Saison 2005/2006: Konzert 5

Sonntag, 29. Januar 2006 17 Uhr Sendesaal des Deutschlandfunks

Mozart 1778

Sonaten für Violine und Klavier Anton Steck – Violine Marieke Spaans – Tangentenflügel M. SpaansA. Steck Sendung im Deutschlandfunk am 7.2.2006

Anton Steck präsentiert uns im "Mozartjahr" 2006 in der Wahl des Begleitinstrumentes eine Besonderheit. Denn er hat die Cembalistin und Pianistin Marieke Spaans nicht etwa um ein Accompagnement auf dem Cembalo oder Hammerflügel gebeten, sondern sie spielt auf einem Tangentenflügel. Diese Mischung aus Clavichord, Cembalo und Hammerflügel wurde zu Mozarts Zeit durch den Regensburger Instrumentenbauer Franz Jacob Spaeth entwickelt und erprobt. Unter den Klavierinstrumenten in Mozarts Haus befand sich auch ein solches Instrument, das er 1777 einfach als "Spättisches Klavier" bezeichnete.

Programmfolge

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)

Sonate für Klavier und Violine A-Dur KV 305
Allegro di molto
Thema. Andante grazioso - Variazionen


Klaviersonate a-Moll KV 310
Allegro maestoso
Andante cantabile con espressione
Presto


Sonate für Klavier und Violine e-Moll KV 304
Allegro
Tempo di Menuetto

Pause

Thomas Linley (1756-1778)

Violinsonate A-Dur
Allegro
Adagio
Rondeau

Wolfgang Amadeus Mozart

Sonate für Klavier und Violine D-Dur KV 306
Allegro con spirito
Andantino cantabile
Allegretto

Ein Jahr im Wechsel der Gefühle

Als Wolfgang Amadeus Mozart dem Wunderkind-Alter mit seinen spielerischen Triumphen entwachsen war, erwartete ihn ein Leben, in dem das künstlerische Dasein mindestens so stark von Schicksalsschlägen und Enttäuschungen bestimmt wurde wie von Erfolgen und Glücksgefühlen. Das Jahr 1778 hatte es da besonders in sich; es hielt für Mozart ein Höchstmaß an Licht und Schatten bereit, stürzte ihn in krisenhafte Gefühlsschwankungen, beflügelte aber ebenso seine schöpferische Phantasie.

Mozart war im Spätsommer 1777 auf eigenen Wunsch aus den Diensten des Salzburger Fürsterzbischofs Hieronymus Colloredo entlassen worden und hatte sich am 23. September auf eine Reise begeben, die gleichzeitig der Bildung und der Bewerbung um Kompositionsaufträge und Anstellungen diente. Zum ersten Mal war er ohne den Vater Leopold aufgebrochen, den die Amtspflichten in Salzburg hielten; dafür begleitete die Mutter Anna Maria Mozart den 21-Jährigen. Der Weg führte im Herbst über die nahe gelegene Residenzstadt München und über Augsburg, die Geburtstadt des Vaters, nach Mannheim, zum Hof des kunstliebenden pfälzischen Kurfürsten Carl Theodor. Hier blieb Mozart mehr als vier Monate; seinen begeistert aufgenommenen Auftritten als Klaviervirtuose folgte allerdings kein Engagement. Als in den ersten Januartagen 1778 der Tod des bayerischen Regenten bekannt wurde und sich nun durch die Vereinigung von pfälzischer und bayerischer Kurwürde in der Person Carl Theodors der Umzug des Mannheimer Hofes nach München abzeichnete, war auch für Mozart klar, dass er weiterziehen müsste.

Seinen Bildungszweck hatte der Mannheim-Aufenthalt gleichwohl erfüllt: Mozart war nun mit der einzigartigen Spielkultur des hervorragend besetzten Orchesters vertraut, er hatte Ignaz Jacob Holzbauers deutsche Oper "Günther von Schwarzburg" und Melodramen Georg Bendas auf der Bühne erlebt. Doch nicht nur der breitere künstlerische Horizont, sondern auch die persönlichen Kontakte zu den Hofmusikerkreisen beflügelten Mozarts Selbstbewusstsein. Schnell hatte er sich mit dem Kapellmeister Christian Cannabich, dem Flötisten Johann Baptist Wendling und dem Bassisten Fridolin Weber angefreundet. Dabei lernte er auch Webers musikalisch überaus talentierte Töchter kennen -- und verliebte sich in die zweitälteste, Aloisia, eine damals siebzehnjährige Sängerin, die schon bei Hofe auftrat. Schnell schmiedete er Pläne, zusammen mit ihr nach Italien zu gehen, wo sie beide ihr Glück an der Oper suchen sollten. Diese Pläne verfolgte Leopold Mozart im fernen Salzburg allerdings mit größter Sorge. Er bestand darauf, dass sich Wolfgang Amadeus alsbald zusammen mit der Mutter auf den Weg nach Paris machte.

Die französische Metropole war damals Anlaufpunkt der meisten mitteleuropäischen Musiker, entsprechend groß die Konkurrenz und die Schwierigkeiten, sich als Virtuose und mehr noch als Komponist einen Namen zu machen. Dennoch erhielt Mozart bald Gelegenheiten, sich in der traditionsreichen Reihe der Concerts spirituels hören zu lassen, u.a. mit einer Sinfonia concertante, in der die ebenfalls in Paris weilenden Mannheimer Bläser (darunter Wendling) brillierten, und mit der Sinfonie D-Dur KV 297, die zu einem großen Publikumserfolg wurde. Seine Hoffnungen auf einen Opernauftrag erfüllten sich dagegen nicht.

Mit dem Tod der Mutter, deren Gesundheitszustand sich nach einem Aderlass innerhalb weniger Wochen dramatisch verschlechtert hatte, traf die Familie Mozart am 3. Juli ein schwerer Schicksalsschlag. Doch stellte das den weiteren Aufenthalt von Wolfgang Amadeus in Paris zunächst nicht in Frage, der nun der Familie Weber eine Übersiedlung dorthin vorschlug. Dieser Vorschlag stieß auf taube Ohren, und bald musste Mozart einsehen, dass auch jede Hoffnung auf ein eigenes festes Einkommen an der Seine vergeblich war. Weiter getrübt wurde seine Stimmung durch die Nachricht vom tragischen Tod Thomas Linleys: Der Geiger und Komponist, zuletzt Konzertmeister des Londoner Drury-Lane-Opernhauses, war Anfang August bei einer Wasserfahrt auf einem englischen Landsitz ertrunken. Mozart und Linley waren im selben Jahr geboren; die beiden musikalischen Wunderkinder hatten sich 1770 in Florenz kennen und schätzen gelernt, als sie einen Abend lang gemeinsam Geigenduette improvisierten. Später standen sie noch in Briefkontakt.

Schließlich folgte Mozart dem Befehl des Vaters, nach Salzburg zurückzukehren und das vakante Amt des Hoforganisten zu übernehmen, das ihm Ende August zugesagt worden war. Der Rückweg führte wiederum über Mannheim, wo sich Mozart noch einmal für etwa einen Monat aufhielt. Die Familie Weber traf er dann aber erst an Weihnachten in München an, wo Aloisia inzwischen ein Engagement als Sängerin der Hofoper erhalten hatte. Ihr Interesse an ihm war in der Zwischenzeit allerdings erloschen. (Im August 1782 heiratete er dann in Wien Aloisias Schwester Constanze.) In München nutzte Mozart die Gelegenheit, der Kurfürstin Elisabeth Auguste das Widmungsexemplar des gerade in Paris erschienenen Drucks seiner Six Sonates pour Clavecin ou Forté Piano avec Accompagnement d'un Violon zu überreichen: Sonaten für Klavier und Violine, deren Komposition er Anfang 1778 in Mannheim begonnen und sich in Paris intensiver gewidmet hatte. Erste Anregungen dazu hatten ihm Divertimenti da camera des Dresdner Komponisten Johann Schuster geboten, die er im Herbst 1777 in München kennen gelernt hatte. Die offenbar auch beim Publikum sehr beliebte Idee, das Klavier nicht auf eine Begleitfunktion für das Melodieinstrument zu beschränken, sondern beide als dialogisierende Partner zu behandeln, faszinierte ihn nachhaltig. Zumal sich in Paris weitere Anregungen boten. So wirkte damals im Concert spirituel Charles Cassanéa de Mondonville als Geiger. Dessen Vater Jean-Joseph war bereits 1734 mit einer Sammlung von Pièces de clavecin en sonates an die Öffentlichkeit getreten, in denen er eine Violinstimme und einen eigenständigen Klaviersatz zusammenführte. Nun hatte Mozart seine Sonaten für Klavier und Violine -- nicht ohne Stolz -- als sein Opus 1 ebenfalls in der französischen Metropole drucken lassen.

Den häufigen Wechsel zwischen Glücksmomenten und Phasen der Depression, wie er Mozart 1778 widerfuhr, kann man in seinen Kompositionen aus diesem Jahr leicht wiederfinden. Heiter, zu Scherzen aufgelegt wirkt das Spiel zwischen Klavier und Violine in der zweisätzigen Mannheimer A-Dur-Sonate KV 305. In der e-Moll-Sonate KV 304 (der einzigen Moll-Sonate Mozarts für Klavier und Violine), die aus dem Pariser Frühsommer datiert, herrscht ein ganz anderer, melancholischer Ton vor. Diese Stimmung greift der Kopfsatz der nahezu zeitgleich entstandenen a-Moll-Klaviersonate KV 310 auf, ein Allegro maestoso im Gestus eines Trauermarsches. Die Klavier-Violin-Sonate D-Dur KV 306 aus den folgenden Wochen wirkt dagegen abgeklärter; sie besitzt am eindeutigsten den Habitus des Konzertstücks, in der Dreisätzigkeit wie in der virtuosen Gestaltung der Instrumentalpartien. Ihr vorangestellt ist heute Abend eine der handschriftlich überlieferten sechs Violinsonaten Thomas Linleys von 1768, die dem Soloinstrument besondere technische Raffinesse und galante Kantabilität abverlangten.

Noch ein Wort zum Instrumentarium: Partner der Tiroler Stainer-Violine von 1658 ist heute ein besonderes Fortepiano, nämlich ein Tangentenflügel des 18. Jahrhunderts, den der Hamburger Cembalobauer Matthias Kramer vor wenigen Jahren restauriert hat. Er klingt einem Cembalo noch ähnlicher, verfügt aber über eine vollkommen andere Mechanik. Die Saiten werden nicht mehr angerissen, sondern von unten mit einem Holzstäbchen -- der Tangente -- sehr kurz angeschlagen. Im Unterschied zu den Hämmern der späteren Klaviere sind die Tangenten nicht fest installiert, sondern liegen wie beim Cembalo in einem Rechen. Ähnlich der erst Mitte der 1770er Jahre ausgereiften Prellmechanik ermöglicht dieses System eine differenzierte Dynamik zwischen laut und leise. Ein gewisser Nachteil besteht allerdings in seiner hohen Sensibiliät: bei zu leichtem Spiel bleibt der Ton aus, bei zu kräftigem Spiel wird er ungewollt ein zweites Mal angeschlagen. Der hellere, aber modulationsfähige Klang der Tangentenflügel war bis zum Ende des 18. Jahrhunderts sehr beliebt, so dass dieser Instrumententyp einige Jahrzehnte neben dem Hammerflügel weiter existierte. Für Mozarts subtil gestaltete Dialoge mit der Violine ist der Tangentenflügel einfach das ideale Instrument.

Anton Steck/behe

Mitwirkende

Anton Steck, Violine
Marieke Spaans, Tangentenflügel