Saison 2010/2011: Konzert 2
Heinrich Ignaz Franz Biber
Rosenkranzsonaten Dmitry Sinkovsky Violine | Olga Watts Cembalo Sendung auf WDR 3 am 25.11.2010Der Russe Dmitry Sinkovsky ist spätestens seit seinen unangefochtenen Siegen beim renommierten Wettbewerb Musica Antiqua in Brügge 2008 und beim Biber-Wettbewerb in St. Florian 2009 ein neuer aufstrebender Stern am Barockgeigen-Himmel. Zusammen mit der Cembalistin Olga Watts kommt Sinkovsky nun nach Köln, um eines der violinistischen Gipfelwerke des 17. Jahrhunderts zu interpretieren: die programmatischen Mysterien- oder Rosenkranzsonaten, jenen Zyklus, den der Geigenvirtuose Heinrich Ignaz Franz Biber Mitte der 1670er Jahre seinem Salzburger Fürsterzbischof zur privaten Erbauung schrieb.
Programmfolge
Heinrich Ignaz Franz Biber (1644-1704)
Sonata I in d »Mariä Verkündung«
Sonata III in h »Christi Geburt«
Sonata IV in d »Mariä Reinigung«
über die freudenhaften Mysterien des Rosenkranzes (Salzburg ca. 1678)
Johann Jacob Froberger (1616-1667)
Toccata in d für Cembalo solo (Wien 1649)
Heinrich Ignaz Franz Biber
Sonata IX in a »Die Kreuztragung«
Sonata X in g »Die Kreuzigung«
über die schmerzhaften Mysterien des Rosenkranzes (Salzburg ca. 1678)
Pause
Heinrich Ignaz Franz Biber
Sonata XI in G »Die Auferstehung«
Sonata XII in C »Christi Himmelfahrt«
über die glorreichen Mysterien des Rosenkranzes (Salzburg ca. 1678)
Johann Jacob Froberger
Toccata in F für Cembalo solo (Wien 1649)
Heinrich Ignaz Franz Biber
Sonata XIV in D »Mariä Himmelfahrt«
über die glorreichen Mysterien des Rosenkranzes (Salzburg ca. 1678)
Passacaglia in g für Violine solo
über die Mysterien des Rosenkranzes (Salzburg ca. 1678)
Ausdruck einer autonomen Kunst
Profan betrachtet ist der Rosenkranz eine geschlossene Kette mit 50 kleineren Perlen, die sich regelmäßig mit fünf größeren abwechseln, wobei von einer dieser größeren Perlen eine Schnur mit noch einmal drei kleineren und einer großen Perle ausgeht, an der ein Kreuz hängt. In religiöser Deutung versinnbildlicht und unterstützt der Rosenkranz aber das in meditativer Weise vielfach wiederholte Beten des Ave Maria, das mit den Worten »Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnaden, der Herr ist mit dir« beginnt. Jeweils zehn Wiederholungen des Ave Maria, von einem Vaterunser eingeleitet und der kleinen Doxologie »Ehre sei dem Vater …« abgeschlossen, bilden ein »Gesätz«, je fünf Gesätze einen Rosenkranz und entsprechen damit der geschlossenen Kette, drei Rosenkränze einem kompletten Rosenkranzgebet. In dieser Form ist der Rosenkranz seit dem späten Mittelalter in der römischen Kirche als »Marienpsalter« gebräuchlich. Damals prägte sich auch der Brauch aus, beim Rosenkranzgebet im ersten Teil des Ave Maria die Namensnennung Jesu jeweils um ein Attribut zu erweitern, mit dem eines der je fünf kanonisierten »freudenhaften«, »schmerzhaften« oder »glorreichen« Geheimnisse aus der Heilsgeschichte des Gottessohnes angesprochen wird.
»Zur Ehre der fünfzehn heiligen Mysterien« des Rosenkranzes komponierte der Salzburger Hofmusiker Heinrich Ignaz Franz Biber laut seinem Vorwort nun jene fünfzehn Sonaten, die er in einer mit kleinen medaillonartigen Kupferstichbildern verzierten Handschrift seinem Fürsterzbischof Max Gandolph von Kuenburg widmete. Biber, ein gebürtiger Böhme, war 1670 von einer Einkaufsreise zum Tiroler Geigenbaumeister Jacobus Stainer nicht mehr zu seinem damaligen Dienstherren zurückgekehrt, dem in Kremsier residierenden Olmützer Bischof Karl von Liechtenstein-Kastelkorn. Der Ausnahmegeiger zog offenbar eine Anstellung am Salzburger Hof vor, 1671 zunächst einmal als Kammerdiener. Max Gandolph trat 1674 der Salzburger Rosenkranzbruderschaft bei, einer Vereinigung von Akademikern, die sich 1619 im Zuge der Gegenreformation und der damit einhergehenden wachsenden Marienverehrung gegründet hatte. Sie hielt ihre täglichen Andachten in der Universitätsaula ab, deren Wände mit fünfzehn Gemälden zu den Rosenkranzmysterien geschmückt waren. Diese Abbildungen finden sich in Bibers Manuskript der Mysteriensonaten in Form der kleinen Kupferstich-Reproduktionen wieder. Man hat inzwischen den Druck wiederentdeckt, dem sie entnommen sind, ein Blatt der Bruderschaft, das die Jahreszahl 1678 trägt. Demnach dürfte auch der Notenband etwa zu dieser Zeit entstanden sein, vielleicht als Dankgabe des Komponisten an Max Gandolph, der Biber am 12. Januar 1678 zum Vizekapellmeister erhob (zwölf Jahre später wurde er dann zum Hofkapellmeister ernannt und blieb in dieser Stellung bis zu seinem Tod 1704).
»Du wirst meine viersaitige Leier auf fünfzehn Arten verstimmt finden, in verschiedenen Sonaten, Präludien, Allemanden, Couranten, Sarabanden, Arien, einer Ciacona, Variationen etc. und im Zusammenklang mit dem Basso continuo, ausgearbeitet mit Sorgfalt und größtmöglicher Kunstfertigkeit«, so umreißt Biber in seinem Vorwort die musikalische Gestalt seiner Mysteriensonaten. Wie in dieser Zeit üblich, setzen sie sich überwiegend aus einer kleinteiligen Folge mehrerer Sätze zusammen, die nach Suiten-Art in derselben Tonart stehen. Ungewöhnlich hingegen ist die Skordatur, die in jeder außer der ersten Sonate und der abschließenden, für Violine ohne Begleitung geschriebenen Passacaglia gefordert wird: eine Umstimmung einzelner Saiten, die das Spielen besonderer Doppelgriffe ermöglicht. In der Auferstehungs-Sonate treibt Biber die Skordatur sichtbar bis zum Extrem: Die beiden mittleren Saiten werden dergestalt vertauscht, dass sie im Wirbelkasten und zwischen Steg und Saitenhalter die Form des Kreuzes bilden - ohne das die Auferstehung nicht denkbar ist. Ansonsten sind die Bezüge zwischen Mysterium und musikalischer Gestalt übefrwiegend klanglicher Natur (wobei Anspielungen wie melodische Zitate in der Sonate »Christi Geburt«, die aus der Kreuzigungs-Sonate und aus Bibers vokaler Psalmvertonung »Laetatus sum« herrühren, wohl selbst dem kundigen Zuhörer von damals kaum ohrenfällig waren). Insgesamt sind diese Sonaten also keine wortmalerisch beschreibenden Charakterstücke, sondern eher Ausdruck einer autonomen Kunst, die dem Widmungsträger als musikalischer Hintergrund seiner Rosenkranz-Meditationen gedient haben mag - und dem Violinspieler als Ausdruck seiner besonderen Erfindungsgabe und Virtuosität. Denn entschiedener noch als in seinen für die Allgemeinheit bestimmten Drucken dürfte Biber in diesem privat gehaltenen Manuskript den Solopart für sich selbst geschrieben haben. Das zeigt sich deutlich auch am Ende des Zyklus, der seine abschließende Steigerung paradoxerweise dadurch erhält, dass die Violine nun alleine erklingt - dafür aber in höchst artifizieller mehrstimmiger Spielweise. Bibers Mysteriensonaten umgibt der Nimbus des Außergewöhnlichen; das heutige Konzert mit seiner repräsentativen Stückauswahl dürfte einen nachhaltigen Eindruck davon vermitteln.
Auch die beiden Werke für Tasteninstrument alleine, die heute zwischen den Sonaten Bibers stehen, sind in autographen Manuskripten ihres Komponisten überliefert, die für einen fürstlichen Dienstherren bestimmt waren: Es handelt sich um Kompositionen des aus Stuttgart stammenden Claviervirtuosen Johann Jacob Froberger, der in Wien jahrzehntelang im Habsburger-Kaiser Ferdinand III. einen Gönner und Förderer fand. Die zwischen virtuos-beredtem Figurenwerk und kontrapunktischer Satzdichte changierenden Toccaten können die Schule des römischen Organisten Girolamo Frescobaldi nicht verleugnen. Bei ihm war Froberger zwischen 1637 und 1641 auf Kosten des Wiener Hofes in die Lehre gegangen, und dessen modernen Stylus phantasticus trug Froberger im folgenden Vierteljahrhundert auf mehreren Konzerttourneen in viele Länder des nördlicheren Europas.