Saison 2018/2019: Konzert 2
Flûte traversière ou Allemande
Karl Kaiser – Traversflöte Michael Borgstede – Cembalo
Die Aufzeichnung des Konzertes sendet WDR 3 zu einem späteren Zeitpunkt.
Da Stephan Schardt im Konzert am 7. Oktober krankheitsbedingt nicht spielen konnte, wurde das Programm geändert. Wir freuen uns, dass der Traversflötist Karl Kaiser sich kurzfristig bereiterklärt hat, gemeinsam mit Michael Borgstede barocke Musik für Flöte und Cembalo vorzustellen.
Programmfolge
Neue Flötentöne
Die Flute Allemande, oder d’Allemagne, Traversiere, Teutsche oder Quer-
Flöte ist das Instrument, welches, verständigem Ausspruch nach, einer moderirten
Menschen Stimme am allernähesten kommen will und folglich, wenn es mit Jugement
gespielet wird, hoch zu estimiren ist.
Der menschlichen Stimme am nächsten:
für Johann Mattheson rangierte die Traversflöte in seiner ersten Buch-Veröffentlichung
Das Neu-Eröffnete Orchestre von 1713 in der ästhetischen Werteskala ganz
oben. Nicht mehr die vornehm näselnde Gambe, sondern dieser sanft tönende Holzbläser
galt dem musizierenden Galanthomme
seit den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts
als Instrument der Wahl - als prominentes Beispiel dafür kennt man bis heute den
Preußenkönig Friedrich II. Trotz des Namens Flûte Allemande hatte die
Traversflöten-Mode ihren Ursprung - wie so ziemlich alles, was damals in deutschen
Adels- und Bürgerkreisen als chic galt - in Frankreich, genauer gesagt: im höfischen
Umfeld von Versailles.
Das heutige Programm stattet dann auch in seiner Hälfte der Musikszene von Paris einen Besuch ab, in der sich die Flöte bevorzugt im angeregten kammermusikalischen Diskurs entfaltete. Und da war in der Regel das Cembalo ihr Partner in den Kabinetten und Salons der pulsierenden Kulturmetropole. Zunächst stellen sich die beiden tonangebenden höfischen Traversflötisten aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts kompositorisch vor. Jacques-Martin Hotteterre gehörte zu einer jener Musikerdynastien, die für Generationen dem französischen Königshaus als wahre Multi-Instrumentalisten, als Komponisten, aber oft auch als Instrumentenbauer dienten. Die Hotteteres hatten die Traversflöte um 1700 bautechnisch so optimiert, dass sie auch in den tieferen Lagen zu einem wesentlich intensiveren Ton fand. Jacques-Martin Hotteterre brachte dazu 1702 die erste gedruckte Flötenlehre auf den Markt. Etwa zwei Jahrzehnte später führte er an einer Auswahl populärer Lieder und Arien für Flöte solo seine hohe Kunst vor, bekannte Gesangsmelodien auf besonders geschmack- und wirkungsvolle Weise instrumental auszuzieren.
Aus Besançon nach Paris gekommen, profilierte sich der eine Generation jüngere
Michel Blavet zunächst in der Veranstaltungsreihe der Concerts spirituels
und an der Oper als Flötist, bevor er 1738 für die Kammermusik Ludwigs XV. engagiert
wurde. In seinem dritten Sonatenbuch für Flöte und Basso continuo zeigt er sich
als souveräner Vertreter des neuen vermischten Geschmacks
, der in die elegante
Melodieführung französischer Schule immer wieder einen Schuss extravaganter italienischer
Virtuosität einfließen lässt. Ein ständiger Musizierpartner Blavets in der königlichen
Hofmusik war Jean-Baptiste Forqueray, Sohn des als exzentrisch geltenden
Gambisten Antoine Forqueray und ebenfalls ein begnadeter Gambist. Als er 1747 posthum
Gamben-Kompositionen des Vaters edierte, streute er auch eigene Werke ein, und er
legte noch eine Ausgabe für Cembalo solo nach. Daraus ist heute eine Suite voller
instrumentaler Charakterstudien zu hören, die nachweislich vom Sohn stammen - Vater
Forqueray hätte einige der karikierten Persönlichkeiten aus der Pariser Szene
allenfalls als Kinder kennenlernen können.
Mit Jean-Marie Leclair meldet sich schließlich noch jener in Lyon geborene Meistergeiger italienischer Schule zu Wort, der in Versailles nie so richtig Fuß fasste und seiner Solo-Karriere zeitweise auch lieber außerhalb Frankreichs nachging. Die siebte der Violinsonaten aus seinem dritten Buch von 1743 hat er extra so konzipiert, dass sie auch auf der Flöte ausführbar ist. Dazu gibt er teilweise Alternativ-Noten an, wenn die Violinstimme das d, den tiefstmöglichen Ton auf der Traversière, unterschreitet. Für den expressiven Aria-Satz fügt er sogar eine eigene Flötenfassung bei - den intensiveren Ausdruck erreicht die Violine da in den Wiederholungen durch Doppelgriffe, während der Komponist es der differenzierten Tongebung des Traversflötisten überlässt, zu subtilen Affektabstufungen zu finden.
Die zweite Hälfte des Konzertes beleuchtet die deutsche Seite der Flûte
Allemande und macht da zunächst mit dem jungen Carl Philipp Emmanuel Bach
bekannt. Wohl nicht zuletzt, um auch künstlerisch aus dem Schatten seines Vaters
in Leipzig zu treten, wechselte er zum Wintersemester 1734 als Jura-Student ins
preußische Frankfurt an der Oder. Wie seine Flötensonate e-Moll aus diesen Jahren
zeigt, hatte der Bach-Sohn seinen empfindsamen Musikstil damals schon zu einer ersten
Reife gebracht. Das dürfte ihm den Weg in die preußische Hofkapelle geebnet haben,
wo ihm Friedrich II. 1740 die Gnade gewährte, das erste Flötensolo, was
Sie als König spielten, in Charlottenburg mit dem Flügel ganz allein zu begleiten.
Als Johann Sebastian Bach den Sohn 1747 besuchte, legte allerdings auch
der König die Flöte einmal beiseite, um mit dem Tastenmeister seine Claviersammlung
im Schloss Sanssouci durchzugehen. Von der zeitlosen Ausdruckskunst des alten
Bach
auf dem Cembalo gibt heute die Chromatische Fantasie ein exzeptionelles
Beispiel. Sie berührt auf ganz eigene Art mit ihren Skalen, die wie losgelöst
durch die Tonarten rauschen, und dramatischen Akkordballungen, die nicht mit Dissonanzen
sparen. Die Chromatik klingt auch in der anschließenden d-Moll-Fuge noch nach,
in der Bach sich wieder dem strengeren Kontrapunkt zuwendet.
Einen abschließenden Schwerpunkt legt der zweite Programmteil auf den seinerzeit
berühmtesten Komponisten des Landes: Georg Philipp Telemann. Der Hamburger
Musikdirektor und Pate Carl Philipp Emanuel Bachs wurde auch in Frankreich sehr
geschätzt. Beim Besuch dort bereiteten ihm 1737 u. a. Blavet und Forqueray einen
ehrenvollen Empfang, indem sie mit nicht weniger hervorragenden Kollegen seine Flötenquartette
musizierten. Vier Jahre zuvor hatte Blavet schon zwölf Exemplare von Telemanns
umfangreicher und bunt besetzter Musique de table geordert - wahrscheinlich,
um elf davon weiterzuverkaufen. Sicher musizierte er ein apartes Stück wie die
Flötensonate h-Moll aus dem ersten Teil dieser Tafelmusik
aber gerne
auch selbst. Ob er darüber hinaus die ein Jahr früher erschienenen zauberhaften
Telemann-Fantasien für Flöte solo kannte, wissen wir allerdings nicht.
Mitwirkende
