2024/2025: Konzert 7
Concerto delle donne
Musik für ein weibliches Eliteensemble in Ferrara von Luzzasco Luzzaschi, Orlando di Lasso, Claudio Monteverdi u.a. Dorothee Mields | Barbara Zanichelli | Kateřina Blížkovská Ensemble Between the Strings Ltg. Margret Koell – Harfe

Viele Fürsten schenkten ihren Frauen Schmuck, Gewänder oder auch Paläste. Herzog
Alfonso II. d’Este in Ferrara machte seiner Gattin Madrigale zum Präsent. Beinahe
jeden Abend sangen und musizierten die besten Musikerinnen des Hofes diese Werke
in den privaten Gemächern vor einer erlesenen Hörerschaft. Nur zögernd gewährte
der Fürst auch ausgewählten Musikern wie Orlando di Lasso und Claudio Monteverdi
Zutritt zu diesen Concerti delle donne
. Heute erschließen sich Margret Koell
und ihr Ensemble das erlesene Repertoire gemeinsam mit einem vokalen Spitzentrio:
Dorothee Mields, Barbara Zanichelli und Kateřina Blížkovská.
Programmfolge
Girolamo Frescobaldi (1583–1643)
Toccata II für Cembalo
Toccate e Partite d’intavolatura di cimbalo, Libro I (Rom 1615)
Giulio Romano Caccini (1545–1618)
Belle rose porporine
Le nuove musiche (Florenz 1601/02)
Luzzasco Luzzaschi (um 1545–1607)
T’amo, mia vita
Stral pungente d’Amore
Madrigali … per cantare, et sonare a uno, e doi, e tre soprani (Rom 1601)
Giovanni Bassano (1551/52–1617)
Suzanne un jour
Diminutionen für Viola bastarda zu einer Chanson von Orlando di Lasso
Motetti, madrigali et canzone francese … diminuiti (Venedig 1591)
Giulio Caccini
Alme luci beate
Nuove musiche e nuova maniera di scriverle (Florenz 1614)
Carlo Gesualdo (1566–1613)
Gagliarda del Principe di Venosa
Instrumentalsatz zu 4 Stimmen (Manuskript Neapel)
Luzzasco Luzzaschi
Troppo ben può questo tiranno Amore
Madrigali per cantare, et sonare
Claudio Monteverdi (1576–1643)
Zefiro torna, e di soavi accenti
Scherzi musicali (Venedig 1632)
Pause
Claudio Monteverdi
Hor, care canzonette
Canzonette a tre voci, libro primo (Venedig 1584)
Luzzasco Luzzaschi
O dolcezz’ amarissime d’Amore
Madrigali per cantare, et sonare
Carlo Gesualdo
Canzon francese del Principe
Instrumentalsatz zu 4 Stimmen (Manuskript London)
Luzzasco Luzzaschi
Aura soave
Occhi del pianto mio cagione
Madrigali per cantare, et sonare
Vincenzo Galilei (1520–1591)
Vestiva i colli
Diminutionen für Laute zu einem Madrigal von Giovanni Pierluigi da Palestrina
Fronimo (Venedig 1568)
Claudio Monteverdi
O come sei gentile
aus: Concerto. Settimo libro de Madrigali (Venedig 1619)
Quel sguardo sdegnosetto
aus: Scherzi musicali
Luigi Rossi (um 1597–1653)
Pene, pene, ahi, chi vuol pene
für 3 Singstimmen und Basso continuo (Manuskript Bologna)
Salomone Rossi (um 1570 – um 1630)
Gagliarda detta Marchesino
Instrumentalsatz zu 4 Stimmen
aus: Il primo libro delle Sinfonie et Gagliarde (Venedig 1607)
Luigi Rossi
Fan battaglia
für 3 Singstimmen und Basso continuo (Manuskript Bologna)
Weibliche Avantgarde
Das oberitalienische Herzogtum Ferrara war bis Ende des 16. Jahrhunderts fest in der Hand der Adelsfamilie Este, die sich nicht nur die Absicherung und kontinuierliche Ausdehnung ihrer Macht auf die Fahnen geschrieben hatte, sondern auch die Förderung der Künste. Für Generationen hatte sie die besten franko-flämischen Sängerkomponisten verpflichtet, solange deren komplexe Vokalpolyphonie den musikalischen Geschmack bestimmte, darunter Josquin Desprez, Jacob Obrecht, Adrian Willaert und Cipriano de Rore.
Herzog Alfonso II. d’Este, der seit 1556 in der Nachfolge seines Vaters über Ferrara, Modena und Reggio herrschte, hatte offenbar ein Faible für weibliche Sopranstimmen. Als 1579 die Hochzeit des 46-Jährigen mit der 15-jährigen Margherita Gonzaga aus Mantua bevorstand (es war seine dritte Ehe), entschied er sich, der Braut ein privates Musikensemble zum Geschenk zu machen. Dieses Concerto delle Donne setzte sich im Kern aus drei hervorragenden Sängerinnen zusammen, die sich selbst auf Instrumenten begleiten konnten: Die 30-jährige Hofdame Laura Peverara spielte Harfe, die 17-jährige Anna Guarini, eine Tochter des berühmten Literaten Giovanni Battista Guarini, produzierte sich auch auf der Laute; hinzu kam aus Mantua die 15-jährige Livia d’Arco, die sofort Gambenunterricht bei Luzzasco Luzzaschi erhielt. Der ehemalige Schüler von Cipriani de Rore wirkte in Ferrara als Kathedralorganist und Hofkapellmeister in Personalunion, und er sorgte auch für das Repertoire der drei Sängerinnen. Dazu komponierte er vor allem neuartige konzertante Madrigale, in denen das Trio nicht nur die Schönheit seiner Stimmen entfalten konnte, sondern auch eine ungeahnte Virtuosität. Darüber hinaus begleitete Luzzaschi die Darbietungen am Cembalo, gemeinsam oder im Wechsel mit dem Lautenisten Ippolito Fiorini.
Zeitgenössische Berichte sprechen davon, dass die drei Damen tagtäglich mit nie versiegender Souveränität vor Margherita und Alfonso musizierten. Kaum jemand sonst aber kam in den Genuss, diesen zauberhaften Darbietungen zu lauschen. Denn das Herrscherpaar gewährte nur einem handverlesenen Kreis Zutritt. Und eifersüchtig sah Alfonso darauf, dass die Notenbände mit dem besonderen Repertoire nach Gebrauch wieder weggeschlossen wurden.
Zu den illustren Zuhörern gehörten allerdings immer wieder renommierte Musiker, denen der Herzog die Kunst der drei Damen mit Stolz vorführte. Tief beeindruckt von dem dort erlebten konzertanten Gesang, integrierten sie ihn bald in ihre eigenen Kompositionen, so dass sich dieser Stil rasch auch außerhalb Ferraras verbreitete.
Als Alfonso 1597 ohne Nachkommen starb, musste auch Luzzaschi seine Kompositionen nicht länger unter Verschluss halten: 1601 ließ er seine Madrigali a uno, due e tre soprani in Rom drucken. Inzwischen hatte sich der Kirchenstaat das Herzogtum Ferrara einverleibt. Laura Peverara und Livia d’Arco traten 1598 noch ein letztes Mal auf, als die kaum 14-jährige Margarete von Österreich auf dem Weg zur Hochzeit mit Philipp von Spanien in Ferrara Station machte. Anna Guarini lebte da schon nicht mehr. 1584 war die junge Frau mit dem wesentlichen älteren Grafen Ercole Trotti vermählt worden, der ihr weiteres Wirken am Hof mit Eifersucht verfolgte und sie bald des Ehebruchs bezichtigte. Der Protektion des Herzogs beraubt, wurde sie von ihrem Mann am 3. Mai 1598 ermordet.
Die Kunst des Concerto delle Donne lebte weiter. Wie im Kleinen am Hof der Este, so vollzog sich in der gesamten europäischen Musik allmählich der Wandel von der hochintellektuellen kontrapunktischen Vokalpolyphonie der Renaissance zur sinnlichen Expressivität harmoniegestützter solistischer Melodiestimmen. Claudio Monteverdi setzte dabei wichtige Marksteine, der große Revolutionär der Vokalmusik an der Stilwende um 1600. Als Kapellmeister am Markusdom in Venedig veröffentlichte er 1632 sein siebtes Madrigalbuch, dem er den Beinamen Concerto gab. Doch schon dreieinhalb Jahrzehnte früher, noch bevor er in den Dienst der Gonzaga in Mantua trat, hatte er als 17-Jähriger liedhaft-lockere Canzonette für eine bis drei Stimmen veröffentlicht. Konzertante generalbassbegleitete Werke finden sich außerdem in den Scherzi musicali von 1632, so das Duett „Zefiro torna“ über einem eingängigen Ciaccona-Bassmodell.
Solche hochvirtuose oberstimmenbetonte Kunst erwecken die Interpretinnen des heutigen Nachmittags zu neuem Leben. Die vokalen Partien von Laura Peverara, Livia d’Arco, Anna Guarini und ihren Nachfolgerinnen im frühen 17. Jahrhundert liegen jetzt in den Händen und Stimmen von Dorothee Mields, Barbara Zanichelli und Katerina Blízkovská. Margret Koell, Frauke Hess, Elisa la Marca und Federica Bianchi begleiten sie nicht nur, sie richten in fulminanten Soli auch den Blick auf die außergewöhnlichen instrumentalen Fähigkeiten des Concerto delle Donne.
Eine der aus dem Improvisieren geborenen Toccaten von Girolamo Frescobaldi stimmt auf die folgende Vokalkunst ein. Der europaweit berühmte Organist am Petersdom in Rom kam aus Ferrara und war bei Luzzaschi in die Lehre gegangen. In Florenz wurde der Sänger und Multiinstrumentalist Giulio Caccini zum führenden Kopf der Camerata Fiorentina, eines Zirkels, der aus Ideen der Antike neue vokale Ausdrucksmöglichkeiten entwickelte. Die Gesänge Caccinis, die 1601 oder im Jahr darauf unter dem programmatischen Titel Le nuove musiche erschienen, entfalten dazu eine große Bandbreite an melodischen Ideen und vokaler Finesse. In der Karnevalssaison 1583 hatte Caccini in Ferarra das Concerto delle Donne erlebt. Nach 1600 kopierte er es erfolgreich in Auftritten mit seiner Frau Margherita und seinen auch komponierenden Töchtern Francesca und Settimia.
Besonders frappierend am Vortrag des Concerto delle Donne war offensichtlich die Kunst des höchst beweglichen, zu schnellsten Notenfolgen und kleinsten Verzierungsdetails fähigen Gesangs, der letztlich die fingerfertige Geläufigkeit der Instrumentalkunstmit der menschlichen Stimme imitierte. Die Damen in Ferrara und ihre Kolleginnen andernorts zeichneten sich dadurch aus, dass sie sowohl vokal als auch instrumental höchst versiert waren – da befruchteten sich die musikalischen Disziplinen offenbar gegenseitig.
Lange verwendeten die Instrumentalisten einfach Vokalmusik, um darüber mit überbordendem Passagenspiel zu improvisieren. Beispielhaft hat der venezianische Zinkenist Giovanni Bassano diese Kunst in seiner Verzierungslehre von 1591 dargelegt, unter anderem an einer beliebten fünfstimmigen Chanson des Münchner Hofkapellmeisters Orlando di Lasso, „Suzanne un jour“.
Vincenzo Galilei, der Vater des Universalgelehrten Galileo Galilei, war als Lautenist und Musiktheoretiker wie Caccini ein Mitglied der Florentiner Camerata. In seinem Fronino von 1568 liefert er reichlich Beispiele für die Übertragung von Vokalwerken auf die Laute – darunter die populärste Madrigalvertonung des römischen Kapellmeisters Giovanni Pierluigi da Palestrina, das fünfstimmige „Vestiva i colli“.
Ein hervorragender Lautenist war auch Carlo Gesualdo, Fürst von Venosa. Vor allem als Schöpfer hochexpressiver Madrigale, in denen er mit reichlich dissonanten Akkorden die Grenzen des seinerzeit Üblichen kühn überschritt, ging er in die Musikgeschichte ein. Und als Mörder seiner ersten Ehefrau, die er mit einem Liebhaber 1590 in flagranti gestellt hatte; dafür konnte er als Adeliger nicht zur Rechenschaft gezogen werden. 1593 kam Gesualdo nach Ferrara, um eine Cousine von Alfonso d’Este zu heiraten. Natürlich durfte er dem Concerto delle Donne beiwohnen, und er trat daraufhin in engen künstlerischen Austausch mit Luzzaschi. Auch in seinen handschriftlich überlieferten Instrumentalsätzen klingt die Zeit in Ferrara nach.
Salomone Rossi war in Mantua als Violinvirtuose an der Seite Monteverdis. Er dürfte mit seiner Kunst auch die Ausgestaltung der Instrumentalpartien in dessen Debüt-Oper L’Orfeo von 1607 beflügelt haben. Im selben Jahr veröffentlichte Rossi seine Sammlung mit repräsentativen Sätzen zum höfischen Zeremoniell und zum Tanz.
Am Ende des Programms stehen mit konzertanten Madrigalen von Luigi Rossi Vokalwerke für drei Singstimmen aus der auf Monteverdi folgenden Generation. Der hervorragende Sänger Rossi, der auch Cembalo, Harfe und Laute spielte, war als junger Schüler des neapolitanischen Hofkapellmeisters Giovanni de Macque mit Gesualdo in Kontakt gekommen. Als Musiker der Adelsfamile Borghese in Rom heiratete er mit Costanza de Ponte eine Hofdame, die sich ebenfalls als Sängerin und Harfenistin betätigte. Auch in anderen römischen Adelspalästen und selbst bei den Medici in Florenz war das Paar bald gern gesehen und gehört. Auf Einladung des Kardinals Giulio Mazzarini, der inzwischen als regierender Minister Mazarin die Geschicke Frankreichs lenkte, machte sich Rossi in den 1640er Jahren als Opernkomponist sogar in Paris einen Namen.
Mitwirkende
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Dorothee Mields Sopran |
Barbara Zanichelli Sopran |
Kateřina Blížkovská Mezzosopran |