Saison 2002/2003: Konzert 6

Sonntag, 9. Februar 2003 17 Uhr Sendesaal des Deutschlandfunks

Haydn, Beethoven, Schubert

Klaviertrios Daniel Sepec - Violine Jean-Guihen Queyras - Violoncello Andreas Staier - Fortepiano Sendung im Deutschlandfunk am 18.2.2003

Wenn sich drei in der musikalischen Welt namhafte Solisten zum Triospiel zusammen finden, darf man erhoffen, was Goethe einst vom Quartettspiel erhoffte: "ein musikalisches Gespräch vernünftiger Leute". Vom Lehrer Beethovens, Joseph Haydn, wird das E-Dur-Trio Hob. XV:28 erklingen, von Beethoven selbst das c-Moll-Trio op. 1,3, von dem Haydn gesagt haben soll, "er habe nicht geglaubt, dass dieses Trio so schnell und leicht verstanden und vom Publikum so günstig aufgenommen werden würde". Erst nach Beethovens Tod wagt sich Franz Schubert an die Gattung Klaviertrio und steuert ein Werk zum Programm bei, dessen "musikalisches Gespräch" von Gedankenreichtum und überquellender Fülle zeugt.

Programmfolge

Ludwig van Beethoven (1770-1827) Trio c-Moll op. 1,3 Allegro con brio Andante cantabile con variazioni Menuetto - Trio Finale. Prestissimo Joseph Haydn (1732-1809) Trio E-Dur Hob. XV:28 Allegro moderato Allegretto Finale. Allegro Pause Franz Schubert (1797-1828) Trio B-Dur op. 99, D 898 Allegro moderato Andante con poco mosso Scherzo. Allegro - Trio Rondo. Allegro vivace

Auflösung der Hierarchien

Kammermusik: aristokratische Herkunft verrät ihr Name, und eine künstlerisch anspruchsvolle Haltung erwartet sie von Interpreten und Zuhörern gleichermaßen. Aus dem mehr oder weniger klein besetzten Musizieren an Fürstentafeln, vor allem aber in den herrschaftlichen Musikzimmern und Gemächern - eben höfischen "Kammern" - erwachsen, beschreibt sie auch heute noch einen Ort höchster musischer Konzentration, an dem das kompositorisch Wesentliche zur Geltung gelangen kann, das Subtile Gehör findet. Rein höfischen Sphären ist die Kammermusik längst entwachsen; das Bürgertum entdeckte sie seit dem 18. Jahrhundert mit zunehmendem Selbstbewusstsein (auch) für sich, was um so leichter fiel, je deutlicher der Adel vom Komponieren und Mit-Musizieren Abstand nahm und sich aufs Zuhören beschränkte. "Kenner und Liebhaber" verschiedener Stände sind es denn auch, denen sich die Komponisten zur Zeit der Wiener Klassik zuwenden, einer musikgeschichtlichen Epoche, in deren Zentrum 1789 die historische Zäsur der französischen Revolution fällt, mit ihren für ganz Mitteleuropa bedeutsamen machtpolitischen Konsequenzen. Die liberalen Bewegungen der politischen Umbrüche erreichten Wien selbst nur in sehr abgeschwächter Form; die Habsburger-Monarchie und der mit ihr verbundene Adel bestimmten weiterhin das gesellschaftliche Leben. Dies zunächst durchaus zum Nutzen der Kunst, wie das aufgeklärte Musikmäzenatentum der Adelsfamilien Esterházy, Lichnowsky, Lobkowitz und Razumovskij vielfältig belegt. Unter den restaurativen Repressalien des regierenden Fürsten Metternich sahen sich die Künstler in Österreich seit 1815 allerdings einem außerordentlichen Zensurdruck ausgesetzt - davon wussten Franz Schubert und sein Freundeskreis mehr als nur ein Lied zu singen.

In engem Zusammenhang mit diesen gesellschaftlichen Entwicklungen steht die Beobachtung, dass die Kammermusik sich nun neben Orchester- und Chorwerken auf den öffentlichen Podien präsentierte - aber auch das genaue Gegenteil tat und sich in die Salon-Atmosphäre privater Zirkel zurückzog. Das lässt sich am deutlichsten an der Kammermusik mit Klavier ablesen, in deren Mittelpunkt ebenjenes Instrument steht, das seit dem 19. Jahrhundert im Konzertsaal ebensowenig fehlen durfte wie im musikalischen Haushalt. Von der reinen Begleitfunktion als harmoniefüllendes Continuo-Instrument einer Solo- oder Triosonate hatte sich das Cembalo als Standard-Klavierinstrument des Barock schon vereinzelt, der neu entwickelte Hammerflügel in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dann mit Entschiedenheit emanzipiert. Das war nicht zuletzt den Fortschritten im Instrumentenbau zu verdanken, die ein flüssigeres, dynamisch nuanciertes Spiel des "Fortepiano" gestatteten. Die Komponisten griffen die neuen Möglichkeiten bereitwillig auf.

An den rund vierzig Klaviertrios, die Joseph Haydn komponierte, lässt sich die Veränderung des Klavieridioms deutlich ablesen, beschäftigte sich der "Vater der Wiener Klassik" doch in nahezu allen Schaffensperioden immer wieder mit dieser Gattung. Haydn konzipierte seine Klaviertrios als ausgesprochene Sonaten für Tasteninstrument mit begleitender Violine und einer Cellostimme, die den "Clavier"-Bass mit einigen Varianten verstärkt. Dabei rechnen die Werke der 1750er und 1760er Jahre noch mit dem Cembalo, deuten Artikulationsdetails erst in den Trios Hob. XV:5-17, die seit Mitte der 1780er Jahre in Diensten des Fürsten Eszterházy entstanden, auf das neuere Fortepiano hin.

Zu den bedeutendsten seiner Trio-Kompositionen animierten ihn dann während seines zweiten England-Aufenthaltes 1793-1795 offensichtlich die inzwischen anschlagtechnisch weiterentwickelten, ton- und klangreicheren Instrumente des Londoner Klavierbauers John Broadwood. Diese Trios veröffentlichte Haydn - meist in Dreiergruppen - bei englischen Verlegern und eignete sie fast ausnahmslos Damen der Gesellschaft diesseits oder jenseits des Kanals zu, die es verstanden, auf dem Klavier zu brillieren. Die Trios Nr. 27-29 erschienen 1797 im Verlagshaus Longman & Broderip. Haydn widmete sie der Londoner Pianistin Therese Jansen, bei deren Heirat (mit dem Sohn des Kupferstechers Francesco Bartolozzi) er im Mai 1795 als Trauzeuge fungiert hatte. Da überrascht es nicht, wenn eine konzertant-virtuose Klavierstimme die beiden schnellen Rahmensätze im E-Dur-Trio Hob. XV:28 beherrscht, von denen das eröffnende Allegro in klassischer Sonatensatzform, das Finale als effektvoll mit den Gegensätzen von Dur- und Molltonarten spielendes Rondo gestaltet ist. Der zweite Satz, ein Allegretto in der Moll-Variante der Grundtonart, bleibt da melancholische Episode.

Noch während Haydn in London weilte, veröffentlichte in Wien im Sommer 1795 Ludwig van Beethoven drei Klaviertrios als sein Opus 1. Diesem Œuvre waren zwar schon mehrere Werk-Publikationen vorausgegangen, doch fühlte der 25-Jährige sich nun endgültig den Lehrjahren entwachsen. Berühmt ist die Reaktion Haydns, der einer frühen (wenn nicht der ersten) Aufführung der Trios in einer Soirée des Widmungsträgers, Fürst Karl von Lichnowsky, beiwohnte: Er lobte zwar die Kompositionen seines Schülers, hielt aber Beethovens Idee, auch das dritte, in c-Moll stehende Werk zu veröffentlichen, für bedenklich, da er fürchtete, es könne vom Publikum nicht verstanden und daher auch nicht günstig aufgenommen werden.

Eine verständliche, aber, wie der Erfolg der Publikation zeigte, doch unbegründete Sorge. In der Tat sprengt dieses Trio die damals gewohnten kammermusikalischen Konventionen in mehrfacher Hinsicht, weitet es die Komposition in Richtung sinfonischer Dimensionen und Gehalte. Vier Sätze gewähren den beteiligten Instrumenten nun nahezu gleichberechtigte Entfaltungsmöglichkeiten, sei es im dramatischen Gestus der rahmenden Sonatensatzformen, die den Kontrast zwischen Haupt-und Seitenthema (Moll-Dur bzw. Motorik-Melos) ausleben, sei es in der kantabel anhebenden Liedvariation, die dem Eröffnungssatz folgt, oder im Menuett, das die Sphäre höfischer Etikette verlassen hat und in keckem Moll-Ton die Scherzi Beethoven'scher Sinfonien vorwegnimmt. - Ein unruhiges, beunruhigendes Werk, das dem Hörer ein distanziertes Goutieren kaum gestattet. Bemerkenswerter Weise steht es in jener "schicksalhaften" Moll-Tonart, derer sich auch mehrere weitere herausragende Schöpfungen Beethovens bedienen sollten.

Dass die Werke der Wiener Klassiker dem Wiener Lehrersohn Franz Schubert als meisterhafte Vorbilder dienten, dürfte kaum überraschen. Da verwundert es schon eher, dass Schubert sich in seiner Kammermusik zunächst nahezu ausschließlich an Haydns und Mozarts Kunst schulte, bis er sich dann erst seit seinem "Klaviersonatenjahr" 1817 mehr und mehr die Werke seines unmittelbaren Zeitgenossen Beethovens erschloss (den er auch persönlich kennen lernte). Schubert orientierte sich nun nicht nur formal-analytisch an den konstruktiven Elementen der Beethoven'schen Kompositionstechnik, sondern übernahm gleichzeitig dessen vollstimmigen, klangreichen Klavierstil, der dem Fortepiano nachhaltig den Weg auf die Podien der großen Säle geebnet hatte - den Weg also, auf den sich bald auch Schubert als Komponist begeben wollte.

Schuberts Auseinandersetzung mit dem Klaviertrio fällt, abgesehen von einem Satz aus jugendlichen Tagen, in seine letzten Lebensjahre 1827/28. Die beiden viersätzigen Werke in Es-Dur op. 100 (D 929) und B-Dur op. 99 (D 898) sowie der vielleicht als Alternativsatz zu einem der beiden komponierte Triosatz Es-Dur (D 897) orientieren sich im intellektuellen Anspruch deutlich an Beethovens Trios, weniger allerdings an deren klavieristischer Virtuosität. Gleichzeitig unterscheiden sich op. 99 und op. 100 deutlich in ihrem Charakter, was Robert Schumann dazu brachte, das Es-Dur-Trio als "handelnd, männlich, dramatisch", das B-Dur-Trio dagegen als "leidend, weiblich, lyrisch" zu apostrophieren.

Das B-Dur-Trio verzichtet denn auch auf virtuoses Pathos; das deuten schon die Extreme meidenden Satzbezeichnungen an (das heiter-lebhafte Rondo wartet gleichwohl mit einer kurzen Schlusssteigerung im Presto auf). Ungewöhnlich, wie sich das Klavier bereits im Eröffnungssatz in eine Begleitrolle fügt, sofern es nicht in der Zwiesprache mit den Streichern melodisch Bedeutsames durch Oktav-Unisoni herausstellt. Der deutlichste Kontrast innerhalb des Satz-Zyklus entsteht zwischen dem lyrischen Andante und dem beschwingten Scherzo. Dem folgt das abschließende Rondo als Ausdruck einer originellen Symbiose von kantabler Motivik und tänzerischer Rhythmik. - Kein Wunder, dass dieses auch dank Schuberts Klanggespür so ungemein reizvolle Werk seit der postumen Erstveröffentlichung durch Diabelli 1836 zu seinen beliebtesten Kammermusikkompositionen zählt.

behe

Mitwirkende

Daniel Sepec - Violine
Jean-Guihen Queyras - Violoncello
Andreas Staier - Fortepiano