Saison 2002/2003: Konzert 2
Wege zur Romantik
Artaria Consort Sendung im Deutschlandfunk am 5.11.2002Manche Entdeckung wirkt dann am stärksten, wenn man die Tür zum Geheimnisvollen nur sachte öffnet, um einen ersten Blick zu riskieren. Wie weit Komponisten wie Carl Maria von Weber, Felix Mendelssohn Bartholdy, Ludwig van Beethoven u.a. aus den Regeln des klassischen Satzes in romantisches Terrain vorzustoßen wagten, lotet das Artaria Consort in seiner außergewöhnlichen Besetzung mit Klarinette (Diego Montes), Violoncello (Peter Bruns) und Hammerflügel (Marc Reichow) aus.
Programmfolge
Wege zur Romantik
Von der Wiener Klassik kennen wir im Umfeld der drei großen Meister Mozart, Haydn und Beethoven auch eine ganze Palette anderer exzellenter Komponisten wie zum Beispiel Anton Eberl, der heute weniger bekannt ist, aber zu seinen Lebzeiten große Erfolg feierte. Das Programm des heutigen Abends versucht mit Musik von Beethoven, Eberl, Weber und Mendelssohn den Sprung in die frühe Romantik zu beschreiben.
Ludwig van Beethoven gilt allgemein als der Vollender der Wiener Klassik und zugleich als Wegbereiter der Romantik. Dabei nimmt man gerne seine Sinfonien zum Maßstab, deren Entstehungszeit sich ziemlich genau mit dem ersten Viertel des 19. Jahrhunderts deckt (die erste Sinfonie entstand 1800, die neunte vollendete er 1824). Doch ist diese Entwicklung ohne Weiteres auch an seinem kammermusikalischen Werk nachzuvollziehen.
Mit dem Genre der klavierbegleiteten Cellosonate setzte sich Beethoven ein erstes Mal 1796 auseinander. Anlass war sein Aufenthalt in Berlin während einer Künstlerreise, die ihn zunächst nach Prag und Dresden geführt hatte. Er musizierte in der preußischen Hauptstadt mehrmals vor Friedrich Wilhelm II., zum Teil gemeinsam mit dessen Hofcellisten Jean-Pierre Duport, und dazu komponierte er auch die dem preußischen König gewidmeten Cellosonaten op. 5. Seine dritte Cellosonate, in A-Dur, schrieb er in Wien 1809; sie ist dem Amateur-Cellisten Baron Ignaz von Gleichenstein gewidmet.
Die Sonate D-Dur steht an zweiter Stelle innerhalb des Sonaten-Paares, das Beethoven unter der Opuszahl 102 wiederum für einen professionellen Musiker, den Cellisten Joseph Linke komponierte. Das Werk stammt aus dem Jahr 1815, die erste Ausgabe erschien im März 1817 bei Simrock in Bonn. Die Sonate eröffnet mit einem stolzen "Allegro con brio". Der zweite Satz hat die Intention, in einem "Adagio con molto sentimento d´affetto" ("...mit viel Gefühl der Zuneigung") zu schweben. Einen sehr
originellen Abschluss bildet das "Allegro fugato", erwachsen vielleicht aus der neuen Einsicht Beethovens, dass sich eine strenge kontrapunktische Form durchaus als Mittel des musikalischen Ausdrucks eignete: "Eine Fuge zu machen ist keine Kunst, ich habe deren zu Dutzenden in meiner Studienzeit gemacht. Aber die Phantasie will auch ihr Recht behaupten, und heutzutage muss die althergebrachte Form ein anderes, ein wirklich poetisches Moment bekommen."
Schon in der klassischen Periode entstanden viele Kompositionen für Klarinette und Tasteninstrumente. Wenn auch Mozart sich nicht mit dieser Gattung beschäftigt hat, so haben doch viele seiner Kollegen - etwa Johann Baptist Wanhal oder Franz Anton Hoffmeister - zahlreiche Sonaten für diese Besetzung geschrieben. Mit einem Schlag revolutioniert wurde die Gattung aber zweifellos durch Carl Maria von Weber mit seinem Grand Duo Concertant, das nahezu zeitgleich mit Beethovens Cellosonaten op. 102 entstand. Weber war zu dieser Zeit Operndirektor in Prag, und so verwundert es kaum, dass er - wie schon vor ihm Mozart - viele Ideen der Oper in die Klarinettenmusik einbringt. Die Idee zum Grand Duo mag der Situation des reisenden Virtuosen entsprungen sein, in die sich Weber in dieser Zeit regelmäßig begab. Als einzige seiner Kompositionen für Klarinette (und als einziges der im heutigen Konzert vorgestellten Werke) trägt es keine Widmung; man vermutet, dass Weber es für den Dresdner Hofklarinettisten Johann Gottlieb Kotte oder für dessen Sondershausener Kollegen Simon Hermstedt schrieb.
Bemerkenswert an der Komposition ist die Ausgewogenheit zwischen dramatischen und lyrischen Elementen. Das Stück stellt hohe technische und musikalische Anforderungen an beide Spieler. Die Gattungsbezeichnung "Sonate" dafür hatte Weber schon während der Komposition verworfen, und später bezeichnete man sie nicht zu Unrecht als "ausgewachsenes Konzertstück für zwei Virtuosen". Die erste bekannte komplette Aufführung fand übrigens 1824 in Dresden statt, obwohl das Stück bereits 1817 im Druck erschien.
Wie ein Albumblatt wirkt das Lied ohne Worte von Felix Mendelssohn. Dieses wunderschöne kleine Stück ist der 1827 in Paris geborenen Lisa Christiani gewidmet, der einzigen heute noch bekannten Cello-Virtuosin aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auf ihrer überall als Sensation gewerteten Konzertreise gastierte sie im Oktober 1845 zweimal im Leipziger Gewandhaus und spielte dabei auch verschiedene für Violoncello eingerichtete Werke. Mendelssohn, zu dieser Zeit der Leipziger Kapellmeister, mag das ihr gewidmete Stück zu diesem Anlass komponiert (oder für Cello eingerichtet) haben. Hinreißend und tief melancholisch, endet es nicht in der Grundtonart, sondern fragend auf der Dominante. Bekanntlich schrieb Mendelssohn viele Stücke für Klavier unter der poetischen Bezeichnung "Lieder ohne Worte", die man als romantische "kleine" Gattung par excellence ansehen kann. Das reizvolle Idyll mit der Opuszahl 109 blieb aber das einzige, bei dem ein weiteres Instrument mitspielt.
Mit dem Grand Trio op. 36, praktisch seinem letzten Werk, stoßen wir auf das Ende der unermüdlichen Suche Anton Eberls nach dem Ausdruck der Romantik: ein leider frühes Ende, denn er verstarb im Alter von nur 42 Jahren. In Wien geboren, hatte er schon im Alter von sieben Jahren Klavierkonzerte gegeben, musste aber auf Drängen seines Vaters Jurist werden. Erst als sein Vater verarmte und das Studium nicht mehr zu finanzieren war, konnte er sich ganz der Musik widmen. Seine frühen Werke zeigen eine stilistische Ähnlichkeit zu Mozart; das aber sollte Eberl nicht unbedingt zum Vorteil gereichen: Viele seiner Stücke wurden unter Mozarts Namen veröffentlicht. (Der selbst verwendete Eberls Variationen übrigens gerne im Klavierunterricht). Eberl emanzipierte sich bald vom dem kompositorischen Vorbild Mozart, um sich in eine romantische Richtung zu entwickeln. Ein solch frühromantischer Gestus, wie er aus dem Gran Trio spricht, war zur Entstehungszeit des Werks - im Jahr 1806 - geradezu unerhört. In der Tat musste man 20 weitere Jahre warten, bis die tablierte Romantik eines Schubert oder Schumann endlich mit voller Kraft agierte...