Saison 2014/2015: Konzert 3

Sonntag, 23. November 2014 17 Uhr Trinitatiskirche

In vergessenen Tönen

Die Sangsprüche des Dichtersängers Heinrich von Meißen, genannt Frauenlob Sabine Lutzenberger – Sopran Norbert Rodenkirchen – Mittelalterliche Traversflöten, Harfe Sabine Lutzenberger, Norbert Rodenkirchen Sendung auf WDR 3 am 6. Januar 2015

Heinrich von Meißen alias Frauenlob wurde zu einem der prägenden Sängerkomponisten im Übergang vom mittelalterlichen Minnesang zur Tradition der Meistersinger, und daran hatten seine literarisch und musikalisch anspruchsvollen Sangsprüche mit ihren schillernden Melodien großen Anteil. Merkwürdigerweise spielten sie in der Rezeption bislang nur eine periphere Rolle. Jetzt aber stellen die Sängerin Sabine Lutzenberger und der Flötist Norbert Rodenkirchen diese einzigartigen Schöpfungen, in denen man sogarauf vielschichtige philosophische Reflexionen trifft, einmal bewusst in das Zentrum ihres Frauenlob-Programms.

Programmfolge

Heinrich von Meißen, genannt Frauenlob (um 1260-1319)
Im grünen Ton: Vrowe ere & Ich saz uf einer grüne
Im Leichton (instrumental)
Im zarten Ton: Mit jungen junc
Im Flugton: Ez jehnt die sehenes blinden & Swer minnen schilt will vüeren
Im Würgendrüssel: Des himels arzenie & Rich ubyrvluczik gute

Der Unverzagte (13. Jahrhundert)
Junger man (instrumental)

Heinrich von Meißen
Aus dem Taugenhort: Die kuniginne von saba
Wie die döne (instrumental)

Meister Eckart (um 1260-1328) / Adam de St. Victor († 1146)
Granum Sinapis

Adam de St. Victor
Superne Matris (instrumental)

Heinrich von Meißen
Im langen Ton: Man siht in miner vünde krame & Wort sint der dinge zeichen

Der Kanzler (13. Jahrhundert)
Im Hofton des Kanzlers (instrumental)

Heinrich von Meißen
Im grünen Ton: Wer sagt mir daz geverte & Luft, wasser, viur und erde

Der Kanzler
Got, schepfer aller dinge (instrumental)

Heinrich von Meißen
Im vergessenen Ton: Daz ende sagt volkomenheit der dinge

Neue Töne

Mit seinem Beinamen Frauenlob ist er in die Geschichte des Minnesangs eingegangen, jener um 1260 geborene, nicht-adelige Sachse Heinrich von Meißen, der mit seinen Liedern und Sprüchen schon an der Schwelle zum Meistersang steht und damit für viele spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Liedermacher-Generationen zum inspirierenden Vorbild wurde. Sein eigenes Vorbild war Konrad von Würzburg, dessen Tod er 1287 kunstvoll besang; dabei bediente er sich jenes „geblümten Stils“ mit reicher Metaphorik und eigenwilliger Wortwahl, den er bei Konrad als „geviolierte blüete kunst“ empfunden hatte und jetzt selbst zu weiterer Blüte trieb. Heinrich war da schon landauf, landab gefragt dank seiner gedanklich tiefgründigen und sprachlich wie musikalisch elaborierten Vortragskunst (die Bezeichnung einer seiner Melodieschöpfungen als Würgendrüssel-Ton zeigt, dass sie mit ihrem großen Tonumfang zumindest von anderen Sängern als wahrer „Kehlenwürger“ empfunden wurde). Heinrich stellte bei einem Disput mit den Sängern Regenbogen und Rumelant von Sachsen über die Frage, wie man eine Dame ehrfurchtsvoll bezeichne, den Begriff vrouwe über wîp, und das mag ihm zu seinem poetischen Beinamen verholfen haben. Vielleicht geht er aber auch auf die beeindruckende Wirkung seines großen Marienleichs zurück, einer prunkvollen vielstrophigen Lieddichtung, in der er die Gottesmutter und Himmelskönigin als frouwe preist.

An der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert ließ sich Frauenlob als fahrender Sänger vor dem böhmischen König Wenzel II. wie vor dem deutschen König Rudolf von Habsburg hören, ebenso an den Residenzen in Bayern und Kärnten, Schlesien und Mecklenburg, Bremen und Dänemark. 1299 ist seine Anwesenheit in Innsbruck dokumentiert, 1311 tritt er bei einem Ritterfest in Rostock auf. Kurz danach geht er nach Mainz. Hier ist sein langjähriger Förderer Peter von Aspelt 1306 zum Erzbischof ernannt worden, ein ehemaliger Kanoniker und königlicher Kanzleibeamter, der zuvor ein knappes Jahrzehnt auf dem Basler Bischofstuhl saß. In Mainz gründet Heinrich der Legende nach eine erste Meistersinger-Schule; dort stirbt er auch am 29. November 1318 an einer Vergiftung und wird im Dom bestattet. Der Überlieferung nach folgten zahlreiche weinende Frauen seinem Sarg zur letzten Ruhestätte …

Frauenlobs umfangreiches literarisch-musikalisches Werk ist in mehreren Teilsammlungen überliefert. Eine der wichtigsten davon ist die Große Heidelberger Liederhandschrift aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, die aus Zürich stammt und auch als Manessische Handschrift bekannt ist. Darin wird „Meister Heinrich Vrouwenlob“ auch im Bild dargestellt - als Fürst aller Musiker und gleichzeitig als Mittler zwischen ihnen und der als Frau personifizierten Musik selbst. Als weitere Hauptquellen für seine Werke sind die Weimarer Papierhandschrift sowie die Wiener und die Kolmarer Liederhandschrift zu nennen, von denen die beiden letztgenannten auch Melodien überliefern. Höhepunkte im Schaffen des Heinrich von Meißen bilden die drei erhaltenen Leiche: der erwähnte Marienleich, der Kreuzleich und der Minneleich. Was in den genannten und einer Reihe weiterer Quellen wirklich von Heinrich von Maißen stammt und was ihm erst von späteren Generationen zugewiesen wurde, kann die Forschung unserer Zeit nicht mehr in jedem Fall klar entscheiden.

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Der große Ruhm Frauenlobs basierte nicht nur auf seinen großartigen, ausgedehnten Leich-Dichtungen, sondern auch auf seinen literarisch und musikalisch anspruchsvollen Sangsprüchen in schillernden, eigens von ihm komponierten Gesangsweisen.

In verschiedenen mittelalterlichen Handschriften sind u. a. die sogenannten Töne der Sänger überliefert. Ein Ton bezeichnet nicht nur die Melodie, sondern bestand aus einer individuell festgelegten Form von Versmaß, Reimschema und genau dazu passender Melodie (z. B. Frauenlobs Flugton, Langer Ton, Grüner Ton). Frauenlob verfasste eine große Anzahl von Sangsprüchen in eigenen Tönen und wurde dadurch zu einem der prägenden Sängerkomponisten im Übergang vom mittelalterlichen Minnesang zur Tradition der Meistersinger.

Viele seiner einflussreichen Sangsprüche handelten nicht von der weltlichen Minne, wie es bei vielen anderen Sängern seiner Zeit der Fall war. Stattdessen überhöhte er diesen Themenkomplex mit philosophischen, ethischen und theologischen Reflexionen. Mit diesem Fokus auf den Sangspruch als kontemplativer Kunstform steht Frauenlob teilweise in spürbarer Nähe zu den mittelalterlichen Mystikern, allen voran zu seinem Zeitgenossen Meister Eckart.

Dieses kontemplativ reflektierende Sangspruch-Repertoire spielt in der heutigen Rezeption und in der praktischen Umsetzung innerhalb der Szene der historisch informierten Aufführungspraxis leider nicht die prominente Rolle, die ihm zweifelsohne eigentlich zustände. Mit unserem Programm In vergessenen Tönen setzen wir uns zum zweiten Mal mit dem Schaffen und dem mythenähnlichen Einfluss Frauenlobs auseinander. Das Programm vereint in Manuskripten überlieferte Originaltexte und Original-Töne in musikalischer Notation aus der Jenaer Liederhandschrift, der Wiener Frauenlobhandschrift sowie aus der Kolmarer Handschrift, der Manessischen Handschrift und der Weimarer Papierhandschrift. Ergänzt werden die Sangsprüche durch instrumentale Fassungen von weiteren faszinierenden Melodieweisen der Minnesang-Tradition sowie durch die Sequenz Granum Sinapis, die Meister Eckart zugeschrieben wird.

Norbert Rodenkirchen

Mitwirkende

Sabine Lutzenberger - Sopran Norbert Rodenkirchen - Mittelalterliche Traversflöten, Harfe