2020/2021: Konzert 2
Europa-Reise mit Cello
Solo- und Duokompositionen des 19. Jahrhunderts von Jean-Louis Duport, Auguste Tolbecque, Jacques Offenbach, Bernhard Romberg, Alfredo Piatti, Jacques Franco-Mendès und Jacques-Michel Hurel de Lamare Christophe Coin Davit Melkonyan Sendung auf WDR 3 am 23. Dezember 2020, ab 20:04 UhrAuf den Spuren ihrer Vorgänger im 19. Jahrhundert unternehmen die Cellovirtuosen Davit Melkonyan und Christophe Coin eine spannende Reise durch verschiedene europäische Musiklandschaften: Der Italiener Alfredo Piatti spielte im Londoner Joachim-Quartett. Jean-Louis Duport und Bernhard Romberg waren wechselweise Erste Cellisten in Berlin und Lehrer am Pariser Conservatoire. Jacques-Michel Hurel de Lamare kam über Preußen nach Russland, und Jacques Franco-Mendès studierte in Wien, bevor er niederländlischer Hofcellist wurde. Von Köln nach Paris ging Jacques Offenbach, wo er beim selben Cellolehrer studierte wie Auguste Tolbecque.
Programmfolge
Aus dem Conservatoire in die Welt
Ein Jahrhundert lang schon galt die Violine als das Instrument der Wahl für die Darstellung expressiver Melodien, rasanter Läufe und bizarrster Sprünge, da kam auch das Violoncello endlich zu Solo-Ehren. Zunächst waren es italienische Ausnahme-Musiker, die das virtuose Solospiel auf dem Violoncello um 1700 auch im Norden Europas bekanntmachten. Im Laufe der nächsten Jahrzehnte übernahm da aber Frankreich die Führung, das Land, in dem bislang die aristokratische Viola da gamba den Ton angegeben hatte. So mancher hervorragende Gambenspieler wechselte damals aufs Cello.
Auf Verbindungen nach Frankreich – jetzt in die Klassen des nachrevolutionären Pariser Conservatoire – stoßen wir auch, wenn wir uns auf die Duo- und Solokompositionen herausragender Cello-Virtuosen des 19. Jahrhunderts einlassen, die uns heute durch verschiedene europäische Musiklandschaften führen.
Wir beginnen vor der Haustür
. Bernhard Romberg, geboren in Dinklage, darf als eine der prägenden Gestalten unter den Cellisten dieser Zeit gelten. Er war ein Jugendfreund Ludwig van Beethovens – gemeinsam spielten sie in der kurkölnischen Hofkapelle in Bonn. Dann aber entwickelte sich Romberg zu einem der ersten reisenden Cellovirtuosen; seine Konzerttourneen führten ihn von Lissabon bis St. Petersburg und Moskau. Romberg unterrichtete von 1801 bis 1803 am Pariser Konservatorium und beeinflusste so die französische Celloschule. Vor allem aber war die deutsche Cellotradition durch ihn bestimmt: Er entwickelte die Spieltechnik weiter und richtete das Instrument entsprechend ein. In seiner Violoncell-Schule, die 1839/40 erschien, veranschaulicht er die Modifikationen an seinem Instrument in einer maßstabsgetreuen Zeichnung. Und er demonstriert darin selbst die vorbildlichen Haltungen beim Spielen. Seine virtuosen Duo-Werke heben sich deutlich von der zeittypischen reinen Unterrichtsliteratur für zwei gleiche Instrumente ab.
Die Dodici Capricci op. 25 von Alfredo Piatti haben für Violoncellisten etwa dieselbe Bedeutung wie die 24 Capricen von Niccolò Paganini für die Geiger: es sind absolute Meisterwerke für das unbegleitete Solospiel. Wie Pietro Locatelli und Gaetano Donizetti stammte Piatti aus Bergamo, und zeitlebens blieb er mit der musikalischen Tradition seiner Heimatstadt verbunden. So bearbeitete er auch Werke dieser Komponisten für sein Instrument. Zeitgenossen beschreiben sein Spiel als edel, kraftvoll und frei von jeglichen Effekten: Äußerst sparsam benutzte er das Vibrato, darüber hinaus fiel seine ruhige Körperhaltung auf. Sein Stil stand der deutschen Tradition nahe. Mit dem Geiger Joseph Joachim spielte er im Londoner Joachim-Quartett, darüber hinaus im Trio mit Joachim und dem Pianisten Carl Reinecke. Piatti unterrichtete über 20 Jahre in London und bildete nahezu alle bedeutenden englischen Cellisten des späten 19. Jahrhunderts aus, außerdem einige der wichtigsten deutschen Cellisten wie Hugo Becker und Robert Hausmann, den Cellisten des Berliner Joachim-Quartetts.
Jacques-Michel Hurel de Lamare war ein Schüler des großen französischen Cellisten Jean-Louis Duport und Vorgänger Rombergs am Pariser Konservatorium. Er zählte zu den berühmtesten Virtuosen Frankreichs und gab seine Professur 1801 auf, um eine Konzerttournee durch Deutschland und Russland zu unternehmen, wo er bis 1809 blieb. Nach seiner Rückkehr trat er in Frankreich noch bis 1815 auf, doch konnte er nicht mehr an seine früheren Erfolge anknüpfen – der Geschmack des Pariser Publikums hatte sich inzwischen stark verändert. Der strenge Musikkritiker François-Joseph Fétis lobte jedoch weiterhin sein Spiel sowie sein Vermögen, den Geist eines Musikstückes zu erfassen und dessen Schönheit wiederzugeben. Lamare war wie Piatti als Quartettspieler besonders geschätzt. Er hinterließ vier Cellokonzerte, deren Orchesterpart aber sehr wahrscheinlich aus der Feder des mit ihm befreundeten Opernkomponisten Daniel François Esprit Auber stammt.
Auguste Tolbecque ist nicht nur als Virtuose eine bemerkenswerte Persönlichkeit der Musikgeschichte. Er gilt auch als Begründer des historischen Geigenbaus; seine Abhandlung L’art du Luthier ist hierzu eine der wichtigsten Darstellungen. Seine Kopien von Bögen aus dem 18. Jahrhundert galten lange als Originale – und in einigen Fällen ist das wohl bis heute so. Zugleich war er aber ein hervorragender Violoncello-Interpret, der u.a. den Solopart des Cellokonzerts a-Moll von Camille Saint-Saëns bei der Uraufführung spielte. Das Werk ist ihm gewidmet. Seine Kompositionen galten größtenteils seinem eigenen Instrument. Sie sind aber sehr vielfältig, zeugen von seiner Beherrschung verschiedener Stile und von gutem Geschmack. Der Titel seines Solostücks Les Vagues – die Wellen
– spricht für sich.
Bevor sich Jacques Offenbach dem Musiktheater zuwandte, war auch er als Cellist tätig. Geboren in Köln, ging er als Dreizehnjähriger nach Paris, wo er bei Olive-Charlier Vaslin studierte. Vaslin unterrichtete etwa zehn Jahre später auch Auguste Tolbecque. Offenbach brach sein Studium nach etwa einem Jahr ab und verdiente seinen Lebensunterhalt im Orchester der Opéra-comique. Es gelang ihm nach und nach, in den Pariser Salons Fuß zu fassen. Rasch erlangte er Bekanntheit als Cellovirtuose. Offenbach verfasste mehrere Dutzend Kompositionen für zwei Celli. Die meisten von ihnen sind pädagogische Werke, mit den Opuszahlen wachsen auch die Schwierigkeiten. Die letzten veröffentlichten Duos tragen die Opuszahl 54; das Opus 55 ist bis heute verschollen. Vor zwei Jahren wurde aber das Manuskript der drei Duos op. 56 entdeckt. Es trägt den Zusatz Duos concertants. Warum Offenbach sie nicht drucken ließ, ist unklar – und ebenso, ob sie zu den methodischen Duos gehören oder doch als reine Konzertstücke gedacht waren.