Saison 2016/2017: Konzert 1
Ein Berliner Konzert
Sonaten, Quartette und Konzerte im empfindsamen Stil von Johann Gottlieb Janitsch, Johann Gottlieb Graun, Carl Philipp Emanuel Bach u.a. Ensemble 1700 Dorothee Oberlinger Sendung auf WDR 3 am 1. Januar 2017 ab 18:04 Uhr
Eine junge, von den Ideen der Aufklärung beseelte Komponistengeneration begab sich im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts auf die Suche nach einer neuen, sinnlicheren Ausdrucksweise. Einige ihrer Protagonisten fanden in der Kapelle des Flöte spielenden Preußen-königs Friedrich zusammen und dehnten ihre gemeinsamen Aktivitäten bald unter dem Namen Freitagsakademien
auf das bürgerliche Konzertleben Berlins aus. Mit dem Charme ihrer kantablen Melodien, leichten Harmonien und tändelnden Rhythmen empfangen die einzigartige Dorothee Oberlinger auf der Blockflöte und ihr Ensemble 1700 das Publikum bei den Kölner Sonntagskonzerten.
Programmfolge
aus
40 Airs anglois pour la flute(Amsterdam um 1704)
Adagio – Allegro – Adagio – Tempo di Menuet
Adagio – Allegro – Menuett
Adagio – Allegro ma non tanto – Vivace
Christoph Schaffrath (1709/10–nach 1762)
Allegro – Largo – Presto
Adagio – Allegro – Siciliana – Gigue
Allegro – Adagio – Allegro
Herbst der Blockflöte
Dass Berlin immer eine Reise wert sei, besagt ein bekanntes Sprichwort. Dem dürften
die Liebhaber der Schönen Künste bis zum Ende des 17. Jahrhunderts allerdings
kaum zugestimmt haben. Erst dem brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III., der
sich selbst 1701 zum ersten Preußenkönig krönen sollte, gelang es mit der Gründung
einer Mahl-, Bild- und Baukunst-Academie 1696 und einer Societät der
Wissenschaften vier Jahre später, eine Reihe von Persönlichkeiten des Geisteslebens
an die zur prachtvollen barocken Residenz sich wandelnde Metropole in der märkischen
Provinz zu binden. Musikalische Impulse gingen während der Regierungszeit seines
auf das Wirtschafts- und Militärwesen fokussierten Sohnes, des Soldatenkönigs
Friedrich Wilhelm I., dann eher von dessen kunstsinniger Gattin Sophie Dorothea aus.
Sie vererbte ihre künstlerische Neigung an den Sohn, unter dem das Berliner
Musikleben zu voller Blüte kam: Friedrich II., bekanntermaßen ein großer Liebhaber
und virtuoser Beherrscher der Traversflöte. Die Berliner Hofkapelle vergrößerte
er mit seinem Regierungsantritt 1741 um die Musiker, die er schon als Thronfolger
in Schloss Rheinsberg um sich geschart hatte. Und mit der Zahl der Musiker wuchs
die der Musikpublizisten, die im aufgeklärten Berliner Pressewesen zur Mitte
des 18. Jahrhunderts manche ästhetische Debatte ausfochten. Man war in einer
Zeit angekommen, die dem Ausdruck der Gefühle neue Priorität einräumte. Reichlich
Diskussionsstoff lieferten da neben den Darbietungen bei Hofe die musikalischen
Privatveranstaltungen in den Salons der vornehmen Gesellschaft, in denen die
höfischen Virtuosen gemeinsam mit nicht-professionellen, aber höchst versierten
Dilettanten
auftraten. Als frühbürgerliche Kammermusik-Reihen sind diese Freitags-Academien,
Musikausübenden Gesellschaften und Liebhaber-Concerte in die Geschichte
eingegangen.
Im heutigen Programm stellt die Blockflötistin Dorothee Oberlinger mit ihrem
Ensemble Repertoire aus solchen Berliner Konzerten vor. Sie zeigt mit ihrer Werkauswahl,
dass auch ihrem Instrument im Umfeld eines der Traversflöte zugewandten Monarchen
noch hohe Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde - die Bezeichnung Flauto
auf
dem Notenmanuskript war damals noch nicht unbedingt gleichbedeutend mit Traverso
.
Zunächst geht der Blick zurück auf die Gründerjahre der Berliner Kammermusik.
Da kommt 1702 der aus Mähren gebürtige Gambist Gottfried Finger in die
Dienste der preußischen Königin Sophie Charlotte. In ihren Berliner Soireen wird
man sich mit seinen phantasievollen Ground-Variationen sicher ebenso gut unterhalten
haben wie in London (wo Finger sie wohl in den Jahren zuvor komponiert hat) und
in Amsterdam (dort erschien die Komposition wohl 1704 in einem Sammeldruck).
Zu einer Stippvisite ist 1702 vermutlich auch der junge Georg Friedrich Händel nach Berlin gereist; er habe damals dem preußischen König vorgespielt, und er sei den dort gerade ebenfalls gastierenden italienischen Komponisten Attilio Ariosti und Giovanni Bononcini begegnet, weiß man im 18. Jahrhundert zu berichten. Ob der Siebzehnjährige schon jenes quirlige Doppelkonzert für Blockflöte (alternativ Oboe oder Violine), Fagott und Streicher im Gepäck hatte, das als Unikat in der berühmten Sammlung der Berliner Singakademie überliefert ist und ihn als Autor nennt?
Mit Johann Joachim Quantz bereichert der Flötenlehrer Friedrichs II. und Verfasser des Schule machenden Versuchs einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen (1752) das heutige Programm als Komponist von Solostücken, die in der Sammlung des dänischen Hofmusikers Werner Hans Rudolph Rosenkrantz Giedde überliefert sind. Auf der Blockflöte interpretiert, mögen sie daran erinnern, dass Quantz seine Karriere als ein viele Instrumente beherrschender Merseburger Stadtpfeifer begann und auch nach seinem Aufstieg in die sächsische Hofmusik zunächst noch als Oboist gefragt war, der bei Bedarf auch die Blockflöte spielte. Das tat er vermutlich ebenfalls noch, nachdem er durch den französischen Meisterflötisten Pierre-Gabriel Buffardin so erfolgreich an der Traversflöte ausgebildet wurde, dass ihn der preußische Thronfolger letztlich für das eigene Musikensemble abwarb.
Galante Solo- und Triosonaten tragen Friedrichs schon in den 1730er Jahren von
Sachsen nach Rheinsberg engagierte Hofcembalisten Carl Philipp Emanuel Bach
und Christoph Schaffrath sowie der zu gleicher Zeit als Lautenist verpflichtete
Ernst Gottlieb Baron zum heutigen Programm bei. Dabei erweist sich der
zweitälteste Sohn Johann Sebastian Bachs in der originellen Kombination von Bassflöte
und Continuo wie in seinen virtuosen Tastenvariationen über die alte Follia-Weise
als würdiger Nachfolger des Vaters. In die Fußstapfen eines Georg Philipp Telemann
tritt der königliche Kontrabassist Johann Gottlieb Janitsch mit seinem
Quadro als einem glänzenden Beispiel jener Sonaten für drei konzertierende Instrumente
und Generalbass, die der Kollege Quantz in seiner Flötenschule als eigentlichen
Probierstein eines echten Contrapunctisten
auf den Sockel hebt. Janitsch initiierte
übrigens noch in Rheinsberg jene Freitags-Academien, in denen das Bürgertum
die Musik der Hofkapelle kennenlernen konnte.
Mit dem Violinisten und Berliner Theaterkapellmeister Johann Christoph Schultze
geht der Blick schließlich zu einem Musiker, der weit über die Ära Friedrichs II.
hinaus in Berlin tätig war und mit der heute vorgestellten Komposition von 1768
eines der letzten Konzerte für die barocke Blockflöte geschrieben hat. Auf einem
Notenmanuskript aus dem Bestand der königlichen Bibliothek findet sich über Schultze
eine auf 1821 datierte Anmerkung Carl Friedrich Zelters, der inzwischen als Leiter
der Berliner Singakademie die Geschicke der bürgerlichen Musikkultur an der Spree
prägte: Die gute Seele hat mich eine Zeitlang auf der Violine unterrichtet und
ist bis an seinen Tode mein Freund geblieben.
Mitwirkende
Makiko Kurabayashi – Fagott
Hiro Kurosaki, Mayumi Hirasaki – Violine
Manuel Hofer – Viola
Marco Testori – Violoncello
Kit Scotney – Kontrabass
Florian Birsak – Cembalo, Orgel
Axel Wolf – Laute