Saison 2009/2010: Konzert 1
Mozart und Stamitz
W. A. Mozart: Violinkonzerte Nr. 3 und 4 KV 216 und 218 Carl Stamitz: Sinfonien Viktoria Mullova, Violine L´arte del mondo Ltg. Werner Erhardt Sendung beim Deutschlandfunk am 22.9.2009
Wenig schmeichelhafte Worte fand der 21-jährige Wolfgang Amadeus Mozart für die Brüder Carl und Anton Stamitz: »Elende Notenschmierer - und spieller - Säüffer«, kurzum: »keine leüte für mich«. Mehr noch als über den rüden Ton wundert man sich über Mozarts Verdammung der Stamitz’schen Kompositionen. Schwang da der Ärger mit über die eigene Situation im Paris des Jahres 1778? Das Kölner Ensemble L’arte del mondo möchte Carl Stamitz und Wolfgang Amadeus Mozart musikalisch miteinander versöhnen. Dazu hat es zwei der spielfreudigen Sinfonien von Stamitz und zwei der originellen Salzburger Violinkonzerte von Mozart ausgewählt – mit der russischen Stargeigerin Viktoria Mullova in der Solistenrolle.
Eine Veranstaltung auch im Rahmen der Kunstmeile Süd.
Programmfolge
Sinfonie Nr. 38 Es-Dur
Allegro con spirito - Andante non troppo moderato - Un poco presto
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
Violinkonzert Nr. 3 G-Dur KV 216
Allegro - Adagio - Rondeau (Allegro - Andante - Allegretto - Allegro)
Pause
Wolfgang Amadeus Mozart
Violinkonzert Nr. 4 D-Dur KV 218
Allegro - Andante cantabile - Rondeau (Andante grazioso - Allegro ma non troppo)
Carl Stamitz (1745-1801)
Sinfonie Nr. 24 d-Moll
Presto - Andante - Prestissimo
Vermeintliche Konkurrenten
Von seinem sechzehnten Lebensjahr an diente der hochtalentierte Carl Stamitz fast ein Jahrzehnt lang als Violinist in der kurpfälzischen Hofkapelle in Mannheim, die sein Vater einst zu einem Elite-Orchester ausgebaut hatte. Dann aber, 1770, zog es ihn auf die internationale Bühne, zusammen mit dem kongenialen jüngeren Bruder Anton. Und das bedeutete von Mannheim aus erst einmal: nach Paris. Die französische Hauptstadt war eine pulsierende Musikmetropole, in der einen Instrumentalvirtuosen besonders die Concerts spirituels in den Tuilerien anlockten. Hier standen alle möglichen Gattungen instrumentaler Ensemblemusik auf dem Programm, und gerade darauf verstand sich ein »Mannheimer«. Das französische Publikum wiederum liebte den Mannheimer Stil mit seiner eingängig-klar gegliederten Thematik, den mitreißenden Ensemble-Crescendi und den delikaten Bläserepisoden. Im Herzog Louis de Noailles fand Stamitz damals einen Gönner, der ihn zu seinem Hofkomponisten ernannte und entsprechend dotierte. Von Paris aus reiste der Violinvirtuose in den kommenden Jahren zu Gastspielen nach Wien, Frankfurt, Augsburg und Straßburg. Bevor er dann 1776 nach London übersiedelte, gab er noch mehrere Sinfonien in Druck, von denen zwei im heutigen Konzert erklingen: Die Sinfonie Es-Dur erschien in einer Sammeledition des Pariser Verlegers Pierre Leduc, der sie dort zwischen gleichgearteten Werken seines Bruders Simon Leduc und von François Gossec veröffentlichte. Die Sinfonie d-Molldruckte etwa zur gleichen Zeit der Verleger Jean-Georges Sieber gemeinsam mit zwei weiteren Stamitz-Sinfonien in D-Dur und e-Moll als dessen Opus 15. Es dürfte eine der wenigen Sinfonie-Zusammenstellungen aus dem Paris der 1770er Jahre sein, in denen Moll-Tonarten überwiegen. Auch unter den etwa 50 Orchestersinfonien, die heute von Stamitz bekannt sind, blieben die beiden Moll-Werke Solitäre mit ihrem dem Sturm und Drang verpflichteten dramatischen Impetus (symptomatisch die Tempobezeichnung der Rahmensätze im d-Moll-Werk: Presto - Prestissimo).
Insgesamt erscheint Stamitz in den beiden von L'arte del mondo ausgewählten Werken als eleganter Komponist, der in den schnellen Sätzen seiner meist dreiteiligen Sinfonien brilliert, im Mittelsatz aber seine empfindsame Seite offenbart: »Sonderlich sind seine Andante meisterhaft gerathen - eine Folge seines gefühlvollen Herzens«, urteilte 1784 der Musikästhet Christian Friedrich Daniel Schubart. In diesem Jahr kehrte Stamitz nach Deutschland zurück. Eine dauerhafte Anstellung fand er aber erst 1795 als akademischer Musiklehrer der Universität Jena. 1792 erlebte ihn der Schriftsteller Jean Paul in Hof und setzte ihm daraufhin in seinem Roman Hesperus ein kleines literarisches Denkmal: »Stamitz stieg - nach einem dramatischen Plan, den sich nicht jeder Kapellmeister entwirft - allmählich aus den Ohren in das Herz, wie aus Allegros in Adagios; dieser große Komponist geht in immer engern Kreisen um die Brust, in der ein Herz ist, bis er sie endlich erreicht und unter Entzückungen verschlingt.«
Welch herben Kontrast bilden dazu die Worte des 21-Jährigen Wolfgang Amadeus Mozart, der am 9. Juli 1778 aus Paris an seinen Vater schrieb: »Von die 2 Stamitz ist nur der jüngere hier - der ältere … ist in London - Das sind 2 Elende Notenschmierer - und spieller - und Säüffer - und hurrer - das sind keine leüte für mich.« Entlädt sich in der Drastik der Wortwahl die Trauer über den Tod der Mutter, den er im gleichen Brief erstmals gegenüber Leopold Mozart anspricht, die Verzweiflung über die eigene trostlose Lage als eine Art »No-Name« an der Seine?
Die beiden Violinkonzerte Mozarts, die im heutigen Programm den Stamitz-Sinfonien gegenüberstehen, vermögen durchaus eine künstlerische Harmonie zwischen den beiden Musikern herzustellen. Es handelt sich um zwei der fünf Konzerte, die Mozart als Erster Violinist in der Hofkapelle des Salzburger Fürsterzbischofs Hieronymus Colloredo innerhalb kurzer Zeit zum eigenen Gebrauch komponierte. Das G-Dur-Konzert KV 216 vollendete er am 15. September 1775, das D-Dur-Konzert KV 218 kurz darauf im Oktober. Wie die fast zeitgleich entstandenen Sinfonien von Stamitz zeichnen sich auch diese Konzerte durch die virtuose Eleganz der Rahmensätze aus und durch den innigen Ton der Mittelsätze: Das Adagio des G-Dur-Werks hätte Jean Paul vielleicht als Romanze bezeichnet; das Andante cantabile des D-Dur-Konzerts gleicht einer getragenen Gesangsarie. Großen Charme versprühen die spritzigen Final-Rondos, die dem Solisten immer neue pointierte Darstellungs-Möglichkeiten anbieten.
»Du weist selbst nicht, wie gut du Violin spiellst, wenn du nur dir Ehre geben und mit Figur, Herzhaftigkeit und Geist spielen willst, ia, so wärest du der erste Violinspieler in Europa«. Diese Worte Leopold Mozarts setzten den Sohn, der stets das Clavier als sein eigentliches Instrument betrachtete, zweifellos unter großen Erfolgsdruck, als er 1777 auf seine Bewerbungsreise Richtung Mannheim und Paris ging. Da konnte ihm der Violinvirtuose Carl Stamitz schon zum Vexierbild werden. Vielleicht wäre sein Urteil über den vermeintlichen Konkurrenten anders ausgefallen, wenn er ihm einmal persönlich begegnet wäre. Etwa in der gelösten Atmosphäre nach Mozarts Münchener Konzertauftritt im Oktober 1777, über den er dem Vater nach Salzburg berichtete: »Da schauete alles gros drein. Ich spiellte, als wenn ich der gröste geiger in ganz Europa wäre.«
Mitwirkende
L´arte del mondo
Ltg. Werner Ehrhardt
L´arte del mondo spielt heute in folgender Besetzung
1. Violine: Andrea Keller (Konzertmeisterin), Ingrid Schmanke, Andreas Hempel, Martin Ehrhardt, Karoline Klemm
2. Violine: Emilio Percan, Petar Mancev, Valentina Resnjanskaya, German Echeverri Chamorro
Viola: Priscila Rodriguez, Joseph MacRae Ballantyne
Violoncello: Leonhard Bartussek, Evelyn Buyken
Kontrabass: Ioanis Babaloukas
Oboe: Albert Romaguera, Sandra Sinsch
Horn: Oliver Nicolai, Maria Vornhusen