2020/2021: Konzert 5

Sonntag, 10. Januar 2021 Corona-bedingt als Rundfunkproduktion ohne Publikum Trinitatiskirche (Nachholtermin vom Juni 2020) 17 Uhr

La ninfa contenta

Pastorale von Jakob Greber, Innsbruck 1713 Studierende der Hochschule für Musik und Tanz Köln Orchestra Kairos Ltg. Kai Wessel Kai Wessel Sendung auf WDR 3 am 07.02.2021 ab 20.04 Uhr

Mit Gli amori d´Ergasto, der ersten italienischen Oper auf englischem Boden, eröffnete 1705 das Londoner Opernhaus am Haymarket. Der Komponist war ein Deutscher namens Giacomo Greber. Einer Innsbrucker Aufführung von 1713 verdanken wir die Noten einer weiteren Greber-Oper – und der Initiative von Kai Wessel, dass diese reizvolle Pastorale jetzt wieder erklingt. Neben hervorragenden Studierenden aus den Kölner Hochschulklassen gibt damit das junge Orchestra Kairos sein Debüt beim Forum Alte Musik Köln.
Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und Tanz Köln

Programmfolge

Jakob Greber (um 1670–1731)

La ninfa contenta

[irrtümlich: Gli amori d’Ergasto]
Pastorale in einem Prolog und drei Akten, Innsbruck 1713

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Libretto Italienisch/Deutsch
Das komplette Programmheft

Eine Wiener Trouvaille aus Innsbruck

Mit der Uraufführung des Orfeo von Claudio Monteverdi am Hof von Mantua 1607 begann die Erfolgsgeschichte der Oper – einer neu entwickelten Gattung, die sich in wenigen Jahrzehnten zu einer der bestimmenden musikalischen Darbietungsformen entwickeln sollte. Die wichtigsten Zentren in den ersten Jahrzehnten dieser Erfolgsgeschichte bildeten die Republik Venedig mit ihren städtischen Opernhäusern und Wien mit seiner Hofoper; in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts kam der französische Hof Ludwigs XIV. in Paris und Versailles mit seinem stilistisch anders ausgerichteten Musiktheater hinzu. Darüber hinaus wurde bald eine fast unüberschaubare Zahl an Opern in den anderen Musikmetropolen Italiens und weiteren Fürstenresidenzen nördlich der Alpen aufgeführt, dann auch ab 1678 in Hamburg und ab 1693 in Leipzig.

Die Musik dieser Opern ist aber in vielen Fällen nicht mehr bekannt, weil die Partituren (anders als in Frankreich) oft nicht gedruckt wurden und das handschriftliche Aufführungsmaterial verloren ging. In solchen Fällen geben heute nur noch die erhaltenen Textdrucke Auskunft über die Werkgestalt, mitunter in einer Widmung oder einem Vorwort auch über den Aufführungsanlass. Nicht immer wird dabei auch der Name des Komponisten genannt.

Anders verhält es sich im Fall jener Opernkomposition, die jetzt im Forum Alte Musik Köln nach mehr als 300 Jahren als moderne Erstaufführung zu erleben ist. Hier blieb eine handschriftliche Notenpartitur erhalten, in der allerdings kein Titel genannt wird. Jahrzehntelang hat die Musikforschung diesem Werk zu Unrecht mit dem Namen Gli amori d’Ergasto bezeichnet.

Opernprojekte in London und Innsbruck: Jakob Greber

Am Ende der Partitur, die sich in Wien in der Österreichischen Nationalbibliothek findet, ist andererseits der Name des Komponisten vermerkt: Giacomo Greber. Als Jakob Greber kennen ihn die Hofakten in Innsbruck, denn dort wirkte er seit Herbst 1707 als Kapellmeister. Über seine Herkunft lässt sich kaum mehr sagen, als dass er aus dem deutschen Sprachraum stammte und sich um 1700, vermutlich zu Studienzwecken, in Italien aufhielt. Von dort kam er wohl 1703 gemeinsam mit der Sängerin Francesca Margarita de l’Epine, die zuvor als Opernsängerin in Venedig aufgetreten war, nach England. Die beiden waren ein Paar, und es gelang ihnen, im Londoner Musikleben Fuß zu fassen. Signora Francesca Margarita war eine der ersten italienischen Sängerinnen, die sich auf den dortigen Podien präsentierte, und Greber komponierte für sie die passenden Bravourstücke, begleitete sie auch auf dem Cembalo. Doch dann trennten sich ihre Wege. Später heiratete die Sängerin in London den aus Deutschland stammenden Komponisten Johann Christoph Pepusch.

Greber sorgte in London ein letztes Mal für Schlagzeilen, als am 9. April 1705 das neu erbaute Queen’s Theatre am Haymarket mit der Aufführung seiner Pastorale Gli amori d’Ergasto eröffnet wurde. Sie war die erste italienischsprachige Oper, die in England über die Bühne ging. Erfolgreich war sie anscheinend nicht. Zeitgenössische Kritiken erwähnen als Ausführende in den fünf Rollen neue Sänger aus Italien (die schlechtesten, die jemals von dort gekommen sind). Das Stück erlebte lediglich zwei Aufführungen innerhalb von fünf Tagen, und die Operntruppe ging nach kurzer Zeit zurück in ihre Heimat.

Auch Greber kehrte jetzt London den Rücken: Gut zehn Wochen später, am 23. Juni 1705, findet er sich als Taufpate bei einem Sohn von Johann Hugo von Wilderer, dem Kapellmeister des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz-Neuburg in Düsseldorf. Greber trug da selbst schon einen Kapellmeistertitel: Er stand beim Bruder des Kurfürsten in Diensten, dem Pfalzgrafen Karl Philipp, der damals in Breslau residierte.

Vermutlich hatte Greber schon vor seiner Zeit in Italien und England Kontakte zur Hofmusik des Hauses Pfalz-Neuburg geknüpft, mit dem sich seine weitere Karriere eng verbindet: Karl Philipp wurde 1705 von Kaiser Joseph I., seinem Neffen, zum Habsburger Statthalter in Innsbruck ernannt, hielt dort aber erst am 11. September 1707 Einzug. Sein Hofkapellmeister Greber folgte ein paar Wochen später. Zuerst vermählte er sich noch am 24. September in Düsseldorf mit Catharina Elisabeth, einer Tochter des renommierten kurpfälzischen Hofmalers Jan Frans van Douven. Kaum war Greber im Oktober in Innsbruck angekommen, verschaffte ihm Karl Philipp durch eine entsprechende Anfrage beim Bruder Johann Wilhelm in Düsseldorf noch den Ehrentitel eines kurpfälzischen Hofrates.

In Innsbruck erhielt Greber bald neue Gelegenheit, sich als Italien-erfahrener Komponist im musikdramatischen Fach zu profilieren. Den repräsentativen Anlass gab im Mai 1708 der Aufenthalt der neuen habsburgischen Erzherzogin Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel in Innsbruck. Nach der zeremoniellen Ferntrauung im April in Wien an der Seite Josephs I. war sie nun auf dem Weg nach Barcelona zu ihrem Gatten Karl, dem Bruder des Kaisers und Neffen Karl Philipps. Denn Karl war durch den Spanischen Erbfolgekrieg in Katalonien gebunden. Während ihres Zwischenaufenthaltes in Innsbruck ehrte man nun die Erzherzogin mit einer Serenata, einer konzertant dargebotenen Abendmusik mit dem Titel L’allegrezza dell’EnoDie Freude des Inns. Karl Philipps Hofsekretär Giovanni Domenico Pallavicini hatte den Text gedichtet, Hofkapellmeister Greber lieferte die Musik in Zusammenarbeit mit dem Konzertmeister Gottfried Finger, der die Ouvertüre beisteuerte. Szenische Opernaufführungen waren in Innsbruck hingegen erst wieder nach der Renovierung des Komödienhauses möglich, das zum Karneval 1711 mit Grebers Enea in Cartagine wiedereröffnet wurde.

Im Herbst desselben Jahres kehrte der Erzherzog Karl aus Spanien zurück, um die Nachfolge seines verstorbenen Bruders als Kaiser anzutreten. Karls Gattin musste allerdings noch etwa anderthalb Jahre als seine Statthalterin in Barcelona bleiben. Der Rückweg nach Wien, auf dem sie ihren Gemahl schließlich in Linz wiedertraf, führte Elisabeth Christine erneut über Innsbruck. Diesmal konnte Karl Philipp ihr zu Ehren auch mit szenischem Prunk aufwarten: welsche Komedien und Opera notieren die Hofakten.

Die Pastorale von 1713

Zu den Innsbrucker Festlichkeiten im Mai 1713, bei denen alleine die Theaterbeleuchtung die Summe von 313 Florin an Wachs und Öl verschlang, gehörte auch jenes Werk von Jakob Greber, das jetzt seine erste Wiederaufführung erleben kann: eine abendfüllende Pastorale in einem Prolog und drei Akten. Die Widmung an die neue Kaiserin legt der anonyme Librettist im Prolog der Hirtengöttin Pales in den Mund: Derweil die geliebte, des großen Augustus würdige Gattin, die vortreffliche Elisabeth, auf ihren König wartet, möge sie das Schäferspiel würdigen. Sie, die zum gekrönten Karl zurückkehrt, möge uns zuliebe einige Momente für den ihr nahen Wohlklang entbehren.

Bei der in Schönschrift angefertigten Partitur, durch die alleine wir Grebers Musik heute noch kennen, dürfte es sich um ein Geschenk handeln, das man Elisabeth Christine in Innsbruck zur Erinnerung an die Aufführung überreichte. In ihrem Reisegepäck fand es dann wohl den Weg nach Wien und schließlich in die dortige Hofbibliothek.

Der Partiturband trägt keinen Titel. Aus einem Missverständnis heraus hat die ältere Musikforschung das Werk als eine Bearbeitung von Grebers acht Jahre älterer Londoner Pastoraloper Gli amori d’Ergasto interpretiert. Doch verfehlt dieser Titel vollkommen den Handlungsinhalt des Innsbrucker Werks. Um es dem heutigen Publikum aber nicht titellos vorzustellen, entschloss sich Kai Wessel, einem Vorschlag der Libretto-Übersetzerin Jutta Eckes folgend, dem Werk einen neuen, inhaltlich zutreffenderen Namen zu geben: Gli amori malintesi, die falsch verstandenen Amouren.

Unter diesem Titel erfolgte am 10. Januar 2021 die erste Wiederaufführung beim Forum Alte Musik Köln. Kurz darauf gelang es dank der Hilfe von Dr. Franz Gratl, dem Kustos der Musiksammlung am Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck, den zugehörigen Librettodruck von 1713 wiederzufinden und damit der Oper ihren originalen Titel wiederzugeben: La ninfa contentadie zufriedengestellte Nymphe.

Weder die Partitur noch das Libretto verraten leider, wer die Sänger und vermutlich auch Sängerinnen waren, die nach dem Prolog der Pales in die beiden weiblichen und sechs männlichen Rollen der Haupthandlung schlüpften. Die Besetzung der relativ großen Innsbrucker Hofmusik, zu der noch Musiker aus Karl Philipps Privatkapelle traten, richtete sich vornehmlich an der Kirchenmusik aus. Anders als in Wien oder Düsseldorf findet man hier kaum italienische Namen, schon gar nicht unter den Vokalkräften. Während nun verschiedene Sänger des Innsbrucker Ensembles für die Besetzung der männlichen Rollen in Bass-, Tenor-, Alt- und Sopranlage infrage kommen, weiß man nur von einer hervorragenden Sängerin, die im Mai 1713 in Innsbruck lebte: Prinzessin Elisabeth Auguste, die zwanzigjährige Tochter aus Karl Philipps erster Ehe mit Luise Charlotte Radziwill. Ihre Vorliebe galt italienischen Arien, zu denen sie sich selbst auf dem Cembalo begleitete; es ist durchaus möglich, dass sie hier zu Ehren der Kaiserin auftrat. Möglicherweise hatte man für die Aufführung aber auch noch renommierte Kräfte von befreundeten Höfen engagiert. Eine weitere ausgezeichnete Sängerin der fürstlichen Familie, Karl Philipps zweite Gattin Theresa Katharina Lubomirska, war hingegen im Jahr zuvor mit gerade einmal 27 Jahren verstorben. Erzherzog Karl hatte noch im November 1711 auf der Rückreise von Spanien gemeinsam mit ihr musiziert.

Dass Greber zur Aufführung seiner Pastoraloper jedenfalls mit hochqualifizierten Interpreten rechnen konnte, macht seine Musik vom ersten Ton an deutlich. Und dieser erste Ton erklingt im Rezitativ des Prologs, denn das Werk ist ohne instrumentale Ouvertüre überliefert – deren Komposition überließ der Kapellmeister nach damals üblicher Praxis seinem Konzertmeister am ersten Violinpult, Gottfried Finger. Die Kölner Aufführung wurde stattdessen vom Vorspiel zu einer Fest-Kantate namens L’Angelica eingeleitet, die Nicola Antonio Porpora 1720 in Neapel zum Geburtstag der Kaiserin Elisabeth Christine komponiert hat.

Im melodiösen und klangsinnlichen italienischen Opernstil der Zeit mit seinem regelmäßigen Wechsel von Rezitativen und Da-capo-Arien entwickelt sich dann mal in Dialogen, mal in Monologen die Handlung; eingestreut sind einige kurze Chorsätze. Das Orchester aus Streichern und Generalbass-Instrumenten bereichern zwei Oboen und Fagott, die den pastoralen Schalmeien-Ton archaischer Hirteninstrumente symbolisieren und gleichzeitig kunstvoll überhöhen. Gelegentlich treten an die Stelle der Oboen gedeckter klingende Blockflöten. Zu Beginn des dritten Aktes, wenn Aigle auf dem Weg zum Seher Meris mit zitternden Schritten einen dunklen Wald betritt, verlangt Greber zum bebenden Streicherspiel sogar den damals noch neuartigen empfindsamen Klang einer barocken Traversflöte. Und in der zweiten Szene des ersten Aktes, als Nisos das ungebundene Herz mit einem Jäger auf der Pirsch vergleicht, haben zwei Jagdhörner ihren singulären Arien-Auftritt – auch sie waren 1713 noch junge Gäste im Orchester.

Immer neue musikalische Ideen entwickelt Greber aber auch im reinen Streicherklang aus beherzten Violin-Unisoni oder im harmonisch reichen vierstimmigen Satz. Ebenso gerne beschränkt er sich in den Arien auf eine Singstimmenbegleitung alleine durch den Generalbass, um die höheren Instrumente dann effektvoll nach Ende des Gesangs mit einem Schlussritornell einsetzen zu lassen.

Greber gibt den Sängerinnen und Sängern der Hauptpartien reichlich Gelegenheit, ihre Stimmen in den unterschiedlichsten Affekten und Charakterfacetten virtuos zum Leuchten zu bringen. Ebenso lässt er aber in den wenigen Arienbeiträgen der Nebenrollen aufhorchen. Das alles gelingt ihm mit viel Sinn fürs Vokale und formaler Prägnanz. Hier ist tatsächlich ein gestandener Hofkapellmeister am Werk!

So kann man es sich auch nicht anders vorstellen, als dass die Innsbrucker Darbietung dieser Pastoraloper der Kaiserin Elisabeth Christine tatsächlich Freude bereitet hat und sie die Partitur des Werks als ein schätzenswertes Souvenir mit nach Wien nahm. Inzwischen hat dieses Notenmanuskript einen unschätzbaren Wert, da es als einziges noch einen Eindruck von Grebers musikdramatischem Schaffen vermittelt.

Abschied von Innsbruck

Wie so manch anderer Musikerkollege verließ Jakob Greber vier Jahre nach dem denkwürdigen Besuch der Kaiserin Elisabeth Christine Innsbruck für immer, nachdem er von September 1714 bis März 1715 schon einmal nach Düsseldorf beurlaubt worden war – vermutlich, um sich dort in der kurpfälzischen Hofkapelle zu betätigen. Mit dem Tod Johann Wilhelms im Juni 1716 wurde Karl Philipp der neue pfälzische Kurfürst. Er vereinigte bald die besten Musiker der Düsseldorfer und der Innsbrucker Kapelle; die beiden Kapellmeister Wilderer und Greber bildeten jetzt eine Doppelspitze. Ohne zuvor noch einmal nach Düsseldorf gekommen zu sein, verlegte Karl Philipp seine kurfürstliche Residenz zunächst an den Familienstammsitz Neuburg an der Donau. Dort kam im Juli 1717 die Oper Crudeltà consuma amore zur Aufführung, ein Gemeinschaftswerk Grebers mit dem neuernannten Kammerkomponisten August Stricker. 1718 zog der Hof weiter nach Heidelberg, 1720 schließlich nach Mannheim. Der Name dieser Stadt wurde dann im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts zum Synonym für den vorbildichen und zukunftsweisenden Musizierstil der kurpfälzischen Hofkapelle.

Jakob Greber stand diesem Ensemble nach dem Tod Johann Hugo von Wilderers 1724 noch weitere sieben Jahre vor und betätigte sich gelegentlich als Komponist repräsentativer Festmusiken. Erhalten haben sich aber aus seiner Feder nur einige frühere italienische Solokantaten neben jener Innsbrucker Pastoraloper von 1713, die Greber wohl doch auch auf einem künstlerischen Höhepunkt vorstellt.

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Die Handlung

Die Pastorale spielt im antiken Arkadien, einer utopischen Landschaft, die in ihrer Gesellschaftsform als Flucht aus der Gegenwart und den Dichtern der Antike und der Renaissance als Vorlage für Schauspiele und Versepen galt. Das Schäferspiel diente zur Darstellung der aufrichtigen, treuen Liebe, die durch edles Verhalten wie Geduld und Verzicht gekennzeichnet ist und in Gesellschaftsformen wie dem barocken Absolutismus der Oberschicht zugeschrieben wurde. Die strengen Formen eines Hofstaates aber drängten hinaus in die Natur; ethische Normen wurden auf das einfache Landleben verlegt. Das hieß, dass auch den einfachen Hirten, die weniger hierarchisch organisiert waren, das Leben einer wahren Liebe zugesprochen werden konnte. Angesichts der Lebensumstände von Kaiser Karl VI. und seiner Gattin bis zum Sommer des Jahres 1713 kann die Geschichte der beiden Liebespaare in der Opernhandlung – die Paare Aigle/Nisos und Corinna/Aminta – als Glorifizierung der Geduld und des Kampfes um die Liebe gedeutet werden, die aus politischen Gründen zwischen Karl und Elisabeth Christine erst spät gedeihen konnte.

Prolog

Pales, die Schutzgöttin der Hirten, tritt auf und wünscht den Hirten eine segensreiche Feier. Sie erwähnt Karl und seine Gattin und besingt die Wiedersehensfreude der Eheleute nach qualvollem Warten.

1. Akt

Szene 1–3

Ein Opferfest für die Schutzgöttin der Hirten, der großen Pales, ist vorbereitet, der Altar mit Blumen geschmückt, die Schar der Schäfer und Nymphen vor Ort – und die schöne Tochter des führenden Hirten Arkadiens, Nikandros, die verschleierte Aigle, erwartet dort erregt ihren Bräutigam Nisos. Der aber verweigert ihr die Hand. Dieser sündhafte Verräter einer sittsamen Jungfräulichkeit besingt lieber das freie Herz in Form des nach verschiedenem Wild gehenden Jägers, als sich bereits in Abhängigkeit zu begeben. Aigle ist zutiefst erschüttert. Orminos, der Diener des Nisos, begreift, dass sein Herr – der reichste, aber nicht unbedingt schönste Schäfer der Gegend – sich lieber von vielen Nymphen umschwärmen lassen möchte. Allerdings will Nisos keinen endgültigen Rückzieher machen und bittet Nikandros um Aufschub der Vermählung, bis sein Herz rein ist und sich ausschließlich Aigle zuwenden kann. Er wird ihm gewährt.

Szene 4–8

Auftritt des anderen Paares der Geschichte: Corinna ist unsterblich in Nisos verliebt, den sie nun vermeintlich an Aigle verloren hat – und Aminta liebt Corinna, die ihm allerdings keine Hoffnung macht und ihn verspottet. Aminta aber bleibt standhaft. Da erscheint Nisos und umgarnt erneut Corinna, die sich als Aigles Rivalin erkennt – und doch schwach wird. Auch die Warnung des Störenfrieds Orminos schlägt sie in den Wind.

Nikandros, Aigles Vater, bereut derweil den Nisos gewährten Aufschub der Hochzeit mit seiner Tochter; er befiehlt Aigle, ihre Gefühle für Nisos aus ihrem Herzen zu verjagen. Aigle schwankt zwischen Wut und Hoffnung und wird von ihrem Echo zu letzterer aufgefordert. Um allem Druck zu entgehen, besingt sie die Einsamkeit in der Natur. Zurück am durch Nisos entweihten Altar fordert Nikandros als oberster Priester die Hirten auf, mit Gesang und Spielen die Göttin Pales zu besänftigen.

2. Akt

Szene 1–4

Aigle trifft sich heimlich mit Nisos, um ihm ihre Liebe zu gestehen. Aber sie muss ihrem Vater gehorchen und auf ihren Geliebten verzichten. Nisos ist erbost über das gebrochene Versprechen Nikandros’, ihm Aufschub zu gewähren. Anhand dieser Wut bemerkt er, wie stark seine Liebe zu Aigle ist; er verfällt einer Schwermut, die Orminos nicht aufzuhellen vermag. Plötzlich erscheint Nikandros; er verbannt seine Tochter ins Haus und versucht, dem Nymphenverführer durch Drohungen und Beleidigungen beizukommen. Doch Nisos stellt sich vor Aigle und dreht den Spieß um, indem er Nikandros des Treuebruchs bezichtigt. Nikandros sieht sich in die Ecke gedrängt und zielt mit Pfeil und Bogen auf Nisos, der aber schneller den Speer wirft und Nikandros schwer verletzt. Durch die Hilferufe Nikandros’ aufgeschreckt, eilen Corinna und Aminta herbei. Aminta schwört, den geflüchteten Nisos zu verfolgen und Nikandros zu rächen. Corinna zeigt ihre Angst um Nisos, die Aminta nicht verborgen bleibt.

Szene 5–8

Corinna sieht sich hin und her gerissen wie das Schiffchen im Sturm, schwankend zwischen der Liebe und ihrem Opfertod für den Geliebten. Sie schickt Orminos, der seinen Herrn schon immer gewarnt hat vor dessen Liebestollheiten, hinaus, um Nisos zu warnen und ihn in Sicherheit zu bringen. Sie selbst verfällt einer Art Wahn, der Orminos nur Kopfschütteln entgegenbringen kann. Aminta beobachtet Corinnas Wankelmut und kann nicht glauben, dass sie ihn auffordert, Nisos’ Leben zu retten – und zur Belohnung ihre Hand zu erhalten, auch wenn sie ihn nicht liebt. Bevor er eine Entscheidung fällt, muss er – versteckt hinter einem Baum – mit ansehen, wie Nisos und Orminos versuchen, mit einem Schiff zu fliehen. Durch den tumben Trunkenbold Ergastos und seinen Gehilfen aber werden nicht nur sie an der Flucht gehindert, sondern auch Aminta an der noch nicht vollbrachten Hilfe zur Flucht. Ergastos sieht sich als Helden, der zwei verwegene Straftäter festsetzen konnte. Während Nisos und Aminta zum Richtplatz geführt werden, singen die Hirten und Bauern einen Chor zur Ehre des verletzten Nikandros.

3. Akt

Szene 1–4

Aigle sucht Rat beim Weisen Meris, der für sie das Orakel der Götter befragt. Mit dem Spruch Wenn der Vater den Sohn, die Schwester den Bruder schützt, so wird der Schmerz aus diesen Wäldern weichen geht sie verunsichert zurück zum Richtplatz. Dort schwingt Nisos große Worte: Er ist bereit, dem Tod entgegenzugehen, da er ja auch Schuld auf sich geladen hat; einzig die Geliebte möge ihm zuvor verzeihen. Aigle erscheint als Rächende, die den Tod Nisos’ und Amintas fordert; doch ihr Herz widersetzt sich, das Urteil endlich zu verkünden. Da stürmt Corinna herbei, um sich statt der Verurteilten töten zu lassen – ein Vorschlag, den beide heftig ablehnen. So versucht Corinna Aigle zu überzeugen, dass sie ihren Vater, der sich erholt, um Rat bittet; Aigle setzt die Hinrichtungen aus und eilt zu Nikandros.

Szene 5–6

Orminos, der die neuerliche Wende nicht mitbekommen hat, bittet seinen Herrn Nisos, ihn zu bedenken, bevor er stirbt; immerhin habe er ihm stets treu gedient. Doch Nisos überreicht ihm einen juwelengeschmückten Reif, der als letztes Pfand seiner Liebe Aigle überbracht werden soll. Da erscheint Nikandros, sichtbar erholt – und erkennt durch den Reif den von einer bösen Hexe als Kind entführten Sohn des Freundes Montanos. Somit ist Nisos der Bruder Corinnas. Bleibt die Frage, wer denn Aminta sei: Durch eine Brandnarbe an der Seite offenbart sich das Schicksal dieses Hirten. Er wurde als Kind von seiner Mutter, die Vorzeichen seines frühzeitigen Todes bekommen hatte, am Ufer eines Flusses ausgesetzt; von der weisen Amaltea aufgefunden und erzogen, war er seinem Schicksal entkommen. Also ist Aminta der verloren geglaubte Sohn Nikandros’ und der Bruder Aigles.

Es erfüllt sich das Orakel, dass der Vater seinen Sohn und die Schwester ihren Bruder schützt! Corinna bereut ihre falsch verstandene Liebe zu Nisos und gibt ihre Hand Aminta, der seiner Hoffnung stets getraut hat. Aigle bekommt ihren geliebten Nisos, der nun sein Zögern begreift und bereut. Nach so vielen Wirrungen kann nur das reine Herz der Treue besungen werden.

Kai Wessel

Rollen, Mitwirkende

Pale, römische Hirten-Gottheit / Eco Marija Grinevska (Sopran) Nicandro, Hirte und Herrscher über Arkadien Soowon Han (Bariton) Egle, eine Nymphe, Tochter des Nicandro und Braut des Niso Miriam Rippel (Sopran) Niso, ein wohlhabender Schäfer Luca Segger (Alt) Corinna, eine Nymphe, verliebt in Niso Rahel Flassig (Sopran) Aminta, ein Hirte, verliebt in Corinna Camilo Delgado Díaz (Tenor) Ormino, ein Schäfer, Diener des Niso Marta Martins (Sopran) Ergasto, ein Schäfer Simon Noah Langenegger (Bariton) Meri, ein Seher Michael Krinner (Bass) Orchestra Kairos in folgender Besetzung Evgeny Sviridov (Konzertmeister), Cécile Dorchêne – Violine 1 Anna Dmitrieva, Adrian Bleyer – Violine 2 Corina Golomoz, Priscila Rodriquez Cabaleiro – Viola Davit Melkonyan – Violoncello Eberhard Maldfeldt – Kontrabass Elizaveta Solovey – Laute Stanislav Gres – Cembalo Elisabeth Seitz – Salterio Lola Soulier – Oboe Julia Belitz – Oboe, Blockflöte Leonard Schelb – Blockflöte, Traversflöte Margit Baranyai – Fagott Ulrich Hübner, Karen Hübner – Horn Ltg. Kai Wessel Notenedition nach dem Partiturmanuskript in der Österreichischen Nationalbibliothek Wien von Milena Maneva-Valcheva und Kai Wessel