2024/2025: Konzert 2

Sonntag, 13. Oktober 2024 Museum für Angewandte Kunst 17 Uhr

Senza accompagnato

Johann Sebastian Bach: Partita Nr. 2 d-Moll, BWV 1004, und Sonata Nr. 1 g-Moll, BWV 1001, für Violine solo Midori Seiler Emilio Percan Emilio Percan Sendung auf WDR 3 am 19. November 2024 ab 20.03 Uhr

Unter den Sätzen der berühmten sechs Sonaten und Partiten, die Johann Sebastian Bach für Violine allein komponierte, ist die Ciaccona der 2. Partita in d-Moll geradezu legendär. Die virtuose Kraft einer einzelnen Geige wird hier aufs Äußerste gefordert, zutage tritt ein Bezug zu den Themen Tod und Transformation. Midori Seiler kombiniert diese Partita nun mit der Sonate in C-Dur, die sich in Bachs Manuskript unmittelbar anschließt. Dort wirke nun der pure stille Geist der Ewigkeit.

Programmfolge

Johann Sebastian Bach (1685‒1750) Partita Nr. 2 d-Moll, BWV 1004 für Violine solo
Allemanda Corrente Sarabanda Giga Ciaccona
Sonata Nr. 3 C-Dur, BWV 1005 Sonata Nr. 1 g-Moll, BWV 1001
Adagio Fuga. Allegro Siciliana Presto

Eine ganze Welt auf einem System

Vor allem als Tastenvirtuose war Johann Sebastian Bach schon zu Lebzeiten berühmt. Weniger bekannt war (und ist) hingegen, dass er gerne auch einmal zur Violine griff: In seiner Jugend bis zum ziemlich herannahenden Alter spielte er die Violine rein und durchdringend und hielt dadurch das Orchester in einer größeren Ordnung, als er mit dem Flügel hätte ausrichten können. Er verstand die Möglichkeiten aller Geigeninstrumente vollkommen. So berichtet es sein Sohn Carl Philipp Emanuel noch 1774. Schon 1703 hatte Bach als Achtzehnjähriger am Hof des Herzogs Johann Ernst von Sachsen-Weimar sein geigerisches Können unter Beweis gestellt, als er dort einige Monate als Musiker angestellt war. Bald lockte aber das Organistenamt in Arnstadt. Und so kehrte Bach erst 1708 nach Weimar zurück, nun als Organist und Kammermusiker. 1714 wurde dort dann eigens für ihn das Amt des Konzertmeisters eingerichtet. 1703 hatte Bach in Weimar noch Johann Paul von Westhoff kennengelernt, einen herausragenden Geiger. Westhoff hatte damals bereits zwei Bände mit Suiten für Violine ohne Begleitung veröffentlicht – das war bis dahin eine absolute Rarität in der Violinliteratur. Bach könnte sich diese innovativen Werke zum Vorbild genommen haben, als er spätestens während seiner Zeit als Hofkapellmeister in Köthen seit 1717 selbst für Soloinstrumente komponierte. Bis Anfang der 1720er Jahre entstanden sechs Suiten für Violoncello, eine Partita für Traversflöte und seine Sei Solo â Violino senza Basso accompagnato. Mit der Reinschrift dieser Violinwerke begann Bach vermutlich im Frühjahr 1720, als er seinen Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen zur Kur nach Karlsbad begleitete. Zurück in Köthen, erwartete ihn eine schockierende Nachricht: Seine Frau Maria Barbara war in der Zwischenzeit gestorben und bereits begraben.

Bachs Sei Solo gelten als einzigartige Meisterwerke der Violinkunst. Im korrekten Italienisch müsste es für die sechs Solostücke eigentlich Sei Soli heißen. Offenbaren sich hier Bachs begrenzte Italienischkenntnisse? Oder sollte er tatsächlich sei solo gemeint haben – zu Deutsch du bist alleine? Die Violine erklingt hier vollkommen unbegleitet. Und Bach stand nach dem Tod seiner Frau in gewisser Weise erst einmal allein da.

Die Sammlung enthält mit je drei Sonaten und drei Partiten Beispiele für zwei beliebte Formen der barocken Instrumentalmusik. Dabei orientiert Bach sich zum einen am Modell der italienischen Sonata da chiesa – der Kirchensonate – mit ihrer zweifachen Folge von je einem langsamen und einem schnellen Satz, zum anderen an der typischen Reihung von Tanzsätzen nach dem Vorbild der französischen Suite. Ob er sich die Sonaten und Partiten selbst in die Finger geschrieben hat? Denkbar wäre es. Als weitere Kandidaten kämen der Köthener Hofgeiger Joseph Spieß in Frage und der Konzertmeister am Dresdner Hof, Johann Georg Pisendel, mit dem Bach befreundet war. Weitere Geiger, nicht zuletzt aus Bachs Schülerkreis, haben sich die Werke in der Folgezeit abgeschrieben.

Ohne Frage verlangt Bach von den Ausführenden höchste spieltechnische Versiertheit und Virtuosität. Anspruchsvolle Doppelgriffe und Bariolagen sorgen für eine deutliche harmonische Verortung und eröffnen dem Melodieinstrument immer wieder die Möglichkeit zum scheinbaren oder auch zum realen mehrstimmigen Spiel. Das gipfelt in den Fugenkompositionen, die Bach in den drei Sonaten jeweils auf die langsame Einleitung folgen lässt – und in der Ciaccona, mit der er die zweite Partita beschließt.

Diese lange, formsprengende Variationsform über ein vielfach wiederholtes Grundthema macht die d-Moll-Partita zum Herzstück der ganzen Sammlung, so beschreibt es Midori Seiler. Die virtuose Kraft der Violine wird hier vom Komponisten aufs Äußerste gefordert, und der nahe Bezug zu den Themen Tod und Transformation tritt in der Komposition offen zutage. In der darauffolgenden Sonate in C-Dur seien dann alle Transformationen vollendet, es wirke hier der pure stille Geist der Ewigkeit. Deshalb kombiniert Midori Seiler im heutigen Konzert ebendiese beiden Werke – die zweite Partita und die dritte Sonata.

Die Partita d-Moll präsentiert zunächst die schon im 17. Jahrhundert zum Standard gewordene Satzfolge einer Suite mit Allemande, Corrente, Sarabande und Gigue. Bach ergänzt aber noch die Ciaccona (Chaconne). Sie beruht auf einer stetig wiederkehrenden Linie von vier abwärts geführten Tönen, die als harmonische Grundlage für 32 anspruchsvolle Variationen dient. Der bemerkenswerte Satz wurde im 19. Jahrhundert berühmt und auch isoliert immer wieder bearbeitet, unter anderem von Felix Mendelssohn Bartholdy, Robert Schumann und Johannes Brahms. Der brachte in einem Brief an Clara Schumann seine Begeisterung zum Ausdruck: Die Chaconne ist mir eines der wunderbarsten, unbegreiflichsten Musikstücke. Auf ein System für ein kleines Instrument schreibt der Mann eine ganze Welt von tiefsten Gedanken und gewaltigsten Empfindungen.

Die Sonata C-Dur ist ein schönes Beispiel für Bachs individuelle Lesart des italienischen Stils. Er eröffnet sie mit einem von Punktierungen und Doppelgriffen geprägten Adagio, spielt reizvoll mit einer changierenden Harmonik, die bisweilen Takt für Takt in andere Tonarten führt. Herzstück ist hier die Fuge, die zu den längsten zählt, die wir von Bach kennen. Ihr Thema leitet sich bemerkenswerterweise vom Beginn eines Pfingstchorals Martin Luthers ab: Komm, Heiliger Geist, Herre Gott. Wieder stellt Bach dem Hauptthema ein spannungsvolles chromatisches Gegenthema an die Seite. Nach einem filigranen Largo gibt das abschließende Allegro einer quirligen Virtuosität Raum.

Helga Heyder-Späth

Mitwirkende

Kurzfristig für die erkrankte Midori Seiler eingesprungen
Emilio Percan