Saison 2015/2016: Konzert 6

Sonntag, 13. März 2016 17 Uhr Trinitatiskirche

Auf dem Weg ins Paradies

Vokalkonzerte von Dietrich Buxtehude, Nicolaus Bruhns, Johann Kuhnau und Johann Schelle Cantus Cölln | Ltg. Konrad Junghänel Cantus Cölln In Kooperation mit dem Kölner Fest für Alte Musik Sendung auf WDR 3 am 20. April 2016, ab 20:05 Uhr.

Per aspera ad astra: Aus dem Tal der Finsternis und Tränen führt der Weg der Erlösung ins Paradies, den die Sängerinnen und Sänger von Cantus Cölln mit Werken des deutschen Barocks aus Norddeutschland und Sachsen beschreiten – unter der Leitung Konrad Junghänels und verstärkt um ein Streicher- und Generalbassensemble. Dietrich Buxtehude, Nicolaus Bruhns, Johann Kuhnau und Johann Schelle heißen die Komponisten; große Tastenmeister sind das zumeist, die ihre expressiven musikalischen Ideen aber immer gerne auch in den Dienst der Vokalmusik stellten.

Programmfolge

Johann Kuhnau (1660–1722)
Gott, sei mir gnädig
Geistliches Konzert für Sopran, Alt, Tenor, Bass,
2 Violinen, 2 Violen und Basso continuo
Dietrich Buxtehude (1637–1707)
Gott, hilf mir
Geistliches Konzert für 2 Soprane, Alt, Tenor, Bass,
2 Violinen, 2 Violen und Basso continuo
Johann Schelle (1648–1701)
Barmherzig und gnädig ist der Herr
Geistliches Konzert für 2 Soprane, Alt, Tenor, Bass,
2 Violinen, 2 Violen und Basso continuo
Nikolaus Bruhns (1665–1697)
Ich liege und schlafe
Geistliches Konzert für Sopran, Alt, Tenor, Bass,
2 Violinen, 2 Violen und Basso continuo
Dietrich Buxtehude
Herzlich lieb hab ich dich, o Herr
Geistliches Konzert für 2 Soprane, Alt, Tenor, Bass,
2 Violinen, 2 Violen und Basso continuo

Himmlische Klänge zwischen Diesseits und Jenseits

Per aspera ad astra: aus dem Tal der Finsternis und Tränen führt der Weg der Erlösung ins Paradies. Das heutige Programm von Cantus Cölln bietet wegweisende Werke der Vokalmusik des deutschen Barocks aus Norddeutschland und Sachsen. Dietrich Buxtehude, Nicolaus Bruhns, Johann Kuhnau und Johann Schelle heißen die Komponisten, die in ihren Werken einen musikalischen Weg hin zu Gott nachvollziehen. Es sind ambitionierte Musiker an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert, die oft schon als Jugendliche ins kirchenmusikalische Metier fanden – ob als Chormitglieder städtischer Lateinschulen, die regelmäßig unter der Leitung ihres Kantors in den Gottesdiensten sangen, oder als talentierte Instrumentalschüler versierter Organisten. Lange Zeit hat die Musikgeschichtsschreibung sie nur als Vorläufer Johann Sebastian Bachs wahrgenommen – bis die historische Aufführungspraxis Alter Musik auch die Ausdruckskraft und Originalität ihrer Kompositionen wiederentdeckte und damit sogar neue interpretatorische Zugänge zu den längst als Repertoire-Klassiker gehandelten Bach-Kantaten aufzeigte.

Das trifft im besonderen Maße auf das Werk von Johann Kuhnau zu, dem direkten Vorgänger Bachs im Amt des Leipziger Thomaskantors. Der aus dem kleinen Erzgebirgsort Geising stammende Komponist hinterließ ein gewaltiges Œuvre an Musik, darunter etliche geistliche Konzerte, aber auch zentrale Werke für Tasteninstrumente wie etwa die Musicalische Vorstellung einiger biblischer Historien, ein veritables Stück geistlicher Programmmusik. Der studierte Jurist war seinerzeit auch für seine Romane bekannt; so schrieb er 1700 die Satire Der musicalische Quack-Salber, die manchen erhellenden Einblick in die damalige Musikwelt liefert. In Dresden an der Kreuzschule und in Hofmusikerkreisen ausgebildet, floh Kuhnau von dort 1680 vor der Pest und wurde Organist und Chorpräfekt an der Johanniskirche in Zittau. Nach dem Jurastudium in Leipzig und der Tätigkeit als Anwalt trat er seine Stelle als Organist an der Thomaskirche an; von 1701 bis zu seinem Tod 1722 war er als Nachfolger von Johann Schelle Thomaskantor. Neben den alltäglichen Aufgaben des Kantors versuchte er sich auch als Opernkomponist, was allerdings nicht von Erfolg gekrönt war, so dass sich seine ursprünglich positive Einstellung gegenüber der Oper nachhaltig änderte.

Dietrich Buxtehude war von 1668 bis zu seinem Tod als Organist an der Lübecker Marienkirche tätig. Wenig weiß man über seine Jugendjahre. Einer Mitteilung in den Nova literaria Maris Balthici, die kurz nach seinem Tod erschien, entnimmt man, dass er Dänemark als sein Vaterland ansah, woher er in unsere Region kam. Buxtehude war ein angesehener Lehrer, den 1703 die jungen Tastenspieler und Opernkomponisten Georg Friedrich Händel und Johann Mattheson von Hamburg aus und im Winter 1705 der fast ebenso junge Johann Sebastian Bach von Arnstadt aus aufsuchten, um sich in der Komposition und im Orgelspiel zu vervollkommnen. Ein weiterer Grund für die Reise, von der man weiß, dass Bach sie zu Fuß unternahm, während Händel und Mattheson den Wagen nahmen, war offenbar, dass Buxtehude einen Nachfolger suchte. Das war allerdings an die Bedingung geknüpft, die Tochter Buxtehudes zur Frau zu nehmen, worauf sich aber keiner der drei einlassen mochte. Das kompositorische Schaffen Buxtehudes umfasst neben einer Vielzahl an wegweisenden Tastenkompositionen und einiger Kammermusik vor allem zahlreiche für die Aufführung in der Lübecker Marienkirche geschriebene Vokalkompositionen. Sie sind stilistisch sehr unterschiedlich gehalten und haben nicht immer eine rein religiöse Motivation. Denn zum Teil führte Buxtehude sie zwischen dem vorletzten Sonntag des Kirchenjahres und dem vierten Advent in besonderen Konzertveranstaltungen auf, die man in Lübeck Abendmusiken nannte. Durch Spenden vermögender Kaufleute und gelegentliche Zuschüsse aus der Kirchenkasse unterstützt, stellte Buxtehude bei diesen Gelegenheiten auch aufwändige musikdramatische Werke geistlichen Inhalts vor – und das bemerkenswerterweise erstmals im Jahr 1678, als im benachbarten Hamburg die weltliche Oper am Gänsemarkt ihre Pforten öffnete.

Der berühmteste Schüler Buxtehudes war Nikolaus Bruhns, der Lübeck in der zweiten Hälfte der 1680er Jahre als veritabler Violin- und Orgelvirtuose verließ und vermutlich nach einem mehrjährigen Gastspiel in Kopenhagen zum Stadtorganisten in Husum berufen wurde. Nur wenig Zeit blieb ihm dort bis zu seinem frühen Tod mit nur 31 Jahren, um für die Gottesdienste neben Orgelmusik auch eine Reihe von ausdrucksstarken Vokalwerken in der Tradition seines Lübecker Lehrers zu komponieren.

Johann Schelle stammte wie der zwölf Jahre jüngere Kuhnau aus dem erzgebirgischen Geising und sang in Dresden als Knabensopran unter dem Hofkapellmeister Heinrich Schütz, der ihn später an den Wolfenbütteler Hof vermittelte. Von 1665 bis 1667 war er Sänger im Chor der Thomasschule in Leipzig, wo er anschließend auch die Universität besuchte. Auf Empfehlung des Thomaskantors Sebastian Knüpfer wurde er 1670 Kantor an der Stadtschule in Eilenburg, 1677 nach dem Tod Knüpfers dessen Amtsnachfolger in Leipzig und damit Director chori musici der Stadt. Schelle komponierte vor allem vokal-instrumentale Kirchenmusik und führte als einer der Ersten deutschsprachige oratorische Evangelien-Vertonungen, die Verbindung von vertontem Evangelientext mit geistlichen Liedern und reine Choralkantaten in den Gottesdienst ein.

Der unterschiedliche Charakter der ausgewählten Kompositionen tritt in der Abfolge des heutigen Abends deutlich zutage. Auf breiten und wirkungsvollen Wechseln zwischen Tutti- und Solo-Abschnitten ist das 1705 entstandene geistliche Konzert Gott, sei mir gnädig aufgebaut. Dieses zu den wichtigsten Kompositionen Johann Kuhnaus gehörende Werk für Sopran, Alt, Tenor, Bass, zwei Violinen, zwei Violen und Basso continuo kann wegen seines formalen Aufbaus durchaus als Vorläufer der Bach’schen Kantate verstanden werden, die dann allerdings entschiedener von den Opern-Formen Rezitativ und (Da-capo-)Arie gebrauchen machen wird.

Das geistliche Konzert Ich liege und schlafe von Nicolaus Bruhns, dessen Text einen Trauergottesdienst als Entstehungsanlass nahelegt, scheint den in den Stücken zuvor beschriebenen Leidensweg hinter sich lassen. Nicht zuletzt wegen seiner dunkel klingenden Tonart c-Moll mutet es aber doch auch dramatisch an. Die Hoffnung auf Erlösung, Barmherzigkeit und Frieden erscheint noch nicht mit letzter Sicherheit als Ausweg aus dem Leiden. Trotz zuversichtlicher Choralworte (In Jesu Namen schlaf ich ein, er führt allein mich aus dem Tod ins Leben) bleibt in der von Vorhalten durchzogenen Musik ein bitterer Beigeschmack von Resignation und unendlicher Trauer.

Ganz anders wirkt da Buxtehudes geistliches Konzert Herzlich lieb hab ich dich, o Herr, mit dem das Programm beschlossen wird. Dieser Choralbearbeitung liegt ein 1567 entstandener Text des Wittenberger Theologen Martin Schalling zugrunde; die zugehörige und auch von Buxtehude verwendete Liedmelodie ist erstmals in einem Straßburger Choralbuch von 1577 nachweisbar. Vor allem die letzte Strophe Ach Herr, lass dein lieb Engelein ist auch heute noch von großer Bekanntheit, benutzte doch Bach eben diesen Text für den Schlusschoral seiner Johannes-Passion. In der protestantischen Liturgie findet sich der Choral noch heute als Predigtlied zum 18. Sonntag nach Trinitatis. Buxtehudes Vertonung strahlt eine gewisse Leichtigkeit aus und unterscheidet sich darin deutlich von den übrigen Werken, gleichzeitig spannt sie aber auch einen Bogen zu den von Leid und Trauer geprägten Stücken des Anfangs. So ist der Weg ins Paradies hier gleichzeitig ein Passionsweg, der über die Bitte um Gnade, Hilfe und Barmherzigkeit, aber auch über Resignation und Zweifel zu einer auf Vertrauen beruhenden Erlösung führt.

Felix Knoblauch / Hanna Schörken / behe
Der Textbeitrag entstand im Rahmen einer Zusammenarbeit von musik + konzept e. V. mit dem Master-Studiengang Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik und Tanz Köln (Vertr.-Prof. Dr. Corinna Herr).

Mitwirkende

Cantus Cölln
Ltg. Konrad Junghänel

Cantus Cölln ist heute in der folgenden Besetzung zu hören:
Magdalene Harer, Hanna Zumsande – Sopran
Elisabeth Popien – Alt
Gerd Türk – Tenor
Manfred Bittner – Bass
Ulla Bundies, Anette Sichelschmidt – Violine
Friederike Kremers, Volker Hagedorn – Viola
Hartwig Groth – Violone
Carsten Lohff – Orgel