Saison 2007/2008: Konzert 7

Sonntag, 20. April 2008 17 Uhr Deutschlandfunk, Kammermusiksaal

Joseph Martin Kraus

Requiem d-Moll (1775) Miserere c-Moll (1773) Motette Stella Coeli (1783) Deutscher Kammerchor | La Stagione Ltg. Michael Schneider La Stagione Sendung im Deutschlandfunk am 6.3.2008

Er gilt als der »schwedische Mozart«: Joseph Martin Kraus. Einen wesentlichen Teil seiner musikalischen Erfahrungen sammelte der Beamtensohn aus dem Odenwald aber noch in seiner Heimat, bevor es ihn 1778 nach Stockholm zog. Mit dem Requiem d-Moll und dem Miserere c-Moll stellen La Stagione Frankfurt und der Deutsche Kammerchor frühe Werke des Meisters vor, die jugendliche Unbekümmertheit und Kraft mit der Empfindsamkeit des »Sturm und Drang« verbinden. Die wunderbare Motette »Stella coelis« komponierte Kraus 1783 für eine Aufführung in der Kirche von Amorbach, als er auf einer vom schwedischen König finanzierten Europatour noch ein letztes Mal in der Heimat Station machte.

Programmfolge

Joseph Martin Kraus (1756-1792)

Miserere c-Moll (1773) VB 4
für Sopran, Alt, Tenor, Bass,
2 Hörner, 2 Oboen (Flöten, Klarinetten), Fagott, Streicher und Basso continuo

Pause

Requiem d-Moll (1775) VB 1
für Sopran, Alt, Tenor, Bass,
2 Hörner, Streicher und Basso continuo

Stella coeli C-Dur (1783) VB 10
für Sopran, Alt, Tenor, Bass,
2 Flöten, 2 Hörner, Streicher, Orgel und Basso continuo

Pdf-Download: Gesangstexte und Übersetzungen

Kirchenmusik im Sturm und Drang

Er wurde im selben Jahr geboren wie Wolfgang Amadeus Mozart, zeigte ebenfalls die Anlagen eines Hochbegabten, und der Tod riss ihn auch nur ein Jahr nach Mozart aus seinem erfolgreichen kompositorischen Schaffen: Joseph Martin Kraus, der als Sohn eines kurmainzischen Amtmannes in Miltenberg am Main geboren wurde und den seine Karriere bis nach Stockholm ins Hofkapellmeisteramt beim kunstsinnigen König Gustav III. führte. In den letzten Jahren hat die vielseitige Künstlerpersönlichkeit Kraus wieder etwas mehr Aufmerksamkeit in der musikalischen Öffentlichkeit erfahren. Wichtige Impulse dazu gingen von den »Ersten Kölner Festtagen für Alte Musik« aus, die das Orchester Concerto Köln 1992 im Deutschlandfunk-Kammermusiksaal zum 200. Todesjahr von Kraus veranstaltete. Es schloss sich manche Wiederaufführung seiner Sinfonien, seiner Kammermusik und seiner Bühnenmusiken an, die Kraus vor allem seit den 1780er Jahren für den schwedischen Hof schrieb. Das heutige Konzert richtet den Blick einmal auf seine Kirchenmusik - auf drei lateinischsprachige Werke für Singstimmen und Orchester. Bei aller Vertrautheit und Verbundenheit des Komponisten mit der Kirchenmusikpflege seiner Heimat ragen sie doch in origineller Weise aus der Masse des liturgischen Repertoires heraus, das in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im süddeutschen Raum entstand.
Die Familie Kraus war 1761 nach Buchen im Odenwald gezogen, wo der Sohn bald ersten Instrumentalunterricht beim Rektor und beim Kantor der örtlichen Lateinschule erhielt. Seine umfassende humanistische Bildung verdankte Kraus aber seiner Zeit als Stipendiat am Mannheimer Jesuitengymnasium zwischen 1768 und 1773, in der er als Sänger in Kirche und Theater auch Mitglieder der kurpfälzischen Hofkapelle kennenlernte, dem damals führenden europäischen Instrumentalensemble. Als Absolvent, der sich in der Musik ebenso bewandert fühlte wie in Philosophie, Geschichte und den alten Sprachen, aber bezeichnenderweise auch schon in der langsam erblühenden deutschen Dichtkunst, begann Kraus Anfang 1773 das Jurastudium in Mainz. Ein Semester später wechselte er ins ebenfalls zu Kurmainz gehörende Erfurt, denn in dieser gemischt-konfessionellen Stadt boten sich ihm bessere Möglichkeiten, neben dem Studium auch seiner musikalischen Neigung nachzugehen: In den evangelischen Kirchenmusikern Georg Peter Weimar (Kantor an der Kaufmannskirche und Schüler Carl Philipp Emanuel Bachs) und Johann Christian Kittel (Organist an der Predigerkirche und einer der letzten Schüler Johann Sebastian Bachs) fand er Lehrmeister, die ihm die Kompositionskunst eigentlich erst nahebrachten.

Ein künstlerischer Ertrag aus dieser Zeit ist das Miserere c-Moll, schenkt man einer Angabe des ersten Kraus-Biographen Frederick Samuel Silverstolpe auf seiner Partiturabschrift Glauben: »Ist von Herrn Joseph Kraus, in Erfurt Anno 1773 componiert worden«. Kraus vertonte hier den 50. Psalm »Miserere mei Deus«, jenen Bußpsalm, der in der römischen Liturgie dem Totenoffizium sowie den Offizien der Fastenzeit, insbesondere der Karwoche zugeordnet ist. Ein konkreter Entstehungsanlass für die Komposition ist nicht bekannt. Kraus mag einfach durch den eindringlich bittenden Text zu seiner Vertonung angeregt worden sein. Er bildet aus den 19 Psalmversen und der abschließenden Doxologie-Formel »Sicut erat in principio« 13 musikalische Sätze, auf die eine düster-getragene Orchestereinleitung einstimmt. Kraus versteht es geschickt, die epische Versfolge in eine Dramaturgie einzukleiden, die durch den Wechsel der Besetzungen und Kompositionsarten belebt ist. Er schlägt einen Bogen vom schlichten deklamatorischen Chorsatz über solistische Ariosi bis hin zu einem traditionsgemäß fugierten Schlusschor, der auf selbstständige Instrumentalstimmen verzichtet und damit auf den alten Vokalstil der Renaissance anspielt. Sorgsam notierte Effekte der Streicher und ein sehr differenzierter Einsatz verschiedener Holzblasinstrumente zeigen, dass dem 17-jährigen Komponisten die Vielfalt der Klangfarben ein besonderes Anliegen war.

Ein Verleumdungsprozess gegen seinen Vater zwang Kraus im November 1775, das Studium zu unterbrechen. Er nutzte die Zeit im Elternhaus, um die Erfurter Eindrücke weiter künstlerisch zu verarbeiten, und komponierte, so erinnert sich sein alter Schulrektor, »mir und allen Musik Freunden zu gefallen alle gattung Kirchen Musik.« Überliefert sind davon zwei weihnachtliche Arien, eine Sakraments-Motette und ein Requiem. Diese Werke wurden dann wohl gleich in den Gottesdiensten der Buchener St.-Oswald-Kirche aufgeführt, die über einen leistungsfähigen Sängerchor und mehrere Instrumentalisten - neben dem Organisten zumindest über Streicher und zwei Hornisten - verfügen konnte. Wenn der Jahresvermerk »1775« korrekt ist, der sich auf der einzigen erhaltenen Partiturabschrift des Requiem d-Moll findet, dürfte Kraus dieses Werk zuerst komponiert haben, als er im November des betreffenden Jahres in Buchen ankam. Ob die Totenmesse einer bestimmten Persönlichkeit zugeeignet war, die dort in dieser Zeit zu Grabe getragen wurde, ließ sich bislang nicht feststellen. Aus der homophonen Chordeklamation des eröffnenden »Requiem aeternam«, dem Solo-Vortrag des Psalmverses »Te decet hymnus«, der Kyrie-Fuge und der dramatisch gefärbten Gestaltung der Sequenz »Dies irae« spricht eine Orientierung an der Tradition. Und doch steht bei Kraus ein ganz individueller Ausdruckswille im Vordergrund. Das zeigt sich äußerlich schon an der selektiven Textzusammenstellung - das »Christe eleison« ist nicht vertont, die Sequenz beschränkt sich auf eine knappe Vers-Auswahl, und auch im Offertorium »Domine Jesu Christe« und in der Communio »Lux aeterna« fehlen einige Textzeilen. Außerdem ignoriert Kraus bisweilen die althergebrachten Satzregeln, um durch besondere, oft dissonante Akkordkonstellationen die Expressivität der Musik zu steigern. Bezeichnenderweise setzte er sich keine zwei Jahre später in seiner Schrift Etwas von und über Musik fürs Jahr 1777 explizit von den Musiktheoretikern des 17. und 18. Jahrhunderts ab: »Packt nun die Theoretiker alle, vor und von Kircher angefangen, Fux, Rameau und die übrigen inclusive bis auf unsern lieben Kirnberger und Marburg, die fürn Kopf schrieben, zusammen, und transportirt sie, wenn ihr wollt, nach Amerika oder Griechenland, oder lasst sie, wo sie sind: denn wir haben nun Fetts genug im Kopf.« Es ist nicht übertrieben, den damals kaum 20-jährigen »Stürmer und Dränger« Kraus kompositorisch noch als einen Anfänger einzustufen. Doch schmälert das weder die Lauterkeit seiner geistlichen Musik aus diesen Tagen noch ihre berührende Wirkung, der man sich auch heute noch kaum entziehen kann.

Als Jura-Student und angehender Komponist hatte sich Kraus 1776 von seinem Elternhaus verabschiedet, als schwedischer Hofkapellmeister, der auf Kosten des Königs eine Bildungsreise durch Europa unternahm, kam er Anfang 1783 zurück in den Odenwald. Hinter ihm lagen Studienjahre in Göttingen, die ihn auch als Anhänger des literarisch progressiven »Hainbundes« sahen, und entbehrungsreiche Zeiten in Schweden, in denen er sich wohl überwiegend autodidaktisch in der Kompositionskunst vervollkommnet hatte. Während des Aufenthalts in Amorbach, wo sein Vater inzwischen tätig war, lernte er den Chorleiter und Organisten des dortigen Klosters, den Benediktinerpater Roman Hoffstetter kennen. Der bat ihn, ein Stella coeli zu komponieren, die Vertonung einer damals in Süddeutschland weit verbreiteten marianischen Antiphon, die im Amorbacher Kloster regelmäßig nach den Konventmessen als abschließendes Gebet gesungen wurde. Kraus instrumentierte das Stück recht prachtvoll mit 2 Hörnern, 2 Flöten und Streichern. Darüber hinaus ließ er sich von der im Jahr zuvor errichteten großen Orgel in der Klosterkirche inspirieren, einem Werk der Hunsrücker Orgelbauer-Dynastie Stumm, auf dem er während der Tage in Amorbach ausgiebig spielte. Dennoch steht in den ersten beiden Textstrophen der deklamatorische Chorsatz im Vordergrund, der durch kurze Soli von Sopran und Tenor aufgelockert wird und in einer ausgedehnteren, chromatisch angereicherten Fuge gipfelt. Danach erst tritt die Orgel, von den übrigen Instrumenten begleitet, mit einer reich figurierten Oberstimme hervor, um im weiteren mit dem Solo-Sopran und dem Chor zu dialogisieren, die inständige Bitten an die Muttergottes und den Gottessohn vortragen.
Es ist möglich, dass Kraus zumindest eine der beiden Orgelsolo-Messen Joseph Haydns kannte, als er sein »Stella coeli« komponierte, und im Orgelsatz bewusst deren Stilistik aufgriff. Pater Hoffstetter jedenfalls war ein Verehrer des österreichischen Meisters und hatte manche Haydn-Messe in seinem Amorbacher Repertoire. Kraus und Haydn lernten sich dann nur wenige Monate später persönlich auf Schloss Esterháza kennen, und die Begegnung blieb keineswegs nur bei dem jungen schwedischen Hofkapellmeister von bleibendem Eindruck. »Ich besitze von ihm eine seiner Sinfonien, die ich zur Erinnerung an eines der größten Genies, die ich gekannt habe, aufbewahre,« äußerte Haydn einige Jahre später.»Ich habe nur dieses einzige Werk, weiß aber, dass er noch anderes Vortreffliches geschrieben hat.«

behe

Mitwirkende

Deutscher Kammerchor

Der Deutsche Kammerchor singt heute in folgender Besetzung:
Sopran: Annemei Blessing-Leyhausen, Ika Heimerl (Soli); Gundula Anders, Undine Holzwarth

Alt: Paul Gerhardt Adam, Carmen Schüller (Soli); Gabriele Wunder, Gudrun Köllner

Tenor: Julian Prégardien (Soli); Lothar Blum, Thilo Himstedt, Patrick Siegrist

Bass: Ekkehard Abele (Soli); Michael Albert, Lorenz Miehlich, Marcus Niedermeyer

La Stagione

La Stagione spielt heute in folgender Besetzung:
1. Violine: Ingeborg Scheerer, Katrin Ebert, Mechthild Werner, Helmut Hausberg

2. Violine: Annette Wehnert, Gudrun Höbold, Zsuzsanna Hodasz, Hajo Bäß

Viola: Werner Saller, Stefan Schmidt

Violoncello: Markus Möllenbeck, Annette Schneider

Kontrabass: Miriam Shalinsky

Flöte: Karl Kaiser, Anne Parisot

Oboe: Michael Bosch, Peter Wuttke

Klarinette: Gili Rinot, Philippe Castejon

Fagott: Marita Schaar

Horn: Ulrich Hübner, Jörg Schulteß

Orgel: Christoph Lehmann

Ltg. Michael Schneider