich 1757 am Hof des Herzogs Ernst Friedrich Carl von Sachsen-Hildburghausen auf und war an einem Winterabend auf ein Fest eingeladen, zu dem er hinausfahren wollte. Jedoch sagte er die Einladung in letzter Minute ab und schickte an seiner Stelle einen Freund mit dem Pferdeschlitten dorthin. In seinem Bericht erfahren wir weiter: Wir machten uns an sechs neue Richtersche Quartetts, die Schweitzer bekommen hatte. Er spielte das Violoncell, ich die erste, mein älterer Bruder die zweite Violine und mein jüngerer die Bratsche. Mitten durch tranken wir einen köstlichen Kaffee und rauchten den feinsten Kanaster dazu. Wir waren recht vergnügt. Soeben stimmten wir zu einem neuen Quadro an, als plötzlich die Nachricht zu uns heraufscholl. Es war die Hiobs-Botschaft vom verunglückten Pferdeschlitten und dem Tod des Freundes.

Bei der damals gespielten Musik, die Dittersdorf ganz nebenher in seinen Lebenserinnerungen erwähnt, handelt es sich wahrscheinlich um sechs der Streichquartette, die Franz Xaver Richter erst elf Jahre später als sein Opus 5 im Druck veröffentlichte. In dem Bericht wird auch erwähnt, dass der Hildburghausener Hofcellist Anton Schweitzer die Noten besorgt hatte. Offenbar interessierte ihn der außergewöhnliche Anspruch der Cellostimme, die in dieser Zeit üblicherweise noch die untergeordnete Rolle des Basso continuo übernahm. Allem Anschein nach hatte Richter als Hofkomponist in Mannheim ohne fremde Anregungen seinen ganz eigenen Weg zum Streichquartett gefunden.

Den Mannheimer Hof besuchte der aus Lucca stammende 18-jährige Luigi Boccherini im Mai 1761, um sich auf eine vakante Cellistenstelle zu bewerben. Auch wenn Boccherini in Mannheim mit seiner Bewerbung erfolglos war, könnte er dort immerhin Richter getroffen und dessen Quartette gespielt haben. Wie Schweitzer dürfte sich auch Boccherini als Cellist für solche Streichquartette mit teils konzertanter Cellostimme ganz besonders interessiert haben. Kurz nach diesem Aufenthalt hat auch er seine ersten Quartette geschrieben, die gewisse formale Parallelen zu denen von Richter aufweisen. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch darin, dass Boccherini sein Instrument gegenüber den mittleren Streichern noch stärker aufwertet und es durchweg zum zweiten Solisten des Ensembles macht. Er wurde zu einem der ersten Komponisten, denen die großen europäischen Königshäuser hohe Summen für Kammermusik bezahlten und deren Werke die Musikverleger in Rekordauflagen verkauften. Mozart hätte davon nur träumen können.

Als der Musikwissenschaftler Oskar Kaul 1925 in der Editionsreihe Denkmäler der Tonkunst in Bayern einen Band mit Kammermusik von Antonio Rosetti herausgab, kategorisierte er ihn als einen Kleinmeister im Schatten der Riesengestalten Haydn und Mozart, dessen Werke aber Informationen über den Zeitgeschmack vermitteln könnten. Von künstlerischer Eigenständigkeit, ja einem prägenden Einfluss auf die Epoche ist da nicht die Rede. Das Konzert wird zeigen, dass ein Streichquartett Rosettis dem Vergleich mit Haydn und Mozart durchaus standhält. Nicht umsonst wurde Rosetti von vielen seiner Zeitgenossen auf eine Ebene mit diesen beiden Größen der Wiener Klassik gestellt. Im nordböhmischen Leitmeritz geboren, kam der 23-Jährige 1773 nach Wallerstein im Nördlinger Ries, wo er in der Hofkapelle des Fürsten Kraft Ernst zu Oettingen-Wallerstein die Karriereleiter als Diener und Kontrabassist bestieg und schließlich Hofkomponist und Kapellmeister wurde. Mozart hatte dagegen 1777 vergeblich versucht, eine Anstellung bei Kraft Ernst zu finden.

1787 wurden sechs Streichquartette Rosettis in Wien publiziert - in direkter und offenbar erfolgreicher Konkurrenz zu den Streichquartetten Haydns. Besonders das Quartett Nr. 1 in A-Dur, das heute zu hören ist, hat im durchsichtigen Streichersatz eine prickelnde Leichtigkeit. Der langsame, bezeichnenderweise als Romance überschriebene dritte Satz ist derart romantisch angehaucht, dass eine Ähnlichkeit mit den späten Streichquartetten Mozarts spürbar wird.

Der zweite Teil des Konzertes widmet sich den uns heute bekanntesten Streichquartett-Komponisten der Wiener Klassik: Wolfgang Amadeus Mozart und Joseph Haydn. Das casalQuartett ist in seiner Werkauswahl gezielt nicht auf die bereits zum Kanon gehörenden Quartettwerke von Mozart eingegangen, sondern hat sich für das selten gespielte Satzpaar Adagio und Fuge c-Moll KV 546 entschieden. Mozart stand zu der Zeit, als er das Stück komponierte, im engen Kontakt zu dem Diplomaten Gottfried van Swieten, der bei seiner Rückkehr aus Berlin 1777 Notenhandschriften der Söhne Johann Sebastian Bachs mitgebracht hatte und die Wiener Komponisten mit diesen Werken bekanntmachte. Es waren vor allem die Fugenkompositionen, die Aufmerksamkeit erregten und gerne für Streichquartett arrangiert wurden.

Die Fuge KV 546 hatte Mozart 1782 zu Studienzwecken für zwei Klaviere komponiert. Ihrem Streicherarrangement stellte er sechs Jahre später ein Adagio voraus, das mit seinen scharf punktierten Rhythmen und dem pathetischen Ausdruck eine barocke Gestalt annimmt. Hinter dem barocken Schein lässt sich jedoch ganz versteckt auch Mozarts eigene Tonsprache wiederfinden.

Mit Joseph Haydn schließt sich der Kreis. Als er zwischen 1755 und 1758 seine ersten Quartette schrieb, hatte er nur einige wenige Modelle, an denen er sich orientieren konnte, wie zum Beispiel barocke Suiten und Triosonaten. In der Abgeschiedenheit am Hof des Fürsten Nikolaus Esterházy im Burgenland war er ganz auf sich allein gestellt, und es ist faszinierend zu sehen, wie er diese neue Form dort selbst entwickelte und sie sich zu eigen machte.

Mehr als 30 Jahre später, mit über 60 Jahren, schrieb Haydn seine Quartette op. 76, die auch zu seinen letzten zählen. Nun konnte er auf eine Vielzahl eigener Streichquartette zurückblicken und galt als der berühmteste lebende Komponist. Nach fast 40 Jahren im Burgenland ging er nach Wien und auf Reisen, die ihn bis London führten. Das Streichquartett in G-Dur schrieb er im Auftrag des ungarischen Grafen Joseph Erdödy, dem es auch gewidmet ist. Der Ausdruck dieses Werks erinnert an die frische jugendliche Musik, die Haydn in früheren Zeiten schrieb. Er übertrifft sich aber selbst, indem er hier sogar noch überraschender und unkonventioneller schreibt, als er es jemals in seiner Jugend gewagt hätte. Jetzt hatte er die nötige technische Perfektion erreicht.

Katerina Chatzinikolau
Der Textbeitrag entstand im Rahmen einer Zusammenarbeit von musik + konzept e. V. mit dem Master-Studiengang Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik und Tanz Köln (Vertr.-Prof. Dr. Corinna Herr).

Mitwirkende

casalQuartett
Felix Froschhammer – Violine
Rachel Rosina Späth – Violine
Markus Fleck – Viola
Andreas Fleck – Violoncello