2022/2023: Konzert 4

Sonntag, 11. Dezember 2022 Trinitatiskirche 17 Uhr

Christmas Contrasts

Weihnachtsmusik im Italien der Renaissance von Francesco Landini, Heinrich Isaac, Giovanni Paolo Cima, Francesco Soto, Girolamo Frescobaldi, Giovanni Animuccia, Johannes Ciconia, Serafino Razzi u.a. Capella de la torre Ltg. Katharina Bäuml – Schalmei Capella de la torre Sendung auf WDR 3 am 26.12.2022 ab 20.04 Uhr

Mit Gesang und Instrumenten durchwandert die Capella de la Torre in ihrem weihnachtlichen Programm die Zeiten und Landschaften Italiens vom Trecento über die Renaissance bis ins frühe 17. Jahrhundert. Unter die hochartifizielle Polyphonie aus dem Choralis Constantinus des Italienliebhabers Heinrich Isaac und die feierliche venezianische Mehrchörigkeit mischen sich da volkstümliche Lauden und beschwingte Weihnachtslieder.

Programmfolge

Giovanni Croce (1557–1609) Verbum caro factum est. Concerto für 3 Singstimmen und Basso continuo aus den Sacre cantilene concertate (Venedig 1610) Anonymus Tutti debiam cantare. Lauda zu 4 Stimmen Heinrich Isaac (um 1450–1517) Vultum tuum deprecabuntur. Introitus zu 4 Stimmen für Marienmessen von Weihnachten bis Mariä Reinigung aus dem Choralis Constantinus III (Nürnberg 1555) Fra Serafino Razzi (1531–1611) O Maria diana stella. Lauda zu 4 Stimmen aus dem Libro primo delle laudi spirituali (Florenz 1563) Heinrich Isaac Alleluja. Post partum virgo inviolata. Alleluja-Vers zu 4 Stimmen für Marienmessen von Weihnachten bis zum Fest Mariä Reinigung Francesco Soto de Langa (1534–1619) Nell’ apparir del sempiterno sole. Lauda zu 3 Stimmen aus dem Tempio armonico della beatissma Vergine (Rom 1599) Heinrich Isaac Regem regum intactae profundit. Sequenz zu 4 Stimmen für Marienmessen von Weihnachten bis zum Fest Mariä Reinigung Girolamo Frescobaldi (1583–1643) Capriccio pastorale zu 4 Stimmen aus den Toccate e partite d’intavolatura di cimbalo libro primo (Rom 1615) Giovanni Paolo Cima (um 1575–1630) Hodie Christus natus est. Motette zu 4 Stimmen aus dem Libro primo delli motetti (Mailand 1599) Johannes Ciconia (um 1375–1412) / Anonymus Gloria / Gaudete zu 4 Stimmen aus einem Manuskript in Bologna /der Sammlung Piae Cantiones (Greifswald 1582) Giovanni Animuccia (um 1514–1571) Levate su pastori. Lauda zu 3 Stimmen aus dem Primo libro delle laude spirituali (Rom 1583) Anonymus Quando nascette / Tu scendi dalle stelle neapolitanische Volksweisen zu 4 Stimmen Giovanni Animuccia E nato il grand Iddeo. Lauda zu 3 Stimmen aus dem Primo libro delle laude spirituali Anonymus Danza dei pastori zu 4 Stimmen aus Cesare Negris Abhandlung Le Gratie d’Amore (Mailand 1602) Giovanni Animuccia Hoggi la vita nasce. Lauda zu 3 Stimmen aus dem Secondo libro delle laude spirituali (Rom 1583) Francesco Landini (um 1325–1397) Angelica biltà. Ballata zu 2 Stimmen aus dem Codex Squarcialupi (Florenz um 1410) Giovanni Animuccia Ditene, o buon pastori. Lauda zu 3 Stimmen aus dem Secondo libro delle laude spirituali Anonymus Venite adoriamo. Lauda zu 3 Stimmen aus Istrien

Kontrastreiche Italianità

Allzu leicht wird heutzutage übersehen, welch ein Reichtum an musikalischem Repertoire aus der frühen Neuzeit auf uns gekommen ist, in von Land zu Land, aber auch von Region zu Region wechselnden Stilen und Besetzungen.

Italien, von jeher Traumziel und Sehnsuchtsort aller Musiker und Komponisten, soll heute Abend wie ein Roter Faden alle Programmteile verbinden und unser Gastland sein für die Christmas Contrasts. Durch die bewusste Kontrastierung verschiedener Stile zwischen 1400 und 1600 möchten wir dieses Repertoire neu beleben und unserem Publikum unerwartete Hörerlebnisse bieten. Es erklingen kontrapunktisch anspruchsvolle Kompositionen von Francesco Landini, Johannes Ciconia und selten gehörte Weihnachtsmusik des flämischen Italien-Liebhabers Heinrich Isaac. Feierliche Werke von Giovanni Croce und Giovanni Paolo Cima steht im Kontrast zu eingängigen Lauden von Fra Serafino Razzi und Francesco Soto sowie volkstümlich-beschwingten Weihnachtsliedern aus Süditalien.

Die Sätze von Isaac sowie die anonym überlieferte Danza de pastori erleben dabei

heute ihre erste neuzeitliche Aufführung.

Katharina Bäuml

Im reizvollen Wechsel zwischen einem refrainartigen Ensemblesatz und solistischen Passagen, die vom Generalbass begleitet werden, pendelt das geistliche Konzert Verbum caro factum est von Giovanni Croce, dem versierten Sänger und Kapellmeister am Markusdom in Venedig: Das Wort wurde Fleisch durch die Jungfrau Maria. Veröffentlicht hat er das Werk 1610, mithin zeitgleich zu jener epochalen Marienvesper, mit der sein späterer Amtsnachfolger Claudio Monteverdi noch von Mantua aus verschiedenste Satzmodelle der zeitgenössischen Kirchenmusik auslotete.

In anderen Musikzentren Italiens gaben in diesen Jahren des Übergangs vom alten Kirchenstil in kontrapunktischer Mehrstimmigkeit zum expressiven Sologesang und -spiel der Monodie oftmals die Organisten bedeutender Kirchen die künstlerischen Impulse. In Rom war es Girolamo Frescobaldi, der an der Orgel im Petersdom mit seinen virtuosen Tastenwerken neue Maßstäbe setzte und für mehrere Generationen zum Vorbild als Interpret und Komponist wurde. Unter den Toccaten und Partiten, die er erstmals 1615 veröffentlichte, findet sich auch jene weihnachtliche Pastorale, die heute Abend im vierstimmigen Ensemblesatz erklingt.

Frescobaldis Kollege Giovanni Paolo Cima, seit 1595 Organist und Musikdirektor der Kirche S. Celso in Mailand, präsentierte sich in seinen Notendrucken hauptsächlich als Vokalkomponist, beginnend mit einem Band vierstimmiger Motetten von 1599. Darin findet sich auch der weihnachtliche Jubel des Hodie Christus natus est in der feierlichen Form einander imitierender Stimmen, die sich erst zum fröhlichen Gloria-Ruf im beschwingten Dreier-Rhythmus vereinen.

Durch Gebete und Lobpreisungen an die Gottesmutter Maria sowie biblische Texte, die in marianischem Sinne gedeutet wurden, ließen sich die Komponisten immer wieder zu Vertonungen mit besonders innigen Melodien und Harmonien anregen. Das war nicht zuletzt jenen frommen Laienkongregationen zu verdanken, die sich seit dem Spätmittelalter nach dem Vorbild des Heiligen Franz von Assisi zur Andacht versammelten. Auf der Suche nach einer sinnlicheren Glaubenserfahrung außerhalb der kirchlichen Liturgie nutzten sie eigene Betsäle, die Oratorien. Bald auf Latein, bald in der Muttersprache wurden hier die Lauden angestimmt, eingängige geistliche Gesänge von zeitloser Schönheit, manchmal kunstvoll, meistens aber recht schlicht. In der ökumenischen Communauté de Taizé lebt diese Tradition noch in unserer Zeit weiter.

Neben dem einstimmigen Singen entwickelte sich bereits im Italien des 14. Jahrhunderts die Praxis, neue Gebetstexte auf schon vorhandene und beliebte mehrstimmige Sätze zu singen – und zu spielen, denn die Mitwirkung von Instrumenten war vielerorts üblich, auch wenn sie immer wieder das Missfallen theologischer Hardliner erregte. Unter den mehrstimmigen Stücken dominieren in diesem Repertoire akkordische Sätze im weltlichen Tanzlied-Stil der frottole und canzonette, die wiederum in der zunächst nur mündlich tradierten und improvisiert mehrstimmig ausgeführten Volksmusik wurzeln. Weltliche Gassenhauer mit geistlichen Texten populär zu machen, war also nicht nur das Erfolgsrezept der Reformation in Gestalt lutherischer Gemeindechoräle und einfacher calvinistischer Psalmlieder. Tutti debiam cantare gibt heute Abend einen ersten Eindruck von diesem italienischsprachigen Lauda-Repertoire – und zeigt gleichzeitig musikalische Verbindungen zu den Refrain-Abschnitten von Giovanni Croces Vokalkonzert auf.

Bei einigen der anonym überlieferten Vokalwerke im heutigen Programm handelt es sich ebenfalls um Lauden. Und auch das Vokalkonzert O Maria diana stella stammt aus diesem Kontext. Der Dominikaner Fra Serafino Razzi aus Florenz hat es 1563 in seinem Libro primo delle laudi spirituali veröffentlicht, einer Zusammenstellung von unterschiedlichsten Stücken außerliturgischer geistlicher Musik. In welchen Fällen er sich da nur als Kopist, auch als Arrangeur oder sogar als Komponist betätigt hat, lässt sich heute kaum mehr klären.

Klarer liegen die Verhältnisse bei Giovanni Animuccia. Als Kapellmeister am Petersdom in Rom seit 1555 schuf er für die päpstliche Cappella Giulia Motetten im kunstvollen kontrapunktischen Satz. Daneben betätigte er sich aber auch als Komponist für die bekannteste geistliche Bruderschaft im Rom der Gegenreformation, die Congregazione dell’Oratio des Filippo Neri. Für sie entstanden Animuccias mitreißende Laude spirituali, die sich in zwei posthum 1583 in Rom gedruckten Bänden finden. An der Seite von Animuccia brachte sich auch der Spanier Francisco Soto de Langa, ein Mitglied der päpstlichen Kapelle, für Neris Oratorianer ein, und zwar sowohl als Priester wie auch als Sopranist und Komponist.

Als Sänger war schon etwa ein Jahrhundert zuvor Heinrich Isaac aus seiner flämischen Heimat nach Italien gekommen. In Florenz wirkte er de facto als Hofkomponist der die Stadt beherrschenden Medici bis einige Monate nach dem Tod des Patrons Lorenzo. Kaiser Maximilian, der sich Mitte der 1490er-Jahre in Oberitalien aufhielt, wurde zum neuen Dienstherrn Isaacs, der nun im Gefolge des Habsburgers zwischen Italien, Deutschland und Österreich pendelte – und als seinen Altersruhesitz dann wieder Florenz wählte.

Mit einem Auftrag des Domkapitels in Konstanz zu einer Reihe liturgischer Kompositionen war Isaac 1508 vom dortigen Reichstag zurückgekehrt. Diese Offizien – je nach liturgischem Anlass wechselnde Gesänge zwischen den unveränderlichen Ordinariums-Teilen der Messe – erschienen erst Jahrzehnte nach Isaacs Tod in drei Teilen 1550 und 1555 in Nürnberger Drucken als Choralis Constantinus. Das sind beeindruckende vierstimmige Kompositionen im dichten kontrapunktischen Renaissance-Satz, die jeweils durch eine einstimmige Intonation eingeleitet werden.

Als der Erste in der langen Reihe franko-flämischer Musiker, die in Italien als Sänger und Komponisten Karriere machten, gilt Johannes Ciconia aus Lüttich an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert. In den 1390er-Jahren lebte er als Sänger des Kardinals Philippe d’Alençon in Rom, danach war er bis zu seinem Tod 1412 Musiker am Dom von Padua. Seine vierstimmige Gloria-Vertonung aus dem Mess-Ordinarium, die mit dem weihnachtlichen Lobgesang der Engel vor den Hirten von Bethlehem beginnt, lässt sich der römischen Zeit zuweisen und spricht die herbere musikalische Sprache des Spätmittelalters. Die beiden Oberstimmen geben in ihrer bewegten Linienführung den fröhlichen Duktus des Satzes vor, der in einem geradezu ausgelassenen Amen-Nachsatz seinen abschließenden Höhepunkt findet. Den jubelnden Gestus des Gloria greift ein anonymer Gaudete- Ruf auf, der erstmals 1582 in Noten aufgezeichnet wurde, aber mit Sicherheit wesentlich älter ist.

Für einen ersten künstlerischen Höhepunkt der mehrstimmigen Kompositionskunst in Italien sorgte schon zur Mitte des 14. Jahrhunderts der blinde Organist und Kaplan von San Lorenzo in Florenz, Francesco Landini. Von ihm sind nur Vertonungen weltlicher Texte überliefert – doch Verse wie die der zweistimmigen Ballata Angelica biltà, in denen die Ankunft einer engelsgleichen Schönheit auf Erden besungen wird, wurden damals auch als religiöse Allegorie auf das Wunder der Menschwerdung Gottes gehört. Bezeichnenderweise sind darüber hinaus mehr als ein Dutzend von Landinis Ballate mit geändertem Text auch als Lauden überliefert.

behe

Mitwirkende

Capella de la torre Ltg. Katharina Bäuml – Schalmei Heute spielt das Ensemble in folgender Besetzung: Katharina Bäuml – Schalmei | Hildegard Wippermann – Altpommer Yosuke Kurihara – Posaune | Regina Hahnke – Bassdulzian Mike Turnbull – Perkussion | Frank Pschichholz – Laute Johannes Vogt – Laute | Martina Fiedler – Orgel Margaret Hunter – Sopran | Florian Cramer – Tenor