Saison 2019/2020: Konzert 5

Sonntag, 2. Februar 2020 Trinitatiskirche 17 Uhr

Ye Sacred Muses

Musik aus Englands Goldenem Zeitalter von Heinrich VIII., William Byrd, John Dowland, Anthony Holborne und John Playford Franz Vitzthum | Stefan Maass Flautando Köln Franz Vitzthum Flautando Köln Sendung auf WDR 3 am 18. Februar 2020, ab 20:04 Uhr

Die Regentschaft Königin Elisabeths I. gilt als Zeitalter der Musen in England. William Byrd und John Dowland stehen dafür sinnbildlich mit ihren Consort-Kompositionen und Lautenliedern. Schon Elisabeths Vater Heinrich VIII. galt ungeachtet seiner gnadenlosen Machtpolitik als sensibler Schöngeist. Er komponierte selbst und liebte den Klang der Blockflöten, wie seine Instrumentensammlung belegt. Flautando Köln, Franz Vitzthum und Stefan Maass entführen in eine Welt vornehmlich subtiler Töne.

Programmfolge

John Playford (1623–1686) Gray’s Inn Mask William Brade (1560–1630) Des Rothschencken Tanz Der Satyrn-Tanz Anthony Holborne (1548–1602) Bona Speranza The Teares of the Muses Paradizo The Sighes Thomas Campion (1567–1620) I care not for these ladies Anonymus What is our Life? John Dowland (1563–1626) Sorrow, stay John Dowland Semper Dowland semper dolens Sir John Souch his Galiard Anonymus Farewell the Bliss John Bennet (um 1575–nach 1614) Venus Birds Richard Nicholson (1563–1638) Cuckoo Pause John Playford Red House Never love thee more An Italian Rant John Taverner († 1545) In nomine Anonymus O Death, rock me asleep Heinrich VIII. (1491–1547) Gentil Duc de Loraine En vray Amoure Helas Madame Pastime with Good Company William Byrd (1543–1623) Ye Sacred Muses

Musentränen und Maskentänze

Als Heinrich VIII. 1509 im Alter von nahezu 18 Jahren den englischen Königsthron bestieg, galt er als der gebildetste Monarch des Abendlandes. Noch zwölf Jahre später glänzte er mit einer lateinischen Entgegnung auf Martin Luther. 1531 sagte er sich indes selbst von der römischen Kirche los, denn der Papst hatte sich geweigert, Heinrichs Ehe mit der spanischen Prinzessin Katharina von Aragon zu annullieren, die ihm keinen männlichen Thronfolger beschert hatte. Fünfmal noch heiratete Heinrich neu, drei seiner Kinder folgten ihm auf dem Thron: 1547 Eduard aus der dritten Ehe mit Jane Seymour, 1553 Maria die Katholische, eine Tochter Katharinas, schließlich 1558 Elisabeth aus der zweiten Ehe mit Anne Boleyn. Wie dem Vater war auch ihr eine lange Regentschaft vergönnt: das in wirtschaftlicher wie kultureller Sicht goldene Elisabethanische Zeitalter. Auch die Jahre von 1603 bis 1625, in denen nach der Virgin Queen aus dem Hause Tudor mit Jakob I. ein Stuart regierte, rechnet man noch zu dieser Epoche.

Steht für die Literatur des Goldenen Zeitalters William Shakespeare sinnbildlich, wurde die Musik damals von einer ganzen Gruppe von Komponisten geprägt. Einige davon stellt das heutige Programm vor, darunter auch den vielleicht berühmtesten, Shakespeares Altersgenossen John Dowland, einen herausragenden Lautenisten. Neben großartiger Solomusik für sein Instrument und zauberhaften Liedern mit Lautenbegleitung hat er viele Werke für Consort geschrieben. Darunter verstand man ein Ensemble, das sich prinzipiell aus dem gerade vorhandenen Instrumentarium zusammensetzte, in vornehmen Kreisen aber bevorzugt aus einer homogen klingenden Instrumentenfamilie bestand – etwa aus Gamben oder wie im heutigen Konzert aus Blockflöten unterschiedlicher Größen vom Sopran bis zum Bass. Damit spielte man das einschlägige Tanzrepertoire aus gravitätisch schreitenden Pavanen und fröhlich hüpfenden Allemanden, Galliarden und Jigs, aber auch versonnene Kontrapunktkreationen oder elegant ausgezierte Adaptionen von Madrigalen und Chansons. Nicht zu vergessen die Consort Songs mit Beteiligung einer oder mehrerer Singstimmen.

Dowland war bekennender Katholik und immer wieder den Verdächtigungen seiner anglikanischen Umgebung ausgesetzt. Am Hofe Elisabeths und Jakobs, aber auch bei mehreren Aufenthalten auf dem europäischen Kontinent suchte er lange vergeblich sein berufliches Glück. Eine seiner bekanntesten elegischen Pavanen überschrieb er mit dem bezeichnenden Sprachspiel Semper Dowland semper dolens (Immer Dowland, immer betrübt) und stilisierte sich spätestens damit zur künstlerischen Identifikationsfigur eines damals weit verbreiteten melancholischen Lebensgefühls. 1604 veröffentlichte Dowland das Werk in seiner Sammlung Lachrimae, or Seven Teares als Fassung fürs instrumentale Consort und für Laute. Wie nahe er dabei dem gesungenen Lamento steht, verdeutlicht das Lautenlied Sorrow, stay, das vier Jahre zuvor in seinem Second Booke of Songs and Ayres erschien. Doch bietet Dowland – als Gegenmittel zur Melancholie – immer auch Stücke in zuversichtlicherem Ton, im Lachrimae-Band beispielsweise die muntere Sir John Souch His Galiard.

Auch Dowlands Zeitgenosse Anthony Holborne war Experte für Zupfinstrumente. Für Consort lieferte er 1599 Pavans, Galliards, Almains and other short Aeirs both grave, and light in five parts, for Viols, Violins, or other Musicall Winde Instruments. Die ursprüngliche Bedeutung der Titel, mit denen Holborne einen Teil der Tanzsätze versah, lässt sich nicht mehr ermitteln. In der heutigen Auswahl bilden Gute Hoffnung und Musentränen sowie Paradies und Seufzer jeweils Satzpaare aus Pavane und Galliarde.

Vermutlich gehen Holbornes Tänze in ihrer Mehrheit ebenso auf höfische Spektakel zurück wie die Außerlesenen Paduanen und Galliarden, die William Brade zu Beginn der 17. Jahrhunderts in mehreren Folgen zusammenstellte, um sie auff allen Musicalischen Instrumenten lieblich zu gebrauchen. Der aus England stammende Geiger gab dieses Repertoire bei seinen Gastspielen und Anstellungen am dänischen Königshof Christians IV. zum besten, aber auch in den fürstlichen Kapellen von Halle, Güstrow, Gottorf, Berlin und Bückeburg sowie in der Hamburger Ratsmusik.

Dass sich die entsprechenden Tanzvergnügungen bei Hofe bevorzugt mit Maskeraden verbanden, spiegelt sich in der englischen Gattungsbezeichnung Masque wider, die man sogar auf opernähnliche Musiktheaterdarbietungen übertrug. Als Mask taucht der Begriff denn auch im Titel des ersten Tanzes auf, den das heutige Programm der umfangreichen Sammlung von John Playford verdankt. Unter dem Namen The English Dancing Master ließ der geschäftstüchtige Londoner Verleger sie erstmals 1651 drucken; bis in die 1720er Jahre hinein erlebte sie immer wieder erweiterte Neuauflagen.

Das Londoner Gray’s Inn, in dem der entsprechende Tanz offenbar erstmals aufgeführt wurde, diente als Ausbildungsstätte für Juristen, war aber auch ein bevorzugter Ort studentischer Feste und Theaterdarbietungen, an denen sogar die Königin teilnahm. Einer der Studenten dort war Thomas Campion, der später ins medizinische Fach wechselte. Seine mehr als 100 Lieder mit Lautenbegleitung verteilen sich auf mehrere Bookes of Ayres. I care not for these ladies veröffentlichte er 1601 in einer gemeinsam mit seinem Freund Philip Rosseter erstellten Edition. Es ist ein schönes Beispiel für Stücke, die im Vorwort der Ausgabe als short and well seasoned charakterisiert werden: mit Kürze und Würze.

Eine profunde Kenntnis italienischer wie englischer Madrigale der vorangehenden Generation spricht aus den mehrstimmigen Vokalkompositionen von John Bennet, der aus der Grafschaft Cheshire stammte und später nach London ging. Sein Consort Song Venus Birds im tänzerischen Ton wurde über das Goldene Zeitalter hinaus zu einem Evergreen. In komplexere Madrigalvertonungen und eingängige Consort Songs teilt sich auch das weltliche Schaffen von Richard Nicholson, der zwischen 1595 und 1638 Organist und Chormeister am Magdalen College in Oxford war. Aus stilistischen Gründen wird ihm das anonym überlieferte Cuckoo zugeschrieben, während sich über die Autorschaft des Consort Songs Farewell the Bliss und des Lautenliedes What is our Life nur spekulieren lässt.

Die ältere und melodisch herbere Musik aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts steht im Zentrum der zweiten Programmhälfte. Da rückt zunächst John Taverner in den Blickpunkt, der in den 1520er Jahren als Chormeister am College von Tattershall und dann am Cardinal College in Oxford wirkte. Eine eindringliche Passage aus dem Benedictus seiner Missa Gloria tibi trinitatis, in der Taverner die Textstelle In nomine Domine vertont, wurde für die folgenden Generationen zum Ausgangspunkt zahlreicher kunstvoller Instrumentalwerke.

Anne Boleyn, der zweiten Ehefrau Heinrichs und Mutter Elisabeths, wird das Lied O Death, rock me asleep zugeschrieben. Keine drei Jahre nach der Hochzeit wegen Ehebruchs und Hochverrats verurteilt, soll sie die Verse kurz vor ihrer Enthauptung zu Papier gebracht haben. Die anonyme, vielleicht doch einige Jahrzehnte jüngere Vertonung bettet die schlichte und ergreifende Textdeklamation in einen wiegenden, aber auch unerbittlich voranschreitenden Instrumentalsatz ein.

Einblicke in die stark französisch geprägte Musikkultur um Heinrich VIII. selbst, der Laute, Blockflöte und Tasteninstrumente spielte, gibt ein wohl 1522 entstandenes Manuskript aus seinem Umfeld. Er wird dort in 21 Vokalwerken und zwölf untextierten Stücken als Autor genannt, dürfte aber auch das Gros der übrigen Werke komponiert haben. An die Auswahl dreier Chansonsätze Heinrichs schließt sich heute seine bekannteste Komposition Pastime with Good Company an. Die enge musikalische Verwandtschaft dieses als The King’s Ballad populären Stücks mit der voranstehenden Chanson Helas Madame ist nicht zu überhören.

Die wichtigste Musikerpersönlichkeit des Elisabethanischen Zeitalters neben Dowland war zweifellos der etwa zwanzig Jahre ältereWilliam Byrd, ein Meister der Tasten und der vokalen Kirchenmusik. Ihm gelang es, dank der hohen künstlerischen Wertschätzung durch Elisabeth auch als bekennender Katholik ein führendes Mitglied der Hofkapelle zu bleiben. Als im November 1585 mit Thomas Tallis sein musikalischer Mentor hochbetagt starb, betrauerte ihn der 42-jährige Byrd in einer ergreifenden Elegie. Sie singt den Musen vom Tod der irdischen Musik – und widerlegt ihn zugleich auf das Schönste.

behe

Mitwirkende

Franz Vitzthum – Countertenor Stefan Maass – Laute Flautando Köln Die Stammbesetzung von Flautando Köln mit Susanne Hochscheid, Katrin Krauß-Brandi, Ursula Thelen und Kerstin de Witt erweitert sich für das heutige Programm um Katharina Hess als Gastflötistin.