2024/2025: Konzert 3

Sonntag, 3. November 2024 Trinitatiskirche 17 Uhr in Zusammenarbeit mit Bach 24 – ein Bach-Fest für Köln

Meister und Meisterschüler

Kammermusik von Johann Sebastian Bach und Johann Gottlieb Goldberg Ludus Instrumentalis Ltg. Evgeny Sviridov Ludus Instrumentalis Sendung auf WDR 3 am 28. November 2024 ab 20.03 Uhr

Dass der Name von Johann Gottlieb Goldberg heute noch bekannt ist, verdankt sich vor allem Johann Sebastian Bachs berühmten Goldberg-Variationen. Deshalb wird dieser späte Meisterschüler Bachs oft auf sein cembalistisches Virtuosentum reduziert. Zu Unrecht, betont das Ensemble Ludus Instrumentalis um den Geiger Evgeny Sviridov. Es präsentiert zum Beweis Triosonaten Goldbergs im Wechsel mit Kammerkompositionen Bachs.

Programmfolge

Johann Sebastian Bach (1685‒1750) Inventio Nr. 1 C-Dur, BWV 772.2 für Tasteninstrument (ausgeführt mit 2 Violinen) Johann Gottlieb Goldberg (1727–1756) Sonata C-Dur, DürG13 (olim BWV 1037) für 2 Violinen und Basso continuo Adagio – Alla Breve – Largo – Gigue e Presto Johann Sebastian Bach Sinfonia Nr. 9 f-Moll, BWV 795.2 für Tasteninstrument (ausgeführt mit 2 Violinen und Violoncello) Anonymus Sonata c-Moll (olim BWV 1024) für Violine und Basso continuo Adagio – Presto – Affetuoso – Vivace Johann Sebastian Bach Inventio Nr. 6 E-Dur, BWV 777.2 für Tasteninstrument Sonata G-Dur, BWV 1021 für Violine und Basso continuo Adagio – Vivace – Largo – Presto Inventio Nr. 7 e-Moll, BWV 778.2 für Tasteninstrument (ausgeführt mit Violine und Violoncello) Johann Gottlieb Goldberg Sonata a-Moll, DürG11 für 2 Violinen und Basso continuo Adagio – Allegro – Alla Siciliana – Allegro assai Johann Sebastian Bach Sonata G-Dur, BWV 1039 für 2 Traversflöten (Violinen) und Basso continuo Adagio – Allegro ma non presto – Adagio e piano – Presto

Meister der Musikgenies

Da er selbst die lehrreichsten Claviersachen gemacht hat, so führte er seine Schüler dazu an. Mit seinen Kindern u. auch anderen Schülern fieng er das Compositionsstudium nicht eher an, als bis er vorher Arbeiten von ihnen gesehen hatte, woraus er ein Genie entdeckte. – Ein Vierteljahrhundert nach dem Tod von Johann Sebastian Bach ruft hier der Sohn Carl Philipp Emanuel die Lehrmethode des Vaters in Erinnerung. Er selbst hatte diesen Unterricht vermutlich durchlaufen, nachdem die Familie 1723 aus der beschaulichen Residenz Köthen in die Universitäts- und Messestadt Leipzig gezogen war. Die Komponierstube des Thomaskantors war seitdem Anlaufpunkt für eine große Schar von musikalischen Talenten, die sich überwiegend aus der Studentenschaft vor Ort rekrutierte. Hinweise auf musikalische Details des Unterrichts dort gibt jenes Clavier-Büchlein, das Bach noch im Januar 1721 als Köthener Kapellmeister für seinen damals zehnjährigen ältesten Sohn Wilhelm Friedemann angelegt hat. Es liefert entsprechend lehrreiche zwei- und dreistimmige Tastenstücke – hier noch unter den Gattungsbezeichnungen Praeambulum bzw. Fantasia. Zwei Jahre später nennt Bach sie in einem neuen Manuskript Inventionen und Sinfonien und erläutert ihren pädagogischen Zweck: Sie gäben eine Anleitung nicht alleine (1) mit 2 Stimmen reine spielen zu lernen, sondern ach bey weiteren progreßen (2) mit dreyen obligaten Partien richtig und wohl zu verfahren, anbey auch zugleich gute inventiones nicht alleine zu bekommen, sondern auch selbige wohl durchzuführen, am allermeisten aber eine cantable Art im Spielen zu erlangen, und darneben einen starcken Vorschmack von der Composition zu überkommen.

Bis heute zählen diese mit allen Finessen des doppelten Kontrapunkts arbeitenden Miniaturen zum pädagogischen Kanon im Klavierunterricht. Im Licht der kammermusikalischen Werke des heutigen Programms glänzen sie aber auch als brillante Präludien und Intermezzi – nicht nur für Cembalo.

Zeigte nun ein Schüler Genie zur Composition, zog Bach auch die kammermusikalische Sonaten-Form im Unterricht heran. Sie forderte mit der Aufteilung von zwei oder mehr Stimmen auf Solo- und Begleitinstrumente und der mehrteiligen Satzfolge einen noch höheren Grat an satztechnischer Perfektion und Phantasie in der Themenfindung. Ein Musterbeispiel aus der Feder des Meisters bietet das vollendete Zwiegespräch zwischen solistischer Violine und begleitender Generalbass-Stimme in Bachs Sonate G-Dur BWV 1021. Nicht weniger formvollendet erscheint jene Sonata c-Moll, die anonym in einer Kopie des kurfürstlichen Dresdner Konzertmeisters und Violinvirtuosen Johann Georg Pisendel überliefert ist. Er war mit Bach seit dessen frühen Weimarer Hoforganisten- Tagen befreundet – und könnte die Sonate auch komponiert haben. Oder aber der sächsische Geiger Johann Gottfried Vogler, der im Dezember 1718 auch am Köthener Hof gastierte und dessen Kopie des Werks beim musikbegeisterten Grafen Rudolf Franz Erwein von Schönborn im fränkischen Wiesentheid landete. Oder ist doch Bach der Komponist?

Unter der Nummer 1024 präsentierte jedenfalls 1950 die Erstauflage des Bach-Werke-Verzeichnisses diese Sonate.

Darin fand sich damals als BWV 1037 auch eine Sonata C-Dur, die im 18. Jahrhundert ebenso unter Bachs Namen kursierte wie unter dem seines Schülers Johann Gottlieb Goldberg. Heute ist man aber sicher, dass es sich um einen echten Goldberg handelt. Was andererseits bedeutet, dass keine Triosonaten-Komposition Bachs in der klassischen barocken Besetzung mit zwei Violinen und Basso continuo existiert. Weshalb im heutigen Programm Bachs Sonate G-Dur BWV 1039 für zwei Traversflöten und Continuo in einer Streicherfassung den direkten kompositorischen Vergleich zwischen Meister und Meisterschüler bietet.

Tatsächlich gemahnt in den Kompositionen Goldbergs vieles in der musikalischen Gestaltung an Bach – allgemein die Vorliebe für kontrapunktische Satzbildungen mit oft bizarren harmonischen Ideen; konkret das Fugenthema des zweiten Satzes aus Goldbergs C-Dur-Sonate, das sich nahezu identisch im Schlusssatz von Bachs Weimarer Altsolo-Kantate Widerstehe doch der Sünde findet.

Das besondere kompositorische Talent des Johann Gottlieb Goldberg mag auch der Grund gewesen sein, dass Wilhelm Friedemann Bach als Dresdner Sophienorganist das junge musikalische Genie weiter nach Leipzig zum Vater empfahl. Nach Dresden gekommen war der in Danzig geborene Goldberg 1736. Dem Grafen Hermann Carl Keyserlingk, damals russischer Gesandter am sächsischen Hof und ein großer Gönner der Bach-Familie, war das zehnjährige Wunderkind auf einer seiner Diplomatenreisen aufgefallen; bald machte er Goldberg zu seinem Privat- Cembalisten. Dessen Wechsel nach Leipzig fand spätestens 1746 statt – aus diesem Jahr stammt seine Kirchenkantate Durch die herzliche Barmherzigkeit, vermutlich Goldbergs Leipziger Meisterstück, das dann unter Bachs Leitung zur Aufführung kam. 1751 wechselte Goldberg aus Keyserlingks Diensten in die Dresdner Privatkapelle des sächsischen Premierministers Graf Heinrich von Brühl.

Heute verbindet sich sein Name vor allem mit den Goldberg-Variationen seines Lehrers, die Bach einer Anekdote zufolge für Keyserlingks Cembalisten komponiert haben soll. In der Druckausgabe, die 1741 als vierter Teil von Bachs Clavier-Übung erschien, fehlt aber nicht nur jeder Hinweis auf Goldberg, sondern auch die zu erwartende Widmung an dessen Dienstherrn.

Die Mischung aus galantem Ton und kontrapunktischer Kunst, die Bachs Goldberg-Variationen kennzeichnet, findet sich nun auch in Goldbergs Triosonate a-Moll. Die blickt im finalen Allegro assai auch schon in eine neue Zeit – die des Sturm und Drang. Sich entschiedener dem neuen Stil der Empfindsamkeit zu öffnen, war Goldberg allerdings nicht mehr vergönnt: Er starb in Dresden 1756 mit nur 29 Jahren, keine sechs Jahre nach seinem Leipziger Meister.

behe

Mitwirkende

Ludus Instrumentalis
Ltg. Evgeny Sviridov – Violine

Das Ensemble spielt heute in folgender Besetzung:
Evgeny Sviridov, Anna Dmitrieva – Violine
Davit Melkonyan – Violoncello
Liza Solovey – Theorbe
Stanislav Gres – Cembalo