2021/2022: Konzert 2
Musico di violino dilettante veneto
Tommaso Albinoni zum 350. Geburtstag Ludus Instrumentalis Sendung auf WDR 3 Dienstag, 1. Februar 2022, ab 20:04 UhrTommaso Albinoni gehörte zu den vielen bedeutenden Musikern und Musikerinnen, die das barocke Venedig hervorbrachte. Als ältester Sohn eines Spielkartenherstellers war er aber nicht darauf angewiesen, mit der Musik seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Dresdner Hof- violinist Johann Georg Pisendel brachte Albinonis avancierte Streichermusik persönlich über die Alpen, wohl auch zu Johann Sebastian Bach in Weimar. Das Kammerensemble Ludus Instrumentalis um den Geiger Evgeny Sviridov folgt den musikalischen Spuren Albinonis im Süden und Norden Europas.
Programmfolge
Tommaso Albinoni (1671–1751) Balletto d-Moll op. 3,5 (Venedig 1701) für 2 Violinen und Basso continuo Allemanda. Largo appoggiato – Corrente. Allegro – Giga. Allegro
Sonata B-Dur (Venedig 1717?) für Violine und Basso continuo Johann Georg Pisendel gewidmet Adagio – Allegro – Adagio – Allegro
Antonio Vivaldi (1678–1741) Sonata a-Moll op. 14,3 (Paris 1740) für Violoncello und Basso continuo RV 43 Largo – Allegro – Largo – Allegro
Nicola Porpora (1686–1768) Concerto C-Dur op. 2,2 (London 1736) für 2 Violinen und Basso continuo Adagio – Allegro – Affettuoso – Allegro
Tommaso Albinoni Sonata a-Moll op. 6,6 (Amsterdam, um 1712) für Violine und Basso continuo Continuo-Aussetzung von Heinrich Nikolaus Gerber / Johann Sebastian Bach Adagio – Allegro – Adagio – Allegro
Sonata h-Moll op. 1,8 (Venedig 1694) für 2 Violinen und Basso continuo Grave – Allegro – Grave – Allegro
Johann Sebastian Bach (1685–1750) Fuge h-Moll für Cembalo BWV 951 auf ein Thema aus Albinonis Sonata op. 1,8
Tommaso Albinoni Sonata C-Dur op. 1,5 (Venedig 1694) für 2 Violinen und Basso continuo Grave – Allegro – Grave – Presto
Dilettant alter Schule
Er zählte unter den vielen hervorragenden Musikern und Musikerinnen, die an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert das kulturelle Leben der stolzen Republik und Handelsmetropole Venedig prägten, zu den besten und erfolgreichsten. Und doch hat die Nachwelt ihn nicht in gleicher Weise im Gedächtnis behalten wie seinen sieben Jahre jüngeren Kollegen Antonio Vivaldi.
Die Rede ist von Tommaso Albinoni, der vor 350 Jahren in der Lagunenstadt das Licht der Welt erblickte. Keineswegs war ihm eine Karriere als Musiker in die Wiege gelegt worden, denn er war der älteste Sohn und damit Erbe eines Spielkartenherstellers. Tommaso engagierte sich zunächst im Geschäft seines Vaters, überließ das später aber seinen beiden Brüdern und fungierte nur noch als stiller Teilhaber. Denn seine Leidenschaft galt der Musik. Schon als 23-Jähriger hatte er seinen Ruhm – noch als musico dilettante, aber mit uneingeschränkt professionellem Anspruch – mit dem Erfolg seiner ersten Oper Zenobia begründet, die in Venedigs Teatro SS. Giovanni e Paolo ihre Uraufführung erlebte. Im selben Jahr 1694 trat der musico di violino, wie sich Albinoni später bezeichnete, auch mit einem instrumentalen Opus 1 an die Öffentlichkeit – dem Usus der Zeit entsprechend war das ein Druck mit Triosonaten für zwei Violinen und Basso continuo. Zeigt er sich hier in den sinnlichen kontrapunktischen Dialogen der Oberstimmen als ideeller Schüler des römischen Violinmeisters Arcangelo Corelli, bleibt doch im Dunklen, wer sein eigentlicher Lehrer war – möglicherweise Giovanni Legrenzi, der seit den 1680er-Jahren zunächst als Vize- und dann als Kapellmeister am Markusdom wirkte.
Bei den italienischen Zeitgenossen sorgte Albinoni auch in den kommenden Jahrzehnten vor allem als Opernkomponist für Aufsehen, und das nicht nur in Venedig, sondern auch in Florenz und Genua, Brescia und Rom, Palermo und Neapel; bald spielte man seine Opern sogar in London und Prag. Am Münchner Hof war er 1722 anlässlich der Vermählung des bayerischen Kurprinzen mit I veri amici und Il trionfo d’amore zu Gast; vielleicht hatte er seine Gattin, die Sängerin Margherita Raimondi, aber schon zwei Jahre zuvor begleitet, als sie dort in einer Oper von Pietro Torri auftrat. Inzwischen waren die Einkommensquellen Albinonis aus dem Spielkartengeschäft allerdings versiegt – das verschuldete Unternehmen war verkauft worden. Aus dem dilettante wurde notgedrungen ein Musiker im Hauptberuf. Dass der sich schließlich noch mit 72 Jahren um die Stelle des maestro di coro am Ospedaletto bewarb, einer von mehreren karitativen Bildungseinrichtungen Venedigs für musikalisch talentierte Waisenmädchen, deutet auf finanzielle Not im Alter hin. Antonio Vivaldi und auch Nicola Porpora bekleideten zeitweise entsprechende Musikämter an Venedigs Waisenhäusern; Albinonis Bewerbung blieb hingegen erfolglos.
Sieht man vom Münchner Operngastspiel ab, verdankte sich die Prominenz von Albinoni nördlich der Alpen in erster Linie seiner Instrumentalmusik. Nach dem Triosonaten-Debüt setzte der Komponist mit seinen Sinfonie e concerti a cinque op. 2 von 1700 neue Maßstäbe, indem er hier teilweise schon die Aufgliederung des Ensemblesatzes in Tutti-Ritornelle und Solo-Episoden vorstellte, wie sie dann Vivaldi als Standardform des barocken Violinkonzertes etablierte. Doch auch in den weiteren kammermusikalischen Werken stellte Albinoni immer wieder seine formale Kreativität und melodische Erfindungsgabe unter Beweis. Das heutige Konzert widmet sich diesem Repertoire in einer Auswahl von Werken für ein oder zwei Soloinstrumente und Basso continuo. Albinonis klarer, kontrapunktisch gediegener Stil, der eher der römischen Corelli-Schule verpflichtet scheint, hebt ihn deutlich von der gesanglich-virtuosen venezianischen Solistenkunst Vivaldis ab, der hier mit einer frühen Sonate für Violoncello zu hören ist. Zwischen beiden Meistern vermittelt stilistisch der zeitweise in Venedig tätige Neapolitaner Porpora.
Die ersten venezianischen Sonatenbände Albinonis wurden kurz nach Erscheinen schon in Amsterdam und London nachgedruckt, später ergriffen die dortigen Verleger sogar als Erste die Initiative – und publizierten dabei auch schon einmal Werke, die in Wirklichkeit gar nicht von Albinoni stammten; der Name verkaufte sich gut! In Sachsen dagegen kursierten Albinoni-Stücke sogar in Widmungsfassungen des Komponisten. Dafür sorgte Johann Georg Pisendel, der Konzertmeister der kursächsischen Hofkapelle in Dresden. 1716/17 hatte er sich auf Kosten des Hofes zur musikalischen Weiterbildung in Venedig aufgehalten und dabei nicht nur vom Unterricht Vivaldis, sondern auch von der Begegnung mit Albinoni profitiert, der ihm eine B-Dur-Solosonate zueignete.
Über Pisendel mag auch dessen Freund und Kollege Johann Sebastian Bach die Musik Albinonis kennen und schätzen gelernt haben, dem als Weimarer Hoforganist und Kammermusicus um 1714 überdies die Amsterdamer Notenerwerbungen seines Fürstenhauses zur Verfügung standen. Bachs Bearbeitung des zweiten Satzes von Albinonis Triosonate op. 1,8 als Fuge für Tasteninstrument stammt sogar schon aus den frühen Bildungsjahren vor Antritt der ersten Organistenstelle im thüringischen Arnstadt. Eine solche produktive Auseinandersetzung mit musikalischen Vorbildern war damals wesentlicher Bestandteil im Ausbildungsprogramm eines angehenden Komponisten.
So hat es dann auch Bach später als Thomaskantor in Leipzig im Unterricht für seinen Schüler Heinrich Nikolaus Gerber gehalten. Ihm übertrug er die Aufgabe, zu Albinonis Violinsonate op. 6,6 die üblicherweise ad hoc ausgeführte harmonische Füllstimme der rechten Cembalohand schriftlich auszuarbeiten. Im heutigen Konzert ist Tommaso Albinonis Sonate in der von Bach korrigierten Gerber-Harmonisierung zu hören.
Mitwirkende
Evgeny Sviridov, Anna Dmitrieva – Violine
Davit Melkonyan – Violoncello
Liza Solovey – Theorbe
Stanislav Gres – Cembalo