Saison 2008/2009: Konzert 1
Cembalissimo
Acht Clavierkonzerte von Johann Sebastian Bach Christian Rieger | Marieke Spaans Harald Hoeren | Gerald Hambitzer Sendung im Deutschlandfunk am 23.9.2008 Gefördert von der Sparkasse KölnBonnEin besonderes Fest der Sinne zum Auftakt der Spielzeit: Christian Rieger hat mit Marieke Spaans, Harald Hoeren und Gerald Hambitzer drei weitere renommierte Kölner Cembalisten eingeladen, um gemeinsam mit ihnen den Kosmos der Bach’schen Clavierkonzerte zu ergründen. Sie tun dies in einer repräsentativen Auswahl für ein, zwei, drei und vier Cembali, die sie in einem dreiteiligen Programm darbieten. Dass am »Jubeltag« des Forum Alte Musik Köln auch die beiden Pausen in festlicher Atmosphäre begangen werden, versteht sich fast schon von selbst.
Programmfolge
Johann Sebastian Bach (1685-1750)
Concerto f-Moll für Cembalo und Streicher BWV 1056
Concerto C-Dur für zwei Cembali BWV 1061a
Pause
Concerto A-Dur für Cembalo und Streicher BWV 1055
Concerto g-Moll für Cembalo und Streicher BWV 1058
Concerto d-Moll für drei Cembali und Streicher BWV 1063
Pause
Concerto C-Dur für drei Cembali und Streicher BWV 1064
Concerto a-Moll für vier Cembali und Streicher BWV 1065
Bachs (Kaffee-)Hausmusik
Neun Jahre nach dem Tod Johann Sebastian Bachs schilderte Johann Friedrich Wilhelm Sonnenkalb, ein ehemaliger Thomasschüler, seine Eindrücke vom regen musikalischen Leben im Leipziger Kantorenhaushalt Ende der 1740er Jahre: »In demselben wurde öfters Concert gehalten, wo ich denn auch den Herrn Bach in Berlin [Carl Philipp Emanuel], und den andern Herrn Bruder in Halle [Wilhelm Friedemann], welche in Leipzig zum Besuch waren, wie auch dessen Herrn Schwager, den Hrn. [Johann Christoph] Altnickel, und die beyden jüngsten Herrn Brüder [Johann Christoph Friedrich und Johann Christian] mehr als einmal habe spielen hören.« Natürlich waren die Bachs ebenso im öffentlichen Musikleben Leipzigs präsent, nicht nur im Rahmen der Kirchenmusik, sondern auch im frisch erblühenden Konzertwesen. Das war in der Universitätsstadt stark studentisch geprägt. So hatte Georg Philipp Telemann als Leipziger Student 1702 ein Collegium musicum ins Leben gerufen, und dessen Leitung lag seit Frühjahr 1729 in Bachs Händen. Die Mitglieder dieses Collegiums - Studenten und musikambitionierte Bürger - versammelten sich allwöchentlich zum öffentlichen Musizieren in einer Gaststätte, »bey Herrn Gottfried Zimmermann, Sommers-Zeit Mittwochs, auf der Wind-Mühl-Gasse, im Garten, von 4 bis 6 Uhr, und Winters-Zeit Freitags im Caffée-Hause, auf der Cather-Strasse, von 8 bis 10 Uhr« , wie es der damalige Leipziger Adresskalender formulierte - eine frühe und recht sympathisch anmutende Form des öffentlichen Konzertes, bei der wohl auch der kulinarische Aspekt keineswegs zu kurz kam.
Von einer Reihe weltlicher Huldigungsmusiken Bachs für das sächsische Herrscherhaus in Dresden weiß man mit Sicherheit, dass er sie beim Cafétier Zimmermann aufführte. Ebenso kann man davon ausgehen, dass seine Clavier-Büchlein für Anna Magdalena und Wilhelm Friedemann Bach häufig zuhause auf dem Notenpult standen. Man kennt aber eigentlich nur eine Kompositionsgattung Bachs, die im Kantorenhaus und im Kaffeehaus gleichermaßen ihren Platz fand: seine Clavierkonzerte. Das ist ein Sammelbegriff für Werke unterschiedlicher Besetzung, deren Norm die Komposition für ein konzertierendes Cembalo (im Ausnahmefall vielleicht auch schon ein Fortepiano) und Streicher darstellt. Das Tasteninstrument emanzipiert sich hier aus seiner Rolle als Generalbassinstrument und übernimmt mit einer virtuos ausgearbeiteten Oberstimmenpartie die melodische Führung, in zwei schnellen Eck- und einem langsameren, kantablen Mittelsatz. Das liest sich recht schematisch, ist von Bach aber in jedem Konzert originell umgesetzt. Außerdem hat er die Normbesetzung auf bis zu vier solistische Cembali bzw. auf weitere Solostimmen aus anderen Instrumentenfamilien erweitert - das bekannteste Beispiel dafür stellt das 5. Brandenburgische Konzert mit Soli für Traversflöte, Violine und Cembalo dar.
Andererseits gibt es Cembalokonzerte Bachs, die ohne begleitendes Ensemble auskommen: Clavierbearbeitungen von Solokonzerten vorwiegend italienischer Meister, die er 1713/14 in Weimar anfertigte, daran anknüpfend das Italienische Konzert, das er 1735 in der Clavier-Übung II sogar im Druck veröffentlichte, und schließlich das Concerto für zwei Cembali BWV 1061a. Darin verschmelzen die beiden Instrumente zu einem vielstimmigen Doppelinstrument, lassen sich aber nur kurzzeitig einmal auf eine Solo- oder Begleiterrolle festlegen. In späterer Fassung wurde der dichte Claviersatz in der quirligen Eröffnung und der ausgedehnten Schlussfuge um begleitende Streicherstimmen ergänzt; der versonnene Mittelsatz blieb aber weiterhin den beiden Cembali vorbehalten.
Die acht überlieferten Concerti für ein Cembalo und Streicher hat Bach um 1738 in einer konzeptartigen Partitur zusammengetragen. Ihr ist zu entnehmen, dass er die sechs Konzerte BWV 1052-1057 als eigenes, geschlossenes Opus ansah. Dem gingen BWV 1058 und 1059 als Prototypen voraus, von denen letzteres Fragment blieb. Auch ein Konzert für zwei Cembali und Streicher, BWV 1062, ist in einem Manuskript Bachs überliefert, ein zweites, BWV 1060, in einer Abschrift des von Sonnenkalb erwähnten (späteren) Schwiegersohns Johann Christoph Altnickol aus den 1740er Jahren. Die beiden Concerti für drei Cembali und Streicher BWV 1063 und 1064 sowie das Concerto für vier Cembali und Streicher BWV 1065 sind dank der Abschriften des Bach-Schülers Johann Friedrich Agricola erhalten; von letzterem existieren auch die Stimmen des 2., 3. und 4. Cembalos von Leipziger Aufführungen um 1730.
All diesen Clavierkonzerten ist gemeinsam, dass sie aus Umarbeitungen älterer Kompositionen für Melodieinstrumente und Orchester hervorgingen. Zum Teil kennt man Bachs Vorlagen: Das Konzert für vier Cembali ist eine Bearbeitung des Concerto für vier Violinen und Streicher h-Moll aus der Sammlung L'Estro armonico op. 3 von Antonio Vivaldi, dem großen europaweiten Vorbild für die Komposition von Solokonzerten. Zu einigen anderen Konzerten sind auch jene Urformen mit Violine solo erhalten, die Bach wohl als Hofmusiker in Weimar und Köthen komponierte, oder zumindest eine ältere Neufassung in Gestalt Leipziger Kantatensätze mit konzertierender Orgel. An praktischen Versuchen, aus Bachs übrigen Clavierkonzerten hypothetische Fassungen für Melodieinstrument und Orchester zu rekonstruieren, hat es in den letzten einhundert Jahren nicht gefehlt.
Bach formte die Solopartien der Ursprungsfassungen so um, dass sie den spiel- und klangtechnischen Eigenschaften des Cembalos entgegenkamen, außerdem arbeitete er auch die Bassstimme des Cembaloparts virtuos aus. Die Rahmensätze geben den Solisten weiten Raum für virtuoses Passagenwerk, das sich beim Zusammenspiel mehrerer Cembali zu einem kompakten Netzwerk rauschender Tonkaskaden potenziert. In der harmonisch vielschichtigen Textur dieser schnellen Sätze offenbart sich der charakteristische impulsive Ton der Bach'schen Themenerfindung. In den langsamen Mittelsätzen begegnet man dagegen oft einer herben Melancholie, die auch heute noch nichts von ihrer außergewöhnlichen Expressivität eingebüßt hat.
Mitwirkende
Marieke Spaans - Cembalo
Harald Hoeren - Cembalo
Gerald Hambitzer - Cembalo
Anton Steck, Gudrun Engelhardt, Wolfgang von Kessinger, Markus Möllenbeck, Miriam Shalinsky - Streichinstrumente
Neben seinen Cembalokollegen hat Christian Rieger, der das Konzept des heutigen Konzerts entwickelt hat, fünf weitere renommierte Musiker aus dem Bereich der historischen Aufführungspraxis eingeladen, die in Köln ihr künstlerisches Domizil gefunden haben: Anton Steck und Gudrun Engelhardt (Violine), Wolfgang von Kessinger (Viola), Markus Möllenbeck (Violoncello) und Miriam Shalinsky (Violone) bilden das begleitende Streicherensemble. Sie konzertieren international solistisch oder als Mitglieder von Kammermusikformationen und Orchestern und sind als Stimmführer bzw. leitende Continuospieler in Ensembles wie Concerto Köln, Das Neue Orchester, Capella Augustina und La Stagione Frankfurt anzutreffen.