2021/2022: Konzert 7

Sonntag, 3. April 2022 Museum für Angewandte Kunst 17 Uhr

With Charme and Brilliancy

Lieder und Gitarrenmusik von Catharina Pratten, Carl Maria von Weber, Mauro Giuliani, Fernando Sor, Franz Schubert, Ludwig van Beethoven u.a. Anna Herbst – Sopran Ulrich Wedemeier – Romantische Gitarre Anna Herbst Ulrich Wedemeier Sendung auf WDR 3 am 02.05.2022 ab 20:04 Uhr

Als Neunjährige debütierte Catharina Pelzer 1833 im Londoner King’s Theatre auf der Gitarre. Das Publikum war hingerissen von der Leichtig- keit, Virtuosität und Expressivität ihres Spiels. Die Gitarristin, die in Mülheim am Rhein zur Welt gekommen war, wurde in ihrer englischen Wahlheimat seit der Heirat 1854 als Madame Sidney Pratten zum Begriff. Die Sopranistin Anna Herbst und Ulrich Wedemeier auf der Gitarre erwecken ihre Lieder und Instrumentalwerke nun im Kontext kompositorischer Vorgänger und Zeitgenossen zu neuem Leben.

Programmfolge

My heart and lute Henry Bishop (1787–1856)
Twilight Catharina Pratten (1824–1895)
The winds are hush’d to rest Catharina Pratten
 
Abschied Mauro Giuliani (1781–1829)
Lied aus der Ferne Mauro Giuliani
Variations on a theme of Handel op. 107 Mauro Giuliani
 
Ich denke dein Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Gretchen am Spinnrade Franz Schubert (1797–1828)
Mignon’s Lied Louis Spohr (1784–1859)
Frühlingsglaube Louis Spohr
 
Caprice Catharina Pratten
The arrow and the song Catharina Pratten
 
Marlbrough s’en va-t-en guerre Volkslied
Fantasia on Malbrook
Catharina Pratten
 
Die Zeit Carl Maria von Weber (1786–1826)
Weber’s last Waltz Catharina Pratten
The summer bloom hath pass’d Catharina Pratten

German Art, British Heart

Als 1833 ein neunjähriges Mädchen mit ihrer Gitarre die Bühne des Londoner King’s Theatre betrat, war das aristokratische Konzertpublikum schier außer sich vor Begeisterung. Die junge deutsche Gitarristin spielte mit herausragender Leichtigkeit, Virtuosität und Expressivität. Als Catharina Pratten sollte sie in die Musikgeschichte eingehen. Denn ihre glänzende Karriere im pulsierenden Londoner Musikleben setzte sie auch nach ihrer Hochzeit mit einem englischen Flötisten fort; jetzt trat sie unter dem Namen Madame Sidney Pratten auf.

An ihren Konzertabenden kamen gleich zwei Sensationen zusammen: Eine junge Frau als selbstbewusste Berufsmusikerin öffentlich auf der Bühne, das entsprach ganz und gar nicht dem ,sittlichen‘ Frauenbild im Sinne Queen Victorias. Und ausgerechnet die Gitarre als virtuos konzertierendes Instrument zur hochkarätigen Unterhaltung der Londoner Oberschicht zu erleben, war ebenfalls völlig neu.

Zur Welt gekommen war die Londoner Gitarrenvirtuosin 1824 als Catharina Josepha Pelzer in Mülheim am Rhein – dem heutigen Köln-Mülheim. Der Vater Ferdinand Pelzer war Gitarrist und Musikpädagoge. Er bildete seine Tochter schon früh zum ,Wunderkind‘ aus. 1829 ging die Familie nach England; in der Musikmetropole London boten sich damals weitaus bessere Verdienstmöglichkeiten als im Rheinland. Ferdinand Pelzer betätigte sich ab 1833 als Herausgeber des ersten regelmäßig erscheinenden Gitarrenjournals der Musikgeschichte, Giulianiad. Seine Tochter Catharina prägte unterdessen seit ihrem fulminanten Konzertauftakt im King‘s Theatre das Londoner Musikleben für ein halbes Jahrhundert als virtuose Instrumentalistin, als Komponistin, aber auch als Pädagogin. So unterrichtete sie unter anderem die Töchter Queen Victorias im Gitarrenspiel.

Die unermüdliche Tätigkeit von Catharina Pratten zog sogar Gitarrenbauer vom Kontinent nach London. Die Gitarren der damaligen Zeit waren kleiner und leichter als die heutigen Konzertgitarren. Sie wurden noch mit den Fingerkuppen gezupft, während die Spieltechnik seit dem 20. Jahrhundert auf dem Anschlag mit den Fingernägeln basiert. In der historischen Spielweise haben die alten Instrumente einen besonders runden, warmen Ton. Catharina Pratten rät in einer ihrer Gitarrenschulen überdies, das Instrument einen Ton tiefer zu stimmen, um einen noch weicheren Klang und ein geschmeidigeres Spiel zu ermöglichen. Von der späteren Ästhetik des lauter, klarer, durchsetzungsfähiger war sie also noch weit entfernt.

Nach dem frühen Tod ihres Ehemannes im Jahr 1868 begann für Catharina Pratten eine längere Trauerphase. Die Trauer ging so weit, dass die Künstlerin ihre Gitarrenkoffer schwarz anmalte und sich für einige Zeit aus dem Konzertleben zurückzog. Gegen Ende ihrer Karriere trat sie dann meistens zusammen mit dem Schriftsteller Brandon Thomas als Rezitator auf. Es entstand eine enge Freundschaft. Wenn ihr ein Auftritt angeboten wurde, entgegnete sie in ihrer enthusiastischen Art: Ja, ich komme. Aber Sie brauchen einen Rezitator. Ich kenne da einen jungen Mann – ein Genie, Brandon Thomas. Sie müssen auch ihn engagieren.

Als Catharina Pratten im Jahr 1895 starb, organisierte Brandon Thomas die Beerdigung. Viele hundert Menschen säumten die Straßen, als der Sarg mit einem Gespann von zehn Pferden zum Friedhof Brompton überführt wurde. Und doch drohte der Name der großen Gitarristin bald in Vergessenheit zu geraten. Dann veröffentlichte ihr ehemaliger Schüler Frank Mott Harrison 1899 seine Reminiscences of Madame Sidney Pratten, guitariste and composer. Er stellt sie darin als eine herausragende Persönlichkeit vor, beschreibt ihre Leidenschaft und ihren Zugang zur Musik: Ich nehme an, kein Künstler war jemals einem Instrument so zugetan wie Madame Pelzer der Gitarre. Sie kannte die Möglichkeiten ihres Instrumentes, aber auch seine Schwächen. Für sie hatte die Gitarre wie kein anderes Medium die Kraft, ihre Gefühle auszudrücken.

Catharina Pratten wird als eine gesellige, humorvolle Frau beschrieben, die gerne Witze erzählte – mit Vorliebe auf Kosten der Deutschen. Sie selbst sagte zu ihrer Nationalität: My heart is British, but my art is German: Mein Herz schlägt britisch, aber meine Kunst ist deutsch.

Schon in dem legendären Londoner Konzertdebüt, so erfahren wir aus den zeitgenössischen Berichten, trat neben der Gitarristin eine Sängerin auf. Und die Affinität zum Gesang zieht sich dann auch später durch das Schaffen der Catharina Pratten, bis hin zum letzten Konzert im Jahr 1882, das sie gemeinsam mit der Sopranistin Edith Tulloch, dem Tenor William Nicholl und dem Cellovirtuosen Joseph Hollman gab. Anschließend schrieb sie an ihren späteren Biographen: Mein Konzert war ein großer Erfolg. Hollman spielte wie ein Engel. Die Lieder überragten alles andere. Nicholl sang Beethovens ,Adelaide‘ göttlich. Edith Tulloch musste eine Zugabe singen. Ich spielte, so gut ich nur konnte, und bekam von allen und besonders vom König der Cellisten, von Hollman, Komplimente! Wie großartig er spielt!

Es verwundert daher auch nicht, dass Catharina Prattens kompositorisches Œuvre neben vielen Solostücken für Gitarre eine große Zahl facettenreicher Lieder und Kammermusikwerke umfasst. Inzwischen sind sie weitgehend vergessen – zu Unrecht, wie das heutige Konzert zeigen soll. Wir präsentieren auf einem Originalinstrument aus dem Besitz der Gitarristin eine Auswahl ihrer Gitarrenwerke und Lieder im Kontext weiterer Kompositionen, denen man bei den Abendunterhaltungen in der Londoner Gesellschaft des 19. Jahrhunderts begegnen konnte.

Catharina Pratten schrieb in einem ganz persönlichen Stil und ließ sich dabei auch im Sinne der folkloristischen Gitarrentradition von diversen Nationalstilen inspirieren. Über die Entstehung eines ihrer bekannteren Werke, Twilight, schrieb sie: An einem lieblichen Sommerabend saß ich da und sah zu, wie die Sonne unterging und die Dämmerung sich allmählich über die Szenerie legte. Ich nahm meine Gitarre zurdiese kleine musikalische Skizze ,Twilight‘. Und so wie die sanfte Brise auf- und abschwoll, so schwoll der Klang der Saiten an und wurde leiser.

Dass die Gitarre im 19. Jahrhundert eine regelrechte Renaissance erlebte, ist vor allem dem großen Gitarrenvirtuosen Mauro Giuliani zu verdanken. Als eine Hommage an ihn versteht sich der Name des von Ferdinand Pelzer herausgegeben Londoner Gitarrenjournals. Pelzers Tochter Catharina verehrte Giuliani nicht weniger und spielte noch in ihren späteren Jahren zusammen mit dessen Nichte am Klavier Giulianis 3. Gitarrenkonzert.

Zwischen 1806 und 1819 hatte Giuliani in Wien gelebt und mit Künstlerkollegen wie Ludwig van Beethoven und Louis Spohr in Verbindung gestanden. Kein Wunder also, dass nach 1800 in Wien eine Vielzahl von romantischen Liedern mit Gitarrenbegleitung erschien. Neben originalen Gitarrenliedern sind es häufig Arrangements von Klavierliedern.

Es existieren aber auch Klavierlieder, die ihren Ursprung in einer Gitarrenfassung haben. Franz Schubert selbst besaß Gitarren, und viele Gitarrenarrangements seiner Lieder entstanden in seinem engsten Umfeld. Überhaupt erscheinen viele Spielfiguren, vor allem natürlich die Arpeggien in den Klavierbegleitungen direkt von der Gitarre inspiriert. Da lässt sich eine ungebrochene Tradition von den Lautenliedern des 16. Jahrhunderts über die romantischen Gitarrenlieder bis zu den Singer-Songwritern im 20. Jahrhundert beobachten.

Als Moritat auf den Tod des britischen Feldherrn John Duke of Marlborough war die Melodie von Marlbrough s'en va-t-en guerre seit dem 18. Jahrhundert in ganz Europa bekannt und regte zu vielen Bearbeitungen an. Die Bandbreite reicht von Beethovens Wellingtons Sieg über For He’s a Jolly Good Fellow bis zu Madame Prattens Fantasia on Malbrook. Wir beschränken uns auf einen kurzen Ausschnitt aus dem ursprünglich 30-strophigen französischen Spottlied und lassen darauf ihre Fantasie folgen, gespielt auf einer Gitarre mit drei umgestimmten Saiten. Für diese ungewöhnliche E-Dur-Stimmung veröffentlichte Catharina Pratten eine stark nachgefragte Gitarrenschule – besonders Anfänger erzielten damit schnelle Erfolgserlebnisse.

Wir beenden unser Konzert mit Betrachtungen über die Vergänglichkeit. Ein Walzer für Gitarre fand sich 1826 nach dem Tod von Carl Maria von Weber in London als vermeintlich letzte Komposition unter seinen Papieren. Das sentimentale Stück wurde unter dem Titel Weber’s last Waltz berühmt. Erst sehr viel später fand man heraus, dass es in Wirklichkeit das Werk von Carl Gottlieb Reißiger war, dem Nachfolger Webers als Dresdner Hofkapellmeister. Catharina Pratten schuf das schöne Gitarren-Arrangement.

Anna Herbst & Ulrich Wedemeier

Mitwirkende

Anna Herbst – Sopran
Ulrich Wedemeier – Romantische Gitarre
Im heutigen Konzert spielt Ulrich Wedemeier auf einem Originalinstrument mit der Signatur von Catharina Pratten.