Saison 2005/2006: Konzert 8

Sonntag, 7. Mai 2006 17 Uhr Sendesaal des Deutschlandfunks

Sinfonien und Solo-Kantaten

von Antonio Rosetti und Joseph Haydn Anna Korondi Neue Düsseldorfer Hofmusik NDH Sendung im Deutschlandfunk 16.5.2006

Um 1790 lebt Haydn frei von höfischen Esterházy-Diensten und ist als freischaffender Komponist eine europäische Berühmtheit. Er wird mehrmals nach London eingeladen, um dort seine Musik aufzuführen und neue zu komponieren: Musik für die Öffentlichkeit. So entstehen 1795 für ein Konzert am 4. Mai die vierte der "Londoner Sinfonien", außerdem die große dramatische "Berenice"-Kantate für die Sängerin Brigida Giorgi Banti. Als einer seiner musikalischen Begleiter und Weggefährten kann sicherlich F.A. Rosetti gelten, der am süddeutschen Hof des Fürsten von Oettingen-Wallerstein den klassischen Stil dieser Zeit mit gestaltet und prägt. Und so erklingt auch von ihm eine Sinfonie in diesem Konzert.

Programmfolge

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
Sinfonie F-Dur KV 112
für 2 Oboen, 2 Hörner und Streicher
Allegro
Andante
Menuetto - Trio
Rondeau. Molto Allegro

Da die ursprünglich vorgesehene Arie »Solo e pensoso« entfallen muss, hat die Neue Düsseldorfer Hofmusik die Sinfonie KV 112 ins Programm genommen, die Wolfgang Amadeus Mozart während seines zweiten Italienaufenthalts am 2. November 1771 in Mailand aufführte, kurz nach der Vermählung des habsburgischen Erzherzogs Ferdinand mit der Prinzessin Maria Beatrice d'Este. Zwei Wochen zuvor hatte Mozart mit großem Erfolg seine eigens für die Hochzeitfeierlichkeiten komponierte Festoper Ascanio in Alba gegeben.

Antonio Rosetti (1750-1792)
Sinfonie g-Moll Murray A 42
(Wallerstein 1787)
für Flöte, 2 Oboen, 2 Hörner, Fagott und Streicher
Vivace
Menuetto fresco. Allegretto - Trio
Andante ma Allegretto
Capriccio. Allegro scherzante

Joseph Haydn (1732-1809)
Kantate »Berenice, che fai« Hob. XXIVa:10
(London 1795)
für Sopran, Flöte, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner und Streicher

Pause

Joseph Haydn
Sinfonie Nr. 104 D-Dur Hob. I:104
(London 1795)
für 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauken und Streicher
Adagio - Allegro
Andante
Menuetto. Allegro - Trio
Finale spirituoso

Europas klassische Sprache

Das gern zitierte Wort von der grenzenlosen Sprache der Musik, es erweist seine wahre Bedeutung beispielhaft an der Gattung der Sinfonie. Als mehr oder weniger eigenständiges Instrumentalvorspiel zu vokalen Formen für Kirche, Kammer und Opernbühne war die Sinfonia in der großen Umbruchzeit um 1600 entstanden und hatte langsam an Profil gewonnen. Ihre eigentliche Stunde schlug einhundertfünfzig Jahre später, in einer Zeit, in der mit den gravierenden gesellschaftlichen und weltanschaulichen Umwälzungen auch kulturelle Veränderungen einhergingen. So stellte sich dem Musikmäzenatentum des Adels in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das Konzertwesen eines selbstbewussten Bürgertums zur Seite. Die Sinfonie, das Bravourstück des gesamten Orchesters, wurde zum zentralen Konzertereignis, das man im Publikum ebenso kritisch verfolgte und diskutierte wie das Solo des Instrumentalvirtuosen und die Arie des Gesangs-Stars. Und das europaweit.

»Meine Sprache verstehet man durch die ganze Welt«, soll denn auch der Sinfoniker Joseph Haydn dem jüngeren Kollegen Wolfgang Amadeus Mozart entgegnet haben, als der ihn 1790 vor den Risiken des bevorstehenden Gastspiels in England warnte. Entsprechend gelassen brach Haydn im Dezember zusammen mit dem Londoner Konzertveranstalter Johann Peter Salomon von Wien aus auf. Nach dem Tod seines Dienstherren, des Fürsten Nikolaus Esterházy, war er seiner musikalischen Verpflichtungen bei Hofe weitestgehend entbunden und konnte nun den internationalen Erfolg seines kompositorischen Schaffens aus eigener Anschauung erleben. Wobei er den positiven Einfluss durchaus anerkannte, den die klausurartige Atmosphäre der burgenländischen Provinz fast drei Jahrzehnte lang auf seine künstlerische Entwicklung ausgeübt hatte: »Mein Fürst war mit allen meinen Arbeiten zufrieden, ich erhielt Beifall, ich konnte als Chef eines Orchesters Versuche machen, beobachten, was den Eindruck hervorbringt, und was ihn schwächt, also verbessern, zusetzen, wegschneiden, wagen; ich war von der Welt abgesondert, Niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selbst irre machen und quälen, und so mußte ich original werden«, so Haydn rückblickend gegenüber seinem langjährigen Bekannten Georg August Griesinger.

Der Reiseweg führte Haydn und Salomon nicht zufällig über die schwäbische Residenz Oettingen-Wallerstein, bildete sie doch einen besonderen Musen-Hort unter den musikalisch ambitionierten deutschen Residenzen. Treibende Kraft dahinter war der regierende Fürst Kraft Ernst, mit dem Haydn seit 1781 in regelmäßigem Gedankenaustausch stand. Nun, knapp zehn Jahre später, bekam der Komponist Gelegenheit, die weit gerühmte Kapelle mit eigenen Ohren zu hören - in Werken aus seiner Feder, wie sie in Wallerstein längst zum Kernrepertoire zählten. Der Überlieferung nach äußerte er sich anschließend begeistert, kein anderes Orchester spiele seine Musik derart exakt.

Damals war das kompositorisch profilierteste Mitglied der Kapelle, der gebürtige Böhme Antonio Rosetti, allerdings nicht mehr vor Ort. Die Aussicht auf eine weit besser dotierte Kapellmeisterstelle hatte ihn 1789, nach sechzehn Dienstjahren im Schwäbischen, an den Hof des Herzogs von Mecklenburg-Schwerin gezogen. Wie Haydn, so war auch Rosetti ein Sinfoniker von europäischem Format. In Paris zählten seine Kompositionen seit 1781 zum festen Bestandteil der renommierten Concerts spirituels, und ebenso ließ Salomon in seinen Londoner Konzerten spielen, was immer er an Rosetti-Werken erreichen konnte. Die heute zu hörende g-Moll-Sinfonie hat Rosetti noch 1787 in Wallerstein komponiert. Sie zeigt ihn als einen am Vorbild Haydn geschulten Meister, offenbart eine außergewöhnliche Souveränität im Entwurf einprägsamer, dynamisch entwickelter Themen und einen virtuosen Umgang mit der Vielschichtigkeit der instrumentalen Farbwerte. Es ist gut möglich, dass Haydn und Salomon das Werk in Kraft Ernsts Bibliothek für sich entdeckten und in Kopie mit nach London brachten. Das dort aufbewahrte Manuskript scheint nämlich eine Abschrift der Wallersteiner Originalpartitur zu sein; es unterscheidet sich aber in einem bedeutsamen Detail der Titelseite, indem es mit »1790« das Jahr von Haydns Wallerstein-Besuch erwähnt und mit »Ludwigslust» die damalige mecklenburgische Wirkungsstätte Rosettis.

Haydns Londoner Gastspiel von Januar 1791 bis Mai 1792 wurde zum phänomenalen Erfolg. Er leitete eine Vielzahl von Abonnements- und Benefiz-Konzerten und stellte sich als Opernkomponist mit seinem Orfeo (L’anima del filosofo) vor. Die Begegnungen mit Musikern und Musikenthusiasten boten außerdem manche Gelegenheit zu unterschiedlichsten Kammermusik-Darbietungen. Gute Gründe für Haydn, das Londoner Engagement 1794/95 zu erneuern. 1795 veranstaltete Salomon dann allerdings keine eigene Konzertreihe mehr, und so arbeitete Haydn nun mit dem italienischen Violin-Virtuosen Giovanni Battista Viotti zusammen.

Den bravourösen Abschluss von Haydns letztem Londoner Benefiz-Konzert am 4. Mai 1795, das eine der damals typischen abendfüllenden Programmmischungen von Instrumental- und Vokalwerken bot, bildete die Scena di Berenice, eine ausgedehnte Konzertarie auf einen Text von Pietro Metastasio. Haydn hatte sie für Brigida Giorgi Banti geschrieben, eine der berühmtesten Primadonnen ihrer Zeit. Im Monolog Berenices, die den vermeintlichen Selbstmord ihres Geliebten Demetrio betrauert, bot das Werk der Sängerin hervorragende Möglichkeiten, ihre überlegene Gesangskunst mit allen Nuancierungen einzusetzen. An der Kunst des Komponisten bewundert man die Art, in der er die zweifache Folge von Rezitativ und Arie, wie er sie in Metastasios Opernlibretto vorfand, durch einen kontinuierlichen Streichersatz zu einem einheitlichen Ganzen verbindet. Die differenzierte, auf Steigerung angelegte Behandlung der Bläser liefert hier kontrastierende Farbwerte.

Im gleichen Konzert erklang außer der Scena di Berenice erstmals auch jene Komposition, die Haydns sinfonisches Schaffen in strahlendem D-Dur abschließt: die Sinfonie Nr. 104. Die grüblerische Stimmung ihres Beginns in der Molltonart löst Haydn recht bald auf, und so kann sie sich in jener heiteren Gelöstheit entwickeln, die gemeinhin als Kennzeichen seiner Tonsprache gilt. Mit Recht deutet man dieses Werk als Haydns sinfonisches Vermächtnis. An den reichhaltigen Ideen und formvollendeten Satzgebilden sollte sich bald sein ehemaliger Wiener Schüler Ludwig van Beethoven orientieren. Und in dessen Gefolge die romantische Sinfonik.

behe

Scena di Berenice

Berenice, che fai? Muore il tuo bene;
Stupida, e tu non corri! ... Oh Dio! vacilla
L'incerto passo; un gelido mi scuote
Insolito tremor tutte le vene,
E a gran pena il suo peso il piè sostiene.
Dove son? Qual confusa
Folla d'idee tutte funeste adombra
La mia ragion? Veggo Demetrio, il veggo
Che in atto di ferir ... Fermati; Vivi:
D’Antigono io sarò. Del core adonta
Volo a giurargli fè; dirò, che l’amo;
Dirò ...
Misera me, s'oscura il giorno!
Balena il Ciel! L'hanno irritato i miei
Meditati spergiuri. Ahimè! Lasciate
Ch'io soccorra il mio ben, barbari Dei!
Voi m'impedite e intanto
Forse un colpo improvviso ...
Ah sarete contenti; eccolo ucciso.
Aspetta anima bella. Ombre campagne
A Lete andrem. Se non potei salvarti,
Potrò fedel ... Ma tu mi guardi e parti.
 
Was tust du, Berenice? Es stirbt dein Lieb,
und du, Verblödete, eilst nicht dorthin. Ach Gott! es strauchelt
der ungewisse Schritt; ein eisig ungewohntes
Zittern durchbebt all meine Adern,
und nur mit großer Müh trägt sein Gewicht der Fuß.
Wo bin ich? Welch verwirrte
Schar von Ideen ohne Halt verdunkelt mir
den Verstand? Ich seh Demetrio, ich sehe ihn
im Begriff, sich zu verwunden ... Halt ein doch! Lebe!
Antigono wird ich bald angehören. Des Herzens ungeachtet
eil ich, die Treue ihm zu schwören.
werd Liebe ihm versprechen,
werde sagen ...
Ich Arme, es verdunkelt sich der Tag!
Von Blitzen zuckt der Himmel! Es haben meine
falschen wohlüberlegten Schwüre ihn erzürnt! Weh mir! Erlaubt doch,
dass meinem Lieb, barbarische Götter, ich zu Hilfe eile!
Ihr hindert mich daran und unterdessen
von einem unvorhergesehnen Schicksalsschlag vielleicht ...
Ach, seid ihr zufrieden nun! Ihr seht ihn hingemordet!
Wart auf mich, schöne Seele: als brüderliche Schatten
wolln wir zum Lethefluss hinwandern; kann ich dich schon nicht retten,
so könnt ich treu ... Doch du schaust mich nur an und weichst!
Non partir bel idol mio;
Per quell'onda all'altra sponda
Voglio anch'io passar con te.
 
Verlass mich nicht, mein Abgott!
Durch diese Welln zum anderen Gestade
will doch auch ich mit dir nun übersetzen.
Me infelice! Che fingo? Che ragiono?
Dove rapita sono
Dal torrente crudel de miei martiri?
Misera Berenice, ah, tu deliri!
 
Ich Unglückselge! Was ersinne und was red ich?
Wohin werd ich getrieben
vom grausam-wilden Sturzbach meiner Martern?
Ach, arme Berenice, wie bist du von Sinnen!
Perchè, se tanti siete,
Che delirar mi fate
Perchè non m'uccidete,
Affanni del mio cor?
 
Warum, wenn ihr so zahlreich seid,
die ihr mich irre macht,
warum gebt ihr mir nicht den Tod,
Leiden in meinem Herz?
Crescete, oh Dio! crescete,
Finchè mi porga aita
Con togliermi di vita
L'eccesso del dolor.
 
Mehrt euch, bei Gott! wachst an,
auf dass ich Lindrung finde
im Übermaß der Qual,
indem darin mein Leben von mir scheidet.
Pietro Metastasio: »Antigono« (III/7)
 
Übersetzung: Joachim Steinheuer

Mitwirkende

Neue Düsseldorfer Hofmusik
Anna Korondi, Sopran

Die Neue Düsseldorfer Hofmusik spielt heute in folgender Besetzung:

Violine 1 Mary Utiger (Konzertmeisterin), Marika Apro-Klos, Ina Grajetzki, Gabriele Steinfeld, Anke Vogelsänger
Violine 2 Julia Huber-Warzecha, Klaus Bona, Gudrun Engelhardt, Bettina von Dombois
Viola Florian Schulte, Hajo Bäß, Marie Harders-Sauer
Violoncello Nicholas Selo, Julie Maas
Kontrabass Michael Neuhaus
Flöte Michael Schmidt-Casdorff, Ingo Nelken
Oboe Martin Stadler, Thomas Jahn
Klarinette Guy van Waas, Diego Montes
Fagott N.N.
Horn Christoph Moinian, Oliver Kersken
Trompete Hannes Rux, Isa Mohr
Pauke Bert Flaas