Saison 2000/2001: Konzert 8

Sonntag, 13. Mai 2001 20 Uhr Kölner Philharmonie

Luigi Cherubini

Les deux journées (Der Wasserträger) Yann Beuron (Tenor) Mireille Delunsch (Sopran) Andreas Schmidt (Bass) Kwangchul Youn (Bass) Etienne Lescroart (Tenor) Olga Pasichnyk (Sopran) Miljenko Turk (Bass) Vera Schoenenberg (Sopran) Sven Ehrke (Bass) Marcos Pujol (Bass) Thilo Dahlmann (Bass) Gregor Finke (Bass) Chorus Musicus Köln Das Neue Orchester Leitung Christoph Spering Moderation Bettina Böttinger

Christoph Spering ist ein Entdecker: Ob es die Rekonstruktion der Wiederaufführung der Bachschen Matthäus-Passion durch Mendelssohn Bartholdy 1829 ist, die Urfassung des Deutschen Requiems von Brahms oder das Bachsche Weihnachtsoratorium in der Bearbeitung von Robert Franz. Ähnlich steht es um die Oper Cherubinis "Les deux journées" (Die beiden Reisen oder Der Wasserträger), die 1800 in Paris zum ersten Mal aufgeführt wurde und danach bis zur Jahrhundertmitte einen spektakulären Siegeszug durch ganz Europa antrat. Das Werk zeigt Cherubinis Meisterschaft in instrumentaler wie vokaler Hinsicht in der Tradition der französischen Opéra comique. Die Bandbreite der künstlerischen Erfindung reicht vom Melodram über einfache strophische Lieder und Ensembles bis hin zu dramaturgischen Zaubermitteln, die das wesentliche Moment - die Rettung am Ende - ermöglichen.

Die Handlung

1. Akt
Paris 1647, zur Zeit der Fronde. Im Haus des savoyardischen Wasserträgers Mikéli warten sein Vater Daniel und seine Kinder Antonio und Marcelina. Als Mikéli eintrifft, schickt er die anderen fort; sie sollen nicht wissen, dass er den Parlamentspräsidenten Armand und seine Frau Constance verbergen will, die durch ein Edikt des Kardinals Mazarin für vogelfrei erklärt worden sind. Alleine, bittet er um göttlichen Beistand für seine Aufgabe. Constance und Armand erscheinen, als Militäroffiziere verkleidet. Als Soldaten das Haus durchsuchen, geben sich die beiden eilig als Mitglieder von Mikélis Familie aus. Nachdem die Soldaten erfolglos weitergezogen sind, kommen die anderen Familienmitglieder zurück. Antonio erkennt in Armand den Wohltäter seiner Jugend, und die ganze Familie beschließt, Constance und Armand zu helfen.

2. Akt
Vor dem Stadttor. Constance, die sich als Marcelina verkleidet hat, und Antonio sind auf dem Weg nach Gonesse. Die Torwache hält sie auf, sie können aber weiterziehen, nachdem der Kommandant,der an der Haussuchung teilgenommen hatte, und Mikéli, der mit seinem Wasserfass auch am Tor anlangt, versichert haben, dass es sich bei dem Paar nicht um die Gesuchten handelt. Nachdem er die Soldaten bei ihrer Suche nach Armand auf eine falsche Fährte gelenkt hat, dreht Mikeli das Wasserfass um. Heraus springt Armand, der schnell in die Wälder flieht, als die Soldaten zurückkehren, um außerhalb von Paris weiterzusuchen

Pause

3. Akt
In Gonesse. Die Einwohner feiern Antonios Hochzeit mit Angelina, einem Mädchen aus dem Dorf. Die Feier wird durch die einfallenden Soldaten unterbrochen. Mikéli versteckt Armand in einem Baumstamm, während Constance sich weiterhin als Antonios Schwester ausgibt. Als die Soldaten versuchen, sie zu verführen, springt Armand hinter dem Baum hervor. Gerade als er verhaftet werden soll, eilt Mikéli herbei und verkündet, dass die Königin und der Kardinal, eingeschüchtert von der Volksmenge, die Acht gegen Armand aufgehoben haben. Alle besingen die Tugenden der Humanität.

Zur Rettung einer Rettungsoper

Als wir vor einigen Jahren ein Programm mit Luigi Cherubinis c-Moll-Requiem vorbereiteten und dabei eine Reihe von Quellen zu seiner Vokalmusik sichteten, wurde sehr schnell deutlich, dass es den Komponisten Cherubini in seiner Gesamtheit wieder zu entdecken gilt. Denn eigentlich ist er uns nur noch als anekdotische graue Eminenz des Kontrapunkts bekannt, die den jungen Springinsfeld Hector Berlioz aus dem Pariser Konservatorium jagte - und das ist weniger als die halbe Wahrheit. Der 1760 in Florenz geborene Cherubini, den der Lebensweg nach erfolgreichen Jahren als Opernkomponist in seinem Heimatland 1786 auf Dauer nach Frankreich führte, erfreute sich dort zunächst der Gunst des Ancien Régime, nach 1789 dann allmählich auch der Wertschätzung durch die republikanische Führung (die ihn zu einem der Leiter am Conservatoire machten) und die musikbegeisterten Bürger (die seine Opern und Kirchenwerke liebten). Die Akklimatisierung in Paris gelang ihm dadurch, dass er seine ursprünglich dem Starvirtuosentum der italienischen Operntradition verpflichtete Erfindungsgabe mehr und mehr dem französischen Geschmack anpasste. Das sicherte seinen Opern ihren großen Erfolg, auf dem sich eine regelrechte Cherubini-Tradition bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhundert hinein gründete. Mehr noch als Cherubinis "Medée" (die in unseren Tagen in erster Linie in einer Interpretation bekannt wurde, die Maria Callas als Titelheldin in den Mittelpunkt stellte) hat zu Beginn des 19. Jahrhunderts seine Oper "Les Deux Journées" auf ein Libretto Jean-Nicolas Bouillys Furore gemacht. Dies zunächst im Pariser Théâtre Feydeau, wo sie am 16. Januar 1800 ihre Uraufführung erlebte. Bis 1830 blieb sie ununterbrochen auf dem Spielplan der Opéra comique und wurde schon 1842, in Cherubinis Todesjahr, wieder einstudiert.

Doch erfolgreich war "Les Deux Journées" europaweit. In Braunschweig etwa stand sie schon 1801 in französischer Sprache auf dem Spielplan, und noch im selben Jahr folgte die erste deutsche Übersetzung. In dieser Form erlebte auch Ludwig van Beethoven das Werk 1804 in Wien. Für ihn wurde es zu einem wahren Schlüsselerlebnis, denn Cherubinis Oper motivierte ihn entscheidend bei der Gestaltung seiner "Leonore". Das betrifft die Wahl des gleichen Sujets - eine "Rettungsoper", die vor dem Hintergrund der französischen Revolution Humanität und Freiheit idealisiert - und die Wahl desselben Librettisten; das betrifft ebenso die Vielzahl von Ensemble-Sätzen und die Verwendung des Melodrams, in dem die Instrumentalmusik zur Begleitung des gesprochenen Wortes dient. Beethoven stand mit seinem Urteil keineswegs alleine dar. Ebenso begeistert zeigten sich zum Beispiel Carl Maria von Weber, Johann Wolfgang Goethe und Felix Mendelssohn Bartholdy. Dass das dramaturgisch geschickte und musikalisch ansprechende Werk dann im 20. Jahrhundert allmählich von den Spielplänen verschwand, ist allenfalls als Folge eines wachsenden Sänger-Starkults zu verstehen, der in erster Linie sensationelle Soloauftritte wünschte.

Das Erfolgsrezept der "Deux Journées" aber ist das der Opéra comique: Ihren fast populären Charakter bestimmen ausgedehnte Ensemblesätze, daneben die temperamentvolle Ouvertüre und instrumentale Zwischenmusiken. Große Bravourarien fehlen, allerdings verfügt das Werk über eine Solo-Arie mehr, als man bisher annahm: Neben Mikélis bekanntem "Guide me pas, o providence" im ersten Akt fand sich im originalen Aufführungsmaterial eine Arie für Constance, vorzutragen vor dem Melodrama des dritten Aktes; Sie erleben sie heute in erster Wiederaufführung.
In "Les Deux Journées" verbinden nach Singspiel-Manier gesprochene Dialoge die einzelnen Nummern. Sie stellen heutige Aufführungen vor ein dramaturgisches Problem, da sie die musikalischen Teile doch stark isolieren. Die gesprochenen Szenen in der ursprünglichen Form, gar in der französischen Originalsprache wiederzugeben, erscheint uns daher nicht sinnvoll - schon gar nicht in konzertantem Rahmen. Ich denke, dass wir dafür, wie schon in ähnlichen Fällen zuvor (etwa bei Schuberts Singspiel "Der häusliche Krieg" oder Mendelssohns Schaupielmusik zu "Athalie"), ein beim Publikum willkommenes Lösungskonzept gefunden haben, das sicherlich auch der Aufführung der "Deux Journées" angemessen ist: Zwischen der Musik vermittelt eine Moderation den Fortgang der Handlung. Und ich freue mich sehr, dass sich Bettina Böttinger bereit erklärt hat, heute Abend die Rolle der Moderatorin zu übernehmen. In musikalischer Hinsicht schließen wir uns aber dem ursprünglichem Konzept des Komponisten so weit wie möglich an: Sie erleben das Werk in der originalen Sprache und Nummernfolge, in der ursprünglichen Besetzung der Vokal-Partien und mit Instrumenten der Cherubini-Zeit. Und darin wird sich unsere Aufführung von diversen "Rettungsversuchen" unterscheiden, mit denen man Cherubinis wunderbare Rettungsoper in den letzten Jahrzehnten bedachte.

Auf das Ergebnis sind wir selbst gespannt.

>Christoph Spering

Mitwirkende

Moderation
Bettina Böttinger

Die Personen

Graf Armand, Parlamentspräsident
Yann Beuron (Tenor)

Constance, seine Gemahlin
Mireille Delunsch (Sopran)

Mikéli, ein Savoyarde, Wasserträger
Andreas Schmidt (Bass)

Daniel, sein Vater
Kwangchul Youn (Bass)

Antonio, sein Sohn
Etienne Lescroart (Tenor)

Marcelina, seine Tochter
Olga Pasichnyk (Sopran)

Sémos, Pächter in Gonesse
Miljenko Turk (Bass)

Angelina, seine Tochter und Antonios Braut
Vera Schoenenberg (Sopran)

Erster Kommandant
Sven Ehrke (Bass)

Zweiter Kommandant
Marcos Pujol (Bass)

Erster Soldat
Thilo Dahlmann (Bass)

Zweiter Soldat
Gregor Finke (Bass)

Einwohner von Gonesse, Soldaten, Landleute
Chorus Musicus Köln

Das Neue Orchester
Ltg. Christoph Spering

Sendetermin

Die Aufzeichnung des Konzertes sendet der Deutschlandfunk am Dienstag, den 22. Mai 2001, in seiner Reihe "Musikforum" um 21.05 Uhr.