Saison 2014/2015: Konzert 4
... und weil die Music lieblich ist ...
Deutsche Gesänge und Tänze von Balthasar Fritsch Ulrike Hofbauer – Sopran Musicke & Mirth Sendung auf WDR 3 am 20. Januar 2015Über Balthasar Fritsch weiß man eigentlich nur noch, dass er um 1570 in Leipzig geboren wurde, Geige spielte und vielleicht ein Stadtpfeifer war. Umso gehaltvoller sind seine Notendrucke, die 1608 erschienen: die Primitiae Musicales mit eingängiger Tanzmusik und die Newen deutschen Gesänge nach Art der Welschen Madrigalien, in denen er im modernen italienischen Vokalstil von der Endlichkeit des Lebens, dem Liebesschmerz oder der Lieblichkeit der Musik singt. Das Gambenensemble Musicke & Mirth und die Sängerin Ulrike Hofbauer führen Fritschs spannende Werke aus zwei Genres jetzt in einem Programm zusammen.
Programmfolge
Spuren einer Musikerkarriere
Mehr als vierhundert Jahre ist es her, da erschienen auf dem deutschen Musikalienmarkt im Abstand von knapp zwei Jahren zwei Noteneditionen eines Balthasar Fritsch aus Leipzig: 1606 (oder vielleicht doch eher 1607) in Frankfurt am Main eine Ausgabe mit 12 Pavanen und 21 Galliarden, also den damals gängigsten Tänzen, gesetzt für vier Instrumente, und 1608 in Leipzig eine Sammlung mit zwölf weltlichen Gesängen für fünf Stimmen auf deutsche Texte. Mehr als das, was diese beiden Notendrucke an Informationen liefern, ist kaum über Fritsch dokumentiert - eigentlich nur noch, dass er am 18. Juni 1608 Pate bei einem Sohn des Leipziger Musikers Wilhelm Kaufmann wurde, der im städtischen Ensemble der Ratsmusiker üblicherweise den Streichbass spielte.
Was aber verraten die beiden Musikdrucke über Fritsch? Zunächst gibt die Formulierung Primitiae Musicales zur Tanzsammlung an, dass es sich um sein musikalisches Erstlingswerk handelt. Wie damals üblich, steht dem Druck eine Widmung voran. Die drückt nicht nur eine gewisse Reputation des Autors aus, sie verbindet sich in der Regel auch mit der Erwartung, von den Widmungsträgern eine Gratifikation zu erhalten, durch die sich die Unkosten des Drucks auffangen lassen. Fritsch bedenkt hier gleich zwei Standespersonen - keine Geringeren als das Brüderpaar Herzog Adolf Friedrich I. und Herzog Johann Albrecht II. von Mecklenburg. Die waren zu dieser Zeit 18 und 16 Jahre alt und noch unter der Vormundschaft ihrer regierenden Onkel. Aus der devoten lateinischen Vorrede Fritschs geht hervor, dass die beiden Herzöge ihm in seiner Heimatstadt Leipzig, in der sie sich zum Studium aufhielten, nicht nur beim Spiel auf dem Saiteninstrument lauschten, sondern dass ihm sogar die Ehre widerfuhr, sie in der Instrumentalmusik zu unterweisen. Die Pavanen und Galliarden widmete er ihnen mit Datum vom 31. Dezember 1606 als Gabe zum neuen Jahr; vermutlich erschien die Ausgabe also wohl erst zur Frankfurter Frühjahrsmesse 1607.
Die Vokalsammlung von 1608 »nach Art der Welschen Madrigalien« hat Fritsch fünf »Junckern« gewidmet, die er als seine »großgünstigen« Förderer bezeichnet: vier Brüdern aus dem Hause Walwitz zu Dobritz in Anhalt und einem Hans-Georg Vitzthum von Eckstädt aus dem thüringischen Kannawurf - möglicherweise handelt es sich bei ihnen ebenfalls um adelige Musikschüler Fritschs. Die Widmung hat er diesmal kürzer gehalten und auf Deutsch: » … Dieweil dann Eure Hoheiten neben andern viel Tugenden, nicht allein vor sonderliche Liebhaber der Music, sondern daß sie in solcher löblichen Kunst selbsten wol erfahren, und sich täglichen auff allerley Instrumenten mit einander exerciren, wie mir genug bewust, von männiglichen hoch gerühmet werden, Und ich newlicher Zeit etliche Deutsche Gesänge nach Art der Welschen Madrigalien mit 5. Stimmen gesetzt, Als habe Eure Hoheiten von denen mir viel gutes bißhero bewiesen und erzeiget worden, ich hiemit mein danckbares Gemüth offentlich an Tag zu geben, und ihnen solch mein geringschätzig Gedicht zu dediciren mich schuldig erachtet.«
In beiden Sammlungen findet sich gehobene Unterhaltungsmusik aus jener Zeit, da man in Italien eine musikalische Epochenwende einläutet. Dort geraten einerseits die Vertonungen von Madrigaldichtungen - etwa bei einem Claudio Monteverdi - immer kunstvoller und harmonisch gewagter, um die expressiven Bilder des Textes auch musikalisch abbilden zu können. Andererseits löst sich die Gesangskunst vom kompakten mehrstimmigen Vokalsatz, um einer gesungenen Solostimme zur Instrumentalbegleitung mehr Freiheiten des Ausdrucks zu gewähren. Gleichzeitig öffnet sich die hohe Vokalkunst mehr und mehr dem liedhaften Stil der volkstümlichen Villanella. Das Wendeläuten südlich der Alpen wurde von den deutschen Musikliebhabern gehört - vor allem in einer Universitäts-, Messe und Buchdruckerstadt wie Leipzig, in der sich auf Betreiben der Bürger gerade der Chor an der Thomasschule unter dem Kantor Sethus Calvisius zu einem Eliteensemble wandelte und unter der Studentenschaft immer eine Reihe ambitionierter Musiktalente zu finden war. Das zeigen gleich mehrere Leipziger Editionen und auch Notenmanuskripte aus diesen Jahren, die sich die Art der italienischen Madrigale zum Vorbild nehmen - aber dann doch zu stilistisch ganz eigenen Ergebnissen kommen. Ähnliche Sammlungen wie die von Fritsch liegen beispielsweise von Christoph Demantius vor, seines Zeichens Kantor im sächsischen Freiberg, der sich Mitte der 1590er Jahre aber auch eine Weile in Leipzig aufgehalten hatte; seine Edition mit weltlichen Instrumental- und Vokalkompositionen von 1608 widmet er übrigens ebenfalls den vier Junkern von Walwitz. 1609 folgt das Venus Kräntzlein des 23-jährigen Leipziger Studenten Johann Hermann Schein, das neben weltlichen Liedern auch Instrumentalsätze bietet und sich augenscheinlich in beidem an Fritsch orientiert.
In seiner Musikgeschichte der Stadt Leipzig bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts von 1909 stellt der Musikhistoriker Rudolf Wustmann die Werke Fritschs vor und formuliert im Hinblick auf Fritschs Komposition Daß ich nicht deines gleichen bin: »Das größte Stück, dessen Worte ganz volkslyrikartig schlicht und echt quellen, ein fünfstrophiges Abschiedslied, darf und muß man neben Heinrich Isaaks ’Innsbruck, ich muss dich lassen‘ stellen, wenn man an zwei charakteristischen Beispielen den Unterscheid der deutschen Liedkunst von 1500 und 1600 erkennen will. Obwohl Fritsch das italienische Formvorbild kennt, ist doch seine Wort- und Tonerfindung viel ursprünglicher und Leipzigerisch bodenständiger als die ’Teutschen Lieder‘ Demants oder selbst die Lieder von Scheins Venuskränzlein. […] Völlig unbesorgt wird Lebensrat, Liebesklage, Religiöses und Lustiges durcheinander gereiht. Der für den Dichter charakteristischste Text ist wohl der zehnte: ’Ich bin in diese Welt zu fromm, / kann mich darin nicht schicken‘ […] Wie andere bringt auch Fritsch sein Preislied auf die Musik: ’Was lieblich ist, mich hoch erfreut‘«.
Dem letzterwähnten Lobpreis auf die Musik ist auch das Motto des heutigen Konzerts entnommen, in dem die fünfstimmigen Vokalsätze in einer Ausführung mit einer Singstimme und vier Gamben erklingen. Fritsch unterlegt zwar in allen fünf Stimmbüchern den Gesangstext, es war seinerzeit aber gängige Praxis, die Kompositionen nach Belieben mit Singstimmen und/oder Instrumenten zu besetzen - je nach Geschmack und individuellen Gegebenheiten. Fritschs Hinweis auf das täglich von den Herren Junkern gepflegte Instrumentalspiel in der Vorrede zu den Gesängen deutet schon an, dass er nicht unbedingt von einer rein vokalen Ausführung ausging.
Die vierstimmigen Tanzsätze Fritschs aus dem Jahr 1606 mögen den vier Junkern von Walwitz ebenso willkommen gewesen sein wie den Mecklenburger Herzögen; gerne wird man diese »ersten nachweisbaren Leipziger Streichquartette« (Wustmann) aber auch in bürgerlichen Musizierstuben auf die Notenpulte gestellt haben. Mit ihrem Dutzend gravitätischer Pavanen im geraden Taktmaß, die sich mit nahezu anderthalbmal so vielen quirligen Gaillarden im Dreiermetrum kombinieren lassen, steht dieser Druck noch in der Tradition des 16. Jahrhunderts. Auch ihn hat sich Johann Hermann Schein offenbar zum Vorbild genommen - wiederum für sein Venus-Kräntzlein von 1609, dann aber noch einmal 1617 in seiner großen Suiten-Sammlung Banchetto musicale. Sie sei, so lässt es Schein schon auf den Titel setzen, »auff allerley Instrumenten, bevorauss auff Violen, nicht ohne sonderbahre gratia, lieblich und lustig zu gebrauchen.« Hier wird eine Ausführung mit Gamben - wie am heutigen Abend bei Fritsch zu hören - also nachdrücklich empfohlen.
Vieles spricht dafür, dass Balthasar Fritsch ein musikbegeisterter bürgerlicher Studien-Kommilitone der Widmungsträger seiner Drucke war und auch von Schein. Dann wäre er wohl in den 1580er Jahren geboren. 1616 wurde der einstige musizierende Student Schein der neue Leipziger Thomaskantor. Ob Fritsch das noch erlebte, wissen wir nicht, denn nach dem Jahr 1608 verliert sich seine Spur. Hätte er als Musiker Karriere gemacht und wäre, wie es manche Musikforscher vermuten, Mitglied der Leipziger Ratsmusiker-Gilde geworden, müsste das in den städtischen Akten eigentlich dokumentiert sein - so wie beim Vater seines Patenkindes (den man natürlich ebenfalls unter die potentiellen Interpreten der Fritsch‘schen Kompositionen zählen darf). Aber wie auch immer das Leben des Balthasar Fritsch Lipsiensis verlaufen sein mag - seine Musik hat die Jahrhunderte glücklich überdauert.
Mitwirkende
Ulrike Hofbauer Sopran Musicke & Mirth Jane Achtman, Diskant- und Altgambe Irene Klein, Altgambe Tore Eketorp, Tenor-Bassgambe Elizabeth Rumsey, Violone