Saison 2010/2011: Konzert 1

Sonntag, 19. September 2010 17 Uhr WDR-Funkhaus

Robert Schumann

Der Rose Pilgerfahrt op. 112 Requiem op. 148 Das Neue Orchester | Chorus musicus Ltg. Christoph Spering Christoph Spering Sendung auf WDR 3 am 3.10.2010

Das Jahr 2010 steht musikalisch im Zeichen des 200. Geburtstages von Robert Schumann. Das FORUM ALTE MUSIK KÖLN beginnt die neue Spielzeit daher mit einem Konzert, das mit heute fast vergessenen oratorischen Werken aus Schumanns Düsseldorfer Jahren um 1850 bekanntmacht: dem musikalischen Märchen Der Rose Pilgerfahrt und dem ergreifenden Requiem. Mit Christoph Spering steht ein Avantgardist der historischen Aufführungspraxis romantischer Musik am Dirigentenpult.
In Zusammenarbeit mit der Ursulinenschule Köln

Programmfolge

Robert Schumann (1810-1856)
Requiem Des-Dur op. 148
für Sopran, Alt, Tenor, Bass,
Chor und Orchester (Düsseldorf 1852)

Pause

Der Rose Pilgerfahrt op. 112
Märchen nach einer Dichtung von Moritz Horn
für 2 Soprane, Alt, Tenor, 2 Bässe, Chor und Orchester (Düsseldorf 1851)

Pdf-Download: Gesangstexte und Übersetzungen

Poetisch, einfach und eindringlich

Das Chorschaffen Robert Schumanns konzentriert sich im wesentlichen auf die Zeit um 1850, und das hat nicht zuletzt mit seinem beruflichen Werdegang zu tun. Im Jahr 1847 war dem damals in Dresden lebenden Komponisten erstmals die Leitung eines Männerchores, der Dresdner Liedertafel, und wenig später die des gemischten Chorgesangvereins übertragen worden. 1850 übernahm er dann die Nachfolge Ferdinand Hillers als Düsseldorfer Musikdirektor, eine Stelle, die die Pflicht mit sich brachte, in Chor- und Orchesterkonzerten auch eigene Werke aufzuführen. Die neuen Anforderungen in Düsseldorf waren für Schumann, der bisher solche Positionen gemieden hatte, außerordentlich anregend. Viele seiner Kompositionsideen konnte er in oft erstaunlich kurzer Zeit verwirklichen, was aufgrund gesundheitlicher Probleme zuvor nicht immer der Fall gewesen war.

In der überaus produktiven Schaffensphase der ersten Düsseldorfer Monate erreichte ihn ein Libretto des jungen Chemnitzer Juristen Moritz Horn, der sich als Lyriker und Novellist einen Namen gemacht hatte: die Dichtung Die Pilgerfahrt der Rose. Sie regte den Komponisten unmittelbar zur Vertonung an. Horn erzählt die Geschichte von Rose, einem Elfenkind, das sich nichts sehnlicher wünscht, als das irdische Leben und die weltliche Liebe zu erfahren. Nach langem Bitten wird ihm erlaubt, das sichere Reich der Elfen, »wo Glück und Frieden ewig walten«, zu verlassen und als Rosa in der Welt der Menschen zu leben. Dort trifft sie zunächst auf die misstrauische Martha, die ihr keine Bleibe gewährt. Ein Totengräber aber nimmt sie herzlich auf. Im Dorf ist gerade die Tochter des Müllers an gebrochenem Herzen gestorben. Da Rosa ihr verblüffend ähnelt, nehmen die Müllersleute das bald von allen geliebte Elfenkind an Kindesstatt an. Als Rosa zu einer Frau heranwächst, verliebt sich ein junger Försterssohn unsterblich in sie und beide heiraten. Die Ehe beschert dem Paar nach einem Jahr ein Töchterchen, aber trotz aller Freuden wird Rosa nicht froh. Zwar erfährt sie das Glück der irdischen Liebe, doch wird sie von einer unbegreiflichen Todessehnsucht befallen. Sie entscheidet sich zu sterben, indem sie all ihre irdische Lebensfreude, die ihr die Elfenfürstin in Form einer Rose mit auf den Weg gegeben hatte, an ihr eigenes Kind weitergibt. Nun müsste sie zu den Elfen zurückkehren, jedoch ist es ihr vergönnt, in himmlische Sphären aufgenommen zu werden.

Schumann hatte bereits große Teile der Komposition skizziert, als er sich wegen einiger Probleme der Textgestalt an Horn wandte. »Gewiß eignet sich die Dichtung zur Musik, und es sind mir auch schon eine Menge Melodien dazu durch den Sinn gegangen«, schreibt er ihm am 21. April 1851, »aber es müßte viel gekürzt werden, vieles dramatischer gehalten sein. Dies aber nur in Betracht zur musikalischen Composition, dem Gedicht als Gedicht bin ich weit entfernt, diese Ausstellung zu machen.« Im Juni schlug Schumann dem Dichter dann eine gänzlich neue Schlusswendung vor: »Wie wär' es, man ließe nach Rosa's Tod einen Engelchor anheben: Rosa würde nicht wieder zur Rose verwandelt, sondern zum Engel: ,Zu deinen Blumen nicht, / zu höhrem Licht / schwing dich empor etc.' Die Steigerung: Rose, Mädchen, Engel scheint mir poetisch und außerdem auf jene Lehre höherer Verwandlungen der Wesen hinzudeuten, der wir ja Alle so gern anhängen. So fiele auch die trockne Reflexion weg, die mir gerade am Schluß nie behagen wollte.«

So geschah es dann auch. Die Apotheose der Rose ist also eine Idee Schumanns, die dem Text eine gänzlich neue, pseudo-religiöse Dimension verleiht. Das Leben wird nicht mehr als ein ständiges Kommen und Gehen gesehen; vielmehr ist es darauf ausgerichtet, eine höhere Wesensstufe zu erlangen – was sich durchaus christlich deuten lässt. Damit geht der Text über die bloße märchenhafte Beschreibung der bürgerlichen Wunschvorstellung einer dörflichen Naturidylle hinaus.

Der Rose Pilgerfahrt spiegelt wie die acht Jahre ältere Komposition Das Paradies und die Peri Schumanns Einstellung zum traditionellen Oratorium, das er als Gattung betrachtete, »deren Blüte schon längst vorüber« war: »Das Oratorium müßte ein durchaus volksthümliches werden, eines, das Bauer und Bürger verstände [...] Und in diesem Sinne würde ich mich auch bestreben, meine Musik zu halten, also am wenigsten künstlich, complicirt, contrapunctisch, sondern einfach, eindringlich, durch Rhythmus und Melodie vorzugsweise wirkend.« Diese Charakterisierung trifft auf die musikalische Gestalt der Rose zu, zumindest in den Partien von Solisten und Chor.

Sehr einfach und klar gehalten, überwiegen liedhafte Melodien auch in den erzählenden Abschnitten. Dies unterstreicht die lyrische Grundhaltung des Werkes, die trotz Schumanns Bestrebungen, das Libretto durch Dialoge zu dramatisieren, unverkennbar ist. Farbigkeit und Komplexität erhält es aber vor allem durch den Instrumentalsatz, der gegenüber den Vokalpartien wesentlich dichter ist.

Ursprünglich hatte Schumann nur eine Klavierbegleitung vorgesehen. In dieser Form erklang die Rose anlässlich der Einweihung seines Musiksalons in der neuen Düsseldorfer Wohnung am 6. Juli 1851 in einer privaten Hausaufführung. Dabei wirkte neben Clara Schumann am Klavier das Singekränzchen mit, ein privater Musizierkreis, der sich unter Schumanns Leitung abwechselnd in den Salons seiner Mitwirkenden traf. Die Zuhörer waren sehr angetan von dem Stück und drängten den Komponisten, es zu instrumentieren. Das freilich wollte ihm nicht recht behagen, ihm schien »die Pianofortebegleitung des zarten Stoffes halber auch vollkommen hinreichend«. Die Orchesterfassung, die am 5. Februar 1852 im Geislerschen Saal (der späteren Tonhalle) in Düsseldorf erstmals erklang, war gleichwohl ein großer Erfolg, ebenso wie die beiden Leipziger Aufführungen im darauffolgenden März.

Die Intimität der Klavierfassung ist auch in der Orchesterfassung noch allenthalben zu spüren. Epische Breite und Monumentalität gehen Der Rose Pilgerfahrt gänzlich ab. Es ist ein stimmungsvolles, sehr zartes und inniges Werk, das volkstümliches Leben und verklärte Naturidylle darstellen will. Die vom dramatischen Oratorium eines Georg Friedrich Händel geprägten Erwartungen, die sich mit einem großen Chor-Orchester-Werk gemeinhin verbinden, sind wohl in erster Linie dafür verantwortlich, dass Der Rose Pilgerfahrt, die noch bis ins 20. Jahrhundert hinein einen festen Platz im Konzertrepertoire innehatte, heute weitgehend vergessen ist. Es ist weniger das große Pathos, es sind die zarten, lyrischen Töne, die hier erklingen. Auf sie muss man sich einlassen, will man dieses stille, gelegentlich etwas sentimentale Werk verstehen.

Helga Heyder-Späth

In die Zeit nach der Fertigstellung der Rose Pilgerfahrt fällt Schumanns intensive Beschäftigung mit der Komposition größerer geistlicher Vokalwerke. Eine Woche nach der Erstaufführung der Orchesterfassung begann er mit der Arbeit an seiner Missa sacra c-Moll op. 147, eine Woche nach deren Fertigstellung wiederum entstehen am 26. April 1852 die ersten Skizzen des Requiems Des-Dur op. 148. Wie so viele Komponisten vor ihm wählte Schumann nur Teile des liturgischen Textes zur Totenmesse aus; wie in den Requiem-Kompositionen von Wolfgang Amadeus Mozart und Luigi Cherubini, die Schumann vertraut waren, steht die chorische Vertonung im Vordergrund, treten die vier Solisten häufig als Ensemble hervor.

Als deutlicher Ausdruck romantischer Individualität ist aber die ungewöhnliche Tonartenwahl zu werten: Es ist jenes Des-Dur, das Schumann auch an anderer Stelle (etwa am Schluss seines Liedzyklus Dichterliebe) mit dem Tod assoziiert, inspiriert vielleicht von der Tonartencharakteristik, die Christian Friedrich Daniel Schubart 1806 in seinen Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst geliefert hatte: »Des-Dur, ein schielender Ton, ausartend in Leid und Wonne. Lachen kann er nicht, aber lächeln, heulen kann er nicht, aber wenigstens das Weinen grimassieren. – Man kann sonach nur seltene Charaktere und Empfindungen in diesen Ton verlegen.«

Von den Gefühlswelt Schumanns während seiner Arbeit am Des-Dur-Requiem zeugt ein Brief, den der junge Johannes Brahms 1855 an Clara Schumann schrieb: »Ich denke daran, wie oft Herr Schumann Todesahnung hatte, wie oft Er Sie damit geängstigt. Schon das Requiem, meinte er, wie Mozart, für sich geschrieben zu haben.« Der Brief stammt aus jener letzten Lebensphase Schumanns zwischen dem Selbstmordversuch im Februar 1854 und seinem Tod in der Psychiatrischen Heilanstalt Endenich am 29. Juli 1856. Romantische Ergriffenheit bis hin zur Todessehnsucht spricht denn auch aus diesem letzten geistlichen Werk, dessen Aufführung der Komponist nicht mehr erlebte. Der lyrischen Rose Pilgerfahrt stellt sich dieses Requiem mit seinem abgeklärt-trostreichem Ton als ideelles Schwesterwerk zur Seite.

behe

Mitwirkende

Britta Stallmeister, Antonia Bourvé - Sopran
Olivia Vermeulen - Mezzosopran
Daniel Behle - Tenor
Sebastian Kitzinger - Bass
Chorus musicus
Das Neue Orchester
Ltg. Christoph Spering

Der Chorus Musicus singt heute in folgender Besetzung:

Julika Birke, Dagmar Deuter, Christine Fischer, Berit Grond, Helma Grote, Susanne Heydasch-Lehmann, Annette Heuser, Sabine Laubach, Anne Laufen, Hella Schäfer, Stephanie Wilkens (Sopran)
Helga Blume, Dagmar Brinken, Anna Dierl, Carolien Flury, Barbara Gepp, Vivian Guerra, Franziska Hösli, Inge Körfer-Eckstein, Triin Maran, Barbara Siefker, Britta Wurm (Alt)
Walter Bässler, Tobias Glagau, Jakob Buch, Wolfram Jäckel, Frank Fabian, Rolf Krings, André Neppel, Markus Petermann, Marco Schweizer (Tenor)
Oliver Aigner, Bernhard Behr, Guillermo Cardon, Matthias Grubmüller, Michael Kolvenbach, Frank Knipprath, Thomas Lehmann, Raphael Müller-Viebahn, Carsten Siedentop (Bass)

Das Neue Orchester spielt heute in folgender Besetzung:

Ingo Nelken, Valentin Weichert (Flöte); Markus Deuter, Martin Jelev (Oboe)
Philippe Castejon, Benjamin Reissenberger (Klarinette); Veit Scholz, Eckhard Lenzing (Fagott)
Christian Binde, Oliver Kersken, Renée Allen, Stefan Oetter (Horn)
Raphael Vang, Michael Scheuermann, Uwe Haase (Posaunen)
Thibaud Robinne, Sylvain Maillard (Trompete), Friedhelm May (Pauken)
Pauline Nobes (Konzertmeisterin), Marika Apro-Klos, Christian Friedrich, Christof Boerner, Frauke Heiwolt, Mark Schimmelmann, Anna Maria Smerd, Eva Maria Wolsing (Violine 1)
Jorge Jimenez, Erika Apro, Martin Ehrhardt, Anna Gärtner, Ilsebill Hünteler, Malina Mantcheva (Violine 2)
Antje Sabinski, Valentin Holub, Bodo Lönartz, Michaela Thielen (Viola)
Helga Löhrer, Tal Canetti , Andreas Müller, Martin Burkhardt (Violoncello)
Timo Hoppe, Jörg Lühring (Kontrabass)