Saison 2008/2009: Konzert 8

Sonntag, 7. Juni 2009 17 Uhr Deutschlandfunk, Kammermusiksaal

Sei uns stets gegrüßt, o Nacht

Musik für Männerstimmen und vier Hörner von Franz Schubert, Robert Schumann, Ferdinand Hummel, Franz Liszt, Anton Bruckner u.a. Deutsches Horn Ensemble amarcord Deutsches Horn Ensemble Sendung im Deutschlandfunk am 16.6.2009

»Sei uns stets gegrüßt, o Nacht, / aber doppelt hier im Wald, / wo dein Aug' verstohlner lacht, / wo dein Fußtritt leiser hallt!« - Die Nacht ist im Walde daheim und ihre Musik in den unnachahmlichen Harmonien, mit denen bekannte und weniger bekannte Tonschöpfer des 19. Jahrhunderts inbrünstig-edle Männerkehlen bedachten, wenn es galt, der deutschen Romantik romantischste Stimmungen heraufzubeschwören. »Und doch, es ist zum Schlafen zu schön, / drum auf, und weckt mit Hörnergetön, / mit hellerer Klänge Wellenschlag, / was früh betäubt im Schlummer lag!«, heißt es weiter in Johann Gabriel Seidls »Nachtgesang im Walde«, den Franz Schubert vertonte. Männerchorgesang und Naturhornklang - das Konzert mit dem Leipziger Vokalensemble amarcord und dem Deutschen Horn Ensemble verleiht dem Abschlusskonzert der Jubiläumssaison eine ganz eigene Note.

Programmfolge

Franz Schubert (1797-1828)
Nachtgesang im Walde D 913
für Männerchor und vier Hörner

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847)
Der Jäger Abschied
für Männerchor und vier Hörner

Wasserfahrt
(aus: "Sechs Lieder für vierstimmigen Männerchor" op. 50)

Zigeunerlied
Im Süden
(aus: "Vier Lieder für vierstimmigen Männerchor" op. 120)

Carl August Hänsel (1799-ca. 1885)
Quatuors originaux op. 75
für vier chromatische Hörner in F
Allegro vivace · Andante con moto · Moderato · Adagio · Allegro · Allegro risoluto · Adagio religioso

August Horn (1825-1893)
Waldlied op. 26
für Männerchor und vier Hörner

Pause

Robert Schumann (1810-1856)
Zur hohen Jagd
Habet Acht!
Jagdmorgen
Frühe
Bei der Flasche
("Jagdlieder" op. 137 für Männerchor und vier Hörner)

Rastlose Liebe
Die Minnesänger
Frühlingsglocken
(aus: "Sechs Lieder für vierstimmigen Männerchor" op. 33)

Ferdinand Hummel (1855-1928)
Sehnsucht nach dem Walde
Wanderlied
Waldlied
Waldrast
Das Waldhorn
Abschied vom Wald

("Waldwanderung für Männerchor und vier Hörner" op. 48)

Karl Goldmark (1830-1915)
Meeresstille und glückliche Fahrt
für Männerchor und vier Hörner

Pdf-Download: Gesangstexte

Waldgesang und Hörnerklang

"Sei uns stets gegrüßt, o Nacht, / aber doppelt hier im Wald, / wo dein Aug' verstohlner lacht, / wo dein Fußtritt leiser hallt!" - Verse des Wiener Literaten Johann Gabriel Seidl, die eine Stimmung heraufbeschwören, wie sie nicht nur hierzulande mit dem Begriff der deutschen, genauer: der deutschsprachigen Romantik verbunden werden. Die virtuelle Flucht aus einem oft freudlosen, mitunter bedrohlichen Dasein in die Idylle einer intakten Natur ist beileibe keine Erfindung des 19. Jahrhunderts - man denke nur an die Fülle von italienischen Madrigalen aus Spätrenaissance und Frühbarock, die auf die Dichtkunst des Francesco Petrarca zurückgreifen und damit indirekt auf die bukolischen Dichter der Antike. Wie Seidls Nachtgesang im Walde oder Joseph von Eichendorffs Der Jäger Abschied im 19. Jahrhundert vertont wurden, waren Generationen zuvor die Verse von Giovanni Battista Guarini oder Ottavio Rinuccini in den arkadischen Madrigalkompositionen eines Luca Marenzio oder Claudio Monteverdi erklungen.

In Renaissance und Barock blieb es einer kleinen Elite von Aristokraten und akademischen Zirkeln vorbehalten, sich an der Kunst des Wortes und seiner subtilen Vertonung zu erfreuen, sei es singend oder lauschend. Franz Schubert nun wurde in seinem Liedschaffen bekanntlich durch die literarisch-musikalischen Zusammenkünfte seines bürgerlichen Freundeskreises motiviert. Seine Lieder fanden sogar im restriktiven Wien der Restaurationszeit den Weg in die Öffentlichkeit - umso leichter im unverfänglichen Textsujet des Naturidylls, an dem die Zensur keinen Anstoß nahm. Beste Gelegenheiten dazu boten die "Abendunterhaltungen" der Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates, Konzerte, die in der Regel mit der Aufführung eines Streichquartetts begannen und gerne mit einem Vokalquartett oder kleinen Chorstück endeten. Hier engagierte sich Schubert in der zweiten Hälfte der 1820er Jahre mit beträchtlichem Erfolg; davon zeugt sein Dutzend Werke für Männerstimmen mit Klavierbegleitung. Es handelt sich dabei in der Regel um Kompositionen für zwei Tenor- und zwei Bassstimmen, die damals ebenso in solistischer wie in chorischer Besetzung ausgeführt wurden.

Als Schubert im April 1827 Seidls Nachtgesang im Walde vertonte, dürfte ihn spätestens der Text der dritten Strophe dazu bewogen haben, anstelle des Klaviers einmal vier Hörner zur Begleitung der Singstimmen heranzuziehen: "Und doch, es ist zum Schlafen zu schön, / drum auf, und weckt mit Hörnergetön, / mit hellerer Klänge Wellenschlag, / was früh betäubt im Schlummer lag!"

Der Instrumentationseffekt, der ebenso die Atmosphäre der Jagd assoziiert, wie er an die beliebte Tradition der Notturno-Ständchen im Freien anknüpft, scheint selbst eine Tradition begründet zu haben. Erstaunlich groß ist die Zahl von Gesängen für Männerstimmen und vier Hörner, die im Laufe der nächsten Jahrzehnte entstanden. Zu ihnen zählt die Eichendorff-Vertonung Der Jäger Abschied von Felix Mendelssohn Bartholdy - "Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben?" Er komponierte sie 1840, und noch im selben Jahr erschein sie im Druck, innerhalb eines halben Dutzends von Gesängen für vierstimmigen Männerchor op. 50. Gewidmet war dieses Opus des Leipziger Gewandhauskapellmeisters den beiden einschlägigen Chorvereinigungen der Stadt, die sich nach dem Berliner Vorbild Carl Friedrich Zelters als Liedertafeln bezeichneten. Mendelssohn hat dem Jäger-Abschied einen optionalen Bläsersatz mit vier Hörnern hinzugefügt. Das Stück, das bis heute zu den populärsten Schöpfungen Mendelssohns zählt, lässt sich aber ebenso a cappella ausführen - das war verständlicherweise auch die übliche Aufführungsart in den geselligen Runden der Liedertafel-Zirkel.

Mit der Wasserfahrt, dem Zigeunerlied und Im Süden bietet das heutige Konzert noch drei Kostproben des unbegleiteten Ensemblegesangs, in denen Mendelssohn Dichtungen von Heinrich Heine, Johann Wolfgang von Goethe und Franz Bernus vertont hat.

Als ein Werk in der unmittelbaren Nachfolge von Schuberts Nachtgesang erscheint auf den ersten Blick das Opus 139 von Robert Schumann, die Fünf Gesänge aus H. Laubes "Jagdbrevier", die ebenfalls für vier Männerstimmen und Hornquartett komponiert sind. Sie entstanden kurz nachdem die erste Druckausgabe des Schubert-Stücks erschienen war: Schumann vertonte die satirischen Verse des jagdbegeisterten "jungdeutschen" Schriftstellers Heinrich Laube 1849, im Jahr des Dresdener Aufstands, vor dem Schumann im Mai mitsamt seiner Familie aus der Stadt aufs Land floh. Vor diesem Hintergrund gewinnt so mancher Vers Laubes eine doppelbödige Aussagekraft.

Ein knappes Jahrzehnt zuvor hatte Schumann dem befreundeten Musikkritiker Gustav Adolph Keferstein seine Sechs Lieder für vierstimmigen Männerchor op. 33 gewidmet, aus der im heutigen Konzert eine Auswahl auf Texte von Goethe, Heine und Robert Reinick zu hören ist.

Bei der Suche nach weiterem Repertoire für die reizvolle Besetzung von Männerstimmen und Hornquartett hat das Deutsche Horn Ensemble eine Reihe ähnlicher Werke gefunden, deren Komponisten allerdings heutzutage kaum mehr bekannt sind. So das Waldlied von August Horn, der zu Mendelssohns Zeiten ein Schüler des Leipziger Konservatoriums war und später mit seiner Operette Die Nachbarn, mehr aber noch mit einer Vielzahl von Männerchor-Kompositionen Beifall fand. Ferdinand Hummel machte schon als Kind auf der Harfe Furore, war von 1897 bis 1917 königlicher Kapellmeister in Berlin und lotete als Opernkomponist die Möglichkeiten einer deutschen Spielart zum italienischen Verismo Giacomo Puccinis und Pietro Mascagnis aus. In seinem Männerchor-Zyklus Waldwanderung von 1885 hat er die Partien des dritten und vierten Horns übrigens so angelegt, dass sie auch noch auf Instrumenten ohne Ventile ausführbar waren. Mit Karl Goldmark findet sich unter den Komponisten des heutigen Programms schließlich ein führender Repräsentant des Wiener Musiklebens an der Wende zum 20. Jahrhundert. Er schrieb seine Vertonung von Goethes Meeresstille und glückliche Fahrt zu Beginn der 1870er Jahre, in denen er einen Wiener Männergesangverein leitete.

Das heutige Programm stellt für das Deutsche Horn Ensemble nicht nur die spannende Auseinandersetzung mit einem verschütteten Repertoire dar, es erfordert auch den genauen Nachvollzug aufführungspraktischer Aspekte. Das 19. Jahrhunderts war nämlich ein Zeitalter großer instrumententechnischer Entwicklungen. Und so wurde damals das klassische Naturhorn durch die Entwicklung der Ventile ergänzt und später auch verdrängt. Naturhorn und Ventilhorn existierten in der Praxis aber eine lange Zeit nebeneinander, und das frühe Ventilhorn entfaltete in seinen vielen Entwicklungsstufen eine im modernen Orchester kaum mehr anzutreffende Klangwelt. Das belegen aufs Beste die Quartette des Dresdener Hofcellisten Carl August Hänsel von 1859, die wahrscheinlich von der Experimentierfreude seinen Orchesterkollegen, des Ersten Hornisten Carl Heinrich Hübler, angeregt wurden.

behe

Mitwirkende

Deutsches Horn Ensemble

Christoph Moinian, Joaquim Palet, Oliver Kersken, Stefan Oetter - Naturhorn, Ventilhorn

amarcord

Wolfram Lattke, Martin Lattke - Tenor
Frank Ozimek - Bariton
Daniel Knauft, Holger Krause - Bass