Saison 2017/2018: Konzert 3

Sonntag, 19. November 2017 Trinitatiskirche 17 Uhr

Dufay-Spektakel

Motetten und weltliche Gesänge des 15. Jahrhunderts von Guillaume Dufay Gothic Voices Gothic Voice Sendung auf WDR 3 am 25. Januar 2018 ab 20:04 Uhr

Guillaume Dufay war ein früher Meister jener franko-flämischen Sängerschule, die im Italien der Renaissance den Ton angab und dabei künstlerische Traditionen aus Nord und Süd zu einer europäischen Musiksprache verschmolz. Mit den Gothic Voices stellen renommierte Spezialisten aus Großbritannien die virtuose Mehrstimmigkeit Dufays vor, und sie haben dazu als dramaturgischen Rahmen eine imaginäre Hochzeitsfeier des frühen 15. Jahrhunderts gewählt. Weltliches und Geistliches wechselt sich da in lockerer Folge ab und lässt Diamanten aus dem Repertoire der Kathedralen und Adelshöfe in immer neuen Farben schillern.

Programmfolge

Guillaume Dufay (1397-1474)

Ce jour de l’an (Rondeau à 3; Arrangement: Julian Podger) O sancte Sebastiane (Motette à 4) Entre vous gentils amoureux (Rondeau à 3) Je me complains piteusement (Ballade à 3) Je requier a tous amoureux (Rondeau à 3) Flos florum (Motette à 3) Ave regina caelorum (Motette à 4) Las, que feray? Ne que je devenray? (Rondeau à 3) Estrinez moy, je vous estrineray (Rondeau à 3) Et pour certain (Fortsetzung von Ce jour de l’an) Vasilissa ergo gaude (Motette à 4) Pause Vergene bella (Stanze di Canzone à 3) Je vous pri (Rondeau à 4) J’atendray tant (Rondeau à 3) A laquelle je puisse (Fortsetzung Ce jour de l’an) Resvelliés vous et faites chiere lye (Ballade à 3) Mon bien m’amour (Rondeau à 3) Salve flos tusce (Motette à 4) Donnés l’assault (Rondeau à 4) Ce jour de l’an (Rondeau à 3) Puisque vous estez campieur (Rondeau à 3) Et laquelle (Fortsetzung von Ce jour de l’an)

Ein früher Musikstar

Auf die Frage nach dem Mutterland der Musik lautet die Antwort in unseren Breiten geradezu selbstverständlich: Italien. Das ist schon jahrhundertelang so. Das heutige Konzert führt aber in eine Zeit vor mehr als einem halben Jahrtausend zurück, in der die richtige Antwort wohl eher Picardie, Cambrai oder Hennegau gelautet hätte: Diese Regionen im heutigen französisch-belgischen Grenzgebiet waren für Generationen die Heimat der europaweit tonangebenden Sänger-Komponisten, die ihre Kunst vornehmlich als Kleriker in den eher klein dimensionierten Sängerensembles prächtiger Kathedralen pflegten.

Einer prägenden Gestalt dieser franko-flämischen Musikepoche widmet sich das heutige Konzert in Gänze: Guillaume Dufay. Seine Karriere lässt sich in einer vergleichsweise großen Zahl von Dokumenten nachverfolgen. Vor allem was Dufays Herkunft und frühe Lebensjahre anbelangt, bleibt aber doch viel Raum für Vermutungen und Spekulationen. Schon sein Geburtsjahr 1397 ist umstritten, wenn er auch sicherlich kurz vor 1400 das Licht der Welt erblickte. Ob das schon in der Bischofsstadt Cambrai geschah, die er später zweifellos als seine Heimat betrachtete, muss ebenso offen bleiben. War er Halbwaise oder illegitimer Abkunft? Man weiß nur von seiner Mutter Marie Dufay, die bis zu ihrem Tod 1444 in Cambrai ein fester Bezugspunkt für ihn blieb.

Die Voraussetzungen für Dufays beachtliche Karriere lieferten jedenfalls jene fünf Jahre, in denen er als Sängerknabe an der Kathedrale von Cambrai eine fundierte akademisch-musische Ausbildung erhielt. Kaum war er den Teenager-Jahren entwachsen, als sich ihm 1414 die große weite Welt öffnete: Im Gefolge seines Bischofs kam er für mehr als zwei Jahre zum Konstanzer Konzil, dem epochalen Gipfeltreffen der Mächtigen des Abendlandes und ihrer bunten Entourage. Im November 1417 kehrte Dufay für kurze Zeit nach Cambrai zurück und wurde dort zum Subdiakon geweiht. Dem Pfründenbesitz, der sich damit verband, sollten sich im Laufe der Jahre zahlreiche weitere Einkommensquellen gleicher Art hinzugesellen. Sie wurden ihm nicht zuletzt durch die Vermittlung einflussreicher Mäzene zuteil.

Spätestens 1419 verließ Dufay Cambrai schon wieder, diesmal in Richtung Italien. Er trat dort in die Dienste der Aristokratenfamilie Malatesta, die in Pesaro und Rimini herrschte; Vereinbarungen über die Anstellung mögen noch in Konstanz getroffen worden sein. Für den päpstlichen Legaten Kardinal Louis Aleman sang und komponierte Dufay dann vermutlich ab 1427 in Bologna, und mit ihm gelangte er im Jahr darauf nach Rom. Von Dezember 1428 bis Mai 1437 war er Sänger in der päpstlichen Kapelle, in der er unter dem Pontifikat von Eugen IV. seit 1431 zunehmend Leitungsfunktionen übernahm. Von 1433 bis 1435 unterbrach Dufay sein Wirken in Rom aber für ein Engagement bei Herzog Amadeus VIII. von Savoyen. In dessen Residenz Chambéry konnte er im Februar 1434 auch Kontakte zur burgundischen Hofkapelle von Philipp dem Guten knüpfen.

Auf die Zeit in der päpstlichen Kapelle folgten ab Sommer 1437 Tätigkeiten für den Fürstenhof der Este in Ferrara. Weiter ging es über Lausanne und Chambéry zum Konzil nach Basel, an dem Dufay als Vertreter des Kathedralkapitels von Cambrai teilnahm.

Mit der Rückkehr in die Heimat im Dezember 1439 endete Dufays fast zwei Jahrzehnte währende Karriere in südlicheren Gefilden. Enge Kontakte pflegte er weiterhin zum burgundischen Hof Philipps des Guten, dessen Aufenthalt in Brüssel er 1449 begleitete, und zum neuen Herzog Ludwig von Savoyen. Der finanzierte ihm im Frühjahr 1450 eine weitere Reise nach Italien, und auch in der Folgezeit hielt es Dufay nicht auf Dauer in Cambrai: Nachdem ihm das Kathedralkapitel angesichts seiner musikalischen Verdienste Anfang 1452 im Voraus ein ansehnliches Jahresgehalt ausgezahlt hatte, verabschiedete er sich noch einmal für sechs Jahre in Richtung Savoyen.

Als nach damaligen Begriffen schon betagter Mann kehrte Dufay 1458 nach Cambrai zurück, um den Lebensabend im Umkreis seiner Heimat-Kathedrale und ihrer Sänger zu verbringen. Als deren Mittelpunkt weist ihn letztlich auch sein Grabstein aus. Hinter dem sinnigen Noten-Rebus G du fa y ist da zu lesen: Hier liegt der verehrte Meister Guillaume du Fay, Baccalaurus der Musik, einst an dieser Kirche zum Chorsänger berufen, später Kanonikus auch an St. Waldetrud in Mons. Er starb im Jahr 1474 am 27. November.

Schwer ist es, auch nur annähernd die stilistische Vielfalt mit Worten zu beschreiben, die Dufay in seinen etwa 200 erhaltenen Kompositionen von der hochkomplexen Cantus-firmus-Messe bis zum locker gefügten tänzerischen Satz an den Tag legt. Mit nie versiegender Phantasie hat er sich immer wieder auf neue kompositorische Experimente eingelassen, von denen uns manche in ihrer modalen harmonischen Herbheit schon fast wieder modern anmuten.

Das wird schnell deutlich, wenn man die Gothic Voices zu einem imaginären höfischen Spektakel im Italien Ende der 1430er Jahre begleitet, bei dem gleichzeitig Neujahr und eine Hochzeit gefeiert wird und zu dem Dufay die Musik beisteuert. Auch in Italien schätzte man in gebildeten Kreisen neben der Landessprache und dem gehobenen Ton des altehrwürdigen Lateins das elegante Französisch der Balladen und Rondeaus, in denen sich neue dichterische und musikalische Gedanken in den Rahmen eingängiger Refrain-Bildungen fügen. Ein treffliches Beispiel ist dafür der dreistimmige Neujahrsgesang Ce jour de l’an, die sich mit seinen Strophen wie ein roter Faden durch das Musikprogramm des Festes zieht. Den Zauber des Neuen und den der unbeschwerten Liebe vereint das Rondeau Entre vous gentils amoureux.

Das lateinische Gebet O sancte Sebastiane, das von dem frühchristlichen Mailänder Märtyrer Schutz vor Krankheiten erbittet, sieht für jede der vier Singstimmen einen anderen Text vor - das ist typisch für eine Motettenkomposition des Spätmittelalters. Dufay hat das Stück vermutlich in zeitlicher Nähe zur römischen Pestepidemie von 1429 geschrieben. Vier Jahre älter wäre demnach die Ballade Je me complains pieteusement, deren Handschrift mit dem 12. Juli 1425 datiert ist. Sie stammt damit aus den frühen italienischen Jahren Dufays in den Diensten der Malatesta.

Eine moderne Form der Motette, in der alle Stimmen den gleichen Text vortragen, wählt Dufay für die dreistimmige Komposition Flos florum, ein musikalisches Gebet an die Jungfrau Maria, derer Name hier aber gar nicht genannt zu werden braucht. In der Bitte um Erbarmen, mit der das Werk schließt, verdichtet Dufay den Satz zu einer eindringlichen gleichrhythmischen Deklamation aller Stimmen. Auf andere Weise fällt diese Bitte in der vierstimmigen Vertonung der marianischen Antiphon Ave regina caelorum auf, denn hier hat der Komponist gleich an zwei Stellen den eigenen Namen ergänzt: Erbarme dich deines fehltretenden und flehenden Dufay!

Eine weitere Rarität stellt die italienische Kanzonenstrophe Vergene bella dar, denn sie ist eine von nur zwei Vertonungen der Lyrik Francesco Petrarcas, die man aus dem 15. Jahrhundert kennt - und die einzige, zu der man auch den Komponisten benennen kann. Dufay hat die Zeilen des Dichterfürsten, dem die eigene Geliebte und die Mutter Gottes zugleich vor Augen zu stehen scheinen, in einen rhetorisch sensiblen Satz gekleidet.

Die lateinische Motette Vasilissa ergo gaude komponierte Dufay 1419 zur Vermählung von Cleofe Malatesta, einer Tochter des Herrschers von Pesaro, mit dem griechischen Potentaten Theodoros II. Palaiologos, einem Bruder des byzantinischen Kaisers. Der Bräutigam konnte das kunstvolle Werk damals allerdings nicht hören, da die Vermählung als Ferntrauung in seiner Abwesenheit stattfand. Weniger festlich-zeremoniell als freudig gelöst wirkt im Vergleich dazu die dreistimmige Ballade Resvelliés vous, die Dufay vier Jahre später zur Hochzeit von Cleofes Bruder Carlo Malatesta und Vittoria Colonna geschrieben hat.

In Je vous pri wendet Dufay das motettische Prinzip der Polytextierung einmal auf ein französisches Rondeau an; Rede und Gegenrede (mindestens) eines Liebespaares erklingen hier simultan. Der Motette Salve flos Tusce gentis dient ihr humanistisches Latein zur Hommage an Florenz. Das Werk dürfte 1436 entstanden sein, als Dufay im Gefolge von Papst Eugen IV. zur Weihe des neuen Domes in die Kulturmetropole der Toskana gekommen war. In der zweiten Stimme nennt er sich wiederum selbst als Sänger: Guillermus ceccini natus et ispe Fay. Ein semantisches Rätsel gibt dazu der Text des Tenors auf, der lapidar von lügenden Männern spricht.

Kann hier nur einiges angedeutet werden, und muss uns schon angesichts der zeitlichen Distanz manches inhaltliche Detail fremd bleiben: Die Sinnlichkeit ihrer Klänge hat die Musik des Guillaume Dufay doch über all die Jahrhunderte bewahren können.

behe

Mitwirkende