Saison 2014/2015: Konzert 2

Sonntag, 26. Oktober 2014 17 Uhr Museum für Angewandte Kunst

Kammermusik mit Flöte

von Haydn, Kuhlau, Hummel und Weber Annie Laflamme – Traversflöte Dorothea Schönwiese – Violoncello Katarzyna Drogosz – Fortepiano Annie Laflamme Sendung auf WDR 3 am 13. Dezember 2014

Das »Kammerorchester« der bürgerlichen Salons im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert setzte sich bevorzugt aus einer Trioformation mit Klavier und zwei Melodieinstrumenten zusammen. Unter den vielen Kompositionen aus Klassik und früher Romantik, in denen sich zu Hammerflügel und Violoncello eine modische Traversflöte als ebenso virtuose wie schattierungsreiche Oberstimme gesellt, sind heute wahre Schmuckstücke wiederzuentdecken, in denen sich brillante Spielkunst mit einer besonderen melodischen Intensität verbindet. Ihnen haucht die kanadische Wahl-Kölnerin Annie Laflamme gemeinsam mit ihren Kammermusikpartnerinnen neues Leben ein.

Programmfolge

Joseph Haydn (1732-1809) Trio D-Dur Hob. XV:16 für Pianoforte, Flöte und Violoncello Allegro - Andantino più tosto Allegretto - Vivace assai Friedrich Kuhlau (1786-1832) Trio G-Dur op. 119 für Pianoforte und zwei Flöten im Arrangement von Nicolas Louis (1808-1857) für Pianoforte, Flöte und Violoncello Allegro moderato - Adagio patetico - Rondo allegro Pause Johann Nepomuk Hummel (1778-1837) Grande Sonate A-Dur op. 64 für Pianoforte mit Begleitung einer obligaten Flöte (oder Violine) Allegro con garbo - Menuetto. Moderato - Rondo. Vivace Carl Maria von Weber (1786-1826) Trio g-Moll op. 63 für Pianoforte, Flöte (oder Violine) und Violoncello Allegro moderato - Scherzo - Schäfers Klage. Andante espressivo - Finale. Allegro

Flötenklassiker

Die etablierte Bezeichnung »Kammermusik« weist heute noch auf Ursprünge dieses Genres im privaten höfischen Ambiente hin. Doch spielte die Bindung an den Adel schon vor den gesellschaftlichen Umwälzungen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nur noch eine untergeordnete Rolle. Immer deutlicher gab auch das Bürgertum musikalisch den Ton an - nicht mehr nur, weil es das Gros der ausübenden Künstler stellte, sondern auch, weil sich aus seinen Reihen oft die Adressaten der Kompositionen rekrutierten: die »Kenner und Liebhaber«. Für eine musikalische Abendunterhaltung - egal, ob sie nun in einem adeligen oder bürgerlichen Salon stattfinden sollte - eigneten sich in besonderer Weise Klaviertrios als Renommier- und Bravourstücke. In ihrem Zentrum stand da zunächst noch das Cembalo, bald aber das modernere, flexiblere Pianoforte. Vom akkordischen Begleitinstrument im Basso continuo hatte es sich im Laufe des 18. Jahrhunderts zum individuell agierenden Kammermusikpartner entwickelt, dem eine profilierte, ja sogar die profilierteste Partie zustand: es war Solo- und Begleitinstrument in einem, mitunter auch Orchester im Kleinen. Es kommt also nicht von ungefähr, dass in den Originaltiteln der Kompositionen, die heute Abend auf dem Programm stehen, entgegen moderner Terminologie das Tasteninstrument zuerst genannt wird. Seinem konzertanten Part stehen die beiden Melodieinstrumente zur Seite: im Bass das Violoncello, im Sopran als gern gehörte Alternative zur Violine die Querflöte mit ihrem charmant-innigen Ton. Nicht zuletzt fürstliche Spieler wie Friedrich II. von Preußen und Carl Theodor von der Pfalz hatten sie im Zeitalter der Empfindsamkeit zu einem Modeinstrument werden lassen.

Mehr als drei Dutzend Klaviertrios hat Joseph Haydn im Laufe seines Lebens komponiert (bei einigen frühen Stücken ist seine Autorschaft fraglich). Nur drei davon sehen eine Ausführung der Oberstimme durch die Flöte vor, müssen sich also dort in der Tiefe auf die eingestrichene Oktave beschränken (und auf konsequent einstimmiges Spiel): die Trios Hob. XV:15–17. Haydn schrieb sie noch während seiner Hofkapellmeisterzeit, wohl Ende der 1780er Jahre, aber offenbar im Hinblick auf das Londoner Publikum. Das wartete lange schon auf ein Gastspiel des weltberühmten, aber an den kleinen Fürstenhof der Esterházy gebundenen Meisters. Dort im Burgenland suchte ihn 1789 der rührige englische Verleger John Bland auf - sicher nicht nur, um ihn im Auftrag des Konzertveranstalters Johann Peter Salomon zur Reise auf die Insel zu gewinnen, sondern auch, um mit ihm über die Publikation von Kompositionen zu verhandeln. In diesem Punkt war Bland unmittelbar erfolgreich, wie seine Druckausgabe der drei Klaviertrios mit Flöte belegt, die Mitte 1790 erschien. Zur ersten London-Reise Haydns kam es dagegen erst im Dezember desselben Jahres, nach dem Tod des Fürsten Nikolaus Esterházy, durch den Haydn seiner engen höfischen Dienstpflichten enthoben war.

Im heutigen Konzert ist das mittlere dieser drei Klaviertrios zu hören, die Haydn übrigens nahezu zeitgleich auch bei Artaria in Wien veröffentlichte. Es ist ein trotz der Molltonart des Mittelsatzes heiter-divertimentohaftes Stück, das vollkommen von der nonchalanten Gestik der Klavierpartie bestimmt wird. Die Melodie-Instrumente scheinen zunächst nur zur Klangintensivierung des Klaviersonatensatzes zu dienen, erst allmählich tritt die Flöte mit eigenen motivischen Akzenten hervor, während das Violoncello nahezu ausschließlich den Klavierbass doppelt, der zumindest auf den älteren Hammerflügeln der Haydn-Zeit noch nicht ausreichend profunde klang. Dem Haydn-Schüler Ludwig van Beethoven blieb es vorbehalten, das tiefe, aber bis in die Altlage sinnlich-modulationsfähige Streichinstrument zum gleichberechtigten Kammermusikpartner zu erheben: Die eigenständige Cellopartie seiner 1795 veröffentlichten Klaviertrios Opus 1 wurde für die jüngere Komponisten-Generation wegweisend.

Der aus dem niedersächsischen Uelzen stammende Friedrich Kuhlau war ein avancierter Pianist, und er wurde Generationen von Klavierschülern als Verfasser klassisch geformter, technisch nicht allzu anspruchsvoller Sonatinen zum Begriff. Zu Lebzeiten galt der in Kopenhagen lebende Musiker aber in erster Linie als Komponist für die Flöte, der er gut die Hälfte seines Œuvres widmete - dabei konnte er nach eigenem Bekunden »doch nicht den kleinsten Griff auf der Flöte machen«. Gleich zwei Flöten führt er in seinem Trio G-Dur op. 119 mit dem Klavier zusammen, wobei sich das zunächst im Vordergrund stehende Tasteninstrument und die Bläser die Themen mit melodiöser Leichtigkeit, aber satztechnisch formvollendet zuspielen. Die beliebte Triobesetzung mit Streichinstrument hat Kuhlau allerdings nicht mit eigenen Kompositionen bedacht, und so blieb es dem Franzosen Louis Nicolas vorbehalten, das Opus 119 des »Beethovens der Flöte« einige Jahre nach seiner Erstveröffentlichung 1832 in der heute erklingenden Besetzung mit Pianoforte, Flöte und Violoncello vorzulegen. Nicolas spielt dabei alle Vorzüge des Cellos aus, indem er ihm die zweite Solostimme mal in hoher und mal in tieferer Lage zuweist und es darüber hinaus als Bassverstärkung (mit vereinzelten Doppelgriffen) heranzieht. Wüsste man nicht um die Ursprungsfassung, man ließe diese reizvolle Version mit Violoncello als Kuhlau’sches Original passieren.

Wie Beethoven zählte in den 1790er Jahren auch Johann Nepomuk Hummel zu den Schülern Haydns - und zwar in London. Der in Pressburg geborene Hummel war damals gerade zwölf Jahre alt und als pianistisches Wunderkind mit seinem Vater, der in einem Wiener Adelspalais als Geiger angestellt war, auf Europatournee. Zuvor hatte er in Wien schon den (kostenlosen) Unterricht eines Künstlers genossen, der das Wunderkind-Dasein aus eigenem Erleben kannte - Wolfgang Amadeus Mozart. Von der Reise zurückgekehrt, profilierte sich Hummel als führender Improvisator auf dem Klavier, der vom Wiener Publikum zum Antipoden Beethovens hochstilisiert wurde. Zwischen 1804 und 1811 war er als Konzertmeister am Hof der Esterházy tätig, von 1816 bis 1818 als königlicher Kapellmeister in Stuttgart, dann fand er in Weimar als Kapellmeister des Großherzogs Carl August eine Lebensstellung im Umkreis Goethes, die ihm umfangreiche künstlerische Kontakte und immer wieder auch europaweite Gastspiele als Pianist und Dirigent ermöglichte. Seine Sonate A-Dur op. 64 für Pianoforte und begleitende Flöte (oder Violine) stammt aus der Zeit des Wiener Kongresses 1814/15. Hummel ließ sich da wiederholt vor dem Wiener Publikum hören, das wohl in seiner Mehrheit aus den Diplomaten und ihrer Entourage bestand. Entsprechend ist das Opus 64 mit dem betont »anmutigen« Beginn (»con garbo«) auch als elegant-konzertante »Grande Sonate« gestaltet, deren über weite Strecken dominierendes klavieristisches Passagenwerk sich Hummel unzweifelhaft in die eigenen Hände schrieb.

Schöpfen Kuhlau und Hummel in ihren Sonaten fraglos aus dem Erbe der Wiener Klassik, beschreitet doch Carl Maria von Weber in seinem Flötentrio g-Moll von 1819 neue, romantischere Wege - ähnlich wie in seiner zukunftsweisenden Oper Der Freischütz. An ihr arbeitete der in Eutin geborene Spross einer wandernden Künstlerfamilie, der 1816 zum Musikdirektor der Dresdner Oper berufen worden war, in dieser Zeit ebenfalls. Das Trio ist dem befreundeten Arzt und passionierten Flötisten Philipp Jungh gewidmet, für den Weber den Schlüsselsatz - die Variationen über die Volksweise zu Goethes Lieddichtung Schäfers Klage - bereits sechs Jahre zuvor in Prag geschrieben hatte. Auf diese Klage stimmt denn auch schon der elegische Moll-Beginn des viersätzigen Werkes ein, das unter den drei beteiligten Instrumenten keine dominierende Stimme mehr kennt. Ein Walzer steht als leicht bizarres Scherzo zwischen erstem und drittem Satz; erst das Finale findet zur konventionelleren Gestaltungsweise zurück, denn es folgt wie der Beginn der »Sonatenhauptsatzform«. Etwas überraschend verhilft deren Themen-Dualismus diesem Solitär der Trio-Kammermusik noch zu einem musikalischen Dur-Happy End.

behe

Mitwirkende

Annie Laflamme - Traversflöte Dorothea Schönwiese - Violoncello Katarzyna Drogosz - Fortepiano