Saison 2004/2005: Konzert 5

Sonntag, 23. Januar 2005 17 Uhr Sendesaal des Deutschlandfunks

Johann Sebastian Bach

Musik »a due« Dorothee Oberlinger, Blockflöte Christian Rieger, Cembalo D. Oberlinger, Chr. Rieger Sendung im Deutschlandfunk am 1.2.2005

Kleiner geht's nicht - feiner auch nicht! Zu zweit - a due - ist die ideale Besetzung für die Flauto dolce, die in Solowerken und Kammermusik-Kompositionen Johann Sebastian Bachs erklingt. Direkter als zwischen diesen beiden kongenialen Kammermusik-Partnern ist wohl kaum ein musikalischer Dialog denkbar, bieten doch die Kompositionen geradezu einen Kosmos an Komplexität und unendlichen Stoff für gemeinsam durchdachte Interpretationen. Neben dem Basso continuo sorgen verschiedene Flötentypen und unterschiedliche Stimmtonhöhen für Farbigkeit.

Programmfolge

Johann Sebastian Bach (1685-1750)

Sonate G-Dur
für Altblockflöte und obligates Cembalo
nach der Triosonate für Orgel Es-Dur BWV 525
Alla breve
Adagio
Allegro

Partita a-Moll BWV 1013
für Blockflöte (Traversflöte) solo
Allemanda
Corrente
Sarabande
Bourée anglaise

Sonate c-Moll BWV 1017
für Voiceflute (Violine) und obligates Cembalo
Largo
Allegro
Adagio
Allegro

Pause

Sonate E-Dur BWV 1035
für Altblockflöte (Traversflöte) und Basso continuo
Adagio ma non tanto
Allegro
Siciliano
Allegro

Präludium, Fuge und Allegro Es-Dur BWV 998
für Cembalo

Sonate h-Moll BWV 1030
für Altblockflöte (Traversflöte) und obligates Cembalo
Andante
Largo e dolce
Presto

Trios fürs Duo

Ein auslösendes Moment für die Planung des heutigen Konzerts war für uns die bewusste Wahl einer kleinstmöglichen Kammermusikbesetzung "a due" (in diesem Fall Blockflöte und Tasteninstrument). Einerseits ist eine solche Besetzung für den in Italien so treffend bezeichneten flauto dolce ideal - besonders im Konzert, in dem keine Verstärkung durch Aufnahmemikrophone helfen kann. Andererseits ist der musikalische Dialog, eine unmittelbare Auseinandersetzung und Zusammenarbeit hier in besonderem Maße möglich. Ein Programm mit Werken Johann Sebastian Bachs erscheint im Fall einer solch intimen Besetzung sehr geeignet, denn seine Kompositionen bieten für beide Instrumentalpartner einen ungeheuren Kosmos an Komplexität und unendlichen Stoff für eine gemeinsam durchdachte Interpretation. So haben wir Werke für verschiedene Instrumente bearbeitet - Violine, Traversflöte, Orgel - überwiegend für eine Besetzung mit Blockflöte und obligatem, also mit dem Melodieinstrument dialogisierendem und nicht nur begleitendem Cembalo. Lediglich in einer Sonate dient das Tasteninstrument als reine Continuo-Stütze - in einem galanten Stück, das dem Programm eine weitere stilistische Note verleiht.

Dorothee Oberlinger · Christian Rieger

Der Clavierist und die Flöte

Keine Frage, für Johann Sebastian Bach war die Organisten-Karriere vorgezeichnet. Sie versprach dem Spross einer thüringischen Musikerfamilie, der mit nicht einmal zehn Jahren als Vollwaise vom älteren Bruder aufgenommen worden war, ein sozial einigermaßen abgesichertes Leben. Die clavieristische Virtuosität des jungen Bach scheint schon bald besondere Aufmerksamkeit erregt zu haben. Es kann jedenfalls kaum nur am gut funktionierenden familiären Netzwerk gelegen haben, dass er 1703 zu ungewöhnlich vorteilhaften Honorarbedingungen zunächst als "Musicus" am Hof des Herzogs von Sachsen-Weimar unterkommt, sechs Monate später aber schon als Organist in Arnstadt, 1707 dann an prominenterer Stelle in Mühlhausen, genau ein Jahr später wiederum in Weimar als Hoforganist und Kammermusikus (letzteres hauptsächlich am Cembalo). Ob in den Stadtkirchen oder im herzoglichen Schloss: der Mann am Tasteninstrument spielt nicht nur als Solist, sondern ebenso als Begleiter von Sängern und Instrumentalisten eine wichtige Rolle. Mehr und mehr ist er aber auch als Komponist gefragt - und kann nun im Zusammenspiel seine Experimentierlust ausleben, unterschiedlichste Themengestalten und Klangfarben in immer wieder anderen Kontrapunkten und Harmonien zu kombinieren.

Vom flauto dolce, der seinerzeit als kunstvolles Ausdrucksmittel von "stiller Annehmlichkeit" geschätzten Blockflöte, macht der Komponist Bach schon in seinen frühen Werken dezidiert Gebrauch (genannt sei hier nur ihr Einsatz in der Mühlhausener Begräbnismusik des "Actus tragicus" BWV 106 und in der weihnachtlichen Weimarer Dialogkantate "Tritt auf die Glaubensbahn" BWV 152). Noch deutlicher greifbar wird das virtuose Blockflötenspiel in Bachs Œuvre freilich in zwei der Six Concerts avec plusieurs Instruments, die Bach 1721 dem Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg widmete: im zweiten "Brandenburgischen" Konzert treten vor einem Ripieno aus Streichern und Basso continuo Blockflöte, Trompete, Oboe und Violine in einen musikalischen Wettstreit, im sechsten zwei Fiauti d'Echo (mutmaßlich zwei Instrumentenpaare aus je einer lauteren und einer etwas leiseren Blockflöte) sowie eine Violine.

Als Bach die Widmungspartitur der Brandenburgischen Konzerte anfertigte, stand er schon mehr als drei Jahre als Hofkapellmeister in den Diensten des Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen und hatte sich qua Amt vor allem der weltlichen Kammermusik zu widmen. Die wurde in Köthen um ein Instrument bereichert, das nicht nur dem Adel als galantes Modeinstrument par exellence galt und dessen Virtuosen entsprechend begehrt waren: die Traversflöte. Nicht zufällig sind also die Flötensonaten Bachs - zumindest in der uns überlieferten Form - der Traversiere zugedacht. Denn als damals weithin bekannter Claviervirtuose hatte er so manche Gelegenheit, die exzellentesten Traversflötenspieler kennen und als Kammermusikpartner schätzen zu lernen: Pierre Gabriel Buffardin in Dresden und seinen Schüler Johann Joachim Quantz (der als Flötenlehrer Friedrichs II. 1741 zur preußischen Hofkapelle nach Potsdam wechselte).

Buffardins Bekanntschaft mag Bach 1717 gemacht haben, während seiner legendären Konzertreise nach Dresden (der Tastenvirtuose Louis Marchand ergriff damals angeblich die Flucht, nachdem er Bachs unübertreffliches Spiel belauscht hatte). Als Komposition für Buffardin lässt sich jedenfalls die Partita a-Moll BWV 1013 für Flöte solo deuten, ein Werk nach französischem Goût, bestehend aus vier stilisierten Tanzsätzen. Bachs Unerfahrenheit mit der Traversiere wäre eine Erklärung dafür, dass die Partita im Gegensatz zu seinen anderen Flötenwerken nicht gerade instrumentengerecht gehalten ist (so bietet der erste Satz praktisch keine natürlichen Atempausen). Anders als ihre Schwesterwerke für Violine bzw. Violoncello solo muss die Flöten-Partita auf die Möglichkeit verzichten, mittels Doppelgriffen gleichzeitig mehrere Töne erklingen zu lassen. Und doch vernimmt man hinter den Tongirlanden die hinzugedachten Harmonien.

Ein Jahr nach Bachs erstem Dresdner Gastspiel kam der berühmte Lautenvirtuose Silvius Leopold Weiß an den kursächsischen Hof. Seine Freundschaft mit Bach rührt wahrscheinlich erst aus dessen Tagen als Leipziger Thomaskantor her; fest steht jedenfalls, dass Weiß und sein Lauten-Kollege Johann Kropffgans bei ihrem Leipzig-Besuch 1739 das Bach'sche Haus wiederholt aufsuchten und dort "etwas extra feines von Music" hören ließen, wie es des Kantors Verwandter und Sekretär Johann Elias Bach formulierte. Präludium, Fuge und Allegro Es-Dur BWV 998, von Bach als Komposition für Laute oder Cembalo bezeichnet und mit einer der bei ihm selten anzutreffenden Da-capo-Fugen versehen, lässt sich als seine sehr individuelle Reaktion auf die Kunst der Dresdner Lautenisten betrachten.
Wenn auch ein Großteil der Bach'schen Kammermusik in Manuskripten aus seiner Leipziger Zeit überliefert ist, so bedeutet das nicht unbedingt, dass er diese Werke erst nach 1722 komponierte. In einigen Fällen lässt sich sogar belegen, dass er damals ältere Kompositionen bearbeitete. Als städtischem Director musices eröffnete ihm nämlich neben der Hausmusik auch das öffentliche Musizieren im studentischen Collegium musicum eine Gelegenheit zum Zusammenspiel mit einheimischen und durchreisenden Künstlern. Und je nach den Gegebenheiten machte Bach nun ältere Kammerkompositionen für neue Besetzungen nutzbar. Eine Besonderheit bildet sein Bestreben, dabei die eigene Rolle am Cembalo über die Aufgaben des rein begleitenden Continuospielers hinaus zu erweitern: In den meisten seiner Solosonaten tritt das Melodieinstrument in den Dialog mit dem Harmonieinstrument, wird aus dem Duo ein Trio für Soloinstrument, konzertierende rechte Hand und begleitende Linke. Deutlich wird das in der Violinsonate c-Moll BWV 1017 allerdings erst vom zweiten Satz an, während die kantable Largo-Eröffnung, ein Seitenstück zur "Erbarme dich"-Arie aus der Matthäus-Passion, das Soloinstrument noch in den Vordergrund stellt. Die Flötensonate h-Moll BWV 1030 gilt mit Fug und Recht als besonders originelle Sonate Bachs: Schon der Beginn mit dem vermeintlich um ein Sechzehntel zu früh einsetzenden Cembalo verspricht ein unkonventionelles Werk. Der Eingangssatz quillt geradezu über vor motivischen Einfällen. Am Ende der Sonate steht ein merkwürdiger Doppelsatz aus Fuge und Gigue; entspannter wirkt lediglich der quasi continuobegleitete Aria-Mittelsatz. Von dieser Flötensonate hat sich übrigens das Fragment einer früheren Fassung in g-Moll erhalten, die wohl für eine andere Besetzung bestimmt war. Die E-Dur-Flötensonate BWV 1035 weist dem Cembalo dagegen eine reine Begleitfunktion zu und ist insgesamt galanter, melodiebetonter gehalten. Vermutlich nahm Bach hier auf den Geschmack des preußischen Hofes Rücksicht; überliefert ist nämlich eine Bemerkung auf dem heute verschollenen Originalmanuskript, wonach er die Sonate anlässlich eines Potsdam-Besuchs in den 1740er Jahren für den Geheimen Kämmerer Michael Gabriel Fredersdorff komponierte, einem weiteren Duopartner Friedrichs II. neben Quantz.

Bach schrieb aber auch Trio-Sonaten für sein ureigenstes Instrument, die Orgel. Es wird ihn besonders gereizt haben, dass er hier solistisch mit drei unterschiedlich klingenden Stimmen konzertieren konnte, sofern ihm nur zwei Manuale und Pedal zur Verfügung standen. Kein Zweifel, eine Orgelkomposition wie die Triosonate Es-Dur BWV 525 gründet in der Kammermusik für Melodieinstrumente, der Bachforscher Klaus Hofmann vermutet zumindest für ihre Ecksätze eine Urfassung mit Altblockflöte als einem der Soloinstrumente. Was alleine schon die Übertragung auf Blockflöte und Cembalo rechtfertigt - die für die Instrumentalpartner gleichwohl eine besondere spieltechnisch-künstlerische Herausforderung bleibt.

behe

Mitwirkende

Dorothee Oberlinger, Blockflöte
Christian Rieger, Cembalo