Saison 2010/2011: Konzert 7

Sonntag, 10. April 2011 17 Uhr COMEDIA Theater

Dissonanzen?

Streichquartette von Haydn und Mozart Marcolini Quartett Marcolini-Quartett Sendung auf WDR 3 am 20.4.2011

»Ihr Sohn ist der größte Componist, den ich von Person und dem Namen nach kenne«, schwärmte Joseph Haydn gegenüber Leopold Mozart unter dem Eindruck jener sechs Streichquartette, die ihm Wolfgang Amadeus 1785 gewidmet hatte. Mozart orientierte sich damals an Haydns wegweisenden Quartetten op. 33; der nahm sich daraufhin Mozart zum Vorbild: Die Anklänge an das berühmte Dissonanzen-Quartett sind zu Beginn von Haydns Quartett op. 50,1 nicht zu überhören. Der Atmosphäre gegenseitiger Bewunderung, in der sich die beiden großen Wiener Klassiker damals bewegten, spürt das Marcolini Quartett in seinem Konzert nach.

Programmfolge

Joseph Haydn (1732-1809)
Streichquartett G-dur op. 33,5 Hob III:41
Vivace assai
Largo e cantabile
Scherzo: Allegretto
Finale: Allegretto

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
Streichquartett C-dur KV 46 »Dissonanzen-Quartett«
Adagio. Allegro
Andante cantabile
Menuetto: Allegro
Allegro molto

Pause

Joseph Haydn
Streichquartett B-dur op. 50,1 Hob III:44 »1. Preußisches Quartett«
Allegro
Adagio
Menuetto: Poco Allegretto
Finale: Vivace assai

Auf Augenhöhe

»Berühmter Mann und teuerster Freund, hier sind meine Söhne. Sie sind die Frucht einer wahrhaft langen und mühevollen Arbeit … Nehmen Sie sie wohlwollend an, und seien Sie ihnen Vater, Lehrer und Freund. Behandeln Sie ihre Defizite mit Nachsicht, und gewähren Sie ihnen jene großzügige Freundschaft, die ich so von tiefstem Herzen zu schätzen weiß.«

Eine ungewöhnliche Widmung hat Wolfgang Amadeus Mozart jenen sechs Streichquartetten vorangestellt, die er im Herbst 1785 beim Wiener Verleger Domenico Artaria veröffentlichte. Solche Publikationen pflegte man gemeinhin einer musikliebenden, möglicherweise mäzenatisch engagierten adeligen Standesperson zuzueignen. Mozart aber nennt in der Anrede nicht einmal den fürstlichen Amtstitel seines Widmungsträgers: Joseph Haydn, der Hofkapellmeister der Esterházy, ist für ihn schlichtweg »mio caro amico« - nicht mehr und nicht weniger.

Dieser »teuerste Freund« nun hatte drei Jahre zuvor als sein Opus 33 ebenfalls sechs Streichquartette bei Artaria veröffentlicht, nach einer deutlichen schöpferischen Pause in diesem Genre. Mit Kompositionen für vier Streichinstrumente hatte Haydn irgendwann in den 1750er Jahren begonnen; es waren damals noch Gelegenheitsmusiken für zwei Violinen, Viola und Bass im satztechnisch eher unverbindlichen Divertimento-Stil. Während der 1770er Jahre konnte er in der Abgeschiedenheit des burgenländischen Esterházy-Hofes dann intensiv alle Form- und Satzaufgaben ausloten, die ihm das Quartett-Genre stellte. In den fugierten Finalsätzen von Opus 20 war er auf außergewöhnlich kontrapunktisch betonte Lösungen gekommen, um dann in der Quartett-Pause der kommenden neun Jahre wieder davon Abstand zu nehmen: Opus 33 zeigt ein neues, klassisch-ausgewogenes Niveau. Ein schneller Eröffnungssatz dominiert die viersätzige Form, er führt das »Sonatenhauptsatz«-Prinzip der thematischen Arbeit mit zwei unterschiedlichen, aber miteinander kombinierbaren Themen und davon abgeleiteten Motiven exemplarisch vor. Im deutlichen Kontrast dazu steht - meist an zweiter Stelle - der lyrische der beiden Binnensätze, benachbart dazu - als Relikt aus der alten Tanz-Tradition des Divertimentos - eine Menuett-Form samt Trio-Episode. Wie der lyrische Satz, so eröffnet im Spielerisch-Virtuosen der Finalsatz Räume für unterschiedliche kompositorische Gestaltungsmöglichkeiten. Die formalen Parallelen des Streichquartetts zur Sinfonie sind nicht zu übersehen; die Beschränkung auf vier solistisch besetzte Streichinstrumente stellt aber letztlich höhere satztechnische Anforderungen. Wesentlich war eine gewisse Gleichberechtigung aller Stimmen, ihre möglichst paritätische Beteiligung an der thematischen Arbeit, ihre motivische Ausgestaltung auch in vermeintlichen Füllstimmen-Abschnitten.

Im heutigen Konzert ist mit dem Quartett G-Dur Hob III:41 das fünfte Werk aus Opus 33 zu hören, das die beschriebenen Charakteristika der Haydn’schen Quartettkunst exemplarisch vor Augen führt. Der Komponist macht es seinen Zuhörern leicht, den unterhaltsam anmutenden Sätzen zu folgen, spielt aber auch immer wieder mit den Hörerwartungen: Schon der Beginn lässt schmunzeln, denn mit einer leisen Kadenz steigen die vier Instrumente in die Grundtonart ein, als gelte es, sich erst noch einer gemeinsamen Ausgangsbasis zu versichern. Dass aber auch im »Gespräch unter vier vernünftigen Leuten« (Goethe über das Streichquartett) einer das Wort führt, wird im Verlauf dieses Satzes schon klar und im gesamten Quartett bestätigt; der lyrische zweite Satz könnte sogar in einem Violinkonzert seinen Platz finden. »Scherzi« nennt Haydn in Opus 33 jene Sätze, die anstelle des Menuetts stehen, und in der Tat käme eine elegante Tanzgesellschaft schnell ins Stolpern angesichts kecker Betonungsverschiebungen und überraschender Generalpausen. Das variative Rondo, das als beschwingter Kehraus anhebt, aber immer wieder zu leicht melancholischen Moll-Halbschlüssen findet, gibt auch den beiden Unterstimmen Gelegenheit, ihre Virtuosität zu beweisen.

Haydns Opus 33 machte unmittelbar nach seinem Erscheinen europaweit Furore; diese Musik traf einfach den Nerv der Zeit. Und nicht zuletzt den des jüngeren Kollegen Mozart. Der lebte damals seit gut einem Jahr als freiberuflicher Musiker in Wien und reagierte noch im Dezember 1782 auf Haydns Quartette. Doch sollte es eine Weile dauern, bis seine kompositorische Antwort zuende formuliert war, in Gestalt der sechs Streichquartette, denen Artaria bei der Drucklegung 1785 die - fiktive - Opuszahl 10 gab. Der vergleichsweise lange Entstehungszeitraum deutet an, was die erhaltenen Kompositionsmanuskripte Mozarts mit ihren relativ zahlreichen Korrekturstellen beweisen: Es war für ihn kein Leichtes, sich mit der Gattung des Streichquartettes im Allgemeinen und den Vorbildern Haydns im Besonderen auseinanderzusetzen. Die Messlatte lag hoch, und entsprechend ambitioniert erscheinen Mozarts Quartette, die er dem älteren Kollegen und Meister bei dessen Besuchen Anfang 1785 in Wien komplett vorstellte. Der begeisterte Haydn war auch anwesend, als die letzten drei der sechs Quartette am 12. Februar noch einmal in Mozarts Wohnung von ihm und seinem Vater sowie dem adeligen Brüderpaar Anton und Bartholomäus Tinti gespielt wurden. Leopold Mozart überliefert von dieser Begegnung die prophetischen Worte Haydns über das Genie des Jüngeren: »Ich sage Ihnen vor Gott, als ein ehrlicher Mann, Ihr Sohn ist der größte Komponist, den ich von Person und dem Namen nach kenne: Er hat Geschmack und überdies die größte Kompositionswissenschaft.«

Der Stolz des 29-jährigen Mozart über das Urteil Haydns erklärt die unkonventionelle Widmung der Quartette in der Druckausgabe. Unkonventionell ist aber nicht nur die Widmung, es sind die Werke selbst, und das hat ihnen die Akzeptanz beim Publikum anfangs nicht gerade erleichtert. Das trifft vor allem auf das heute zu hörende letzte Quartett C-Dur KV 465 zu, dessen harmonisch gewagter Beginn aus der Zeit gefallen scheint: In einer 22-taktigen Adagio-Einleitung lenkt die erste Violine den ständig modulierenden Satz in immer wieder unerwartete Richtungen - das stellt den denkbar größten Gegensatz zu jener scherzhaften lapidaren Kadenz am Beginn von Haydns G-Dur-Quartett dar. Die Schärfe der Dissonanz und die Farbkraft in Halbtönen auf- oder absteigender Motive würzt auch den anschließenden Allegro-Hauptteil und die folgenden Sätze, ein liedhaftes Andante und ein leicht groteskes Menuett. Ein kongeniales Pendant zur unkonventionellen Einleitung bildet das abschließende Allegro molto, das Mozart als einen Meister des kontrapunktischen Spiels mit lapidaren Motiven zeigt. Dass er in den Akademien des Barons Gottfried van Swieten regelmäßig mit der Fugenkunst Johann Sebastian Bachs und Georg Friedrich Händels und ihrer harmonischen Kraft in Berührung kam, hat eben auch in Mozarts moderner Sonatensatzkunst seine Spuren hinterlassen.

Die musikalische Antwort auf Mozarts »Haydn-Quartette« blieb deren Widmungsträger nicht lange schuldig. Exakt zwei Jahre nach Mozart, im Herbst 1787, veröffentlichte Haydn bei Artaria unter der Opus-Zahl 50 die sechs »Mozart-Quartette«. Sie sind allerdings eher als »Preußische Quartette« bekanntgeworden, da sie (nicht zuletzt auf Betreiben des Verlegers) König Friedrich Wilhelm II. zugeeignet waren, einem fähigen Violoncello-Spieler. Dass sich Haydn jetzt von den Quartetten Mozarts hatte anregen lassen, ist aber auf Schritt und Tritt spürbar: Noch entschiedener, bis in die Menuette hinein, ist ein ernsthafter Ton an die Stelle der Divertimento-Attitüde getreten; entschiedener auch werden wie bei Mozart die Unterstimmen in die durch Chromatismen geschärfte thematische Arbeit mit einbezogen. Wie distinguiert Haydn dabei er selbst bleibt, ist am deutlichsten vielleicht im Quartett B-Dur Hob. III:44 zu erleben, in dem er unverkennbar auf die Eröffnung des Dissonanzen-Quartetts anspielt - aber in anderer Tonart, anderer Taktart und anderer Satzgestalt. Die übrigen Sätze eint das Fortschreiten des Eingangsmotivs in Dreiklangsbrechungen. Im Verlauf des höfisch-eleganten Variationensatzes, der an zweiter Stelle steht, konnte der königliche Widmungsträger seine Virtuosität in Skalenfiguren ebenso unter Beweis stellen wie in jenen Passagen des anschließenden Menuetts, in denen das Violoncello die Melodiestimme von der ersten Violine übernimmt. Einen grandiosen Schlusspunkt setzt das munter konzertierende Finale. Hier spielen sich die vier Instrumente ständig gegenseitig die musikalischen Gedanken zu, mit einer Energie, die Haydn gegen Ende in einer zweitaktigen Generalpause auffängt - so als wollte er sichergehen, dass auch ja niemand über das Ziel hinausschießt.

behe

Mitwirkende

Marcolini Quartett
Jörg Buschhaus - Violine
Frauke Pöhl - Violine
Stefan Schmidt - Viola
Martin Fritz - Violoncello