Saison 2000/2001: Konzert 3
Spanische Abendmusik – Musik am Hofe Carlos III.
Werke von Luigi Boccherini, Gaetano Brunetti und Manuel Canales Schuppanzigh Quartett Sendung beim Deutschlandfunk am 5.12.2000Franz Schubert setzte große Hoffnungen in ihn, Ludwig van Beethoven begrüßte den von einer langjährigen Konzertreise zurückkehrenden Geiger in der Form eines musikalischen Kanons mit den Worten "Falstafferl, lass dich sehen!" und spielte damit auf seine erhebliche Körperfülle an. Daran war das Wiener Publikum aber viel weniger interessiert als es begierig auf seine Quartettkonzerte war. Keiner wurde von Ignaz Schuppanzigh enttäuscht. Beethoven und Schubert erlebten mustergültige Uraufführungen ihrer Streichquartette durch das Schuppanzigh-Quartett, das erste in fester Besetzung konzertierende Streichquartett Europas, das seit 1808 mit exemplarischen Aufführungen zu bezaubern wusste. Das heutige Schuppanzigh Quartett mit Anton Steck, Christoph Mayer, Jane Oldham und Antje Geusen lädt zu einer spanischen Abendmusik am Hofe Carlos III. ein.
Programmfolge
Quartett op. 3,1 D-Dur
Allegro maestoso, Minuet-Trio, Largo assai, Presto
Luigi Boccherini (1743-1805)
Quartett op. 44,4 G-Dur, "La Tiranna Spagnola" (1792)
Presto, Tempo di Minuetto-Trio
Gaetano Brunetti (1744-1798)
Quartett op. 2,1 g-Moll (1774)
Allegro moderato, Menuetto-Trio, Largo cantabile, Presto
Pause
Gaetano Brunetti
Quartett op. 2,3 Es-Dur (1774)
Allegretto espressivo, Minuetto-Trio, Larghetto, Allegro di molto
Luigi Boccherini
Quartetto op. 2,1 c-Moll (1761)
Allegro comodo, Largo, Allegro
Der Fall Brunetti
Unser Programm am heutigen Nachmittag dreht sich ganz um den spanischen Hof in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Dadurch, dass wir das A-Dur-Quartett von Gaetano Brunetti hinzunehmen, bewegen wir uns aber nicht nur im Umkreis von Carlos III. (1716-1788, Regierungsantritt 1759), sondern auch von dessen Nachfolger Carlos IV (1748-1819), der bis 1808 regierte. Letztgenannter war selbst Geiger und spielte im Quartett zusammen mit Brunetti, dessen Sohn wiederum der Cellist war. Warum hatte nicht Luigi Boccherini den Cello-Part übernommen? Zwar war er der Cellist der königlichen Kapelle, aber er konnte oder wollte offensichtlich nicht zum engsten Kreis um Carlos IV. gehören. Diese Freiheit - im 18. Jahrhundert zugegebenermaßen äußerst selten und ungewöhnlich - erlaubte es ihm, gleichzeitig in Diensten des spanischen Hofes zu stehen und Auftragskompositionen für den Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. (seines Zeichens ebenso dilettierender Cellist) anzufertigen - ein Sachverhalt, der die besondere künstlerische Stellung Boccherinis hervorhebt. Die Großzügigkeit von Carlos, die daraus spricht, ist auch deshalb sehr bemerkenswert, weil er sich gegenüber Brunetti als sehr streng gerierte, wenn es um die Veröffentlichung von dessen Kompositionen ging: Er wollte Brunettis Quartettmusik exklusiv in Madrid belassen. Die Spätfolgen, die aus dieser Restriktion erwuchsen, der zufolge Brunetti nur einige vom König handverlesene (und meist zweitrangige) Werke nach Paris in Druck geben durfte, konnte er freilich nicht abschätzen: Trotz seines enormen Quartettschaffens von mehr als 50 Werken ist Gaetano Brunetti dadurch heute gänzlich unbekannt. Dem abzuhelfen, dazu möchte nicht zuletzt unser heutiges Konzert beitragen.
Italienische Stile an Spaniens Hof
Weitgehend unbekannt ist heute die Musikpflege am spanischen Hof in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die in Spanien regierenden Bourbonen hatten durch ihre dynastischen Bande an Italien ein enges Verhältnis zur italienischen Musik - die spanischen Prinzen wurden häufig auch zu Königen von Neapel gekrönt. So kam es, dass es eine spezifisch spanische Musik am Hof nicht gab; alle wichtigen Positionen waren von Italienern besetzt, der heute bekannteste unter ihnen ist Domenico Scarlatti. Ebenfalls aus Italien kam Gaetano Brunetti, der spätestens 1762 als 18-jähriger Geiger in Madrid eintraf. Er reiste vermutlich mit seinen Eltern aus Fano an, einer kleinen Stadt an der Adriaküste der Marken. 1767 trat Brunetti in die königliche Kapelle ein und wurde gleichzeitig der Violinlehrer des Prinzen Carlos (des späteren König Carlos IV.). Im Laufe der Jahre entwickelte sich das Verhältnis weiter, und gegen Ende seines Lebens war Brunetti nicht nur der mächtigste Musiker im Umkreis Carlos IV., sondern auch mit diesem durch eine Art Freundschaft verbunden - soweit das die Standesgrenzen eben zuließen. Bezeichnend dafür ist, dass Carlos, als Brunetti 1798 überraschend starb, ein Jahr lang ausschließlich Brunettis Kompositionen am Hof aufführen ließ.
Für Carlos IV. (aber auch für gemeinsame Aufführungen mit dem König - Brunetti spielte dabei die erste, der König die zweite Violine) schrieb Brunetti in den folgenden Jahrzehnten bis zu seinem Tod Hunderte von Werken in nahezu allen Sparten der Instrumentalmusik, wobei der Schwerpunkt auf der Ensemble-Kammermusik lag. Brunettis sechs Quartette op. 2 entstanden 1774 als seine ersten größeren Werke für diese Besetzung. Sie bestehen aus vier Sätzen, und man merkt deutlich, dass der Komponist sowohl Haydns als auch Boccherinis Quartette kannte. Dennoch gelingt es Brunetti in seinen Kompositionen, sich deutlich von den Quartetten Boccherinis und Haydns abzugrenzen und einen eigenen Stil zu entwickeln, den er später noch vertiefte. Dieser Stil zeichnet sich vor allem durch schön erfundene graziöse Melodien, verbunden mit einer kleinteiligen, dabei aber klassischen Art der Verarbeitung aus. Deutlich wird dies besonders am Quartett in g-Moll, das durchaus in der Gestik des "Sturm und Drang" beginnt, um schon bald in heitere und sonnigere Gefilde zu schweifen - Gefilde, die das Schwesterwerk in Es-Dur gar nicht erst verlässt. Dieses überrascht mit leichten Anklängen an eine fröhliche Jagdthematik, die die heiteren musikalischen Weisen Brunettis wirkungsvoll ergänzt und unterstützt.
Dreizehn Jahre vor Brunetti schrieb sein Landsmann Luigi Boccherini seine erste Quartettsammlung op. 2. Er nannte die Werke noch "Sonata", weil es im Grunde noch keine Literatur für Streichquartett gab. Trotzdem handelt es sich bei ihnen eindeutig um vollblütige Streichquartette. Boccherini war zuerst im Dienst des
spanischen Infanten, nach dessen Tod trat er als Cellist in die Dienste der königlichen Kapelle, in der er bis zu seinem Tod verblieb. Boccherini und Brunetti kannten und schätzten sich sicherlich und spielten wahrscheinlich auch zusammen ihre Werke, eine gegenseitige Beeinflussung kann man daher als sicher annehmen. Boccherini publizierte viele seiner Werke noch zu Lebzeiten, im Gegensatz zu Brunetti, dessen Kompositionen das Privateigentum von Carlos IV. waren und der eifersüchtig darüber wachte, dass niemand außerhalb des Hofes diese Werke zu Ohren bekam. So blieb Brunetti eine wichtige Einnahmequelle versagt, sieht man von einigen bedeutenden Werken ab, zu deren Publikation der König seine Zustimmung gab. Auch
dies ist ein Grund für die bis heute währende Unbekanntheit der Werke Brunettis.
Dritter im Bunde am spanischen Hof zu Zeiten Carlos III. und gebürtiger Spanier war Manuel Canales. Sein Opus 3, aus dem heute das erste Quartett erklingt, widmete Canales seinem König. Ähnlich den Quartetten Brunettis zeichnet es sich durch eine fließende melodische Gestaltung aus, die sich über einer kleingliedrigen Motivik entfaltet. Bei den 1769 entstandenden Quartetten op. 2 hatte sich Canales allerdings nicht die Werke seiner Kollegen Brunetti und Boccherini zum Vorbild genommen, die immerhin zusammen bereits über ein Dutzend Werke in dieser Besetzung komponiert hatten - sondern die frühen Werke Joseph Haydns, die er hier wahrhaft epigonal "nachkomponierte". Dies wirft ein interessantes Schlaglicht auf die Musikpflege am Hofe zu Madrid, hatte die große italienische Fraktion der Hofmusiker dort doch offensichtlich nicht nur Freunde und Bewunderer.