Saison 2006/2007: Konzert 8
Quartette für Bläser und Streicher
von Telemann, Fasch, Zelenka und Heinichen Alte Musik Köln Sendung im Deutschlandfunk am 12.6.2007Als der Hof Augusts des Starken in Dresden dank Johann David Heinichen und Jan Dismas Zelenka Weltruf erlangte, wirkte Johann Friedrich Fasch im sächsisch-anhaltinischen Zerbst und Georg Philipp Telemann in Eisenach. Auf dem Programm stehen neben einigen weniger bekannten, aber sehr reizvollen Werken von Telemann, Fasch und Heinichen zwei große Quartett-Sonaten für zwei Oboen bzw. Oboe, Violine Fagott und Basso continuo von Zelenka. Seine Trio- bzw. Quartett-Sonaten sind dabei in Umfang und harmonischer Dichte genauso mit der Musik Bachs vergleichbar, wie sich der Geist des Thomaskantors auch bei Heinichen und gerade bei Telemann niedergeschlagen hat.
Programmfolge
Sonate d-Moll TWV 43:d3
für Oboe, Violine, Fagott und Basso continuo
Adagio - Allegro - Largo - Allegro
Johann Friedrich Fasch (1688-1758)
Sonate B-Dur FWV N: B1
für Blockflöte, Oboe, Violine und Basso continuo
Largo - Allegro - Grave - Allegro
Jan Dismas Zelenka (1679-1745)
Sonate Nr. 5 F-Dur ZWV 181/5
für zwei Oboen, Fagott und Basso continuo
Allegro - Adagio cantabile - Allegro
Pause
Johann David Heinichen (1683-1729)
Quartett G-Dur Seibel 220
für Oboe, Fagott, Violoncello und Basso continuo
Andante -Vivace - Adagio - Allegro
Georg Philipp Telemann
Quartett G-Dur TWV 43:G6
für Blockflöte, Oboe, Violine und Basso continuo
Allegro - Grave - Allegro
Jan Dismas Zelenka
Sonata Nr. 3 B-Dur ZWV 181/3
für Violine, Oboe, Fagott und Basso continuo
Adagio - Allegro - Largo - Tempo giusto (Allegro)
Quartette für Dresden
Ein auch aus heutiger Sicht noch beeindruckendes kollegiales Netzwerk bestand in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland zwischen einer Reihe seiner führenden Musiker. Kernzelle und ideelles Zentrum dieses Netzwerks war die Universitäts- und Messestadt Leipzig. Hier hatte sich Johann David Heinichen, der Pfarrerssohn aus einem kleinen Ort im Herzogtum Sachsen-Weißenfels, um die Jahrhundertwende als Stipendiat an der Thomasschule weitergebildet und danach an der Universität. Ein paar Semester Jura-Studium empfahlen sich damals für einen Musiker, der eine leitende Position bei Hofe anstrebte. In der Tat gelang Heinichen - wenn auch mit einem Umweg über Italien - bis 1716 der Aufstieg zum Dresdner Hofkapellmeister. Vergleichbare Karrieren von der Leipziger Thomasschule über die dortige Universität in führende musikalische Ämter glückten auch manchem seiner Schul- und Studienkollegen. Der Altersgenosse Christoph Graupner aus dem Erzgebirge wurde 1711 im hessischen Darmstadt zum Hofkapellmeister ernannt, der etwas jüngere Johann Friedrich Fasch aus Thüringen dann 1722 im anhaltinischen Zerbst. Einer seiner Mitstudenten war der ebenfalls aus dem Erzgebirge stammende Gottfried Heinrich Stölzel, der zeitweise Heinichen in Italien begleitete und 1719 Hofkapellmeister in Gotha wurde. Ein weiterer Kommilitone wurde der Franke Johann Georg Pisendel, der 1709 schon als gemachter Geigenvirtuose in Leipzig eintraf, zwei Jahre später ein Angebot des Darmstädter Hofes ausschlug und statt dessen Erster Violinist, schließlich auch Konzertmeister in der Dresdner Hofkapelle wurde.
Der kompositorisch und organisatorisch gewandteste der Kommilitonen war aber sicherlich der aus Magdeburg stammende Georg Philipp Telemann. Er war es denn auch, der eine Art Kaderschmiede für sich und seine musikalisch so hoch qualifizierten Leipziger Mitstudenten ins Leben gerufen hatte, indem er 1702 ein Collegium musicum gründete. Als erstes Ensemble am Platze für öffentliche Konzerte, Oper und sogar die Kirchenmusik untergrub es bald die künstlerische Autorität des Thomaskantors und städtischen Director musices, Johann Kuhnau. Schon Anfang 1705 ging Telemann allerdings aus Leipzig fort und wurde nach Stationen in Sorau, Eisenach und Frankfurt am Main schließlich 1721 Musikdirektor in Hamburg. Das Telemannische Collegium musicum prägte aber weiterhin das Musikleben in Leipzig, zunächst unter der Leitung von Melchior Hoffmann und Pisendel, später dann auch unter Johann Sebastian Bach. Unterdessen hatte Fasch 1708 noch als Thomaschüler ein weiteres Collegium musicum gegründet.
Die jahrzehntelange Verbindung zwischen den genannten Musikern wird durch eine Reihe von Briefen belegt, ebenso aber durch die vielen Musikmanuskripte, die sie sich gegenseitig per Post übersandten. Zahlreiche Notenhandschriften, die sich noch heute insbesondere in den Landesbibliotheken von Dresden und Darmstadt finden, sind diesem regen Musikalienaustausch zu verdanken. Dresden, das Elb-Florenz, entwickelte sich als kursächsische Residenzstadt mit ihrer beispielhaften, auch international bewunderten Hofkapelle im Laufe der 1720er Jahre zum geographischen Mittelpunkt des Musiker-Netzwerks. Dort wirkte damals unter der Ägide Heinichens und Pisendels eine ganze Schar herausragender Musiker, von denen hier nur die auch als Komponisten bedeutsamen Persönlichkeiten Silvius Leopold Weiss (Laute), Johann Joachim Quantz (Flöte) sowie Jan Dismas Zelenka (Kontrabass) genannt seien. Zelenka stammte aus Böhmen, hatte seine Ausbildung bei Prager Jesuiten erhalten und war von Dresden aus 1715 zur Fortbildung nach Wien und Italien geschickt worden. Schließlich wurde er neben dem Kapellmeister als Kirchen-Compositeur vor allem für die Musik in den Hofgottesdiensten zuständig (zur Erlangung der polnischen Königswürde war Friedrich August I. 1697 zum Katholizismus konvertiert). Darüber hinaus gehörte es zu den regelmäßigen Aufgaben der Hofkapelle, das kunstsinnige Fürstenhaus mit groß besetzten Opern, Serenaten und Concerti zu unterhalten. Ebenso aber mit Sonaten für Solo-Instrumente, erlesenen kleiner besetzten Kompositionen, die auf musikalischem Gebiet ergänzten, was der Kurfürst und sein Sohn Friedrich August II. in ihren Kunstkammern an zierlichen Preziosen aus aller Welt zusammentrugen. Dank der Vermittlung Pisendels hatte neben der Hofgesellschaft auch manch auswärtiger Musiker die Möglichkeit, die Virtuosen der Dresdner »Capell- und Cammer-Musique« zu hören, wenn auch nur von einem Nebenraum aus. Andererseits hatte die Hofgesellschaft die Chance, regelmäßig Musik auswärtiger Komponisten kennenzulernen, belieferten doch Persönlichkeiten wie Telemann und Fasch die Hofkapelle als »Komponisten von Haus aus«. Vereinbarungen darüber wurden vermutlich bei Aufenthalten der Musiker vor Ort getroffen: 1719 war Telemann noch von Frankfurt zu den Hochzeitsfeierlichkeiten des sächsischen Kurprinzen mit Maria Josepha von Habsburg nach Dresden gereist; Faschs mehrmonatigen Aufenthalt - eine Art Bildungsurlaub - finanzierte 1726 sein Zerbster Fürstenhaus.
Das heutige Konzert lässt die künstlerische Atmosphäre solcher höfischen Kammermusiken in einem Programm wiederaufleben, dass sich auf das Repertoire der Dresdner Komponisten konzentriert und darüber hinaus noch auf eine besonders erlesene Gattung: die Quartett-Komposition. 1752, ein gutes Jahrzehnt, nachdem er von Dresden an den preußischen Hof gewechselt war, um dort König Friedrich II. persönlich auf der Flöte zu unterweisen, hatte Johann Joachim Quantz das Quartett in seinem Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen als selten zu hörende Kostbarkeit vorgestellt:
»Ein Quatuor, oder eine Sonate mit drey concertirenden Instrumenten, und einer Grundstimme, ist eigentlich der Probierstein eines echten Contrapunctisten; aber auch eine Gelegenheit, wobey mancher, der in seiner Wissenschaft nicht recht gegründet ist, zu Falle kommen kann. Der Gebrauch davon ist noch niemals sehr gemein geworden... Sechs gewisse Quatuor für unterschiedene Instrumente, meistenteils Flöte, Hoboe, und Violine, welche Herr Telemann schon vor ziemlich langer Zeit gesetzet hat, die aber nicht in Kupfer gestochen worden sind, können, in dieser Art von Musik, vorzüglich schöne Muster abgeben.«
Telemanns im heutigen Konzert zu hörende Quartette TWV 43: d3 und G6 für zwei Blasinstrumente, Violine und Basso continuo könnten zu denjenigen zählen, die Quantz bei der Formulierung seiner Beschreibung vorschwebten: Kompositionen, die er als Bläser noch in Dresden kennenlernte und zeitlebens in bester Erinnerung hielt, Wunderwerke in Gestalt und Wirkung, die in galanter Weise die Emotion der Kantilene mit der Arithmetik des Kontrapunkts verbinden und den Klang der drei Oberstimmen in reichen Farbabstufungen über dem dezent, aber unbeirrt fortschreitenden Fundament der Bassinstrumente schweben lassen. Den Vergleich mit den durch Quantz geradezu kanonisierten Exempeln braucht die Sonate B-Dur FWV N: B1 des ideellen Telemann-Schülers Faschs keinesfalls zu scheuen. In ihrem harmonischen Reichtum und in der Eleganz der Stimmführung nähert sie sich dem lebenslang verehrten Vorbild in weitem Maße an.
Die vor Ort bestallten Dresdner Komponisten Heinichen und Zelenka unterscheiden sich da stilistisch weitaus deutlicher. Der Hofkapellmeister war von der harmonisch eingängigen Vokalkunst Italiens und der Galanterie französischer Rhythmik ebenso fasziniert wie Telemann, und so relativierte er in seiner Generalbasslehre von 1728 die Bedeutung kontrapunktischer Kompositionsprinzipien, » ... weil ich gesehen, dass ein jedweder schlechter Componist ... hundert dergleichen canonische Künste gar leicht nachmachen kan, wenn man ihm einmahl den Kunstgriff entdecket.« Das ist wohl stark übertrieben, bedenkt man, wie kunstvoll Heinichen im Quartett G-Dur Seibel 220 sein eigenes Gespür für die vielfältigen Möglichkeiten kontrapunktischer Stimmenkombinationen unter Beweis stellt.
Der entschiedenste Kontrapunktiker unter den für Dresden komponierenden Musikern war aber Zelenka (zumindest bis zur Ernennung Johann Sebastian Bachs zum Hofkomponisten von Haus im November 1736). Deutlichste Kennzeichen seines mitunter geradezu bizarren Personalstils sind die extreme Ausdehnung kontrapunktischer Themen, das manchmal taktweise Changieren zwischen Dur und Moll, überhaupt die Vorliebe für mitunter harsche harmonische Konstellationen. Danach muss man in seinen Sonaten ZWV 181 nicht lange suchen; die Unisono-Eröffnung der 5. Sonate und der Dissonanzbeginn ihres Mittelsatzes etwa sprechen für sich. Diese Sonaten könnten bereits 1716 während des Studienaufenthaltes in Wien entstanden sei und hätten dann bei Zelenkas Rückkehr nach Dresden 1719 Eingang ins dortige Repertoire gefunden. Die angesprochene Exzentrik der Themengestaltung hat in unseren Tagen schon mehrfach Versuche veranlasst, im musikalischen Text verschlüsselte außermusikalische Botschaften des Komponisten zu entdecken. Was einer rein musikalisch-sinnlichen Aufnahme dieser originellen Stücke aber nicht im Wege stehen sollte.
Mitwirkende
Wolfgang Dey, Oboe, Blockflöte
Rainer Johannsen, Fagott
Stephan Schardt, Violine
Klaus-Dieter Brandt, Violoncello
Ulrich Wolff, Violone
Léon Berben, Cembalo