Saison 2017/2018: Konzert 2

Sonntag, 15. Oktober 2017 Museum Schnütgen 17 Uhr

Bach bearbeitet

Musik von Reincken Antonio Vivaldi und Bach in Bearbeitungen Christian Rieger – Cembalo Christian Rieger Sendung auf WDR 3 zu einem späteren Zeitpunkt

Man müsse halt fleißig sein, dann könne man es ebenso weit bringen wie er, soll Johann Sebastian Bach einmal bemerkt haben. Zum Fleiß gehörte dabei selbstverständlich, dass man sich mit vorbildlichen Werken Anderer produktiv auseinandersetzte, indem man sie bearbeitete. Wie kreativ Bach da vorging, das zeigen exemplarisch seine originellen Cembalofassungen von Sonaten des Hamburger Meisters Johann Adam Reincken und von Violinkonzerten des Venezianers Antonio Vivaldi. Christian Rieger stellt sie in einen spannenden Kontrast zu fremden und eigenen Tasten-Bearbeitungen Bach‘scher Ensemblewerke.

Programmfolge

Johann Sebastian Bach (1685-1750) Concerto D-Dur BWV 972 nach dem Concerto D-Dur op. 3,9 von Antonio Vivaldi (1678-1741) Allegro - Larghetto - Allegro Drei Fugen BWV 946, 950 und 951 über Themen aus den Sonaten op. 1 von Tomaso Albinoni (1671-1751) Fuge C-Dur - Fuge A-Dur - Fuge h-Moll Sonate d-Moll BWV 964 nach der Sonate a-Moll für Violine solo BWV 1003 bearbeitet von Wilhelm Friedemann Bach (1710-1784) Adagio - Fuga - Andante - Allegro Pause Sonata a-Moll BWV 965 nach der Sonata prima und den Folgesätzen
aus dem Hortus musicus von Johann Adam Reincken (1643-1722) Adagio - Fuga - Adagio - Allemande - Courante - Sarabande - Gigue Partita in D-Dur nach der Partita E-Dur für Violine solo BWV 1006 bearbeitet von Christian Rieger Preludio - Loure - Gavotte en Rondeau - Menuett I - Menuett II - Bourrée - Gigue

Clavierauszüge

Die Praxis der Bearbeitung dürfte annähernd so alt sein wie das Komponieren selbst. Und sogar in akademisch geprägten Zeiten, die nach vermächtnishaften Fassungen letzter Hand suchten oder in Urtextausgaben die Manifestationen des Komponistenwillens zu erkennen glaubten, ist das Arrangieren von notiert vorliegender Musik nie aus der Mode gekommen.

Verschiedene Arten von Bearbeitungen und verschiedene Bearbeiter stellt das heutige Programm vor. Es kreist dabei ausnahmslos um Johann Sebastian Bach, für den es eine Selbstverständlichkeit war, eigene wie fremde Stücke den jeweiligen Aufführungssituationen oder Musizierbedürfnissen anzupassen. Dabei kommt den Clavieren – also den Tasteninstrumenten Cembalo, Clavichord und Orgel – eine besondere Rolle zu. Denn Bach war von Haus aus Clavierspieler: Als Waise im Organisten-Haushalt des älteren Bruders entsprechend ausgebildet, verbrachte er die ersten zwanzig Jahre seiner Karriere an Orgelstellen in Arnstadt, Mühlhausen und am Weimarer Hof, dann als zumeist am Cembalo wirkender Hofkapellmeister in Köthen. Auch in Leipzig, wo er von Amts wegen vor allem als Kirchenkomponist und Musiklehrer tätig war, stand Bach im Ruhm des Tastenvirtuosen.

Cembalo und Orgel waren die probaten Instrumente, wenn es darum ging, sich die gerade europaweit in Mode gekommenen Concerti italienischer Provenienz im handlicheren Format nach Hause zu holen, um sie besser kennenzulernen. Entsprechende Werke und Bearbeitungsaufträge brachte der Weimarer Prinz Johann Ernst 1713 von seiner Kavalierstour mit. Gleich zwei Musiker haben sich dann zu Hause – ob nun freiwillig oder auf gnädigen Befehl – in die Arbeit gestürzt: der Hoforganist Bach und sein Kollege an der Weimarer Stadtkirche, Johann Gottfried Walther, ein Altersgenosse und entfernter Verwandter zugleich. Wie sie sich die Logik eines Konzertes des venezianischen Violinmeisters Antonio Vivaldi bearbeitend erschlossen, das ist in Bachs Concerto D-Dur BWV 972 für Cembalo solo schön nachzuvollziehen. Taktgenau übernimmt er die äußere Form des Vorbildes – das D-Dur-Concerto für 3 Violinen, Streicher und Basso continuo aus Vivaldis L'estro armonico op. 3 von 1711; auch sind die Außenstimmen nahezu identisch. Er füllt sie aber harmonisch bald mehr, bald weniger dicht aus – je nachdem, ob es sich um einen ursprünglichen Tutti- oder Solo-Abschnitt handelt und ob sich auf dem Cembalo auch sinnvoll greifen lässt, was Vivaldi aus Streicher-Perspektive notiert hat. Das Ergebnis ist ein Bach-Vivaldi, der zwischen spielerischer Italianità und kraftvollem polyphonen Applomb changiert.

Sechzehn Mal hat sich Bach in Weimar mit den Solokonzerten anderer Meister auseinandergesetzt, indem er sie in kunstvolle Clavierauszüge fürs Cembalo übertrug. Für sein heute bekanntestes Italienisches Konzert aus dem zweiten Teil seiner Clavier-Übung ist er dann zwei Jahrzehnte später ohne konkrete Vorlage ausgekommen.

In den drei Fugen C-Dur, A-Dur und h-Moll BWV 946, 950 und 951 hat sich Bach von Kompositionen eines anderen venezianischen Musikers inspirieren lassen. Die Fugenthemen finden sich in verschiedenen Sätzen aus den Sonaten für 2 Violinen und Basso continuo, die Tomaso Albinoni 1694 in seiner Heimatstadt als sein Opus 1 veröffentlich hat. Sind sie in diesen Triosonaten der Ausgangspunkt vornehmlich zu unterhaltsamen Dialogen zwischen den beiden Violinen, verfolgt Bachs Ausarbeitung ein anderes Ziel: Ihm geht es offenbar darum, neue enge und strenge kontrapunktische Satzgeflechte zu entwickeln. Dank entsprechender Hinweise früher Kopisten (in BWV 950 und 951) bzw. der Findigkeit von Musikwissenschaftlern unserer Tage (BWV 946) wissen wir um die thematische Verwandtschaft der Bach’schen Fugen mit den Triosonaten Albinonis. Anzuhören ist sie ihnen nicht.

Gleichermaßen spricht aus solchen Themenzitaten die Wertschätzung Bachs für die älteren Meister wie der Wunsch, Neues zu kreieren. Ein Paradebeispiel ist dafür die Auseinandersetzung mit den Sonaten von Johann Adam Reincken. Zu dem Hamburger Katharinen-Organisten, einem gebürtigen Niederländer, ist Bach wohl noch in seinen Teenager-Jahren als Lüneburger Internatsschüler gepilgert. Aus den Sonaten, die Reincken schon 1687 unter dem Titel Hortus musicus publiziert hatte, wählte sich Bach einige Sätze zur Bearbeitung aus; komplett fürs Tasteninstrument umgeschrieben hat er die siebenteilige Sonata a-Moll. Hier verlangen die Adagio-Kantilenen der Einleitung cembalistische Umspielungen; andernorts kürzt Bach, wenn aus dem Stimmtausch zwischen den Instrumenten in der Vorlage eine bloße Wiederholung auf dem Cembalo resultieren würde. Die Fuga und die ebenfalls fugierte Gigue reizen ihn dagegen zu Erweiterungen und Umgestaltungen, die einer Neukomposition gleichkommen. Ausleben wird Bach solche kontrapunktischen Entwicklungsmöglichkeiten eines Themas drei bis vier Jahrzehnte später in seiner Kunst der Fuge.

Unter Bachs eigenen Werken haben vor allem seine Kompositionen für Violine solo andere Bearbeiter schon zu seinen Lebzeiten herausgefordert. Ihrer expressiven Melodiegestaltung liegen latente Harmonien zugrunde, die viele Tastenkünstler zu einer Interpretation auf ihrem Instrument reizen – zumal mit Johann Friedrich Agricola ein einstiger Schüler Bachs 1775 anmerkt: Der Verfasser spielte sie selbst oft auf dem Clavichorde und fügte von Harmonie so viel bey, als er dazu nötig befand. Ein anderer Schüler, höchstwahrscheinlich Bachs ältester Sohn Wilhelm Friedemann, hat uns seine Tastenversion der Sonate a-Moll hinterlassen: transponiert zur Sonate d-Moll für Cembalo BWV 964, die vierstimmig beginnt und sukzessive bis zur ursprünglichen Einstimmigkeit im vierten Satz führt. Eine vermutlich für Laute gedachte mehrstimmige Fassung hat Johann Sebastian Bach selbst in den 1730er Jahren von seiner ebenfalls für Violine solo konzipierten Partita D-Dur BWV 1006 angelegt. Christian Rieger stellt im heutigen Konzert als Alternative dazu die eigene Cembalofassung vor. Man darf gespannt sein!

behe

Mitwirkende

Christian Rieger – Cembalo