Saison 2019/2020: Konzert 4

Sonntag, 15. Dezember 2019 Trinitatiskirche 17 Uhr

Wie schön leuchtet der Morgenstern

Weihnachtliche Vokal- und Instrumentalmusik von Biber, Bernhard, Sweelinck, Schmelzer, Valentini, Schelle u. a. Marion Eckstein NeoBarock Marion Eckstein NeoBarock Sendung auf WDR 3 am 24.12.2019 ab 21:04 Uhr

Umflort von goldgleißendem Licht steigt ein Engel auf die Welt hinab und verkündet: Fürchtet euch nicht! Mit diesem Bild aus Heinrich Ignaz Franz Bibers Rosenkranz-Sonaten eröffnet NeoBarock sein weihnachtliches Programm Wie schön leuchtet der Morgenstern. In Werken des 17. Jahrhunderts lässt das Kölner Ensemble gemeinsam mit der Sängerin Marion Eckstein die barocke Vorstellung vom Wunder der Heiligen Nacht in einer ländlichen Idylle lebendig werden, in der man dem Jesuskind Hirtenmusiken an der Krippe spielt.

Programmfolge

Heinrich Ignaz Franz Biber (1644–1704) Die Verkündigung Sonate für Violine und Basso continuo Christoph Bernhard (1628–1692) Fürchtet euch nicht Geistliches Konzert für Mezzosopran, 2 Violinen und Basso continuo Jan Pieterszoon Sweelinck (1562–1621) Ons is gheboren een kindekijn Variationen für Cembalo Johann Heinrich Schmelzer (um 1620–1680) Sonata Pastorella für 2 Violinen und Basso continuo Giuseppe Valentini (1680–1746) Sinfonia per il Santissimo Natale op. 1,12 Sonate 2 Violinen und Basso continuo Largo / Andante – Allegro – Largo – Presto Pause Johann Heinrich Schmelzer La bella pastora Sonate für 2 Violinen und Basso continuo Johann Schelle (1648–1701) Ach, mein herzliebes Jesulein Geistliches Konzert für 2 Stimmen und Basso continuo Anonymus (17. Jahrhundert) Wie schön leuchtet der Morgenstern Sonate für Violine und Basso continuo Christian Geist (um 1650–1711) Wie schön leuchtet der Morgenstern Geistliches Konzert für Mezzosopran, 2 Violinen und Basso continuo

Hymnische Emphase und pastorales Idyll

In zwei eindrucksvollen Szenen der Verkündigung aus den ersten Kapiteln des Lukasevangeliums scheinen sich nach christlichem Verständnis die Besinnungszeit des Advents und die weihnachtliche Festzeit fast zu berühren: Da verkündet zunächst der Erzengel Gabriel der Jungfrau Maria in Nazareth, dass sie den Sohn Gottes zur Welt bringen wird. Und da tritt später ein Engel zu den Hirten auf den Feldern vor Bethlehem, um ihnen die Geburt Christi zu verkünden. Die Hirten folgen der Aufforderung und finden Maria und Josef mit dem Kind in der Krippe. Der Evangelist Matthäus berichtet, dass auch Gelehrte aus dem Osten dem neugeborenen Jesus huldigen; ein Stern hat sie zu ihm geführt. In der Offenbarung des Johannes wird dann Jesus selbst als der helle Morgenstern bezeichnet. Von diesen Bildern inspiriert, schlägt die Musik des heutigen Programms den Bogen von der Verkündigung zur weihnachtlichen Freude, zur Anbetung des Jesuskindes und seiner mystischen Gleichsetzung mit dem Gottessohn als Bräutigam einer christlichen Seele.

Die 15 Mysterien des Rosenkranzes nach der Tradition der römisch-katholischen Kirche bilden den spirituellen Hintergrund der 15 meditativen Sonaten für Violine und Basso continuo, die der Salzburger Hofmusiker Heinrich Ignaz Franz Biber um das Jahr 1678 für seinen Fürsterzbischof Max Gandolf von Kuenburg komponierte. Der Beginn der Sonate über die Verkündigung Mariä illustriert unzweifelhaft die Ankunft des Erzengels Gabriel vom Himmel herab.

Christoph Bernhard hat die Engelsworte der Weihnachtsbotschaft in die bestechend eindringliche Form eines geistlichen Konzertes gebracht. Als musikalischer Zögling der Dresdner Hofkapelle unter Heinrich Schütz ließ er sich von entsprechenden italienischen Vorbildern anregen, die er bei zwei Rom-Aufenthalten auch vor Ort studieren konnte: Die hymnische Monodie der Singstimme auf dem Fundament des Basso continuo wird von der Gloriole zweier Violinen umgeben; die einzelnen Gedanken sind durch instrumentale Ritornelle in Triobesetzung gegliedert. Von Hamburg aus, wo Bernhard ab 1664 zehn Jahre lang der Kantor am Johanneum war, mag das Werk nicht nur in die Sammlung des Stockholmer Hofkapellmeisters Gustav Düben, sondern auch auf die Orgelempore manch anderer lutherischer Kirche gelangt sein.

Auf das Musizieren in der Liturgie musste Jan Pieterszoon Sweelinck als Organist der Oude Kerk in Amsterdam seit der calvinistischen Reformation von 1578 verzichten. Ihm verblieb das Orgelspiel vor und nach den Gottesdiensten und das geistliche Musizieren in häuslichen Zirkeln. Seine Liedvariationen Ons is gheboren een kindekijn basieren auf einem mittelalterlichen Weihnachtshymnus gleicher Bedeutung: Puer nobis nascitur.

Mit Vorliebe greifen instrumentale Kompositionen zum Weihnachtsfest die Hirtenszene vor Bethlehem in einer stilisierten Pastorale auf. Ihre Erkennungszeichen sind die volkstümliche Schlichtheit der Motivik im wiegenden 6/8-Takt und häufig auch die Nachahmung des Dudelsacks mit seinen Bordunpfeifen durch entsprechende Liegetöne. Johann Heinrich Schmelzer, Meistergeiger, langjähriger Vize- und schließlich noch Oberkapellmeister am Kaiserhof in Wien, zog das pastorale Milieu aber auch für die Unterhaltungsmusiken heran, mit denen er seine hohen Herrschaften in ihren Mußestunden unterhielt. Was nicht ausschließt, dass diese Werke in der Weihnachtszeit auch in der Hofkirche auf die Notenpulte kamen. Ein solches Stück für Kirche und Kammer ist die in den Terzenseligkeiten des Schäferidylls schwelgende Sonata Pastorella. Bei der Sonate La bella pastora überträgt Schmelzer dagegen das Prinzip der Liedvariation, dem Sweelinck am Tasteninstrument folgt, auf die Triobesetzung. In zehn Variationen werfen sich die beiden Violinstimmen immer wieder die eingängige Liedweise von der schönen Schäferin zu, um sie wechselweise mit ständig neuen Begleitmotiven zu umspielen.

Zu einem Klassiker weihnachtlicher Streichermusik mit pastoralen Farben ist heute das Concerto grosso op. 6,8 (fatto per la Notte di Natale) des römischen Violinmeisters Arcangelo Corelli geworden. Der eine Generation jüngere Giuseppe Valentini, der in so mancher Position der vielfältigen Musikszene Roms zu Corellis Nachfolger wurde, bietet dazu in seinem Sonatendruck op. 1 von 1701 eine schöne Alternative in Triobesetzung: die Sinfonia per il Santissimo Natale, die gleich mit zwei Pastoralsätzen aufwartet und im Übrigen der geschmeidigen Kontrapunktkunst der Corelli-Schule folgt.

In den lutherisch geprägten Regionen des Nordens ließen sich die Komponisten in ihrer Kirchenmusik auch gerne vom Repertoire der Gemeindechoräle inspirieren. Die geistlichen Konzerte des Leipziger Thomaskantors Johann Schelle und des norddeutschen Organisten Christian Geist, der in der Stockholmer Hofkapelle und an Kirchen in Göteborg und Kopenhagen wirkte, entwickeln ihre musikalische Form auf je eigene Art aus der strophischen Kirchenlieddichtung. Ohne auf die bekannte Melodie anzuspielen, wählt Schelle die 13. Strophe aus Martin Luthers Weihnachtslied Vom Himmel hoch zur Grundlage einer expressiven Textausdeutung, die von einem jubilierenden Amen abgeschlossen wird. Geist dagegen macht in seinem Konzert nach einer kurzen Instrumentalintonation die emphatische Liedweise von Philipp Nicolai zum Richtmaß einer Choralarie. Als Cantus firmus im Wortsinne wird sie von den Violinen in Triosonaten-Manier bewegt umspielt.

Die Schöpfung des lutherischen Pfarrers Nicolai fand damals in Gestalt einer instrumentalen Choralfantasie sogar den Weg ins Wiener Minoritenkonvent. Eine Autorenangabe fehlt dem Manuskript, das mit einer ausgedehnten, hier als Baßigaylos bezeichnete Passacaglia über einem stetig wiederholten Bassmodell eröffnet. Als möglicher Komponist rückt der norddeutsche Violinist und Organist Nicolaus Adam Strungk in den Blick, der um 1660 nach Wien reiste und vor Kaiser Leopold I. spielte.

behe

Mitwirkende

Marion Eckstein – Mezzosopran
NeoBarock heute in folgender Besetzung: Maren Ries, Anna-Maria Smerd – Violine Ariane Spiegel &ndas– Violoncello Stanislav Gres – Cembalo