Saison 2018/2019: Konzert 7
Schubert – Zwei letzte Sonaten
Franz Schubert, Sonaten A-Dur D 959 und B-Dur D 960 Andreas Staier – Hammerflügel Sendung auf WDR 3 am 29. Mai 2019 ab 20:04 Uhr
Er kann leiser und zarter flüstern, gibt einem im Fortissimo aber auch irgendwann zu verstehen: Jetzt ist es genug!
– So charakterisiert Andreas Staier Eigenschaften des historischen Hammerflügels, die er bei der Interpretation der Klaviermusik von Franz Schubert besonders schätzt. Für sein Programm beim Forum Alte Musik hat er zwei jener drei großartigen und vermächtnishaften Sonaten ausgewählt, die Schubert 1828 schrieb – noch unter dem Eindruck von Beethovens Tod und in den letzten Wochen des eigenen Lebens.
Programmfolge
Pianistischer Schwanengesang
Ich habe unter andern 3 Sonaten für's Pianoforte allein componirt, welche ich Hummel dediciren möchte. Die Sonaten habe ich an mehreren Orten mit vielem Beyfall gespielt.
– Dass Franz Schubert seine letzten drei Klaviersonaten tatsächlich öffentlich aufgeführt hat, wie er in einem Brief vom 2. Oktober 1828 an den Leipziger Verleger Heinrich Albert Probst angibt, wird heute von der Musikforschung stark angezweifelt. Fest steht, dass sich Probst damals weder für diese Sonaten noch für die weiteren Werke interessierte, die ihm Schubert bei gleicher Gelegenheit anbot: das Streichquintett C-Dur und jene Lieder nach Texten von Heinrich Heine, die bald einen Teil von Schuberts Schwanengesang bilden sollten: der Komponist starb sechs Wochen, nachdem er den Brief nach Leipzig abgeschickt hatte, im Alter von 31 Jahren.
Von einem immensen Arbeitspensum waren Schuberts letzte, durch syphilitische Krankheitsschübe gezeichnete Monate geprägt, so als fühlte er, dass ihm nicht mehr viel Zeit bliebe, musikalisch zu sagen, was er zu sagen hatte. Im Jahr zuvor war Ludwig van Beethoven verstorben; Schubert – so stellt es sich jedenfalls in der historischen Rückschau dar – fiel die Aufgabe zu, den Weg weiterzuverfolgen, den der Ältere von der Wiener Klassik in die Romantik gebahnt hatte. Wenn Schubert auch nur anderthalb Jahre blieben, diesen Weg zu beschreiten, so ist doch deutlich zu erkennen, dass er eine etwas andere Richtung einschlug als der mehr als ein Vierteljahrhundert ältere Meister, an dem sich auch folgende Komponistengenerationen noch abarbeiten
sollten.
Zu einigen Sätzen jener drei Klaviersonaten Schuberts aus dem Jahr 1828, von denen heute die beiden späteren, im Sommer entstandenen Kompositionen zu hören sind, finden sich tatsächlich Vorbilder in Beethovens Werk. So zeigt das Scherzo aus der Sonate A-Dur D 959 Parallelen zu demjenigen in Beethovens A-Dur-Sonate aus dem Opus 2 von 1795; das anschließende Rondo scheint vom Finalsatz der 1803 entstandenen G-Dur-Sonate in Beethovens Opus 31 inspiriert. Wenn von Schubert hier aber tatsächlich eine Hommage an Beethoven intendiert ist, dann eine, die gleichzeitig die Emanzipation vom Vorbild thematisiert. Denn bevor mit dem Scherzo die mutmaßliche Hommage beginnt, hat Schubert 25 Minuten lang in eigener Sache gesprochen – und das ist mehr als die Hälfte der Aufführungszeit dieser Grande Sonate.
Da wirkt im eröffnenden Allegro die klassische Sonatensatz-Form nur mehr als bald verlassenes Fundament für ein mal pathetisches, mal melancholisches Fantasieren. Bisweilen lässt das an die spätbarock-empfindsame Schule der Söhne Johann Sebastian Bachs zurückdenken. Aber bei Schubert ist das alles viel abgründiger – von seinen harmonischen Rückungen, die von der hellen Dur-Grundtonart wegführen, bis hin zum wiederholten abrupten Innehalten, ja Verstummen, als gelte es, erst einmal einen verlorenen Weg wiederzufinden.
Leise und bedächtig bereitet der Schluss des Allegro-Satzes auf das Andantino vor, ein Trauerlied ohne Worte. Es wird von einem dramatischen Rezitativ abgelöst, dessen verstörende Wirkung auch die variierte Reprise des Anfangs nicht vergessen machen kann. Die fröhliche Ländler-Gestik des Scherzo würzt Schubert mit bizarren Ausbrüchen, und in der variativen Themengestaltung des abschließenden Rondo fallen wieder die wirkungsvoll gesetzten Generalpausen auf.
Noch bevor er die A-Dur-Sonate abgeschlossen hatte, wandte sich Schubert der Komposition der Sonate B-Dur D 960 zu – aber keineswegs, um hier in Serie
zu produzieren. Die beiden Kopfsätze etwa gleichen sich nur in ihrer außergewöhnlichen Ausdehnung. Im verhaltenen Molto moderato spricht zunächst der lyrische Liedkomponist Schubert – man könnte meinen, schon den zweiten Satz der Sonate vor sich zu haben. Drei liedhafte Themen bestimmen diese Musik in ihrer eigentümlichen Melange der Stimmungen zwischen Zuversicht, Emphase und Melancholie; gelegentliches Donnergrollen im Bass bringt zusätzliche geheimnisvolle Farbtöne.
Wer mit Schuberts Winterreise vertraut ist, wird in der harmonischen Anlage und der melodischen Gestaltung des rhapsodischen Andante sostenuto unwillkürlich das vorletzte Lied des Zyklus mithören: die Nebensonnen. Den Sonatensatz dominieren zunächst Ausdruckswerte der Trauer und Verzagtheit, von denen sich der Mittelteil energisch distanziert. In der Reprise gelingt Schubert durch eine so schlichte wie geniale Rückung von Moll nach Dur der Wechsel in eine neue, lichte Sphäre.
Im bodenständigen Kontrast dazu ist das Scherzo gestaltet und mit Delikatesse
zu spielen, wie es in der Satzüberschrift heißt – ein pianistisches Kabinettstück, das nur im Moll-Trio noch einmal kurz die Melancholie der vorangehenden Sätze anklingen lässt. Das in c-Moll anhebende Hauptthema des abschließenden Rondo entwickelt Schubert erst, nachdem er mit einem akzentuierten G ein augenzwinkerndes Ausrufezeichen gesetzt hat. Wie ein Fingerzeig begegnet dieser Halteton im Laufe des Satzes wieder. Dazwischen stehen kontrastreiche Episoden, die noch einmal einen überquellenden Reichtum kompositorischer Erfindungsgabe an den Tag legen.
Das Finale der B-Dur-Sonate lässt vielleicht am klarsten die hohen spieltechnischen Ansprüche zutage treten, die Schubert in seinen letzten Sonaten durchweg an die Interpreten stellt. Ohne Zweifel hätte der im Brief an den Verleger Probst erwähnte Widmungsträger diese hohen Ansprüche erfüllt: Johann Nepomuk Hummel, der als Kind noch von Mozart unterrichtet worden war, galt als einer der größten Klavierspieler seiner Zeit. Schubert hatte den aus Pressburg stammenden damaligen Weimarer Hofkapellmeister kennengelernt, als dieser 1827 noch einmal Wien besuchte und auch am Begräbnis Beethovens teilnahm. Doch Hummel hat Schuberts pianistischen Schwanengesang
nie kennenglernt: Er starb 1837 – zwei Jahre, bevor die drei letzten Sonaten erstmals bei Diabelli in Wien im Druck erschienen.
Mitwirkende
Im heutigen Konzert spielt Andreas Staier einen Hammerflügel nach Conrad Graf, Wien 1827, gebaut 1996 von Christopher Clarke (Donzy-le-National/Frankreich).