2025/2026: Konzert 1
Partenope
Dramma per musica von Luigi Mancia (Neapel 1699) Studierende der Hochschule für Musik und Tanz Köln Orchestra Kairos Kai Wessel
Partenope, die mythische Schutzpatronin der Stadt Neapel, wurde zur
Titelheldin zahlreicher barocker Opern. Die früheste Vertonung legte 1699
Luigi Mancia vor: eine Opera seria, die der Gattin des spanischen Vizekönigs
von Neapel gewidmet war. Das ist hochspannende Musik, in der die Vorbilder
Giovanni Legrenzi und Alessandro Scarlatti reizvoll durchschimmern. In
moderner Erstaufführung präsentiert ein experimentierfreudiges Ensemble junger
Stimmen um Kai Wessel diese Partenope
jetzt gemeinsam mit dem
fulminanten Orchestra Kairos. --In Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik
und Tanz Köln
Programmfolge
La Partenope
Dramma per musica in drei Akten (Neapel 1699)
Text von Silvio Stampiglia
Gekürzte Aufführungsfassung mit deutschen Zwischentexten von Kai Wessel
Pause nach der Arie der Rosmira Nel mio petto e il sospetto
(Akt II, Szene 6)
Notenedition nach dem Partiturmanuskript in der Biblioteca del Conservatorio di musica
S. Pietro a Majella in Neapel von Milena Maneva-Valcheva und Kai Wessel
Die erste Partenope
Der antike Dichter Homer berichtet als Erster von den Sirenen: weiblichen Fabelwesen an der Südseite Italiens, die alle Seefahrer mit ihrem Gesang dermaßen betörten, dass ihre Schiffe zerschellten und untergingen. Sein Held Odysseus konnte dem Gesang widerstehen, weil er sich an einen Schiffsmast binden ließ; den Gefährten waren die Ohren sicherheitshalber mit Wachspfropfen verschlossen. Spätere Autoren erwähnen, die Sirenen hätten sich ins Meer gestürzt, nachdem sie an Odysseus gescheitert waren, und wären dabei gestorben. Einige geben als Grund für den Selbstmord den gescheiterten Versuch der Sirenen an, die Musen im Gesang zu übertrumpfen.
Eine der Sirenen war Parthenope. Sie sei an der italienischen Küste tot angespült und von den Bewohnern bestattet worden. Seitdem verehrte man sie dort als Stadtgöttin. Der Ort am Fuße des Vesuvs entwickelte sich unter dem Namen Neapel im Laufe der Jahrhunderte zum Schmelztiegel der Kulturen. Er sah viele fremde Machthaber kommen und gehen: Als griechische Kolonie gegründet, war Neapel nacheinander unter der Herrschaft der Römer und Byzantiner, der Normannen und Staufer, der Franzosen, Spanier und Österreicher. Die gut zwei Jahrhunderte, in denen die Stadt und ihr Umland als Vizekönigreich Spaniens von einem hochrangigen iberischen Adeligen regiert wurde, bescherten ihr eine besondere (multi-)kulturelle Blüte.
Am Ende dieser Epoche, gut zwei Jahre vor dem Ausbruch des Spanischen Erbfolgekrieges, verfasste Silvio Stampiglia (1664–1725) den Text zur Oper La Partenope. Sie erklang erstmals zur Karnevalssaison 1699 in Neapels Teatro San Bartolomeo in der Vertonung von Luigi Mancia. Heute Abend erlebt sie ihre erste moderne Wiederaufführung. Stampiglia, der sich als Dichter zunächst in Rom einen Namen gemacht hatte, lebte seit 1695 in Neapel. Dorthin war er im Gefolge des Luis de la Cerda y Aragón, Herzog von Medinaceli, gekommen, der nach Jahren als spanischer Gesandter beim Heiligen Stuhl zum Vizekönig von Neapel ernannt worden war. Stampiglias Oper ist das erste Werk, das sich auf den Gründungsmythos Neapels bezieht. Dabei verknüpft er die Erzählung von der Sirene Parthenope mit einer weiteren mythischen Überlieferung, nach der eine griechische Prinzessin gleichen Namens diesen Ort erreicht und eine neue Stadt unter ihrem Namen gegründet habe. Die Handlung der Oper ist leicht zu fassen: Nach der Gründung der Stadt sucht die Prinzessin einen Gatten zur Gründung einer Herrscherdynastie. Mehrere Prinzen treten auf, um sich mehr oder weniger charmant als Gemahl zu empfehlen. Darin spiegelt sich die Situation am Vorabend des Spanischen Erbfolgekrieges wider: Nach fast zwei Jahrhunderten unter der Herrschaft des spanischen Habsburger wurde Neapel seinerzeit von den österreichischen Habsburgern, den Wittelsbachern und den Bourbonen gleichermaßen begehrt.
Stampiglias Libretto erfreute sich in den folgenden Jahrzehnten großer Beliebtheit und wurde mindestens 24 Mal vertont – oft allerdings mit deutlichen Eingriffen in die Originalgestalt, so etwa in der heute bekanntesten Version von Georg Friedrich Händel (London 1730). Weitere Vertonungen lieferten Komponisten, die seinerzeit kaum weniger prominent waren, darunter Antonio Caldara (Mantua 1701), Domenico Sarro (Neapel 1722), Leonardo Vinci (Venedig 1725), Antonio Vivaldi (Venedig 1738) und Giuseppe Scarlatti (Turin 1749).
Der Komponist der Erstvertonung, Luigi Mancia, hatte wie der Textdichter zuvor
andernorts Karriere gemacht. Er stammte wohl aus Brescia und dürfte identisch sein mit
jenem Luigi Manza, der 1687 vermutlich aus Mantua an den Hof des Kurfürsten Ernst August
von Hannover kam, um dort seine Oper Paride in Ida aufzuführen. Mit weiteren
Opern war Mancia 1695 und im folgenden Jahr in Rom präsent, im Sommer 1697 erneut in
Hannover und dann im Oktober am Musenhof der kunstsinnigen brandenburgischen Kurfürsten-
Gattin Sophie Charlotte in Berlin. Dort trat er im heutigen Schloss Charlottenburg an
der Seite weiterer italienischer Gesangsvirtuosen auf – darunter auch Francesco Mamiliano
Pistocchi, dessen Ansbacher Oper Il Narciso schon 2011 im Forum Alte Musik Köln
als Wiederentdeckung zu erleben war. Erneut – und nicht zum letzten Mal – überquerte
Mancia die Alpen, um in Neapel zum Karneval 1698 seinen Tito Manlio aufzuführen
und eben im Jahr darauf La Partenope. 1701 ist er in Düsseldorf bei Johann Wilhelm
von der Pfalz unter den Kammerräten zu finden – eine beliebte Auszeichnung des kunstsinnigen
Kurfürsten für verdiente Kapellmitglieder. 1708 führte Mancia in Venedig seine Oper
Alessandro in Susa auf und in Brescia eine Serenata; es ist das Jahr, in dem der
Duke of Manchester als Sondergesandter in Venedig auf Mancia aufmerksam wird und ihn
nachdrücklich nach London empfiehlt; er spreche Französisch und Deutsch und spiele
Fagott, Gitarre, Oboe und Cembalo mit Perfektion
. Ob Mancia noch den Weg nach England
angetreten hat, muss bislang offenbleiben. Nach 1708 verliert sich die Spur des polyglotten
musikalischen Allrounders wieder im Nebel der Geschichte.
Wenn von der italienischen und besonders der neapolitanischen Vokalmusik um 1700 die Rede ist, darf ein weiterer Name nicht fehlen: Alessandro Scarlatti (1660–1725). Auch er bewegte sich in diesen Jahren zwischen Rom und Neapel, und er hat mit den Arien seiner Opern und seiner unzähligen Solokantaten Maßstäbe gesetzt. Dies vor allem in der dreigliedrigen Da-capo-Form, die den ersten Arienteil am Ende wörtlich oder nahezu identisch wiederholt und damit zum Rahmen eines kontrastierenden Mittelteils macht. Das wird nach 1700 zum Standard in der opera seria, in der Rezitative im freier deklamierenden Parlando- Ton den Gang der Handlung oder den Gedanken der Charaktere zwischen den immer ausgedehnteren Arien entwickeln.
Mancia ist in seiner Partenope 1699 auf dem Weg von der älteren Strophenarie zur modernen Da-capo-Form, wenn er auch in seinem Erfindungsreichtum nicht an die Größe Scarlattis heranreicht. Seine harmonische Sprache ist recht eigenwillig und erinnert in manchen Teilen noch an Alessandro Stradella (1643–1682), einen Protagonisten der italienischen Oper zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Mancias Dissonanzbehandlung ist oft schroff, die Stimmführungsregeln setzt er manchmal außer Kraft. Rhythmisch betonte Tanzformen dienen ihm zu extrovertierten Affekten, das beliebte wiegende Siciliano wird zum Ausdruck der Freude wie der Klage vielseitig genutzt. Zu den Arien kommen Duette, Terzette sowie Chöre, die nach damaliger Praxis ebenfalls von den Solostimmen bestritten wurden.
Mancias Ideenreichtum und Originalität zeigt sich in einigen Nummern besonders deutlich. So nutzt er einen kompositorischen Trick, um den Konflikt zwischen Rosmira und Arsace in einem Stück zu verschränken (Akt II, Szene 4): Beide machen sich Vorwürfe und reagieren mit Beschimpfungen auf den gleichen Noten, das heißt, das Duett wird zweimal auf dieselbe Weise gesungen, aber die Rollen sind getauscht. Fein instrumentiert ist die (unvermeidliche) Schlafarie des Arsace, Mà quai note di mesti lamenti (Akt III, Szene 7): Erst wiegen Oboen und Flöten den Gramgeplagten in C-Dur in den Schlummer, dann vertreibt das Arpeggio der Violinen in a-Moll den Kummer zugunsten eines glücklichen Schlafes.
Über die Vokalkräfte bei der Uraufführung im Januar 1699 war bislang nichts in Erfahrung zu bringen. Die Instrumentierung ist nur in wenigen Fällen klar definiert und bleibt im Übrigen variabel dem jeweiligen Aufführungsmoment überlassen. Mancia verlangt neben Streichern und Generalbass-Instrumenten je zwei Trompeten, Oboen und Blockflöten.
Eine Gesamtaufführung von Luigi Mancias Partenope mit ihren 123 Nummern würde den Rahmen des heutigen Abends sprengen. In der jetzt zu hörenden gekürzten Fassung stehen die Arien und Ensembles in ihrer musikalischen Vielfalt im Fokus; dazwischen referieren gesprochene deutsche Texte den Gang der Handlung. Dass dabei zwei unterschiedliche Idiome aufeinandertreffen, entspricht guter barocker Praxis: Als Händels Partenope drei Jahre nach der Londoner Uraufführung in der Hamburger Gänsemarkt-Oper auf die Bühne kam, präsentierte man sie dort mit deutschen Rezitativen zwischen den italienischen Arien. Der Hamburger Komponist Reinhard Keiser hatte die Übersetzungen nachvertont.
Besetzung/Mitwirkende
Partenope: Rita Rolo Morais – Sopran
Arsace: Lana Sophie Westendorf – Sopran
Rosmira/Eurimene: Netta Or – Sopran (als Gast)
Emilio: Anastasiia Kolabanova – Sopran
Armindo: Nima Pournaghshband – Countertenor
Ormonte: Younes Müller – Tenor
Anfrisa: Zi-Zhe Lo – Tenor
Beltramme: Daeyeon Won – Bass-Bariton
Orchestra Kairos:
Evgeni Sviridov (Konzertmeister), Yukie Yamaguchi, Cecile Dorchène – Violine 1
Anna Dmitrieva, Justyna Skatulnik, Lilit Tonoyan – Violine 2
Svetlana Ramazanova, Anna Kodama – Viola
Davit Melkonyan, Andreas Müller – Violoncello | Kinnon Church – Kontrabass
Jonathan Ernst, Sebastian Hensiek – Trompete | Saem Kim – Perkussion
Philomena Noelle Pallaske, Kai Uwe Förster – Blockflöte
Julia Belitz, Judith Schaible – Oboe
Stanislav Gres – Cembalo, Orgel | Lisa Solovey – Laute, Gitarre
Ltg. Kai Wessel