Saison 2019/2020: Konzert 3

Sonntag, 24. November 2019 Trinitatiskirche 17 Uhr

... et cantantibus organis!

Balladen und Offiziumsgesänge an die Hl. Cäcilia Miriam Andersén | Guillermo Pérez Lucia Mense | Susanne Ansorg Miriam Andersén Lucia Mense Sendung auf WDR 3 am 6. Januar 2020 ab 20:04 Uhr

Die Erhebung der Heiligen Cäcilia zur Schutzpatronin der Musik beruht wohl auf einem mittelalterlichen Übersetzungsfehler. Doch wie dem auch sei: der römischen Märtyrerin aus dem 3. Jahrhundert sind zu allen Zeiten berührende Gesänge zugedacht worden. Die schönsten davon hat mit Miriam Andersén, Guillermo Pérez, Lucia Mense und Susanne Ansorg ein außergewöhnliches Team von Spezialist(inn)en zur Aufführungspraxis früher Musik ausgesucht.

Programmfolge

Introitus Ballade Jungfrun hon går sig åt kyrkan in Hymnus Ut queant laxis Invitatorium Loquebar de testimoniis tuis AntiphonaeVita di Cecilia Antiphona Cantantibus organis Canticum instrumentale Cantantibus organis Antiphona Valerianus in cubiculo Canticum instrumentale Ceciliam intra cubiculum orantem Antiphona Benedico te, Pater Domine Canticum instrumentale Domine Jesu Christe Antiphona Cecilia virgo almachium Canticum instrumentale Cilicio Cecilia Antiphona Cecilia famula tua Canticum instrumentale O beata Cecilia Hymnus Jesu corona virginum Cantica – Frau Musica Iubilus Alleluia – Versus Haec est virgo sapiens Iubilus Alleluia – Canticum Da laudis homo, nova cantica Iubilus Alleluia – Estampie Virgo sapiens Responsorium Cantantibus organis Canticum Aurea personet lira Antiphona Virgo gloriosa semper evangelium Psalmus Alleluia. Laudate Deum Hymnus Ut queant laxis Ballade Det sitter en fogel Konzert ohne Pause

Die lateinischen Gesänge stammen vorwiegend aus Handschriften der Erzbischöflichen Dom- und Diözesanbibliothek Köln (Codices 226, 263 und 1150), die schwedischen Balladen aus der Bibliothek der Kungliga Vitterhets Historie och Antikvitets Akademien (Wiede, ks. 225 und 26).

Cäcilia – Schutzpatronin der Musik?

Cäcilia ist eine der bekanntesten Heiligen. Der Legende nach starb sie um 230 in Rom als eine der ersten Märtyrerinnen der frühen Kirche. Sie wird von allen christlichen Kirchen verehrt. Seit dem späten Mittelalter ist sie die Schutzpatronin der Musiker. Die Orgel, die Fidel, das Schwert und die Rose sind ihre Attribute.

Die im heutigen Programm gesungenen Antiphonen und Responsorien entstammen dem Offizium der Cäcilia – einem der ältesten und schönsten in der römischen Liturgie. Die gregorianischen Melodien sind außergewöhnlich in der Art der Floskeln. Die Texte nehmen Bezug auf die Legende der Cäcilia. Derzufolge lebte sie im 3. Jahrhundert n. Chr. in Rom – zur Zeit von Kaiser Marc Aurel und Papst Urban. Sie entstammte der Gens Caecilia, einer anerkannten Patrizierfamilie. Sie nahm den noch jungen christlichen Glauben an und lebte im Selbstverständnis einer Braut Christi. In der Hochzeitsnacht offenbarte Cäcilia ihrem Bräutigam Valerianus das von ihr abgelegte Gelübde der Jungfräulichkeit und überzeugte ihn und seinen Bruder Tiburtius, den christlichen Glauben anzunehmen. Ein Engel überreichte daraufhin Cäcilia einen Kranz aus Rosen und Valerianus einen Kranz aus Lilien.

Valerianus und Tiburtius wurden von der Obrigkeit bei der Bestattung hingerichteter Christen überrascht und zum Tode verurteilt. Dadurch kam auch Cäcilia in den Fokus der Christenverfolgung. Das durch den Richter Almachius angeordnete Ersticken durch heiße Dämpfe misslang, ebenso wie das Zertrennen ihres Halses durch drei Schwerthiebe. Schwer verwundet lebte Cäcilia noch drei Tage, bekehrte ihre Bediensteten zum christlichen Glauben und vermachte all ihr Vermögen der Kirche.

Die Christenverfolgung in Rom wurde unter Kaiser Konstantin beendet. Die Emanzipation der Christen führte zur Verehrung ihrer frühen Heiligen – als Vorbilder eines herausragenden und beispielhaften Lebensstils. Dazu mussten die Heiligen nicht unbedingt real existiert haben.

Die erste Quelle der Cäcilien-Verehrung, die Passio Sanctae Caeciliae, findet sich im Martyrologium Hieronymianum aus dem 5. Jahrhundert. Zur gleichen Zeit wurde im römischen Stadtteil Trastevere eine Kirche über der Stelle ihres Geburtshauses errichtet. Als im 9. Jahrhundert die Päpste die Gebeine von Märtyrern systematisch von den Katakomben in die Kirchen innerhalb der Stadt überführen ließen, erschien Cäcilia dem Papst Paschalis I. und wies ihm die Stelle ihres Grabes in den Katakomben von San Callisto an der Via Appia. Ihr Leichnam konnte unversehrt geborgen und in die von Paschalis neu erbaute Basilika in Trastevere überführt werden.

Sein Leben Gott zu widmen und diese Leidenschaft bis in den Tod zu verfolgen, entsprach dem Zeitgeist. Dass die Figur der Cäcilia ein Frauenbild spiegelte, das – mit dem Hintergrund des zwiespältigen Verhältnisses der Kirche zur Sexualität – Frömmigkeit, Keuschheit und das Ideal einer Braut Christi predigte, mag geholfen haben.

Im Mittelalter erhoben mehrere Kirchen den Anspruch, Cäcilias Kopf zu besitzen, was die Popularität ihrer Anbetung bezeugt. Zu den ältesten Orten der Cäcilien-Verehrung außerhalb Roms zählt das Kölner Damenstift St. Cäcilien mit seiner Kirche aus dem 9. Jahrhundert. Um 1100 entstand eine Kölner Version des Cäcilia-Offiziums, das in Codices der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek überliefert ist. Seit dem Ende des Mittelalters lässt sich ein enormes Anwachsen des Heiligenkults beobachten: unter anderem wählen Handwerker in Zünften und Gilden ihre eigenen Schutzpatrone. Wie Johannes der Täufer und Hiob wurde Cäcilia im 14. Jahrhundert zur Patronin der Spielleute. Für Musiker war die Zugehörigkeit zu einer Gilde bitter nötig, galten doch vor allem die fahrenden Spielleute als vogelfrei. Die Gilde bot den Schutz der Kirche und der Gemeinschaft. In der Ikonographie spiegelt sich diese Entwicklung: Findet man zunächst Darstellungen der Cäcilia mit Palmzweig und Schwert oder einem Blumenkranz aus Rosen und Lilien, so wird sie ab dem 15. Jahrhundert mit dem Organetto dargestellt – einem weltlichen, spielmännischen Instrument, nicht zu verwechseln mit der Kirchenorgel.

Die Ernennung der Cäcilia zur Patronin der Musik geht auf einen Übersetzungsfehler zurück. In der Leidensgeschichte der Heiligen Cäcilia heißt es: Venit dies in quo thalamus collocatus est et, cantantibus organis, illa in corde suo soli Domino decantabat, dicens: Fiat cor meum et corpus meum immaculatum ut non confundar.Es kam der Tag der Hochzeit. Während die Hochzeitsinstrumente erklangen, sang sie in ihrem Herzen allein dem Herrn und sprach: Lass mein Herz und meinen Leib unbefleckt bleiben, auf dass ich nicht zuschanden werde.

In der Formulierung cantantibus organis das Substantiv mit Orgel zu übersetzen, scheint zunächst nahezuliegen. Doch bezeichnete der Begriff organa bis ins Mittelalter alle Instrumente, nicht allein die Orgel. Die Instrumente, die bei römischen Hochzeiten gespielt wurden, waren Flöten, Zithern und Wasserorgeln. Diese Wasserorgeln waren laute, grelle Instrumente, geeignet für Gladiatorenkämpfe, Arenenmusik und -feste. Römische Hochzeitsmusik sollte laut und lärmend sein – dazu geeignet, zum Empfang, zum Tanz und zum Essen aufzuspielen. Diese Art von Musik hatte das Potenzial, Grenzen zu überschreiten – Menschenmengen bei Gladiatorenkämpfen aufzuheizen, tranceartige Tänze oder Orgien zu begleiten.

Im Offizium der Cäcilia wurde eine Kurzfassung des oben genannten Textes verwendet: Cantantibus organis Caecilia Domino decantabat. Im späten Mittelalter konnte das frei übersetzt heißen: Während des Spiels der Orgel lobte Cäcilia Gott oder Die Orgel spielend, lobte Cäcilia Gott. In einer Zeit der Analphabeten kannte das Kirchenvolk einzig diese Kurzfassung. Nur einige gebildete Kleriker wussten von der längeren Fassung der Passio und dem dort betonten Gegensatz zwischen der aufreizenden Hochzeitsmusik und der sich vom Fest abwendenden Cäcilia.

Weitergehend wird Cäcilia sowohl in der Ikonographie als auch der Literatur oft mit der allegorischen Frau Musica gleichgesetzt. Auf einem Gemälde von Raffael sieht man Cäcilia, wie sie ein Organetto falsch herum hält. Die Pfeifen scheinen zu Boden zu fallen, wo schon andere Instrumente liegen. Ihr Blick wendet sich zu singenden Engeln im Himmel – die oben zitierte Textstelle in der Passio di Santa Caecilia spricht vom Singen im Herzen. Dies bedeutet aber nicht eine Verherrlichung der Kirchenmusik und eine Verteuflung weltlicher Musik. Die strenge Trennung von Kirchlichem und Weltlichem existierte erst seit dem 19. Jahrhundert. Vom Mittelalter bis zum Barock waren die Musiker in beiden Bereichen tätig. Gregorianische Choräle wurden zu Instrumentalstücken, weltliche Madrigale zu geistlichen Motetten und Messen.

Die im heutigen Programm gesungenen Cantica und Hymnen hinterfragen das Wesen guter Musik. Ut queant laxis nennt die mittelalterlichen Tonsilben Ut-Re-Mi-Fa-Sol-La zu Beginn jeder Zeile und lehrt durch die Art der Melodien den rechten Gebrauch der modalen Tonarten. Da laudis homo, nova cantica fordert nicht nur dazu auf, neue Lieder anzustimmen, sondern ist ein herausragendes Beispiel der Symbiose von Sprache und Musik. Durch das Lob des Gesangs der Nachtigall mahnt Aurea personet lira, den naturgegebenen Gesetzen der Musik zu folgen: reinen Intervallen und Harmonien, der Natur der Obertöne entsprechend, durch die ein Reichtum an Klängen entsteht – mit dem Ziel der Freude und Schönheit.

Alle Cantica, Responsorien und Antiphonen sind uns als Texte mit Melodien überliefert – als kirchliche Fixierungen einer oralen Überlieferung. Die Begleitungen werden von den Instrumentalisten nach den Regeln der damaligen Zeit improvisiert und arrangiert.

Die Balladen Jungfrun hon går sig åt kyrkan in und Det sitter en fågel reflektieren die Facetten eines Lebens als Braut Christi. Im Epheserbrief zieht der Apostel Paulus die Parallele zur Gemeinde als Braut Christ – das hebräische Wort kallãh bedeutet ebenso Braut wie gute Werke. Im übertragenen Sinne wird die Gemeinde zur Erneuerung des Lebensstils aufgefordert – dazu, neue Lieder anzustimmen.

Der Theologe Hans Meier schreibt über Heilige Musiker und Musikpatrone, dass Musik im Sinne der Cäcilia nicht höhnische Parodien, zu politischen Zwecken missbrauchte Musik oder blinder Lärm sein kann, und auch nicht Musik im Angst-Ghetto des Nur-Sakralen. – Die Geschichte von Cäcilia birgt den Wunsch nach einer neuen Musik jenseits von Gewohnheit, Routine und Marktschreierei. Es geht um die Suche nach Offenheit, Respekt und Neugier – auch in der Musik. In diesem Sinne ist Cäcilia zu Recht die Schutzpatronin der Musik!

Lucia Mense

Mit herzlichem Dank an Msgr. Prof. Dr. Wolfgang Bretschneider, den Ehrenpräsidenten des Allgemeinen Cäcilien-Verbandes für Deutschland.

Mitwirkende

Miriam Andersén – Sopran, Harfe Guillermo Pérez – Organetto Lucia Mense – Flöten, Konzeption Susanne Ansorg – Fidel, Rebec