Saison 2014/2015: Konzert 8
Italienisches für Elbflorenz
Johann David Heinichen: Italienische Kantaten und Concerti Marie Friederike Schöder – Sopran Terry Wey – Alt Batzdorfer HofkapelleAn der Leipziger Oper hatte er sich schon als großes Musiktalent profiliert, doch erst in Venedig reifte Johann David Heinichen seit 1711 zu jenem souveränen Komponisten, den der begeisterte kursächsische Thronfolger 1716 vom Fleck weg als neuen Dresdner Kapellmeister verpflichtete. Seither machten Heinichens virtuose italienische Kantaten auch in Deutschland Furore. Nicht weit vom einstigen »Elbflorenz« Dresden entfernt widmet sich heute die Batzdorfer Hofkapelle dem barocken Repertoire, doch auch am Rhein stellt sie gerne unter Beweis, wie frisch die italienisch eingefärbte Musiksprache Heinichens immer noch klingt.
Programmfolge
Sächsische Italien-Erfahrungen
Im Mai 1693 wurde in Leipzig ein erstes Opernhaus eröffnet, das laut dem Privileg des sächsischen Kurfürsten auch eine Ausbildungsstätte für musikalisch talentierte Studenten sein sollte - nicht zuletzt zum Nutzen der eigenen Hofkapelle. In der Tat begann hier die musikalische Karriere einiger bedeutender Kapellmeister: vorneweg ist da Georg Philipp Telemann zu nennen und dann Johann David Heinichen in Dresden - noch vor Christoph Graupner in Darmstadt und Gottfried Heinrich Stölzel in Gotha.
Heinichen, der Pfarrerssohn aus Krössuln im Herzogtum Weißenfels, besucht sechs Jahre die Thomasschule in Leipzig unter den Kantoren Johann Schelle und Johann Kuhnau. Dann bringt ihn das Jurastudium 1702/03 ins studentische Collegium musicum, das unter Telemann wöchentliche Konzertauftritte absolviert, sonntags in der Neukirche spielt und während der Messezeiten auch als Opernorchester fungiert. Nach einer vergeblichen Bewerbung um Telemanns Nachfolge geht Heinichen 1705 als Anwalt und vermutlich auch Hofmusiker nach Weißenfels. 1709 ruft ihn die Opernleitung zurück nach Leipzig, wo er mit den Werken Der angenehme Betrug und Die lybische Talestris reüssiert; für den Herzog Moritz-Wilhelm von Sachsen-Zeitz in Naumburg entstehen Olimpia vendicata sowie Paris und Helena. Nach einem Wechsel in der Leipziger Intendanz wendet sich Heinichen neuen Aufgaben zu, verfasst eine Generalbass-Lehre, plant eine Reise an weitere deutsche Höfe, zieht aber schließlich nach Italien: »Auch das aller Invention reichste Naturell oder Talent gleicht an sich selbst nur einer noch rohen gold- und silberreichen Schlacken, welche erstlich durch das Feuer der Erfahrung wohl muss gereiniget werden«, bemerkt er dazu 1728 in seinem zweiten Lehrschrift Der General-Bass in der Composition.
Von einem Aufenthalt in Rom abgesehen, wo ihn kurzzeitig Prinz Leopold von Anhalt-Köthen verpflichtet, Johann Sebastian Bachs späterer Dienstherr, steht Venedig im Mittelpunkt der knapp sechs Italien-Jahre. Hier wirken Musikergrößen wie Antonio Lotti, Antonio Vivaldi, Tomaso Albinoni und Francesco Maria Veracini, an denen sich Heinichen orientieren kann. Im Karneval 1713 begeistert er das italienische Publikum mit seinen Opern Calfurnia und Le passioni per troppo amore. Er trifft auch deutsche Kollegen wieder, mit denen er schon in Leipzig zusammengewirkt hat: Stölzel macht 1713/14 auf Studienreise in Venedig Station, und der Meistergeiger Johann Georg Pisendel gehört 1716 von April bis Jahresende zur musikalischen Entourage für den sächsischen Kurprinzen Friedrich August. Der ist auf Kavalierstour in der Lagunenstadt und begeistert, als die Bankiersgattin und Mäzenin Angioletta Bianchi, eine ausgebildete Sängerin und Cembalistin, in ihrem Hause am Canale grande Kantaten Heinichens vorträgt. Der Komponist wird noch vor Ort zum Hofkapellmeister auf Lebenszeit ernannt, dank der aus der Ferne eingeholten Zustimmung des sächsischen Kurfürsten und polnischen Königs Friedrich August I. (»Augusts des Starken«). Heinichen revanchiert sich mit dem Oratorium La pace di Kamberga, einer Huldigung an das Haus Habsburg, dem die erwählte Gemahlin des Kurprinzen entstammt, die Kaisertochter Maria Josepha. Sie wird dem Musiker in Dresden, wo er 1717 gemeinsam mit Lotti, Veracini und weiteren italienischen Künstlern eintrifft, besonders gewogen bleiben. In Arbeitsteilung mit dem älteren Kapellmeister Johann Christoph Schmidt leitet er fortan die Hofkapelle im »Elbflorenz«, ein Elite-Ensemble, das als das europaweit beste gilt.
In Dresden entstehen in den zwölf Lebensjahren, die dem zunehmend von Tuberkulose gezeichneten Heinichen noch vergönnt sind, Werke für den katholischen Hofgottesdienst, Serenaten als größer besetzte vokal-instrumentale Beiträge zu höfischen Festen, eine Oper Flavio Crispo, aber auch eine Vielzahl von Konzerten und instrumentalen Kammerkompositionen sowie in Fortsetzung seiner venezianischen Aktivitäten eine Reihe von weltlichen italienischsprachigen Kantaten für eine oder zwei Singstimmen und Basso continuo, denen meistens begleitende und teilweise auch solistisch agierende Melodieinstrumente beigegeben sind. Heinichen hat diese Kompositionen, die eher für das intime Musizieren in den Räumen der Kurprinzen-Gattin bestimmt sind, in zwei Sammelbänden vereint. Sie bergen auch seine schon in Venedig komponierten Beiträge zu dieser Gattung und damit insgesamt 63 Werke.
Vier dieser Kantaten sind im heutigen Konzert zu hören. Sie versetzen ihre Zuhörer in ein mythisches Arkadien, das solch anmutig-unschuldige Nymphen und Hirten wie Clori und Tirsi bewohnen. Frei von aller Sorge könnten sie leben, wäre da nicht die bittersüße Liebespein - ein schier unerschöpfliches Thema, von italienischen Poeten immer wieder neu in ebenso bildreiche wie melodische Verse gekleidet. Heinichen vertont sie in den gängigen Formen der Oper - dem Rezitativ und der meist in Da-capo-Gestalt angelegten Arie. Er unterstützt die bald kantablen, bald virtuosen Gesangspartien gerne durch farbige Instrumentierungen, in denen Holzbläser zum bukolischen Kolorit beitragen.
In der dreiteiligen Kantate Intorno a quella rosa lässt Heinichen einen Altsänger in die Rolle des Liebhabers schlüpfen, der im eröffnenden Moll-Satz beim Betrachten einer umhersummenden Biene »durch die Blume« die Liebe Cloris erfleht und sich in der zweiten Arie in zuversichtlichem Dur und beschwingtem Dreiermetrum die Erfüllung seiner Hoffnungen ausmalt - ohne dass es sich Heinichen entgehen ließe, auf dem Wort »moro« (»ich sterbe«) mit der gebührenden Chromatik aufzuwarten. Als Antwort Cloris lässt sich die Kantate Lascia di tormentarmi hören. Hier besingt der Sopran zunächst zum Lamento der streichergrundierten Blockflöten die Qualen des tyrannischen Amors und entsagt dann der Liebe - die furiosen Unisoni der Streicher scheinen die Endgültigkeit dieser Entscheidung zu bekräftigen.
Lässt sich von diesen beiden Kantaten nicht sagen, ob Heinichen sie schon in Venedig oder erst während seiner Dresdner Jahre komponierte, so sind die beiden Vokalwerke der zweiten Konzerthälfte dem Italienaufenthalt zuzuordnen. Die Handschrift von La bella fiamma ist sogar explizit im September 1711 in Venedig datiert. Als einziges Soloinstrument verlangt das Werk eine Theorbe zum Basso continuo und zur Altstimme, die hier den Part der Clori übernimmt. In der ersten Arie symbolisiert das um Basssaiten erweiterte Lauteninstrument die gleich einem kalten Wind über die Pflanzen der Liebe hinwegwehende Eifersucht; in der zweiten Arie drücken vornehmlich die verminderten Intervalle und gewundenen Koloraturen der Vokalpartie das Liebesleiden Cloris aus. Den Theorben-Part könnte schon in Italien Silvius Leopold Weiss übernommen haben. Dieser größte Lautenvirtuose seiner Zeit hielt sich dort zwischen 1710 und 1714 im Gefolge eines polnischen Prinzen auf; später wird er das Solo auch in Dresden gespielt haben, wo er ebenfalls seit 1717 der Hofkapelle angehörte.
Aufwändiger ist Se mai, Tirsi, mio bene angelegt, ein Dialog zwischen Clori und Tirsi, der von einer dreigliedrigen Sinfonia eingeleitet wird und beide Singstimmen nach je einer Solo-Arie im abschließenden Duett vereint. Die Sopran-Arie der Clori, die das Feuer der Liebe besingt, hat Heinichen mit einer Unisono-Partie der beiden instrumentalen Oberstimmen und ebenfalls überwiegend im Einklang geführten Bratschen und Bässen angelegt. Letztere pausieren aber meistens während des Gesangs, zu dem sich so ein betörend durchsichtiges Klangbild ergibt (»ein douces Basset zur Vocal-Stimme« nennt Heinichen das 1728). Den Wechsel zwischen continuobegleiteten Ritornellen und basslosen Gesangsabschnitten behält er auch in der heroischen Alt-Arie bei, die von Tirsis Treue spricht, und ebenso im unmittelbar daran anschließenden Duett, das die Kantate mit parallel geführten Vokal-Kantilenen versöhnlich ausklingen lässt.
Neben die Vokalstücke treten im heutigen Programm Instrumentalkonzerte, in denen Heinichen den formidablen Dresdner Musikern weitere Gelegenheit gibt, sich ins beste Licht zu rücken. Die beiden Concerti in g-Moll und D-Dur für ein Soloinstrument, Streicher und Basso continuo sind in Abschriften aus der Darmstädter Hofkapelle überliefert. Sie zeigen in ihrer souveränen Beherrschung von Form und Satz, wie gründlich Heinichen das Vorbild Vivaldi verinnerlicht hat. Das Concerto G-Dur für je zwei Blockflöten, Oboen, Violinen, Bratschen und Basso continuo (inklusive Bassflöte) stellt ihn noch als Meister jener Konzerte für mehrere Instrumente vor, die ein so reichhaltig besetztes Ensemble wie die Dresdner Hofkapelle geradezu forderte: Hier verbindet Heinichen das Spiel verschiedener Instrumentengruppen nach der römischen Concerto-grossi-Manier eines Arcangelo Corelli mit den venezianischen Solokonzert-Ideen Vivaldis; gleichzeitig frönt er der deutschen Vorliebe zur aparten Mischung unterschiedlichster Instrumentalfarben.
Mitwirkende
Terry Wey - Alt
Batzdorfer Hofkapelle
Die Batzdorfer Hofkapelle spielt heute in folgender Besetzung:
Katrin Krauß, Ursula Thelen, Kerstin de Witt (Blockflöte)
Xenia Löffler, Rodrigo Gutiérez (Oboe), Katrin Lazar (Fagott)
Daniel Deuter, Beate Voigt, Wolfgang von Kessinger, Martina Rentzsch, Franziska Graefe (Violine), Margret Baumgartl (Violine, Viola), Caroline Kersten (Viola)
Bernhard Hentrich (Violoncello), Tilman Schmidt (Kontrabass)
Stefan Maass, Stephan Rath (Laute), Tobias Schade (Cembalo)