Saison 2006/2007: Konzert 7

Sonntag, 22. April 2007 17 Uhr Sendesaal des Deutschlandfunks

Les Goûts réunis

Johann Rosenmüller, Henry Purcell, François Couperin und Jean-Philippe Rameau Le Concert des Nations Ltg. Jordi Savall, Viola da gamba Jordi Savall Sendung im Deutschlandfunk am 1.5.2007

Mit den Spezialisten an den Theorben, Violinen und Schlaginstrumenten vom Ensemble »Le Concert des Nations« hat der Star-Gambist Jordi Savall eine Route durch das Europa des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts zusammengestellt. Vom Orpheus Britannicus Henry Purcell und einer Instrumentalsuite seiner köstlichen Semi-Opera »The Fairy Queen« geht es runter bis nach Venedig, wo der Deutsche Johann Rosenmüller sich den schöpferischen Schliff holte. Und wenn man wieder nach Frankreich zurückkehrt, zur Opéra »Les Indes galantes« von Jean-Philippe Rameau, setzt man musikalisch sogar kurz nach Afrika über!

Programmfolge

aus der Sammlung des
André Danican Philidor L’Aisné
(1647-1730)
Concert für Ludwig XIII. (1627)

Les Ombres – 2e Air pour les mesmes – Entrée de Mr. de Liancourt – Les Vallets de la feste – Les Ninphes de la Grenouilliere – Les Bergers – Les Ameriquains

Johann Rosenmüller (ca. 1619-1684)
Sonata IX a 5 (1682)
Grave – Allegro – Adagio – Presto – Adagio – Largo – Presto

Henry Purcell (1659-1695)
Suite aus »The Fairy Queen« (1692)
First music: Prelude – Hornpipe
Second music: Aire – Rondeau
Dance for the Followers of night
Dance for the Fairies
Dance for the Haymekers - Third act tune: Hornpipe
Monkeys Dance - Aire
Chaconne: Dance for the Chinesse man and woman

Pause

François Couperin (1668-1733)
Auszüge aus »Les Concerts Royaux« (1722)
PréIude – Musette – Forlane. Rondeau

Jean-Philippe Rameau (1683-1764) Suite aus »Les Indes galantes« (1736)
Entrée des 4 Nations – Rigaudon I & II – Air pour les esclaves africains– Tambourin I & II – Menuet I & II - 1ère Contredanse très vive – 2me Contredanse

Königliches Vergnügen

Einen »klingenden Rundgang durch Europas Höfe« nennen Jordi Savall und seine Musiker ihr Programm, das zugleich mehr als hundert Jahre Barockmusik spiegelt. Die Reise beginnt im königlichen Jagdschloss von Versailles im Jahre 1627 mit Stücken, die während eines Konzertes zu Ehren Ludwigs XIII. erklangen. Ihr Komponist ist unbekannt. Entdeckt hat man sie in einer Sammlung des erst zwanzig Jahre nach der Aufführung geborenen königlichen Musikers und Komponisten André Danican Philidor L’Aisné. Die Familie Philidor, die schottischen Ursprungs war und eigentlich Duncan hieß, bildete über viele Jahrzehnte hinweg eine französische Musikerdynastie aus. So wirkte André Danican Philidor L’Aisné zunächst in der Grande Ecurie, dann in der Chapelle Royale am Hof Ludwigs XIV. Der Überlieferung nach spielte er Pauke, Oboe, Krummhorn, Trummscheit und Fagott und war ein vom Sonnenkönig hoch angesehener Instrumentalist. Aufgrund seiner ausgeprägten Sammelleidenschaft wurde er königlicher Musikbibliothekar und Kopist: Ein Glück für die Nachwelt, denn ihm verdanken wir eine große Auswahl an Musikstücken der Barockzeit.
Die für das heutige Konzert ausgewählten Stücke dokumentieren eine federnd leichte und dabei kunstvolle Musik, die zur Unterhaltung des Königs und seiner adligen Gäste diente. Sie verweisen thematisch auf beliebte Bühnensujets: Arkadische Nymphen und Schäfer gehörten ebenso in den Aufführungskanon wie Szenen aus dem Schattenreich. Und über die amerikanischen Ureinwohner phantasierte man seit Columbus’ Entdeckung der Neuen Welt in ganz Europa... Die Musik zu diesen Aufführungen ist manchmal im ganzen Stimmensatz überliefert, meist jedoch so, dass es des Arrangierens und Instrumentierens bedarf, wie es auch zu jener Zeit allerorts üblich war.

Als das Konzert zu Ehren Ludwigs XIII. in Versailles erklang, war Johann Rosenmüller etwa zehn Jahre alt. Mit königlichen Konzerten oder Festen, mit Musik bei Hofe also, hatte er in seiner ersten Lebenshälfte nichts zu tun, war er doch zunächst in Leipzig als Hilfslehrer und Organist tätig, dem der Stadtrat 1653 sogar in Aussicht stellte, Tobias Michael im Amt des Thomaskantors zu folgen. Der Vorwurf der Päderastie ließ Rosenmüller aber aus Leipzig fliehen, woraufhin er über Umwege in Venedig landete. Als Posaunist an San Marco erlebte er die rasante musikalische Entwicklung in der Lagunenstadt hautnah mit, und er wurde zu einem der wichtigsten Vermittler der venezianischen Schule in Deutschland. Zwar widmete er sich weiterhin auch der Kirchenmusik, in stärkerem Maße aber der höfischen Instrumentalmusik. Viele deutsche Fürsten statteten Venedig ausgedehnte Besuche ab, so dass sich für Rosenmüller wichtige Kontakte ergaben. Etwa zum Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, dem er seine letzte, 1682 in Nürnberg edierte Sammlung von Sonate à 2, 3, 4, è 5 stromenti widmete und in dessen Gefolge er im gleichen Jahr nach Deutschland zurückkehrte. Wie die im Konzert vorgestellte Sonata IX für 2 Violinen, 2 Violen, Violoncello und Basso continuo beweist, sind die Ansprüche an die Ausführenden in diesen Kompositionen außerordentlich hoch. Er lässt hier eine große satztechnische Vielfalt walten, von kurzen akkordisch-homophonen Sätzen über präludierende Überleitungen bis hin zu kanonischer und fugierter Stimmführung. In jeder der Sonaten ist zudem mindestens eine Fuge vertreten.

Weiter geht die musikalische Reise nach London, wo Henry Purcell die englische Musik revolutionierte. Als Rosenmüllers Sammlung erschien, wurde Purcell gerade von König Karl II. zu einem der drei Hoforganisten der Chapel Royal an Westminster Abbey berufen. Purcell hatte wie sein Bruder Daniel das Glück, als Sohn eines Hofmusikers und Chorknabe von klein auf Zugang zur Hofmusik zu haben. Großes Interesse zeigte er bald schon an der Oper, mit der damals Jean-Baptiste Lully im konkurrierenden Frankreich Furore machte. Aber es erwies sich als schwierig, die Engländer für dieses Genre zu begeistern. Da nützte auch ein Lob von königlicher Seite nichts, denn die Musik-Mode bestimmten in London die Bürger. So schrieb Purcell nur eine vollständige Oper, Dido und Aeneas (1689), dafür aber mehrere Semi-Operas, in denen Schauspieler die Hauptfiguren darstellten, Lieder, Duette, Chöre von Nebenfiguren sowie durch personifizierte Allegorien dargeboten wurden. Reine Instrumentalstücke wurden für burleske Maskenspiele, Zaubersequenzen und Tanzszenen komponiert, Vorspiele, Intermezzi und Auftrittsmusiken gehörten selbstverständlich ebenso dazu. Bei The Fairy Queen (1692) handelt es sich um ein Arrangement von William Shakespeares Sommernachtstraum, das Titania in den Mittelpunkt des Interesses rückt. Die Instrumentalsätze Purcells sind derart wirkungsvoll komponiert, dass es sich anbietet, daraus einzelne Suiten zusammenzustellen, mit Ouvertüre, Sinfonia-Sätzen, thematisch gebundenen und stilisierten Tanzsätzen.

Zurück nach Frankreich. Während ein Purcell in England gleichzeitig Hofmusik und bürgerliches Musikleben bestimmte, war es in Frankreich vor allem Versailles, das den nationalen Ton angab und die besten Musiker magisch anzog. François Couperin war einer der herausragenden Hofmusiker und genoss die große Aufmerksamkeit, die Ludwig XIV. der Musik und dem Tanz widmete. Der König versammelte die Hofgesellschaft sonntags gern zu Kammerkonzerten um sich, und so komponierte Couperin um das Jahr 1714 wöchentlich seine Concerts Royaux, dem Gôut der Zeit verpflichtete Charakterstücke für verschiedene Ensembles - je nachdem, welche Musiker ihm gerade zur Verfügung standen. Couperin selbst leitete diese unterhaltsamen, graziös-charmanten, dabei aber durchaus tiefgründig komponierten Konzerte vom Cembalo aus, und es ist überliefert, dass der hoch betagte König diese Musik ganz besonders schätzte. Dem seit Lullys Tod vehement ausgetragenen Streit um die Vorherrschaft des italienischen oder des französischen Stils in der Musik begegnete Couperin mit Souveränität und Kunstverstand, denn er vereinte in seinen Concerts Royaux »den spielerischen italienischen und den eher ernsten französischen Geschmack«, wie er in der Vorrede zur Druckausgabe von 1722 selbst bekundete.

Auch die letzte Station der musikalischen Reise durch Europa findet sich in Frankreich, allerdings wiederum eine Generation später, denn Jean-Philippe Rameau lebte zeitgleich mit Händel und Bach. Am Streit um den Vorrang der italienischen oder der französischen Oper beteiligte sich inzwischen ganz Paris, ohne eine endgültige Entscheidung herbeizuführen: Die Geschmäcker bleiben eben verschieden. Rameau, der seine ersten Berufsjahre in Dijon und Lyon verbrachte, bevor er sich 1722 in Paris niederließ, befasste sich zunächst mehr mit der Theorie der Musik und gab bis 1726 zwei wegweisende Traktate dazu in Druck. Gleichzeitig blieb er aber als Komponist hellhörig für die Ereignisse in der französischen Musikmetropole. So für die Ankunft zweier Tänzer aus Louisiana, amerikanische Ureinwohner, die mit ihren Darbietungen am 10. September 1725 im Théâtre-Italien für Aufsehen sorgten. Rameau inspirierte dieser Auftritt zu dem Cembalostück Les Sauvages. Knapp zehn Jahre später weitete er die Idee zusammen mit seinem Librettisten Louis Fuzelier zu einer Ballett-Oper mit dem Titel Les Indes galantes aus. Eigentlich handelt es sich hier um vier Kurzopern; auf einen Prolog folgen »Der großmütige Türke«, »Die Inkas in Peru«, »Die Blumen in Persien« und »Die Wilden«. Rameau versucht die charakteristische Deutung der Szenen mit je eigenen musikalischen Mitteln. Rhythmische Verve, farbige Harmonik und eine effektvolle Orchestrierung entfalten ihre volle Wirkung auch in der konzertanten Suite. Rameaus brillanter und produktiver Geist wurde schließlich auch bei Hofe registriert: 1745 ernannte ihn Ludwig XV. zum königlichen Kammermusiker.

Selke Harten-Strehk

Mitwirkende

Le Concert des Nations
Manfredo Kraemer (Konzertmeister),
David Plantier - Violine
Angelo Bartoletti - Viola
Jordi Savall, Imke David - Viola da gamba
Antoine Ladrette - Violoncello
Xavier Puertas - Violone
Luca Guglielmi - Cembalo
Matthias Spaeter - Theorbe
Pedro Estevan - Schlagwerk