2022/2023: Konzert 2

Sonntag, 23. Oktober 2022 Trinitatiskirche 17 Uhr

Frauenlobs Kreuzleich

Ein spätmittelalterlicher Gesang des Heinrich von Meißen im Kontext gregorianischer Hymnen zur Karwoche und zum Fest der Kreuzerhöhung Ars Choralis Coeln Ltg. Maria Jonas – Gesang Ars Choralis Coeln Sendung auf WDR 3 am 23. Januar 2023 ab 20.04 Uhr

Als fahrender Lied- und Spruchdichter bereiste Heinrich von Meißen um 1300 die Fürstenhöfe, unter seinem Alias Frauenlob bewahrten die Meistersinger der folgenden Generationen sein Andenken. Neben dem Minnesang widmete sich Heinrich dem Leich, einer instrumental begleiteten Form des geistlichen Gesangs. Dabei lotet er in seinem Kreuzleich das Verhältnis der ewigen himmlischen Liebe zur endlichen irdischen Welt aus. In Auszügen stellen Maria Jonas und ihr Ensemble Ars Choralis Coeln diese faszinierende spätmittelalterliche Kunst im Kontext gregorianischer Hymnen vor.

Programmfolge

Gloria laus et honor tibi sit Gregorianischer Hymnus zu Palmsonntag Der Regenbogenton Instrumentalstück Heinrich von Meißen: Kreuzleich I Wie wunder wernder süze ursprinc (Lied 1) Wie vor der zit geselle (Lied 2) Sam von der sunnen tut der schin (Lied 3) Den sun David in geiste gicht (Lied 4) Sprich, vaterlich persone (Lied 5) Der Elfenton Instrumentalstück Heinrich von Meißen: Kreuzleich II Wer nerte, Jona, dich in visches wamme? (Lied 7) Isaias, wer was der seraph, der sich dir erscheinte (Lied 8) Der blumen glanz gar sunder schranz belibet (Lied 11) Stoz uf die hant! (Lied 16) Cypressus, Cedrus, Palmenboum (Lied 17) Der Trüffelton Instrumentalstück Heinrich von Meißen: Kreuzleich II Got sin öl und sinen cresem (Lied 18) Sust wart der tot erwecket (Lied 19) Becriste, criuze, uns cristen (Lied 22) Hymnus in honore Sanctae Crucis Gregorianischer Hymnus zur Kreuzerhöhung

Die himmlische Liebe zur endlichen Welt

Heinrich von Meißen war einer der wichtigsten deutschen Dichter des Spätmittelalters. Um 1250 im sächsischen Meißen an der Elbe als Bürgersohn geboren, bereiste er als fahrender Lied- und Spruchdichter die Fürstenhöfe. Durch einen Verswettkampf, in dem es um die Bezeichnungen vrouwe (Frau) und wîp (Weib) ging, erhielt er seinen Beinamen Frauenlob. In seinen Sprüchen gestaltete er weltliche und geistliche Themen, in der Vermischung von Lied und Spruch führte er seine Kunst zum Meistersang hin. So sahen die Meistersinger in ihm auch das bedeutendste und berühmteste ihrer alten Vorbilder, ja den Begründer ihrer Kunst. Sie bewahrten sein Andenken bis in das 18. Jahrhundert hinein. Seit 1312 lebte Frauenlob in Mainz, wo er am 29. November 1318 an einer Vergiftung starb. Die Überlieferung schreibt, dass zahlreiche weinende Frauen seinen Sarg zur letzten Ruhestätte geleiteten.

Frauenlobs umfangreiches literarisch-musikalisches Werk ist nicht geschlossen überliefert, sondern in mehreren Teilsammlungen. Eine der wichtigsten davon ist die Große Heidelberger Liederhandschrift, die auch als Manessische Handschrift bekannt ist. Dort ist er als einziger Sänger zweimal porträtiert. Hinzu kommen die Weimarer Papierhandschrift sowie die Wiener und die Kolmarer Liederhandschrift, von denen die beiden letztgenannten auch Melodien überliefern. Höhepunkte im Schaffen des Heinrich von Meißen sind die drei erhaltenen Leiche.

Der in mittelhochdeutschen Dichtungen verwendete Begriff Leich meint Gesangsstücke mit Instrumentalbegleitung. Er gehört neben dem Minnesang und der Sangspruchdichtung zu den drei Haupttypen der Lieddichtung des Mittelalters. Frauenlob schrieb zwei geistliche Leiche: einen zu Ehren Mariens, den sogenannten Marienleich. Den anderen widmete er dem Kreuz, und dieser heißt darum Kreuzleich. Beide Leiche befassen sich mit dem Thema Die Minne und die Welt. Damit gemeint ist das Verhältnis von ewiger himmlischer Liebe zur endlichen, irdischen Welt.

Unabhängig von dem zentralen Gedanken der Erlösung der Menschheit durch das Kreuz setzt sich die Hälfte der zweiundzwanzig Strophen des Kreuzleichs aus Themen der Dreifaltigkeit und der Unschuld zusammen. Der Lobpreis des Kreuzes beruft sich auf die grundlegende Einigung vom Niedergang und der Erlösung. Frauenlob bezieht sich dabei auf die Legende von Adam, der seinen Sohn Seth vom Sterbebett aus losschickt, um einen Ast vom Paradiesbaum zur Heilung zu holen. Seth kommt zu spät zurück und pflanzt den Spross auf das Grab seines Vaters, wo er zu einem mächtigen Baum emporwächst und später erst als Torpfosten in Salomons Tempel, dann als das heilige Kreuz dient. Folglich ist der Baum des Lebens wie auch der Baum des Todes körperlich und symbolisch der gleiche.

Am meisten überrascht die Deutung des Kreuzes als Mutter, wie es im 19. Lied heißt: Maria, die Jungfrau und Mutter, klagt am Fuß des Kreuzes, verflucht es und versucht mit dem Kreuz in Kontakt zu treten. Letztendlich kommt Frauenlob zu dem Schluss, dass das Kreuz mit Maria gleichzusetzen sei, da er in diesem Kontext keine Erlösung ohne die Omnipräsenz von Fruchtbarkeit (Maria) erkannte:

Des Christentumes Weideland – da hab ich das Kreuz eine Frau genannt. Sie gebar das lebende Leben, trug ein Kind ganz unbefleckt, behaupte ich eben.

In unserem Programm werden neben Frauenlobs Kreuzleich auch zwei gregorianischen Hymnen zu hören sein, die zu Psalmsonntag und zum Fest der Kreuzerhöhung am 14. September gesungen werden.

Neben den Sängerinnen kommen zu unserer Aufführung in Anlehnung an mittelalterliche Darstellungen drei weitere Musikerinnen mit typischen Instrumenten aus der damaligen Zeit hinzu: Die Fidel dient als ein Hauptinstrument, quasi als Orchester des Mittelalters und wichtiges Begleitinstrument für den Gesang. Eine vergleichbare Rolle kommt den diversen mittelalterlichen Block- und Traversflöten zu. Das Hackbrett (Psalterium) – heute wohl nur dank der Lieddichtung des barocken Theologen Joachim Neander (Psalter und Harfe, wacht auf) im Sprachschatz noch allgemeiner verankert – wird schon im Alten Testament beschrieben. Seine Blüte erlebte es im frühen Mittelalter gewissermaßen als Pflichtinstrument für adelige Damen. Gespielt wurde es mit einem Klöppel aus Holz, der mit Leder oder Filz überzogen ist.

Aus dem Mittelalter kennen wir nur wenige überlieferte Instrumentalstücke. Da sie keinen Text hatten, wurden sie normalerweise nicht aufgeschrieben. Die Instrumentalisten des Mittelalters spielten nicht nach Noten, sondern nach Gehör, und improvisierten in erster Linie. Ganz im Sinne der mittelalterlichen Musizierweise werden unsere Instrumentalistinnen mittelalterliche Themen aufgreifen, variieren und darüber improvisieren. So entstehen Meditationen, die die Lieder Frauenlobs kongenial ergänzen.

Maria Jonas

Mitwirkende

Ars Choralis Coeln Ltg. Maria Jonas – Gesang Heute tritt das Ensemble in folgender Besetzung auf: Nadine Balbeisi, Stefanie Brijoux, Maria Jonas, Pamela Petsch, Cora Schmeiser – Gesang Susanne Ansorg – Fidel, Glocken Lucia Mense – Flöten, Monochord Elisabeth Seitz – Hackbrett