2025/2026: Konzert 2
La Mandolina española
Musik für Mandoline von Antonio de Cabezón, Diego Ortiz, Bartolomé de Selma y Salaverde, Domenico Scarlatti, Luigi Boccherini, Pablo de Sarasate, Francisco Tárrega, Isaac Albéniz und aus der jüdisch-sephardischen Tradition Alon Sariel Vincent Kibildis Nadine Remmert Nestor Fabián Cortés Garzón
Aus der schillernden Vielfalt der barocken Zupfinstrumente ragt die Mandoline mit ihrem facettenreichen hellen Timbre heraus. Damit verzaubern Alon Sariel, Vincent Kibildis, Nadine Remmert und Nestor Fabián Cortés Garzón ihr Publikum. Gemeinsam gehen sie in ihrer Werkauswahl den engen Verbindungen zwischen Süditalien und der iberischen Halbinsel nach, geben aber auch den jüdisch-sephardischen Melodien Raum, die sich einen eigenen musikalischen Kosmos fernab des Hofzeremoniells schufen.
Programmfolge
Grazile Klanggewebe Iberiens
In der weitverzweigten Familie der Lauteninstrumente, die im 11. Jahrhundert durch
die Mauren aus dem arabischen Raum nach Spanien fanden und sich in ganz Europa verbreiteten,
gilt die Mandoline mit ihrem zarten und feinen Klang als eine der wandelbarsten Vertreterinnen.
Der älteste Typ, heute oft Barockmandoline
genannt, ist in der Bauart einer Laute
sehr ähnlich und hat vier bis sechs Doppelsaiten aus Darm, die mit den Fingern oder
einem Plektrum aus Kirschbaumborke gezupft wurden. Um 1750 entwickelte sich ein neuer
Mandolinentyp, der heutzutage als Neapolitanische Mandoline
bezeichnet wird. Die
Besaitung aus Darm wich größtenteils Messingsaiten, die mit einer Straußen- oder Rabenfeder
gespielt wurden.
Die Mandoline ist ihrem Wesen nach ein Soloinstrument mit einem sehr delikaten Klang. Diesen Charakter haben die im 20. Jahrhundert im Zuge der Wandervogelbewegung entstandenen Zupforchester mit chorisch besetzten und in permanentem Tremolo gespielten Mandolinen allzu sehr in den Hintergrund treten lassen. Dank der historischen Aufführungspraxis rückt das alte Repertoire jetzt wieder in den Fokus.
Auf der historischen Mandoline erschließt Alon Sariel im heutigen Konzert Wege zur spanischen Musik verschiedener Epochen – gemeinsam mit einem Begleitensemble, das ebenfalls auf besaiteten Instrumenten spielt: der Harfe, dem Cembalo und dem Violoncello.
Bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts gab es auf der iberischen Halbinsel eine deutliche
Zurückhaltung gegenüber den progressiven musikalischen Ideen aus Italien, während
sie im übrigen Europa bereitwillig aufgegriffen wurden. Um so wichtiger blieb der Einfluss
von Volkslied und Tanz auf die spanische und portugiesische Kunstmusik. Zum Herrschaftsgebiet
Spaniens gehörten lange Zeit auch Gebiete im Süden Italiens. So wurde Neapel mit seinem
Umland von 1503 bis 1713 durch einen spanischen Vizekönig regiert. Hier wirkte der aus
Toledo stammende Diego Ortiz in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts als Hofkapellmeister.
1553 veröffentlichte er seine wegweisende instrumentale Verzierungslehre, den Trattado
de glosas. Er bietet mannigfache Einblicke in die damalige instrumentale Aufführungspraxis
und reichlich Musikstücke, an denen sich die virtuose Ausgestaltung vorgegebener Harmonie-
und Melodiefolgen nachvollziehen lässt. Unter den kunstvoll verzierten Recercadas
von Ortíz finden sich auch solche über eine tänzerische Harmoniefolge mit Ohrwurm
-
Potenzial, die bald europaweit als La Folía zum Begriff wurde.
Ortíz nennt auf dem Titel seines Traktats ausdrücklich Violones, also Streichinstrumente.
Doch verfuhr man in der Instrumentenwahl damals recht frei. So war es auch für die Mandolinen-
Spieler eine übliche Praxis, sich Kompositionen einzurichten, die ursprünglich für
ein anderes Instrument bestimmt waren. Die Freizügigkeit in der Besetzung spricht das
Libro de cifra nueva para tecla, harpa, y vihvela schon im Titel an, ein Tabulaturbuch
für Tasteninstrument, Harfe und Vihuela
– letztere ein typisch spanisches Zupfinstrument,
das als direkte Verwandte der Gitarre angesehen werden kann. Der Organist Luis Venegas
de Henestrosa in Toledo gab den Band 1557 heraus und präsentierte darin mehrere Folía-
Variationen des blinden Tastenvirtuosen und Hoforganisten Antonio de Cabezón
unter dem schlichten Titel Pavana con su glosa.
Um 1700 öffnete sich Spanien dann doch deutlicher der Musik aus Italien. In der Folge wurden auch italienische Virtuosen und Komponisten auf der iberischen Halbinsel heimisch. Die spanische Musiktradition mit ihren Tänzen und Liedern hat auch sie beeinflusst.
So in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Domenico Scarlatti. In Neapel als Sohn des damaligen Hofkapellmeisters Alessandro Scarlatti geboren und unter dessen Ägide in Rom musikalisch groß geworden, wurde das Tastenwunder 1719 in Lissabon der Musiklehrer der Prinzessin Maria Barbara de Bragança. Als sie zehn Jahre später den spanischen Thronfolger heiratete, folgte Scarlatti ihr nach Madrid. Musikgeschichte geschrieben hat er mit seinen zukunftsweisenden mehr als 500 Sonaten für Tasteninstrument. Sechs dieser Sonaten bieten eine durchweg einstimmige Diskantpartie und eine mit Akkordziffern versehene Bassstimme, sind also (auch) als Werke für Soloinstrument und Basso continuo zu spielen. In einem französischen Manuskript aus dem 18. Jahrhundert ist ein Satz der d-Moll-Sonate K. 89 sogar konkret als Sonatina per mandolino e cimbalo bezeichnet. Entsprechend präsentiert Alon Sariel die charmante viersätzige Sonate G-Dur K. 91 im heutigen Programm als spätbarockes Mandolinen-Werk.
Der Cellist Luigi Boccherini, der aus dem toskanischen Lucca stammte, kam 1768 als 25-Jähriger nach Spanien – und blieb, seit 1770 im Rang eines compositore e virtuoso da camera des Infanten Don Luis. Dass in dessen Ensemble die Position am Violoncello bereits besetzt war, dürfte ein Grund für die vielen konzertant angelegten Streichquintette mit zwei Violoncelli sein, die Boccherini von nun an komponierte. Vornehmlich Sätze aus diesen Werken wählte er 1798 aus, um sie zu sechs Gitarrenquintetten umzuarbeiten. Besonders der Finalsatz im Quintett G-Dur, ein temperamentvoller Fandango, verströmt reichlich spanisches Flair. Die Ausführung der Gitarrenstimme auf der Mandoline kann dem Satz noch eine neue Klangnuance abgewinnen.
Steht im späten 18. Jahrhundert der Fandango sinnbildlich für die populäre spanische Tanzmusik – auch wenn er seinen Ursprung wohl in Südamerika hat, – ist es bald darauf (und bis heute) der andalusische Flamenco als gitarrenbegleitete Lied- und Tanzform. In ganz Europa wurde die Gitarre in der Romantik zum dominierenden Zupfinstrument; ihre enge Verbindung zur spanischen Volks- und Kunstmusik blieb im allgemeinen Bewusstsein. Kein Wunder also, dass die Gitarre in der national orientierten spanischen Komponistenschule Ende des 19. Jahrhunderts eine bestimmende Rolle spielte.
Vom nahezu statischen Beginn einer Flamenco-Darbietung inspiriert scheint die Playera von Pablo de Sarasate. Sie ist einer der acht spanischen Tänze, die er um 1880 in vier Folgen für Violine und Klavier komponierte und bedeutenden europäischen Kollegen widmete. Dem in Pamplona geborenen Geiger gelang nach dem Studium am Pariser Konservatorium eine grandiose Konzertkarriere, die ihn bis nach Russland, in die USA und nach Südamerika führte.
Der Klaviervirtuose Isaac Albéniz, der sich nach seiner pianistischen und kompositorischen Ausbildung in Paris, Leipzig und Brüssel 1883 zunächst in Barcelona niederließ, bekannte einmal, dass ihm viele seiner Werke in der Bearbeitung für Gitarre besser gefielen als in der originalen Tastenfassung. Zu den Kompositionen, in denen er zu seinem eigenen nationalen Stil fand, gehört die Suite Española – der Name spricht für sich. Der von Albéniz separat komponierte, der Region Asturien zugedachte Satz in Form eines Leyenda-Tanzes wurde der Suite erst posthum hinzugefügt.
Der große spanische Gitarrenmeister dieser Zeit war Francisco Tárrega. Er studierte am Konservatorium von Madrid und trat seit 1877 auf den großen Bühnen seines Heimatlandes auf, aber auch in Frankreich, Großbritannien, Italien, Algerien und Marokko. Seine Recuerdos de la Alhambra und das Capricho Árabe lassen schon im Titel die auch kulturell höchst bedeutende Epoche der islamischen Herrschaft über den Süden Spaniens anklingen, die sich vom 8. Jahrhundert bis 1492 erstreckte.
Obwohl das spanische Königreich im Vertrag von Granada 1491 die Religionsfreiheit garantiert hatte, kam es damals binnen weniger Jahre zur Zwangsbekehrung oder Vertreibung der muslimischen wie der jüdischen Bevölkerung in Andalusien. Die iberischen Juden siedelten sich als Sephardim überwiegend im Mittelmeerraum an. Sie suchten dort ihre Kultur und ihre romanische Sprache zu bewahren – das Ladino.
An diese Tradition erinnert die Berceuse Sfaradite, mit der Paul Ben-Haim eine moderne Stimme in das Programm einbringt. Der israelische Komponist und Dirigent kam als Paul Frankenburger in München zu Welt. Dort absolvierte er auch sein Musikstudium, bevor er Assistent von Bruno Walter und Hans Knappertsbusch wurde, dann Kapellmeister in Augsburg. 1933 emigrierte er nach Palästina, wo er auch die jüdischen Musiktraditionen des Nahen Ostens für sich entdeckte.
In der melancholischen Schönheit der Ladino-Suite, die
aus anonym überlieferten sephardischen Melodien zusammengestellt ist, hallen ebenfalls
die Echos dieser besonderen Kultur nach, die geprägt ist von Migration, Erinnerung und
Widerstandskraft, konstatiert Alon Sariel. Wenn wir schließlich die feurigen Rhythmen
von Boccherinis Fandango erreichen, hat die Mandoline getanzt, gesungen und geflüstert
– durch fünf Jahrhunderte Musikgeschichte. Am Ende bleiben wir irgendwo zwischen einem
Innenhof in Sevilla und einem Traum von der Alhambra in der Abenddämmerung zurück.
Mitwirkende
Vincent Kibildis – Harfe Nadine Remmert – Cembalo Nestor Fabián Cortés Garzón – Violoncello