Saison 2009/2010: Konzert 5
Wolfgang Amadeus Mozart | Ludwig van Beethoven
Violinsonaten Midori Seiler, Violine | Jos van Immerseel, Hammerflügel Sendung im Deutschlandfunk am 23.2.2010»Für Clavier in Begleitung einer Violine« oder »für Violine in Begleitung eines Claviers«? Zumindest die Tastenvirtuosen unter den Komponisten des 18. Jahrhunderts mochten sich oft nicht so recht entscheiden, welche Stimme in einer Duo-Sonate denn die Oberhand gewinnen sollte. Aber das macht gerade den besonderen Reiz dieser Kammermusik aus, die sowohl kantabel wie konzertant, bisweilen sogar sinfonisch anmutet. Mit Midori Seiler und Jos van Immerseel sind zwei internationale Stars in einer Duo-Formation zu Gast, um sich zwei Meistern der Clavier-Violinsonate in der Wiener Klassik zu widmen.
Programmfolge
Sonate F-Dur KV 377
Allegro - Andante con variazioni - Tempo di Menuetto
Fantasie für Klavier solo c-Moll KV 475
Sonate G-Dur KV 379
Adagio - Allegro - Andantino cantabile
Pause
Ludwig van Beethoven (1770-1827)
Sonate Nr. 4 a-Moll op. 23
Presto - Andante scherzando, più allegretto - Allegro molto
Sonate Nr. 5 F- Dur op. 24 (»Frühlingssonate«)
Allegro - Adagio molto espressivo - Scherzo: Allegro molto - Rondo: Allegro ma non troppo
Wiener Sonaten
Ich versichere Sie, dass hier ein herrlicher Ort ist, und für mein Metier der beste Ort von der Welt. […]
Heute hatten wir - denn ich schreibe um 11 Uhr nachts - Akademie. Da wurden drei Stücke von mir gemacht. Versteht sich, neue: ein Rondeau zu einem Konzert für Brunetti; eine Sonata mit Accompagnement einer Violin, für mich - welche ich gestern nachts von 11 Uhr bis 12 Uhr komponiert habe - aber damit ich fertig geworden bin, nur die Accompagnementstimm für Brunetti geschrieben habe, ich aber meine Partie im Kopf behalten habe; und dann ein Rondeau für Ceccarelli - welches er hat repetieren müssen. […]
Es heißt nun, wir sollen in vierzehn Tagen nach Salzburg reisen - ich kann nicht allein ohne meinen Schaden, sondern [sogar] mit meinem Nutzen hier bleiben. Ich habe also im Sinn, dem Erzbischof zu bitten, mir noch hierzubleiben zu erlauben.
Die voranstehenden Nachrichten aus Wien sandte Wolfgang Amadeus Mozart in zwei Briefen vom 4. und 8. April 1781 an seinen Vater in Salzburg, um ihn einerseits über seine Erfolge auf dem Laufenden zu halten, andererseits aber auch, um seinen Rat und sein Placet einzuholen. Denn es galt in diesen Tagen wieder einmal, die richtigen Entscheidungen für eine erfolgversprechende Künstlerkarriere zu treffen. Nach der eher glücklosen Bewerbungs-Tour der Jahre 1777/78, die Mozart über München, Augsburg und Mannheim nach Paris geführt hatte, stand er als Hoforganist wieder in den Diensten des Salzburger Erzbischofs Hieronymus von Colloredo. Von einem Gastspiel in München, bei dem Mozart am 29. Januar 1781 das Auftragswerk Idomeneo zur Uraufführung brachte, hatte Colloredo ihn direkt nach Wien zitiert: Mozart sollte ihm, den eine ernste Erkrankung seines Vaters an die Donau gerufen hatte, musikalisch aufwarten. Mit seinem fulminanten Klavierspiel und seinen superben Kompositionen erregte Mozart in Wien Aufsehen, und die spürbare Gunst des Publikums bestärkte ihn, eine Entlassung aus den Diensten des eher bescheiden zahlenden Fürsterzbischofs anzustreben. Damit hatte er schließlich auch Erfolg: Das Dienstverhältnis endete am 8. Juni mit dem legendären Fußtritt des fürstlichen Beamten Graf Arco. Somit befand sich Mozart wieder in der Situation des freischaffenden Künstlers, die ihm aus den Pariser Monaten des Jahres 1778 vertraut war: Er musste versuchen, als Komponist und Interpret in den musikalischen Zirkeln präsent zu sein. Dabei konnte ihm der musikalische Privatunterricht in ambitionierten Adels- und Bürgerhäusern, den er sich gut bezahlen ließ, ebenso als Empfehlung dienen wie die Druckveröffentlichung von musikalisch ansprechenden und mit geringem Organisationsaufwand aufzuführenden Kompositionen.
So darf man das halbe Dutzend Sonaten KV 296 und 376-480 pour le Clavecin, ou Pianoforte avec l'accompagnement d'un Violon, das im November 1781 beim Wiener Verlagshaus Artaria als Mozarts Opus 2 erschien, als situationsbezogene Kompositionen ansehen - unbeschadet ihrer überzeitlichen künstlerischen Bedeutung (und der Tatsache, dass KV 296 bereits 1778 in Mannheim entstanden ist). Wie beim Pariser Pendant, Mozarts Opus 1 (KV 301-306), handelt es sich um Sonaten, die das Cembalo bzw. den Hammerflügel nicht auf eine Begleitfunktion für das Melodieinstrument beschränken. Die Formulierung »in Begleitung einer Violine« im Titel deutet sogar eher das Gegenteil an, spiegelt damit aber nur mehr eine französische Konvention aus dem früheren 18. Jahrhundert und keineswegs Mozarts Kompositionskonzept, das in den beiden Spielern ebenbürtige Dialogpartner sieht. Als Duo-Kompositionen sind diese Sonaten einerseits typische Kammermusikstücke; andererseits geben sie den Interpreten Gelegenheit, sich als Konzertvirtuosen vorzustellen.
Als typisches Beispiel für den Wiener Druck darf die Sonate F-Dur KV 377 gelten, die das heutige Konzert eröffnet: dem furios losbrechenden Allegro schließen sich zwei Satzformen an, die in der Divertimento-Atmosphäre der Adelssalons besonders willkommen waren - eine Folge von Variationen (hier über ein Moll-Thema) und ein Menuett. Dass Mozart dabei aber keineswegs nur den gefälligen Konventionen seiner Zeitgenossen folgte, betonte schon im April 1783 der Rezensent in Carl Friedrich Camers Magazin zur Musik: »Diese Sonaten sind die einzigen in ihrer Art, reich an neuen Gedanken und Spuren des großen musicalischen Genies des Verfassers, sehr brillant und dem Instrumente angemessen.«
In der Sonate G-Dur KV 479 spielt Mozart in origineller Weise mit der Satz-Konvention: Die expressive langsame Einleitung entpuppt sich nach und nach als autonomer Sonatensatz, auf den anstelle der formgerechten Reprise abrupt der schnelle zweite Satz in der Moll-Variante der Grundtonart folgt. Der abschließende Variationensatz erst führt in eine vertrautere Sonaten-Dramaturgie zurück. Sehr wahrscheinlich handelt es sich bei diesem Werk um jene »Sonata mit Accompagnement einer Violin, für mich« aus der Akademie für Colloredo am 7. April 1781, die Mozart im Brief an seinem Vater erwähnt. Dafür spricht neben der besonderen Form auch Mozarts Autograph, das Zeichen ungewöhnlicher Eile aufweist.
Mozart hat sein Opus 2 der Pianistin Josepha Barbara von Auernhammer gewidmet, die er in dieser Zeit unterrichtete (»die Freulle ist ein Scheusal! - Spielt aber zum Entzücken«). Es ist überliefert, dass er mit ihr die Sonaten auch kurz vor Drucklegung zur Kontrolle aus den Korrekturfahnen musizierte, wobei sie die Pianoforte-Partie übernahm und er auf einem zweiten Klavier die Violinstimme.
Zwischen den beiden Klavier-Violin-Sonaten steht im heutigen Konzert mit der Fantasie c-Moll für Klavier solo KV 475 eines der ungewöhnlichsten Solowerke Mozarts. Er komponierte es am 20. Mai 1785 und stellte es als eine Art Introduktion seiner im Jahr zuvor entstandenen c-Moll-Sonate KV 457 voran, als er diese bei Artaria als sein Opus 11 in Druck gab. Die etwa zwölfminütige Fantasie vermittelt in ihrer rhapsodisch-frei ausschwingenden Form einen Eindruck von Mozarts Improvisationskunst am Tasteninstrument, aber auch von den Einflüssen des Bach-Sohnes Carl Philipp Emanuel.
Als Ludwig van Beethoven im November 1792 in Wien anlangte, stand auch er noch in den Diensten seines Fürsterzbischofs, des Kölner Kurfürsten Maximilian Franz. Der hatte seinen Musiker nach Österreich zur Ausbildung bei Joseph Haydn geschickt, aus dessen Händen der knapp 22-Jährige den »Geist« des knapp ein Jahr zuvor verstorbenen Mozart empfangen sollte. Im März 1794 erhielt Beethoven sein fürstliches Stipendium inklusive Kapellistenhonorar aber zum letzten Mal; von diesem Zeitpunkt an lebte auch er in Wien als freischaffender Künstler, und ebenso gelang es ihm, ein breiteres Publikums aus Adel und Bürgertum für sich zu gewinnen. Kompositorisch zog Beethoven zunächst durch seine Klaviertrios op. 1 und seine Klaviersonaten op. 2 die Aufmerksamkeit auf sich. Zur Klavier-Violinsonate fand er in Wien offenbar erst 1797, als er jene drei Sonaten komponierte, die im Jahr darauf als Opus 12 mit einer Widmung an seinen Lehrer Antonio Salieri im Druck erschienen. Um das Jahr 1800 entstanden dann die beiden Sonaten, die in der zweiten Hälfte des heutigen Konzerts zu hören sind. Dass sie unterschiedliche Opus-Nummern tragen, ist einem technischen Versehen geschuldet: Beethovens Verleger Tranquillo Mollo musste sich zu zwei separaten Ausgaben entschließen, da ihm die Drucke der beiden Kompositionen in unterschiedlichen Formaten angeliefert wurden. Beethoven widmete die Sonaten dem Grafen Moritz von Fries, einem seiner frühen Wiener Gönner.
Die Sonate a-Moll op. 23 eröffnet mit einem aufgewühlten Satz im Geiste des Sturm und Drang, zu dem der leicht melancholische, an Mozart angelehnte Ton des Dur-Mittelsatzes den denkbar größten Kontrast darstellt. Im Schlusssatz verbindet Beethoven dann die Verspieltheit der Rondo-Form mit dem Ernst der Moll-Tonart.
Die lyrische Grundhaltung der Sonate F-Dur op. 24 kommt im direkten Vergleich mit der Schwester-Sonate besonders deutlich zur Geltung. In ihrem ersten Satz übernimmt erstmals bei Beethoven die Violine anstelle des Klaviers die Vorstellung des Hauptthemas, das sich in ariosen Melodiebögen entfalten darf. Auch der folgende langsame Satz ist von kantablem Melos geprägt; im prägnant kurzen und ausgelassenen Scherzo und dem konzertanten Rondo-Finale setzt sich dann ein musikantisch-virtuoser Gestus durch.
»Es macht viel Freude, wenn man eine Menge neugedruckter Klaviersachen durchgegangen ist und bey den meisten immer und immer wieder dasselbe, höchstens zuweilen mit einem flüchtigen, neuen Einfall ein wenig gewürzt, gefunden hat, und nun endlich auch auf etwas Neuerfundenes, wie diese zwey Sonaten von B. sind, kömmt. Rec. zählt sie unter die besten, die B. geschrieben hat, und das heisst ja wirklich, unter die besten, die gerade jetzt überhaupt geschrieben werden«, so der Kritiker der Allgemeinen Musikalischen Zeitung von 1802. Die »Originalgenies« Mozart und Beethoven ragten eben auch in der Wahrnehmung ihrer Zeitgenossen aus der geschäftigen Musikproduktion der vitalen Wiener Kunstszene schon weit heraus.